Blick über Edinburgh, Foto: Adam Wilson (Unsplash)

Was ich in Schottland über die Zukunft der Kirche gelernt habe

Eine Kursfahrt, die ist lustig. Eine Kursfahrt, die ist schön. Max Bode hat Inspirationen für die Kirche der Zukunft von einer Bildungsreise angehender Pfarrer*innen nach Schottland mitgebracht.

Ich war mit meinen Kolleg*innen auf Kursfahrt in Schottland. Falls sich jetzt jemand fragt: Was ist eine Kursfahrt? Es ist eine Kombination aus Bildungsreise und Urlaub. Und manchmal fühlt es sich auch ein bisschen wie eine Klassenfahrt an.

Unsere Fahrt führte uns nach Schottland. Da wir alle angehende Pastor*innen sind, haben wir uns natürlich besonders die kirchliche Landschaft angeschaut. Der Kirche in Schottland geht es nicht gut. Ein bisschen schaut es dort so aus, wie es die Szenarien beschreiben, die unter #Apokalypse2060 und #Kirche2030 für die Kirchen in Deutschland diskutiert werden. Nur sind sie in Schottland schon Realität geworden.

Zwei Reaktionen der Kirche auf diese Situation haben mich nachhaltig inspiriert und beeindruckt:

Vielfältige Gottesdienste

Der Sonntag ist unser Markenkern. Ein Tag, der gesellschaftlich schon auf Kirche gebrandet ist. Darum gilt es diesen zu nutzen. Oder anders gesagt: Es ist verantwortungslos, diesen kirchlich geprägten Tag mit nur einem Gottesdienst verklingen zu lassen.

Auf den Punkt brachte das Pastor Dave Richards, der sagte: „You cannot have just one service for everyone. If you try that, no one will be happy.“ („Ihr könnt nicht einfach einen Gottesdienst für alle machen. Wenn ihr das versucht, wird damit niemand glücklich.“) Stattdessen feiert selbst die kleinste Gemeinde in Schottland mindestens zwei verschiedene Gottesdienste pro Sonntag. Die meisten sogar drei.

Ich höre hier schon die Vikar*innen und Pfarrer*innen maulen: Wie sollen wir das denn schaffen? Wir haben doch schon so genug zu tun! Ja, aber der Gottesdienst ist nun einmal unser Kerngeschäft. Und nebenbei auch das, wofür wir die meiste Zeit ausgebildet werden, das wir am meisten trainieren. Und das gilt es zu nutzen!

Aber eben nicht so, dass immer nur der Standard-Gottesdienst gefeiert wird. Denn sind wir doch mal ehrlich: dieser erreicht auch nur eine bestimmte Zielgruppe innerhalb der Gemeinde und ist somit auch ein Zielgruppengottesdienst. Warum sprechen wir die meiste Zeit des Kirchenjahres nur eine Zielgruppe an und lassen alle anderen außer Acht?

Die Erfahrung zeigt: Variierende und thematisch gestaltete Zielgruppengottesdienste ziehen deutlich mehr Menschen an. Bei mir in der Gemeinde im Schnitt das Doppelte bis Dreifache an Teilnehmer*innen. Sei es nun der maritime, der Rocker- oder der Chorgottesdienst. Also lasst uns die Gottesdienst-Vielfalt, die wir jetzt schon haben – auch hier in Deutschland -, nicht nur als Sondergottesdienste ein- bis zweimal pro Jahr feiern, sondern regelmäßig. Am besten feiern wir mehrere Gottesdienste pro Sonntag!

Und wem das jetzt zu viel ist: Wöchentliche Wechsel wären doch ein guter Anfang. Dann gibt es einmal den „Standard“-Sonntags-Gottesdienst, die Woche darauf einen Familien-Gottesdienst mit viel Interaktion, einen hoch liturgischen Gottesdienst und dann noch einen Jugend-Gottesdienst mit viel Musik und Worship. Vier verschiedene Gottesdienst-Formen pro Monat – und den nächsten Monat wieder von vorne: Nur nicht mehr jeden Sonntag den gleichen Gottesdienst, der irgendwie allen gefallen soll!

Mehr diakonische Projekte in den Gemeinden

Diakonische Arbeit sorgt für Relevanz. Alle gut laufenden Gemeinden, die wir besucht haben, organisierten mindestens ein diakonisches Projekt. Ja, wir haben hier in Deutschland das Diakonische Werk. Die Diakonie macht gute und wichtige Arbeit, aber wir dürfen uns darauf nicht ausruhen. Die diakonischen Projekte, die wir in Schottland erleben durften, fallen eher unter den Begriff „Gemeinwohl-Diakonie“. Hier können wir in unseren Städten und Gemeinden noch viel aufbauen.

Das sind Projekte, die sich aus den Bedürfnissen der Gemeinde vor Ort entwickeln. Gemeint ist erneut nicht nur die Kerngemeinde, die wir so oft im Blick haben, sondern der gesamte Stadtteil oder das ganze Dorf. Dabei werden konfessionelle Grenzen mit Absicht übersprungen.

Unverkennbar: Die Reisegruppe in Schottland, Foto: Max Bode

Erneut höre ich Pfarrer*innen jammern: Wie sollen wir das denn schaffen? Wir haben doch schon so genug zu tun! Tatsächlich haben wir genau diese Frage Pastor Enid Watkins gestellt. Seine Antwort: „Not that much, my job is basically to have the nice words.“ („Eigentlich nicht so viel, meine Aufgabe ist vor allem die netten Worte dazu zu sagen.“) Das ist natürlich eine leichte Untertreibung, denn immer, wenn er ein neues Projekt anstößt, muss er deutlich mehr einsetzen als nur nette Worte.

Pfarrer*innen brauchen den Blick für die Bedürfnisse und Potenziale der Gemeinde, um diese produktiv zueinander ins Verhältnis zu setzen. Sobald das aber erledigt ist und das Projekt läuft, kann man sich zurückziehen: Die Pastor*in als Manager*in der Gemeinde, die Projekte anstößt und anleitet,  aber nicht in jedem Altenkreis sitzt.

Nichts Neues unter der Sonne

Die beiden Ansätze, die ich hier vorgestellt habe, sind nicht neu. Als Ideen und Projekte gibt es beides auch schon in Deutschland. Zum Teil seit den 1970er-Jahren! Doch gibt es einen entscheidenden Unterschied, den ich auf unsere Kursfahrt bemerkt habe: In Schottland werden beide Ansätze konsequent und flächendeckend umgesetzt.

Und das ist die wichtigste Erkenntnis dieser Bildungsreise für mich: Wir haben – auch hier in Deutschland – gute und richtige Ideen. Wir müssen nur anfangen diese konsequent umzusetzen! Nicht alle auf einmal, sondern ein Projekt nach dem anderen, dafür aber jedes vernünftig. Und am besten, bevor die Not so groß und der daraus entstehende Druck so hoch werden wie in Schottland. Lasst uns jetzt damit anfangen!