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Keine „Glaubensprüfung“ von Konvertiten – oder doch?

Verwaltungsrichter*innen dürfen prüfen, ob der christliche Glaube von Asylbewerbern „identitätsprägend“ ist. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wirft Fragen auf.

Am vergangenen Freitag veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht per Pressemitteilung einen Beschluss vom 3. April diesen Jahres zur Anerkennung von Religionsübertritten im Asylverfahren. Das Gericht nahm eine Klage eines Iraners nicht zur Entscheidung an, legte aber in einer ausführlichen Begründung dar, wie mit Konversionen im Asylverfahren umgegangen werden soll.

Was steht drin?

Dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts nach darf die Gültigkeit der Taufe und damit die Religionsmitgliedschaft nicht in Frage gestellt werden. Außerdem ist es dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Verwaltungsgerichten untersagt, eine „inhaltliche“ Glaubensprüfung vorzunehmen. Allerdings obliege allein ihnen die Entscheidung, ob die Betroffenen aufgrund ihrer Konversion in ihren Herkunfsländern Verfolgung drohe.

Dazu müsse laut Verfassungsgericht geklärt werden, ob ihr Glaube für sie „identitätsstiftend“ ist. BAMF und Verwaltungsgerichte haben laut Bundesverfassungsgericht die Aufgabe zu klären, „welche Aspekte einer Glaubensüberzeugung oder Glaubensbetätigung in einer die Furcht vor Verfolgung begründenden Intensität für die religiöse Identität des individuellen Schutzsuchenden prägend sind oder nicht“ (Hervorhebung von mir). Vor deutschen Gerichten darf also geprüft werden, ob Konvertiten ihren Glauben intensiv genug leben, um deswegen in ihren Herkunftsländern verfolgt zu werden.

Das Verfassungsgericht weist der Glaubensprüfung einen klaren Ort im Verfahren zu: Sie sei nur für die Bewertung des Verfolgungsrisikos von Bedeutung, dort aber notwendig. Für die Überprüfung macht das Bundesverfassungsgericht nun genauere Vorgaben und kommt zur Überzeugung, dass „die Vertrautheit des Schutzsuchenden mit den Lehraussagen einer Religionsgemeinschaft ein Indiz für die identitätsprägende Bedeutung der Konversion“ darstellen könne. Wie anders als durch Fragen nach Religionspraxis und Glaubensinhalten könnte man eine solche „Vertrautheit“ überprüfen?

Probleme des Asylverfahrens

Konvertiten legen im Asylverfahren Taufurkunden und häufig auch Stellungnahmen von Pfarrer*innen vor, um die Glaubwürdigkeit ihres christlichen Glaubens zu beweisen. Die Würdigung dieser Eingaben ist zunächst der zuständigen BAMF-Sachbearbeiter*in überlassen.

Das BAMF arbeitet aufgrund systemischen Versagens fehlerhaft, und lehnt viele Asylanträge zu Unrecht ab. 2018 wurde durch eine Anfrage der Linkspartei im Bundestag bekannt, dass in 40 % der 328 000 (!) eingereichten Klagen Verwaltungsgerichte zu Gunsten der Geflüchteten entschieden (wir berichteten). Bei den allermeisten dieser Verfahren sind jedoch keine Konvertiten betroffen.

Auch wenn die Zahl aufgelaufener Asylverfahren seit 2018 erheblich zurückgegangen ist, müssen sich viele Betroffene ihr Recht nach wie vor auf dem Weg einer Klage vor einem Verwaltungsgericht erstreiten. Dort entscheidet dann ein*e einzelne*r Verwaltungsrichter*in darüber, ob das BAMF richtig oder falsch entschieden hat. Dazu nimmt die Verwaltungsrichter*in eine eigene Würdigung der vorgelegten Beweise vor.

Im Falle von Konvertiten fragen sowohl Sachbearbeiter*innen im BAMF als auch Verwaltungsrichter*innen die Antragssteller*innen dazu bisher zum Beispiel nach Bibelwissen oder der Motivation ihrer Taufentscheidung sowie kirchengeschichtlichen Ereignissen.

Diese Praxis wird insbesondere von den Kirchen kritisiert, weil der christliche Glaube nicht im Erlernen von Glaubenswissen bestehe, sondern im Vertrauen auf Gott und die Erlösung in Jesus Christus. Glaube aber könne unmöglich von Menschen „geprüft“ werden – erst recht nicht von staatlichen Beamt*innen, denen dazu Berechtigung und Kompetenz fehlt und die sich möglicherweise von denen eigenen religiösen oder weltanschaulichen Positionen leiten lassen.

Reaktionen auf den Beschluss

Der Asylpfarrer und landeskirchliche Beauftragte im Migrationsdienst in Württemberg, Joachim Schlecht, begrüßte den Beschluss des Bundesverfassungsgericht: Es sei gut, „dass die Taufe nicht mehr so leicht als asyltaktisches Manöver abgetan werden könne“, sagte er dem epd. Es „würden klarere Grenzen gezogen mit Blick auf unangemessene Einzelfragen zum Glauben des Asylbewerbers“.

Schlecht kritisiert jedoch, dass in den Verfahren keine unabhängigen Gutachter*innen hinzugezogen werden. Viele Richter*innen wären „in ihrer Dreifachrolle als Alleinentscheider, Protokollant und Begutachtender“ mit der Aufgabe überfordert, sich „ein breites Bild von der identitätsprägenden Religiosität“ der Betroffenen zu machen.

Schärfere Kritik am Beschluss des Verfassungsgerichts formuliert Matthias Lehnert, Rechtsanwalt und Migrationsrechtsexperte, in einem Beitrag auf dem Verfassungsblog. Er hält die Kompetenzabgrenzung zwischen Staat und Kirche, die das Gericht vornimmt, für „praxisuntauglich und widersprüchlich“. Denn indem das Gericht „den staatlichen Stellen die Möglichkeit einräumt, durch Befragungen zu eruieren, ob der Glaube hinreichend identitätsprägend ist, wird die kirchliche Kompetenz einer eigenständigen Glaubensbewertung sinnentleert.“

Gerade in jenen Fällen, in denen Taufurkunde und eine Stellungnahme einer Pfarrperson vorliegen, könne „Glaubensüberzeugung durch das BAMF bzw. die Gerichte nicht in Frage gestellt werden, ohne die Kompetenz der Kirchen zu untergraben und der religiösen Institution einen Missbrauch oder jedenfalls eine falsche Darstellung zu unterstellen.“

Die Befragungen griffen nicht nur in die Rechte der Religionsgemeinschaften ein, sondern auch in die Grundrechte der Antragssteller*innen selbst: „Wenn staatliche Stellen die identitätsprägende Funktion ihres Glaubens, also ihrer spirituellen Vorstellungen und ihrer Beziehung zu einem Gott erfragen, erforschen sie einen intimen oder jedenfalls sehr persönlichen Bereich, der zudem von Art. 4 Abs. 1 GG besonders geschützt ist.“

„Die Anhörungen und die Bescheide des BAMF sind von Argwohn statt von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit der religiösen Überzeugung der Antragsteller*innen geprägt“, so Lehnert weiter. Vor Gericht „sollten derart heikle Fragen nicht einem so weitreichenden und subjektiven Bewertungsspielraum einzelner Richter*innen überlassen werden“.

Keine Rechtssicherheit für Konvertiten im Asylverfahren

Wie problematisch solche Entscheidungen in der Praxis sein können, zeigt die Klage des iranischen Asylbewerbers, deren Beschwerde das Bundesverfassungsgerichts nun abgelehnt hat:

Der Verwaltungsgerichtshof urteilte im Stile einer mündlichen Prüfung im Religionsunterricht, „zwar habe der Beschwerdeführer sich ein gewisses Grundwissen über das Christentum angeeignet. Es hätten sich aber auch hier nicht unerhebliche Lücken gezeigt.“ Man habe „nicht den Eindruck gewonnen, der Beschwerdeführer habe sich über das ‚Erlernen‘ christlicher Glaubensinhalte hinaus intensiv mit dem Glauben beschäftigt und diesen als für sein weiteres Leben identitätsprägend verinnerlicht.“

Selbst die Unterstützung durch die Gemeinde wurde ihm zum Nachteil ausgelegt: „Es dränge sich angesichts der sozialen Unterstützung durch die Pfarrerin und die iranische Kirchengemeinde der Eindruck auf, dass der Beschwerdeführer sich dem Christentum vornehmlich aus sozialen und integrativen Gründen angeschlossen habe.“

Durch die Abweisung seiner Beschwerde hat das Verfassungsgericht diese Interpretation abermals ins Recht gesetzt. Inwieweit der Willkür von BAMF-Sachbearbeiter*innen und Richter*innen bei der Bewertung der Religiosität von Konvertiten dadurch tatsächlich Grenzen gesetzt werden, wird sich erst noch zeigen müssen.