Angriff des „Klima-Mönchs“: Eine Situation radikaler Entscheidung

Wie viel Theologie steckt in der Klimabewegung und welche Konsequenzen müssen Christ:innen aus der legitimen Apokalyptik der Protestierenden ziehen? Eine Replik auf Johann Hinrich Claussen.

In einem Artikel auf seinem Chrismon-Blog „Kulturbeutel“ hat Johann Hinrich Claussen, der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), einen Tweet von mir verarbeitet. Im Tweet ist ein Foto zu sehen, auf dem ein im Netz als „Matsch-Mönch“ titulierter Klimaaktivist mit wehender Kutte auf eine Gruppe behelmter Polizisten anstürmt. Dieser „Klima-Mönch von Lützerath“ ging in den vergangenen Tagen als Meme viral (s. #LaTdH vom 22. Januar). Kommentiert hatte ich das Foto vom Mönch mit dem Satz: „Klausurfrage: Interpretieren Sie dieses Bild vor dem Hintergrund der reformatorischen Zwei-Regimente-Lehre“.

Diese Kombination findet Claussen zwar unmittelbar lustig, aber letztlich doch „unbefriedigend“. Denn der Tweet könne leider nicht darüber Auskunft geben, ob der mysteriöse „Matsch-Mönch“ sich tatsächlich für einen modernen Martin Luther halte. Der Tweet und seine Rezeption wären damit lediglich ein Beispiel für die Oberflächlichkeit dessen, was sich „in der freien Wildbahn des Internets“ so abspielt: „Ein Bild löst unmittelbare Reaktionen aus, da wird gelacht, geliket und geteilt, doch worum es in Wirklichkeit geht, ist nicht so wichtig.“ Ernstzunehmende Theologie, wie sie statt im Schlamm der Twitterdebatten wohl eher in Chrismon und den Zeitzeichen gepflegt wird, stelle dagegen die Fähigkeit unter Beweis, säkulare Phänomene auch als solche zu erkennen, statt sie mit ihren Deutungen religiös zu vereinnahmen.

Vielleicht wäre es einer solchen Theologie aber möglich, auch den zitierten Tweet noch einmal anders zu entschlüsseln und tiefer zu verstehen? Denn eventuell ging es dabei ja gar nicht um das Selbstverständnis des Aktivisten und die Frage, ob er sich bewusst als Luther inszeniert oder nicht.

Die Zwei-Regimente-Lehre oder auch Zwei-Reiche-Lehre der reformatorischen Theologie war zuerst einmal ein theoretisches Instrument, um unheilvolle Vermischungen von politischer Obrigkeit und geistlicher Macht aufdecken zu können. Eine solche Verquickung wurde zunächst bezüglich der altgläubigen Fürstbischöfe und des päpstlichen Machtanspruchs erkannt. Es dauerte nicht lange, bis auch regelmäßig Eingriffe in die Kirche von Seiten religionspolitisch zu ehrgeiziger oder auch allzu konversionswilliger Fürsten abgewehrt werden mussten. In der Folge war die Behandlung der Zwei-Regimente-Lehre häufig ein Suchen nach den Spielräumen legitimer kirchlicher Interventionen auf dem Feld der Politik – und umgekehrt.

Vor diesem Hintergrund wirft der militante „Matsch-Mönch“ die Frage auf, wie eine angemessene Positionierung von Theologie und Kirche zur politischen Klimabewegung auszusehen hat. Liegt hier die Grundlage für einen auch religiös oder theologisch begründeten Konflikt vor? Und wie wäre dieser dann auszutragen: Allein durch konstruktive Kritik an der Politik, durch wirkungsvolle Zeichenhandlungen oder auch tätigen, vielleicht sogar militanten Widerstand gegen die Staatsgewalt?

Für solche Fragen ist es egal, wie der „Matsch-Mönch“ sich selbst versteht. Das Bild könnte hier den Anstoß geben, ihnen theologisch informiert nachzugehen. Nach dem unmittelbaren Schmunzeln und vielleicht nicht unbedingt in Klausurform …

Wie viel Religion steckt in der Klimabewegung?

In seinem Beitrag will Claussen nun allerdings vor allem dafür argumentieren, dass die gegenwärtige Klimabewegung vor der Unterstellung allzu tiefgreifender religiöser Motive in Schutz zu nehmen ist. Aufgrund des säkularen Denkhorizont der meisten Aktivisten und der fehlenden religiösen Symbolik sei die Klimabewegung gegen den Vorwurf zu verteidigen, eine im Kern irgendwie religiöse Bewegung zu sein.

Wen hat Claussen hier vor Augen? Vielleicht ja die Theologen Günther Thomas und Ulrich H.J. Körtner, die an die Klimabewegung in jüngster Vergangenheit entsprechende Kategorien angelegt haben. Claussen erklärt: Wer das tue, verbreite polemischen Unsinn mit dem Ziel, kirchliches Engagement für eine bessere Klimapolitik grundsätzlich in Misskredit zu bringen. Das Urteil der „falschen Religion“, mithin des Götzendienstes, der Gesetzlichkeit oder auch des Sektierertums einer moralischen Elite stehen dann sofort im Raum. Claussen sieht dabei wie im zitierten Mönch-Tweet das Selbstverständnis der Aktivisten missachtet und verzerrt.

Was aber, wenn Claussen damit die Erschließungskraft theologischer Kategorien wiederum zu niedrig hängt? Vielleicht fallen die Claussens und Körtners von verschiedenen Seiten vom Pferd, wenn sie die Klimabewegung entweder als Apokalyptik entlarven wollen – oder diesen Vorwurf als ganz abwegig zu entkräften suchen?

Ich halte es wie andere Theologen – zu nennen ist hier etwa Gregor Taxacher –  tatsächlich für äußerst sinnvoll, die Klimabewegung als eine legitime Form von Apokalyptik zu verstehen und mit Hilfe theologischer Kategorien zu beurteilen. Ist ihr Kampf für konsequenteren Klimaschutz nicht tatsächlich ein hervorragendes Beispiel dafür, was passieren kann, wenn die „Zeichen der Zeit“ entziffert werden und die Uhr auf „Endzeit“ zu stehen scheint?

Von der Reformation her sehen

Nun handelt es sich bei der Klimabewegung gewiss nicht um eine Apokalyptik nach Körtners Geschmack, die sich als „Mut zum fraglichen Sein“ im Glauben gründet und so gegen Fortbestehen oder Vergehen unserer gefährdeten Welt gleichgültig macht. Aber vielleicht tut sich der zurückgelehnte Existenzialismus einer sich verbürgerlichenden Wort-Geschehens-Theologie auch einfach schwer damit zu erkennen, was bei einem Vergleich mit der Reformationszeit eigentlich auf der Hand liegt.

Dann wäre das genuin Apokalyptische an der Klimabewegung das Bewusstsein, hier und heute in eine Situation radikaler Entscheidung gestellt zu sein. Den Klima-Apokalyptikern der Gegenwart hat sich wie den Reformatoren eine Wahrheit als Gericht über ihre Gegenwart aufgedrängt, die sie nicht einfach in die Tiefen eines fast ganz verdrängten Unbehagens zurückschieben können.

Die protestierenden Stände mussten damals vor Kaiser und Reich für die religiöse Wahrheit des Evangeliums einstehen, die sie in ihren Gewissen gebunden hatte und die allein sie auch im Angesicht des wiederkehrenden Christus verantworten konnten. Die Klimabewegung steht heute vor den Parlamenten, vor Staatsgewalt und Energiekonzernen für die naturwissenschaftlich begründete Wahrheit ein, dass uns durch den menschengemachten Klimawandel bislang ungekannte Naturkatastrophen drohen. Und sie bezieht, artikuliert und verteidigt deshalb die Protestposition, die allein sie vor ihrem Gewissen, der Weltgesellschaft, ihren tatsächlichen oder imaginierten Nachkommen verantworten kann. Beide Gruppen fordern Konsequenzen aus ihrer Wahrheitsgewissheit und wollen das schlimmste Unheil noch abwenden. Auch damals hat es übrigens nicht geklappt, den Protest einfach auszugrenzen und die Probleme so auszusitzen.

Die Klimaproteste stellen auch uns vor apokalyptische Entscheidungen: Ist die säkulare Zeitdiagnose der Klimabewegung korrekt oder nicht? Können oder müssen wir sie uns als Christinnen und Christen zu eigen machen? Fordert sie dann von uns in der Konsequenz auch genuin religiöse Protestformen? Und falls ja: Sollten wir dabei das Gewaltmonopol des Staats respektieren und uns allein auf die Gewalt des Wortes beschränken?

So fordert es jedenfalls die reformatorische Zwei-Regimente-Lehre. Der „Matsch-Mönch von Lützerath“ wirft symbolisch die andere, eher makkabäische als reformatorische und vielleicht ja doch zu handfeste Alternative auf …


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