Gedenken an die Opfer des 7. Oktober

„Ein drittes Kriegsjahr darf es nicht geben“

Am zweiten Jahrestag des Pogroms vom 7. Oktober erinnern Religionsvertreter:innen an das Leid der Opfer des Massakers und des Gaza-Krieges. Sie warnen vor dem „Krebsgeschwür des Antisemitismus“ in Europa.

Zum zweiten Jahrestag des Überfalls der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 erinnern Vertreter:innen von Religionsgemeinschaften und Kirchen an die Opfer des Pogroms und des durch den Angriff ausgelösten Gaza-Krieges. „Dieses Verbrechen hat tiefe Wunden hinterlassen – bei den Opfern und ihren Familien, in der israelischen Gesellschaft und bei Jüdinnen und Juden weltweit“, klagen die Leitenden Geistlichen der evangelischen Landeskirchen in einer gemeinsamen Erklärung mit der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs: „Wir beklagen das Leiden der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten und erinnern eindringlich daran, dass alle Konfliktparteien aufgerufen sind, die Grundsätze des humanitären Völkerrechts und internationale Vereinbarungen zu achten.“

Am 7. Oktober 2023 wurden 1.200 Menschen von der Hamas und weiteren palästinensischen Terroristen ermordet, hauptsächlich israelische Zivilisten. Live-Bilder der Verbrechen wurden weltweit auf Social-Media-Plattformen gezeigt. Weitere 251 Menschen, unter ihnen Frauen und Kinder, wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt, darunter auch deutsche Staatsbürger:innen.  Die Geiseln wurden in den unterirdischen Anlagen der Hamas gefangen gehalten, ausgehungert, gefoltert und einige von ihnen wurden seither ermordet. 148 Geiseln sind bisher, im Zuge von Gefangenenaustauschen zwischen Israel und der Hamas, lebend zurückgekehrt. 48 Geiseln befinden sich noch immer im Gaza-Streifen, von ihnen sollen nur noch etwa 20 am Leben sein. Die israelische Öffentlichkeit sehnt sich nach der Freilassung der Geiseln, was sich in anhaltenden Demonstrationen der Zivilgesellschaft für ihre Rückkehr dokumentiert.

Der aktuelle Gaza-Krieg ist der längste und tödlichste Krieg in der Geschichte Israels und des palästinensischen Volkes. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden bisher mindestens 67.000 Palästinenser:innen getötet, fast die Hälfte davon Frauen und Kinder. Fast 170.000 Palästinenser wurden schwer verletzt. Mehrere hundert Journalist:innen und Mitarbeiter:innen von Hilfswerken wurden getötet. Laut dem israelischen Verteidigungsministerium wurden seit Kriegsbeginn über 900 israelische Soldaten getötet und mehr als 20.000 verletzt. Etwa 1,9 Millionen Palästinenser:innen wurden von ihren Wohnorten vertrieben. Laut israelischen Behörden mussten auch mehr als 100.000 Israelis nach dem 7. Oktober innerhalb des Landes (zeitweilig) umsiedeln.

Über 14.000 palästinensische Kinder im Gaza-Streifen leiden laut UNICEF an akuter Unterernährung. Im Zuge des Gaza-Krieges hat sich im Gaza-Streifen eine humanitäre Katastrophe ereignet, die Sicherheit der Ernährung der Bevölkerung und ihre medizinische Versorgung ist dauerhaft gefährdet. Eine Hungersnot führte zum Tod von 460 Palästinenser:innen, darunter 154 Kinder. Weite Teile des Gaza-Streifens liegen in Trümmern: Etwa 60 % aller Gebäude und ein Großteil der Infrastruktur wurden zerstört oder beschädigt. Weniger als die Hälfte der Krankenhäuser sind noch (eingeschränkt) funktionstüchtig.

Folgen des Krieges: Haftbefehle und Gelegenheitsstrukturen

Nach dem 7. Oktober führte Israel auch im südlichen Libanon Krieg, um sich gegen die Bedrohung durch die schiitische Hisbollah-Miliz zu verteidigen. Die militärische Infrastruktur der Hisbollah in der Region gilt heute als zerstört. Mittels militärischer und geheimdienstlicher Operationen tötete Israel Anführer der Hisbollah, Hamas und der iranischen Revolutionswächter. Israelische Luftschläge richteten sich außerdem gegen das iranische Atomprogramm und weitere militärische Einrichtungen in der Mullah-Diktatur und die Huthi-Rebellen im Jemen, die Israel bis heute immer wieder mit Raketen angreifen, sowie gegen Hamas-Terroristen in Katar. Insgesamt ist es Israel mit militärischen Mitteln gelungen, seine Feinde in der Region entscheidend zu schwächen oder sogar auszuschalten.

Der Gaza-Krieg hat auch weltweite Auswirkungen: Das Ansehen Israels ist weltweit gesunken. Vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) wird Israel Völkermord vorgeworfen. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den damaligen Verteidigungsminister Israels, Joaw Galant, im November 2024 Haftbefehle erlassen. Ihnen werden das Kriegsverbrechen des Aushungerns als Methode der Kriegsführung und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Unterdessen haben mehrere Länder des Westens Palästina als Staat anerkannt, zuletzt im Rahmen einer Friedesinitiative u.a. Frankreich und Großbritannien.

Auch der Antisemitismus hat weltweit stark zugenommen. Bereits das Pogrom vom 7. Oktober wurde von einer Welle antisemitischer Propaganda und Gewalt im Internet und auf den Straßen begleitet. Die Attacke der palästinensischen Terroristen wurde von Teilen der muslimischen Communities und linksradikalen Aktivist:innen als legitimer Befreiungskampf gegen die Besatzungsmacht Israel gefeiert. Wie CeMas erklärt, haben „die Massaker an der israelischen Bevölkerung und die darauffolgenden Kriegshandlungen eine Gelegenheitsstruktur für antisemitische Vorfälle auch in Deutschland etabliert“. Die Anzahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland stieg laut der Meldestelle rias im Jahr 2024 auf einen Höchststand von 8.627. Das entspricht 24 Vorfällen pro Tag und einem Anstieg von fast 77 % gegenüber 2023.

Israelbezogener Antisemitismus war demnach mit 5.857 Zuordnungen die häufigste inhaltliche Erscheinungsform von Antisemitismus im Jahr 2024, eine Verdoppelung gegenüber 2.518 Vorfällen zum Vorjahr. Ein entscheidender Faktor für den Aufschwung des Antisemitismus sieht rias in der „politischen Mobilisierung von Antisemitismus“ auf israelkritischen und -feindlichen Demonstrationen. Immer wieder werden in Deutschland Demonstration:innen, die sich gegen den Gaza-Krieg richten von den Behörden untersagt und/oder teilweise gewaltsam aufgelöst. Muslimische und jüdische Communities stehen sich auch in Deutschland häufig misstrauisch gegenüber, der interreligiöse Dialog ist an vielen Orten mit dem 7. Oktober zum Erliegen gekommen – und hat sich in den beiden Kriegsjahren seither nicht erholt.

In Umfragen geben Jüdinnen und Juden in Deutschland und Europa immer wieder an, dass sie sich zunehmend unsicher und ihre Religionsausübung und Lebensgestaltung als eingeschränkt empfinden. Der liberale Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi macht dafür auch einen „atmosphärischen Antisemitismus“ verantwortlich. „Der 7. Oktober und seine Folgen“ dienten als „Katalysator“ für die Verbreitung des islamischen Antisemitismus. Ourghi warnt: „Die Einstellungen der Muslime zu Juden und dem Staat Israel haben fatale Folge für die europäischen Staaten, in denen sie leben.“ Der islamische Antisemitismus sei auch das Produkt einer unaufgeklärten Geschichte des Islam, ein „Selbstaufklärungsprozess“ sei darum notwendig.

„Juden leben erneut in Angst vor ihren Nachbarn“

„Zwei Jahre sind vergangen, doch unser Schmerz ist nicht verblasst“, erklärt zum zweiten Jahrestag des 7. Oktober Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Konferenz der europäischen Rabbiner: „Ganze israelische Gemeinden wurden niedergebrannt, Familien ausgelöscht, und ein Musikfestival verwandelte sich in ein Schlachtfeld. Israels Krieg gegen jene, die diese Angriffe verübten, finanzierten und ermöglichten, dauert bis heute an – während achtundvierzig Geiseln weiterhin in Gefangenschaft schmachten. Doch die Welt hat ihren Blick abgewandt.“

Goldschmidt beklagt, dass Terroristen verherrlicht und in Europa „Synagogen unter bewaffnetem Schutz [und] jüdische Schulen hinter Barrikaden“ stehen müssen: „Juden leben erneut in Angst vor ihren Nachbarn – wie wir es so tragisch beim Anschlag auf die Synagoge in Manchester […] erleben mussten.“ Die Weltgemeinschaft dürfe Terror „nicht länger entschuldigen“ und müsse „Israels Recht verteidigen, zu existieren, seine Bürger zu schützen und die Geiseln nach Hause zu bringen“. Jüdische Gemeinden dürfen „nicht zu einem Leben hinter Zäunen und unter dem Schutz bewaffneter Wachen verurteilt sein“, mahnt Goldschmidt weiter: „Wahrer Frieden und echte Demokratie in Europa werden erst dann wiederhergestellt sein, wenn Juden nicht mehr vor ihren eigenen Nachbarn geschützt werden müssen.“

Vergangene Woche wurden an der Heaton-Park-Synagoge in Manchester zwei Menschen von einem Attentäter getötet. Der Terroranschlag ereignete sich, wie auch das Pogrom vom 7. Oktober 2023, am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur. In diesem Jahr fällt das Gedenken an den 7. Oktober mit dem jüdischen Feiertag Sukkot zusammen.

In einem gemeinsamen Aufruf hatten bereits im Juli 2025 muslimische Organisationen aus Deutschland und weiteren europäischen Ländern einen sofortigen Waffenstillstand, die Rückkehr von Geiseln und Gefangenen und die humanitäre Versorgung der Bevölkerung im Gaza-Streifen gefordert. In der „Gaza-Deklaration“ werden die Vorwürfe gegenüber Israel ausführlich dargestellt, jedoch auch das „Töten unschuldiger Menschen“ auf beiden Seiten verurteilt: „Zivile Opfer sind in keinem Fall akzeptabel. Wir haben uns immer wieder für eine Waffenruhe, für humanitäre Hilfe, für die Freilassung der Geiseln, für Frieden und für die Umsetzung der Zweistaatenlösung für Israel und Palästina ausgesprochen.“

Angesichts der Eskalation des Gaza-Krieges beklagen die muslimischen Organisationen: „All das geschieht unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Die Reaktionen europäischer Regierungen bleiben jedoch weitgehend symbolisch. Klare Konsequenzen bleiben aus. […] Wie lässt sich das Bekenntnis zu den Menschenrechten mit dieser Zurückhaltung vereinbaren? Wo liegen die roten Linien für die europäische Politik?“ Sie warnen außerdem davor, Ziel der israelischen Politik sei es, die „palästinensische Eigenstaatlichkeit und Existenz in diesem Gebiet“ zu verhindern.

„Ein drittes Kriegsjahr darf es nicht geben“

Bereits vor zwei Wochen hatte die römisch-katholische Deutsche Bischofskonferenz (DBK) in einer ausführlichen Erklärung zum Gedenken an den 7. Oktober und den aktuellen Entwicklungen im Nahost-Konflikt Stellung bezogen (PDF). Darin beklagen die Bischöfe gleichermaßen den bis heute anhaltenden Terrorkrieg gegen Israel sowie das Agieren der israelischen Regierung. „Fatal“ sei, „dass die israelische Regierung sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland Fakten schafft, die einem gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern auf längere Sicht im Wege stehen.“ Man wolle sich weiterhin für eine „gerechte Koexistenz“ von Israel und Palästinensern einsetzen, in „zwei Staaten, die friedlich Seite an Seite leben“ (mehr dazu hier & hier in der Eule).

Die Evangelische Kirche erinnert in ihren Stellungnahmen (s. hier in der Eule) und zuletzt mit der außergewöhnlichen gemeinsamen Erklärung aller Leitenden Geistlichen und der EKD-Ratsvorsitzenden vom Freitag vergangener Woche an das Leid von Israelis und Palästinensern und mahnt zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts. Auch warnt die Evangelische Kirche vor dem zunehmenden Antisemitismus: „Wir fordern alle Kirchengemeinden und Bürger*innen dazu auf, jeder Form von Ausgrenzung, Feindseligkeit und Gewalt entschieden entgegenzutreten. Kritik an dem Vorgehen einer Regierung oder Konfliktpartei darf niemals in verbale oder körperliche Angriffe gegen Menschen münden – weder gegen Palästinenser*innen oder Muslim*innen noch gegen Jüdinnen und Juden.“

Die BischöfInnen und KirchenpräsidentInnen rufen „zu einer Sprache und Haltung auf, die der vielschichtigen gegenwärtigen Lage, den historischen Prozessen und Kräfteverhältnissen im Nahen Osten wie auch der Gewalt des 7. Oktober gerecht zu werden versucht“. Es gelte, die Traumata der israelischen wie der palästinensischen Bevölkerung anzuerkennen. Man sei mit „Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in Israel und den palästinensischen Gebieten verbunden“ und verpflichte sich dazu, diese bei ihrem Einsatz für „Verständigung und Versöhnung“ zu unterstützen, „damit ein gerechter, dauerhafter Frieden im Nahen Osten möglich wird“. Auf den aktuellen Friedensplan der US-Regierung nimmt die Erklärung der evangelischen Leitenden Geistlichen keinen Bezug.

Die Präsidentin des evangelischen Hilfswerks Brot für die Welt, Dagmar Pruin, mahnte am heutigen Jahrestag des 7. Oktober laut epd, ein drittes Kriegsjahr dürfe es nicht geben. Eine Fortsetzung des Krieges sei „gleichermaßen lebensgefährlich für die noch lebenden israelischen Geiseln und die palästinensische Zivilbevölkerung“: Das „anhaltende Leid der Zivilbevölkerung und der Geiseln erschüttert mich, und es macht mich fassungslos, wie die Kriegsparteien das humanitäre Völkerrecht missachten“. Pruin forderte, ein „Friedensschluss“, müsse „umfängliche und dringend benötigte humanitäre Hilfe im Gaza-Streifen zulassen, den Wiederaufbau der Basisinfrastruktur angehen und auch das UN-System für Hilfsgüterverteilungen stärken“.

Zu den lautesten Kritikern des Gaza-Krieges gehören seit dem Herbst 2023 die Päpste Franziskus und Leo XIV., die bei ihren Auftritten und Andachten die Not der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten und insbesondere die Situation der Christ:innen im Heiligen Land immer wieder in Erinnerung rufen. Es sei „nötig, die Vernunft wiederzufinden, die blinde Logik von Hass und Vergeltung abzulegen und Gewalt als Lösung zu verwerfen“, erklärte zum zweiten Jahrestag des 7. Oktober nun Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der „zweite Mann“ des Vatikans, gegenüber Vatican News. Parolin beklagt die israelischen Opfer des 7. Oktober, das „Krebsgeschwür des Antisemitismus“ in Europa und mahnt: „Wir dürfen nicht vergessen, was im Herzen Europas mit der Shoah geschehen ist, und wir müssen alles daransetzen, dass dieses Übel nicht wieder aufkommt. Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass niemals Akte der Unmenschlichkeit und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht gerechtfertigt werden.“

Die israelische Botschaft beim Vatikan wies die Anklagen Parolins als fehlgeleitete „moralische Äquivalenz“ („moral equivalence“) zurück, weil er das Massaker durch die Hamas am 7. Oktober 2023 mit der Selbstverteidigung Israels gleichgesetzt habe. Parolin laufe mit seiner Erklärung Gefahr, die gegenwärtigen Friedensbemühungen zu untergraben und den Kampf gegen den wachsenden Antisemitismus zu behindern. Gegenüber Journalist:innen verteidigte Papst Leo die Aussagen Parolins am Nachmittag jedoch, der Kardinal habe „die Haltung des Heiligen Stuhls sehr gut wiedergegeben“.


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