Gekündigt wegen „Leihmutterschaft“: Ist das in Ordnung?

Gerd-Peter Münden wurde von seiner Kirche gekündigt, weil er gemeinsam mit seinem Partner auf dem Weg einer „Leihmutterschaft“ ein Kind bekommen wollte. Über eine unehrliche Debatte

Ende März erregte die fristlose Entlassung des Domkantors Gerd-Peter Münden durch die Braunschweigische Landeskirche Aufsehen. Der Streitgegenstand: „Leihmutterschaft“. Für alle, die mit dem Vorgang nicht vertraut sind, erst einmal ein kursorischer Rückblick, bevor ich (m)eine feministische Perspektive beisteuere.

Im Zentrum des Konflikts steht der sehr erfolgreiche und beliebte Domkantor und Leiter der Braunschweiger Domsingschule Gerd-Peter Münden. Die Domsingschule ist die größte evangelischer Kirchenmusikeinrichtung Deutschlands, für seine Arbeit wurde Münden bewundert und – nicht zuletzt von den Eltern der musizierenden Kinder – hoch gelobt. Die Lokalpresse (€) berichtete über ein Zerwürfnis im Umfeld der Domgemeinde über das Streitthema „Leihmutterschaft“:

Anfang 2022 beantragte Münden Urlaub – für eine Reise nach Kolumbien, wie sich herausstellte. Sein und der Plan seines aus Kolumbien stammenden Ehemannes, dort eine Leihmutter zu suchen, muss bereits vorher intern kommuniziert gewesen sein, denn anlässlich des Antrags äußerte sich die Dompredigerin Cornelia Götz in einer Nachricht an die Eltern der Kinder der Singschule ablehnend zu diesem Vorhaben.

Die Kommerzialisierung des Schwangerseins degradiere die schwangere Person und ein Kind zum Objekt, argumentierte sie. Angesichts der Meinungsverschiedenheit, die zu einem eklatanten Streit geworden sei, war ein kollegiales Miteinander aus ihrer Sicht nicht mehr möglich. Zudem widerspreche Mündens Plan der evangelischen Ethik, die Leihmutterschaft ablehne. Nach einer Freistellung wurde Münden Ende März fristlos entlassen.

Münden hat die Kündigung angefochten, doch Ende April scheiterte eine Güteverhandlung. Dabei scheint ein Diskussionspunkt gewesen zu sein, inwiefern es sich bereits um fortgeschrittene Pläne oder erste Überlegungen gehandelt habe. Zudem sei durch die die Mail an die Kinder und Eltern der Domsingschule Mündens Ruf beschädigt worden.

Um was geht es eigentlich?

Ich habe zu diesem Vorfall auch nur das gelesen, was sich medial niederschlägt und kenne weder Münden noch seinen Partner. Aber mir scheinen hier doch einige Dinge durcheinander zu geraten. Der öffentlich wahrnehmbare Konflikt spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab und eignet sich so nur partiell als Anlass, um das Phänomen „Leihmutterschaft“ grundsätzlich zu diskutieren.

Es äußerte sich zum Thema bei IDEA die Vorsitzende des Bundesverbandes Lebensrecht, der Abtreibung und Sterbehilfe ablehnt, wenig verwunderlich sehr kritisch gegenüber Leihmutterschaft. In der Lokalpresse wurde ein Interview (€) mit bzw. ein epd-Artikel über die Medizinethikerin Claudia Wiesemann gedruckt, die der Leihmutterschaft gegenüber aufgeschlossenen ist.

Was jenseits des Auslösers „Leihmutterschaft“ ausschlaggebend war für die Kontroverse, insbesondere für die Domsingschuleltern: Der Umgang miteinander. Die Eltern starteten eine Unterschriftenaktion zur Wiedereinstellung Mündens und Kommentator:innen auf der Website der Braunschweiger Zeitung sind von den Vorgängen entsetzt. Die Rede ist von einer „Rufmordkampagne“.

Was ist Leihmutterschaft?

„Leihmutterschaft“ erregt immer wieder die Gemüter oder sorgt für Schlagzeilen. Wenn man wollte, findet man sogar in der Bibel eine entsprechende Geschichte. Erinnern wir uns an Hagar und Ismael: Sara(i) kann selbst keine Kinder bekommen und bittet in Genesis 16 ihren Mann Abram ihre Magd zu schwängern, um selbst einen Sohn zu erhalten.

Eine Person wird also im Auftrag einer anderen Person schwanger, um ihr bzw. dem Paar den Kinderwunsch zu erfüllen. In Deutschland ist das verboten, aber z. B. in einigen US-amerikanischen Staaten erlaubt, sodass Illinois oder Kalifornien auch für deutsche Paare zu attraktiven „Austragungsorten“ wurden. Aktuell ist die Lage ukrainischer Leihmütter eine besonders bedrängte. Dort sind wegen der geringeren Kosten einige Vermittlungsagenturen aktiv (gewesen).

Und damit wären wir auch bei dem klassischen auch in der evangelischen Ethik gebräuchlichen Vorwurf, den gewissermaßen auch die Dompredigerin erhoben hat: Ein Kind würde zur Ware, eine Frau bzw. ihr Bauch zum kaufbaren Objekt.

Münden konnte diesen Vorwurf allerdings bereits entkräften: Beide Frauen, mit denen das Paar in Kontakt gestanden hätte, würden im Fall einer Leihmutterschaft keinerlei finanzielle Zuwendung, außer der Übernahme der Arztkosten, erhalten. Es klingt vielleicht naiv, aber das Argument der „Degradierung zur Ware“, das auch aus meiner Sicht ein gewichtiges ist, ist allerdings leicht zu entschärfen: Wenn lediglich die medizinischen Kosten und Lohnausfall übernommen werden und die schwangere Person nicht in grundsätzliche finanzielle Abhängigkeit von einem Elternpaar gerät, dann scheint mir die größte Hürde tatsächlich genommen.

Das zweite große Gegenargument: Einer schwangeren Person wird ein Kind entrissen, ein Kind wird von der ersten und ultimativen Bezugsperson und Umgebung fortgenommen. Das könne für beide nur mit seelischem Schaden verbunden sein, abgesehen davon, dass jede Schwangerschaft und Geburt für alle Beteiligten gesundheitliche Risiken birgt. Ich bin keine Neugeborenen-/Kleinkindpsychologin, aber mir scheint, dass das Umfeld, in dem sich ein Kind nach der Geburt entwickelt, langfristig entscheidender ist.

Wird es geliebt, sich um das Kind gekümmert? Die Wahrscheinlichkeit bei Personen mit einem großen Kinderwunsch ist dafür sehr hoch, nehme ich an. Wie es, meines Wissens nach, auch gängig geworden ist, dass bei Adoptionen biologische Eltern weiterhin eine Rolle spielen können und Kindern von ihrem Adoptiertsein früh berichtet wird, könnte man es ja auch im Fall einer Leihmutterschaft halten.

Wo ist die Agency der Schwangeren?

„Leihmutterschaft“ lenkt den Blick vom Begriff her vor allem auf die Person, die die Schwangerschaft austrägt. Ich bin mir sicher, dass niemand eine Schwangerschaft – mit welchem Ergebnis auch immer – vergisst. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, einen kleinen werdenden Menschen so lange in sich zu tragen und danach abzugeben. Aber: Wenn wir die Agency der Schwangeren, die eigene Selbstwirksamkeit und Entscheidungsfähigkeit, wirklich ernst nehmen, wenn „Mein Bauch gehört mir!“ Geltung hat, dann muss einer Frau* auch zugestanden werden, dass sie diese Entscheidung für sich und für ihren Körper treffen kann.

Ich verstehe es als Frau nicht, dass hier – von regierenden Frauen und Männern – keine Wahlmöglichkeit eingeräumt wird. Mit Begriffen wie „Gebärmaschine“ wird vielmehr im Diskurs eine Frau zum Objekt abgestempelt und nicht mehr als Subjekt erkannt. Dass sie sich ohne Zwang und bewusst für eine Leihmutterschaft entschieden haben könnte, wird nicht für möglich gehalten.

Dafür – und damit sind wir wieder auf das erste Hauptargument verwiesen – braucht es eine finanzielle Unabhängigkeit von denjenigen, die das Kind nicht selbst austragen können. Im Falle Münden geht es um zwei verheiratete Männer, die auch aufgrund ihres Durchschnittsalters keine Kinder mehr auf „herkömmlichem Wege“ adoptieren dürfen, abgesehen davon, dass Regenbogen-Adoptionen sonst schon schwierig genug sind. Medizinethikerin Wiesemann weist außerdem auf einen Widerspruch hin: Auch andere Kinderwunschbehandlungen sind monetarisiert. Müssten dann nicht auch Kinderwunschzentren verboten werden, weil hier mit dem Kinderwunsch von Menschen Profit gemacht wird? Ist eine Form der Monetarisierung von Leihmutterschaft deswegen weniger problematisch?

„Leihmutterschaft“ ist außerdem, so scheint mir, eigentlich der falsche Begriff für einen solchen Vorgang. Es geht um eine Leihschwangerschaft und ein Leihgebären. Hinter „Mutterschaft“ verbirgt sich ja mehr als das Austragen eines Kindes. Aber genau das ist es ja „nur“, um das es geht.

Mit zweierlei Maß gemessen

Ganz abgesehen von der „Leihmutterschafts“-Debatte lässt die „Causa Münden“ einige Fragen offen zum innerkirchlichen Umgang miteinander, die im Kontext der laufenden Debatte um das kirchliche Arbeitsrecht relevant sind: Warum diese Offenlegung des Privatlebens eines Mitarbeiters? Wie viel Frust muss schon im Vorhinein gewachsen sein, um so einen Schritt zu wagen?

Aber auch: Warum sind Kantor*innen nicht verbeamtet und so „leicht“ aus dem Dienst entfernbar, während gegenüber Pastor*innen, bspw. mit Nähe zu Holocaustrelativierungen oder Homo- und Transphobie nicht mal ein Disziplinarverfahren eröffnet wird? Und damit beziehe ich mich auf Hannoversche Verhältnisse und einmal nicht auf den Fall Olaf Latzel, der gerade par excellence die Schwierigkeit kirchlichen Dienstrechts vor Augen führt.


* Auch Männer oder Personen anderen Geschlechts können schwanger sein, aber da es meistens Frauen betrifft, verkürze ich diesen Umstand hier.