Eine deutsche Gemeinde am Äquator

Herbert Falke arbeitet als Pastor in Nairobi. In seinem Gastbeitrag stellt er die deutsche Gemeinde und ihre Arbeit vor und beschreibt, was ihn an seiner Arbeit in Kenia begeistert.

Aus der ostwestfälischen Provinz hat es mich vor 2 ½ Jahren zusammen mit meiner Frau Ute in die Hauptstadt Kenias, nach Nairobi, verschlagen. Das hieß für uns zunächst einmal: raus aus einer Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern hinein in die brodelnde Großstadt Nairobi mit ca. 4 – 6 Millionen Einwohnern. So genau weiß niemand, wie viele Menschen hier wohnen; es gibt kein Melderegister und die Hälfte der Einwohner lebt in kaum zu überschaubaren Slums rund um die Stadt.

In Kenia leben zurzeit etwa 2000 bis 2500 Deutsche, besonders in Nairobi, aber auch an der Küste rund um Mombasa. So ist mein Gemeindebezirk eigentlich so groß wie Kenia. Zu dem Gemeindeglied, dass am weitesten weg wohnt, muss ich ca. 450 km fahren, was bei den Verhältnissen hier etwa 9 bis 12 Stunden dauert.

Eine bunte Gemeinde

Allerdings sind nicht alle Deutschen hier automatisch Gemeindeglieder. Wir sind hier als religiöse Organisation/Kirche registriert und jede/r der möchte, kann unserer Gemeinde beitreten, sofern er getauft und deutschsprachig ist. So haben wir zurzeit 83 eingetragene zahlende Mitglieder (also keine Kirchensteuer), und weitere 100 gelistete Gemeindeglieder ohne Beitrag.

Allerdings kommen zu unseren Events oft wesentlich mehr Leute, etwa wenn wir Flohmarkt oder Weihnachtsmarkt haben, oder zum Johannesfeuer oder Sundowner mit kenianischer Rockmusik zusammenkommen. Auch bieten wir etwa Übertragungen zur Fußballeuropameisterschaft (2016) und zur Weltmeisterschaft an, wo dann 250 bis 400 Menschen – nicht nur Deutsche – kommen.

Überhaupt sind wir eine bunte internationale Gemeinde, in der zwar meist deutsch gesprochen wird, aber auch oft Englisch gebraucht wird, da dann auch Kenianer, Engländer, Amerikaner, Japaner oder Chinesen bei uns sind. Hochzeiten sind fast immer zweisprachig oder nur Englisch, da hier viele Deutsche eine/n kenianische/n Partner/in heiraten.

Zusammensein nach dem Gottesdienst im Garten vor der Gemeindehalle

Unsere Gemeinde ist übrigens im Altersdurchschnitt sehr jung, verglichen mit Kirchengemeinden in Deutschland. Zur Gemeinde gehören eben Mitarbeiter der Botschaft oder von Hilfsorganisationen oder Firmen, die hier in Kenia tätig sind. Die bleiben dann auch nur 2 bis max. 4 Jahre hier, sodass wir einen ständigen Wechsel von Menschen in der Gemeinde haben. Es gibt nur einen kleinen Stamm von Deutschen, die hier schon mehrere Jahre leben, eine Seniorin schon über 50 Jahre, eine andere schon 40 Jahre. Die haben also noch die englische Kolonialzeit erlebt.

Ein Stück deutsche Kultur und Glaubensvermittlung

Meine Aufgabe ist es also, die so unterschiedlichen Menschen, bei ständigem Wechsel im Juli/August, zusammenzubringen, auf sie zuzugehen und ein attraktives Gemeindeleben zu gestalten. Da die Verkehrslage in Nairobi in der Woche katastrophal ist, ist es allerdings kaum möglich, in der Woche viele Gruppen anzubieten, sodass ich hauptsächlich am Wochenende mit Konfirmandenunterricht (z.Zt. 9), Familienkreis (ungefähr 40 bis 50 Personen) und Gottesdienst (40 bis 70 Personen) mit anschließendem Zusammensein und oft Mittagessen beschäftigt bin.

Die deutschsprachigen Mitglieder und Gäste (auch Schweizer und Österreicher, und nicht nur evangelisch) erwarten hier ein Stück heimatliche Kultur und Religionsausübung, ein familiäres Miteinander und knüpfen über die Gemeinde ihre persönlichen Kontakte.

Ostereiermalaktion am Karsamstag

Deshalb ist es auch wichtig, dass wir wöchentlich eine Rundmail an etwa 300 Adressen versenden mit unseren Aktivitäten und Hinweisen zu weiteren kulturellen Ereignissen mit deutscher Beteiligung. So bin ich auch ständig „auf Jagd“ nach weiteren E-Mail-Kontakten, von Besuchern und Neuzugezogenen.
Nicht vergessen werden darf, dass wir auch einen Gemeindeteil in der Hauptstadt Ugandas haben, zu dem ich alle 2 Monate für ein verlängertes Wochenende hinfliege.

Grundsätzlich bin ich zunächst für ein Stück deutscher Kultur und Glaubensvermittlung zuständig. Da wir aber auch kenianische Partner und Partnerinnen von Deutschen als Gemeindeglieder haben, bin ich auch ständig mit ostafrikanischer Mentalität und kenianischen Kulturelementen konfrontiert, was ich sehr wichtig finde. So singen wir im Gottesdienst auch etwa Lieder auf Kisuaheli, der zweiten Amtssprache Kenias.

Als Gast im Land

Neben meiner Tätigkeit in der Gemeinde unterrichte ich auch an der Deutschen Schule Nairobi mit 10 Stunden Religionsunterricht. Hier trennen wir nicht nach evangelisch, katholisch, anglikanisch, presbyterianisch oder anderer Konfession. Auch Adventisten und Pfingstler gehören als Schüler zu meinem Unterricht. So ist es wichtig, ökumenisch inklusiv und nicht exklusiv den Unterricht zu gestalten. Oft muss mit englischen Erklärung geholfen werden, da wir an der Schule auch viele kenianische Schüler/Innen haben.

Mein Schulunterricht zeigt mir auch: Ich bin Gast im Land und gehöre als evangelisch-lutherischer Pfarrer einer Minderheit an. Dominiert wird Kenia konfessionell durch die Anglikanische Kirche, dicht gefolgt von der Katholische und Presbyterianischen. Die Evangelisch-lutherischen sind nur eine kleine Gruppe von etwa 30.000, maximal 40.000 Christen.

Religion in Kenia

82,6 Prozent der Bevölkerung Kenias sind Christen, davon etwa 26 % Anglikaner und 23,3 % Katholiken. Insgesamt sind 47,4 % der Bevölkerung Protestanten. Weiterhin gibt es insbesondere sunnitische Muslime, die ungefähr 11,1 % der Gesamtbevölkerung ausmachen und vor allem in den südöstlichen Küstengebieten leben. Im Osten des Landes dominieren muslimische Somali, die etwa die Hälfte aller Muslime Kenias ausmachen. Genauere Zahlen sind umstritten, da eine Unterscheidung zwischen kenianischen Somali und Flüchtlingen aus Somalia schwierig ist. (Quelle: Wikipedia)

Auf islamistische Terroranschläge reagiert das Projekt „Colour in Faith“, das Muslime und Christen miteinander ins Gespräch bringen möchte. Darüber berichtet der Deutschlandfunk.

Vergessen möchte ich nicht das sozial-diakonische Engagement unserer Gemeinde: Wir unterstützen zur Zeit gemeinsam mit anderen Organisationen ein Mädchenhaus für traumatisierte Mädchen aus Slums, ein Young-Mother Projekt, ein Straßenjungenhaus und eine kleine Grundschule in den Slums.

Geduld und noch mal Geduld

Was ich hier gelernt habe: Geduld und noch mal Geduld. Deutsche Pünktlichkeit und Ordnung und Zuverlässigkeit sind hier nicht unbedingt die Regel, auch bei Deutschen, die hier schon länger leben, nicht. Wenn Dir ein Handwerker sagt, morgen komme ich, kommt er oft entweder erst abends oder erst am nächsten Tag.

Die Jungen des Straßenjungenprojekts in Mukuruslum

Aber dafür ist die Gelassenheit, die Unaufgeregtheit, die Akzeptanz Andersdenkender und Andersaussehender beachtlich und für mich als Deutschen etwas, wo ich zu lernen habe. Und: Es gibt keinen Rassismus hier: 46 Stammeszugehörigkeiten, Inder, Engländer und andere Ausländer leben hier meist friedlich zusammen. Im Norden kommen dazu immer mehr Somaliaflüchtlinge und Südsudanesen hinzu.

Politisch ist es zurzeit etwas unruhig – da wünsche ich mir – trotz der gegenwärtigen politischen Stimmung in Deutschland – doch ein wenig mehr deutsches Demokratieverständnis hier in Kenia.

Was ich hier trotz aller Probleme mit Armut, Korruption und Vetternwirtschaft auch besonders schätze: die Freundlichkeit der Menschen, das milde Klima, das besondere Licht am Äquator, das wunderschöne Land. So werde ich also noch einmal 3 ½ Jahre mit Freude hier arbeiten und Land und Leute würdigend bedenken.