500 Jahre Bauernkrieg im „Eule-Podcast“

Ein Triptychon zum Lauschen

Vor 500 Jahren erhoben sich aufständige Bauern und Bürger gegen Willkür und ungerechte Herrschaft. Mit drei Episoden des „Eule-Podcast“ fragen wir nach dem Bauernkrieg von 1524/25 und seiner Bedeutung für die Gegenwart. Was bleibt? Was tun?

Ein „Denkjahr“ und kein simples Jubiläum erinnert in diesem Jahr an den Bauernkrieg von 1524/25, in den Stätten der Erhebung von Bauern und Bürgern im süddeutschen Raum und besonders in Thüringen. Klar, dass wir uns in der Eule, deren Sitz in Bad Frankenhausen am Kyffhäuser ist, der komplexen und komplizierten Erinnerung an die „Revolution des Gemeinen Mannes“ widmen. Schließlich hat hier eine der letzten und blutigsten Schlachten des Aufstands stattgefunden – ein Fanal und Finale.

In diesem Sommer haben wir uns darum in drei Gesprächen im „Eule-Podcast“ der Geschichte des Bauernkrieges gewidmet, über Erinnerungspolitiken und Vereinnahmungen nachgedacht und immer wieder die Frage gestellt, was uns der Bauernkrieg eigentlich heute bedeuten kann (s.u.). Den Eule-Podcast gibt es hier im Magazin, bei Spotify, Apple Podcasts, Deezer, RTL+, YouTube oder per eigenem Feed im plattformunabhängigen Podcatcher.

Freiheit und Gerechtigkeit waren die Ziele der Aufständigen damals und als Grundkoordinaten politischen und bürgerschaftlichen Engagements sind sie heute nicht weniger bedeutsam. Auch die Frage nach der Legitimität von Gewalt, sowohl der staatlichen als auch derjenigen der Unterdrückten, ist brandaktuell. Nicht umsonst befassen sich in diesem Jahr zahlreiche Ausstellungen, Tagungen und Medien produktiv und unterhaltsam mit dem Bauernkrieg vor 500 Jahren.

In den „Eule-Podcast“ haben wir mit Lyndal Roper, Thomas Kaufmann und Tobias Prüwer drei AutorInnen eingeladen, die neue Bücher zum Bauernkrieg geschrieben haben. Jedes von ihnen hat einen unverwechselbaren, nicht nur voneinander verschiedenen Charakter. Roper, Kaufmann und Prüwer sind darüber hinaus auch engagierte WissenschaftskommunikatorInnen und Publizisten. Die Frage nach der Bedeutung des Bauernkrieges ist vor allem eine nach seiner Deutung. Was wir heute mit ihm anfangen können oder gar sollten, hängt davon ab, wie wir den Aufstand von 1524/1525 eigentlich verstehen. Roper, Kaufmann und Prüwer legen jeweils eigene Deutungen vor.


Lyndal Roper: Für die Freiheit

Lyndal Roper bringt in ihrem Buch „Für die Freiheit“ (S. Fischer) die Aufständigen selbst zum Sprechen. Gemeinsam mit ihren Mitarbeiter:innen hat sie herausgearbeitet, dass der Bauernkrieg ohne die Reformation undenkbar gewesen wäre und wie er die (Religions-)Landschaft in den deutschsprachigen Ländern , vor allem durch das Schleifen hunderter Klöster, für immer verändert hat. Ausgangspunkt meines Gepräches mit Lyndal Roper im „Eule-Podcast“ ist darum die Frage: Ist der Bauernkrieg ein Religionskrieg gewesen?

Lyndal Roper ist Historikerin und lehrt als Regius Professor of History an der Universität Oxford. Sie ist Expertin für die Geschichte der Reformation und der Frühen Neuzeit in Deutschland. Aufgenommen haben wir das Gespräch in Bad Frankenhausen, wo bei einer der größten Schlachten des Bauernkrieges 1525 tausende Aufständige ihr Leben verloren.

Ein Teil des Gesprächs mit Roper ist in der Eule auch als Interview zum Nachlesen erschienen. Darin erklärt sie:

„Es gab eine Zeit, in der man gegen die unfaire Verteilung von Ressourcen angetreten ist. Darüber müssen wir heute diskutieren und Strategien entwickeln, wie wir die Welt fairer machen können. Wichtig ist, den Bauernkrieg als historisches Geschehen zu lokalisieren. Hier hat es stattgefunden. Hier war es möglich, sich gegen die bestehende Ordnung zu stellen. Und viele Menschen haben dafür ihre Leben gelassen.“

Welche Bedeutung hat die Landschaft für das Geschehen – und das Erinnern? Was lässt sich heute aus der Geschichte des Bauernkrieges, vom „männlichen Ideal“ und der „bäuerlichen Theologie“ der Aufständigen lernen? Wo ist der Bauernkrieg in der (deutschen) Demokratiegeschichte einzuordnen – und welche ihrer Aspekte werden durch eine Beschäftigung mit dem Aufstand von damals neu in Erinnerung gerufen?

„500 Jahre Bauernkrieg“ mit Lyndal Roper bei Philipp Greifenstein:


Thomas Kaufmann: Der Medienkrieg

In seinem Buch „Der Bauernkrieg: Ein Medienereignis“ (Herder) zeichnet der Göttinger Kirchengeschichtsprofessor Thomas Kaufmann detailliert und kritisch nach, wie der Bauernkrieg publizistisch geführt wurde, wie die Wittenberger um Martin Luther, der „Satan von Allstedt“ Thomas Münzter, katholische und reformatorische Autoren, Obrigkeit und Unterstützer der Aufständigen bereits während des Mordens über dessen Bedeutung stritten.

Der Bauernkrieg als Medienkrieg hat sich allerdings bis in das 20. Jahrhundert fortgesetzt. Nicht nur, aber prominent im Widerstreit der DDR-Geschichtsschreibung, die den Bauernkrieg als „frühbürgerliche Revolution“ und Müntzer als Bauernanführer entwarf, mit der modernen historisch-kritischen Geschichtswissenschaft. Ihr geht es darum, die tatsächliche Bedeutung der Akteure von damals und den Deutungskampf um 1525 kritisch zu beschreiben.

Thomas Kaufmann ist Theologe und ausgewiesener Experte für die Geschichte der Reformation. Seit 2000 ist er Professor für Kirchengeschichte an der Universität Göttingen. Er ist zudem Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte. Sein Buch „Erlöste und Verdammte: Eine Geschichte der Reformation“ wurde zum Bestseller. Im „Eule-Podcast“-Gespräch bei Michael Greder führt Kaufmann in die Grundthesen seines Buches ein und beschreibt den Streit zwischen Luther und Müntzer.

Kaufmann macht deutlich, warum wir heute aus guten Gründen Thomas Müntzer kritisch sehen, denn in seiner Verkündigung wünschte er die Austilgung der nicht von Gott erwählten Menschen. Kaufmann zeichnet in Buch und Podcast nach, wie sehr die Kampagne wider Müntzer von Luther ausging, für eine nachträgliche Entlastung Müntzers aber sieht er keinen Anlass. Luthers Anliegen, auf dem Wege von Verhandlungen mit der Obrigkeit zu mehr Freiheit und Gerechtigkeit zu gelangen, erscheint ihm als die bessere Lösung.

Im Unterschied zu Lyndal Roper vermag Kaufmann in den Quellen keine „bäuerliche Theologie“ zu finden. Klar ist auch für ihn, dass der Aufstand ohne seine Einbettung und Zugehörigkeit zur Konstellation der Reformation nicht zu verstehen ist. Anders als seine Lehrer in der Kirchengeschichte verortet Kaufmann den Bauernkrieg darum auch nicht außerhalb, sondern inmitten der Reformationsgeschichte. Und was lernen wir für heute aus dem Aufstand von damals? Vielleicht ja, dass Gewalt in Wort und Tat unberechenbar und tückisch auch auf diejenigen zurückschlagen kann, deren politische und religiöse Anliegen legitim und sogar unterstützenswert sind.

„Luther, Müntzer und das Morden“ mit Thomas Kaufmann bei Michael Greder:


Tobias Prüwer: Ein „Revolutionär mit Regenbogenfahne“?

In der dritten und abschließenden „Eule-Podcast“-Folge über den Bauernkrieg vor 500 Jahren geht es darum, was die „Revolution des Gemeinen Mannes“ von 1525 uns heute bedeuten kann: Braucht Thomas Müntzer eine Ehrenrettung? War er Schwärmer oder „Revolutionär mit Regenbogenfahne“? Welche Impulse für politische Veränderung gehen vom Gedenken an den Bauernkrieg aus? Und brauchen wir heute wieder Utopien?

Über diese Fragen und die Deutungskämpfe um den Bauernkrieg hat der Historiker und Journalist Tobias Prüwer ein Buch geschrieben: „1525. Thomas Müntzer und die Revolution des gemeinen Mannes“ (Salier Verlag) Prüwer stammt aus der DDR und lebt in Ostdeutschland und befasst sich ausführlich mit den Deutungen und Überformungen der Bauernkriegsgeschichte in der DDR. Mit ihnen geht er ebenso kritisch ins Gericht wie mit der Hetze, die Luther und seine Anhänger über den „Satan von Allstedt“ verbreiteten. Dem Urteil von Thomas Kaufmann über Müntzer widerspricht er deutlich. Im Zentrum seines Nachdenkens über den Bauernkrieg steht nicht dessen Verortung in der Reformations- oder Kirchengeschichte, sondern die Frage, was die Erfahrungen von damals heute für politische Kämpfe bedeuten können.

Tobias Prüwer ist Historiker, Journalist und Publizist. In Buch und Podcast fragt Prüwer aus einer dezidiert ostdeutschen Perspektive und in Auseinandersetzung mit der vormaligen Vereinnahmung des Aufstandes durch die DDR-Obrigkeit danach, welche Utopien einer gerechten Welt heute politisches und bürgerschaftliches Engagement leiten können. Im „Eule-Podcast“ habe ich ihn darum auch gefragt, ob eine solche Utopien ohne Glauben und Religion überhaupt denkbar sind.

Die Ideen von 1525 sind heute (wieder) aktuell: Die gemeinschaftliche und nachhaltige Nutzung von Ressourcen, individuelle und politische Freiheiten und auch die Frage danach, wie sich die Kirche(n) zur Obrigkeit stellen. Ohne gesellschaftliches und politisches Engagement, so Prüwer, werde die Kirche in einer sich säkularisierenden Gesellschaft irrelevant. Dazu zieht er auch eine Parallele mit der „Friedlichen Revolution“ von 1989.

„Die Revolution von 1525 und wir“ mit Tobias Prüwer bei Philipp Greifenstein:


Was bleibt? Was tun?

„Der Aufstand der Bauern scheiterte an seinem vordringlichen Ziel, eine Gesellschaft gemäß dem Evangelium zu formen, und der Tod so vieler Menschen brachte weder die Freiheit noch die Brüderlichkeit, die sie sich erhofft hatten“, resümiert Lyndal Roper in ihrem Buch das offensichtliche Ergebnis der kriegerischen Handlungen. Doch hatte der Aufstand der einfachen Leute durchaus auch positive Folgen: In einigen Gebieten machten die Grundherren Zugeständnisse, die Obrigkeit war durch den Aufstand nachhaltig verstört, auf dem Weg von Verhandlungen wurden ihrer Willkür einige Grenzen gesetzt. Doch bei der Ausbeutung der Ressourcen durch die Herren blieb es – bis heute?

Peter Blickle stellt in seiner kurzen Bauernkriegsdarstellung ein wenig lapidar fest: „Revolutionen, auch gescheiterte, sind nie folgenlos.“ Können wir heute etwas von den Aufständigen von damals lernen? Und wenn ja, was? Kann ihr Festhalten an der Gleichheit aller vor Gott und der daraus abgeleiteten sozialen und politischen Gleichheit aller Menschen heute inspirieren? Gereicht ihr brüderliches Zusammenstehen uns zum Vorbild, wenn es darum geht, heute auszubuchstabieren, wie wir als freie und gleiche Menschen geschwisterlich untereinander und mit den Ressourcen unserer Welt umgehen können?

In der Geschichte der Reformation, der Geschichte Deutschlands in Europa und der Demokratiegeschichte muss der Aufstand von 1524/1525 Platz finden, sonst entgehen uns wichtige Erkenntnisse und Impulse. Die Reformation versteht man nicht, wenn man nur nach Wittenberg schaut. Man wird auch in die Schweiz, nach Böhmen und eben nach Thüringen schauen müssen, um die gesellschaftliche Spreng- und Prägekraft, die aus den reformatorischen Überzeugungen entstanden sind und noch entstehen können (?), richtig zu verstehen.

Weder zu Luther- noch zu Müntzer-Hagiographie besteht Anlass, an beider Beispiel jedoch können wir heute lernen. Sich gemein zu machen, seelsorglich-aktivistisch mit den Menschen zu leben, wie es Müntzer versucht hat, bleibt für die Kirchen (und die „revolutionäre Avantgarde“ ebenso) eine Herausforderung. Der populistisch-genialische Furor Luthers erschreckt heute ebenso sehr wie er beeindruckt. Ihr Streit und ihr Stürmen steht im augenfälligen Kontrast zur Verzagtheit von Theologie und Kirche heute.

Auch die Pfade zu Demokratie und Freiheit, die in Deutschland und Europa beschritten wurden, werden wir nur dann nachvollziehen können, wenn wir den Bauern- und Bürgeraufstand von 1524/25 angemessen würdigen, der grenzüberschreitend eben nicht einfach ein „Deutscher Bauernkrieg“ war. An den Schulen und in den politischen Diskursen des Landes erzählen wir Demokratiegeschichte heute zumeist als Geschichte des Parlamentarismus. Die gegenwärtigen (Legitimations-)Krisen der parlamentarischen Demokratie im Westen, ja gerade in den reichen Industrienationen, lassen danach fragen, ob wir nicht dadurch entscheidende Kräfte, die für die Verteidigung von Freiheit und Gerechtigkeit nötig sind, aus dem Blick verloren haben.

„Denn Christus hat uns alle mit seinem kostbaren Blutvergießen erlöst und erkauft. Den Hirten genauso wie den Herren, niemand ausgenommen. Deshalb ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und wollen es sein.“

So halten es die „Zwölf Artikel“ fest, die Michael Haspel als „bedeutenden Impuls für die Freiheitsbewegung in Deutschland“ würdigt. Wir sind frei und wollen es sein – wollen es auch bleiben. Stehen wir heute nicht vor der Herausforderung, verteidigen zu müssen, was die Aufständigen damals erkämpfen wollten? Geht uns im ewigen Rückzugsgefecht der Sinn für Utopie, für eine positive Vision einer gerechteren und freieren Gesellschaft ab? Was können wir von 1525 lernen?

Die Kraft der Verbrüderung der „einfachen Leute“. Die Bedeutung des Sozialen für die Realisierung von Freiheit. Die Dimension der Gemeinschaftlichkeit der Freiheit (engl. communal, die eben mehr als individuelle und individualistische Freiheitausübung bedeutet. Eine lebendige Beziehung zum Land. Ehrfurcht vor den endlichen und begrenzten natürlichen Ressourcen. Ein Bewusstsein für die Notwendigkeit des befreienden Wortes und die Bedeutung des kämpferisch-argumentativen Ringens um politische und theologische Wahrheiten.

Unterstütze uns!

Die Eule bietet Nachrichten und Meinungen zu Kirche, Politik und Kultur, immer mit einem kritischen Blick aufgeschrieben für eine neue Generation. Der unabhängige Journalismus und die Stimmenvielfalt der Eule werden von unseren Abonnent:innen ermöglicht. Mit einem Eule-Abo unterstützst Du die Arbeit der Redaktion, die faire Entlohnung unserer Autor:innen und die Weiterentwicklung der Eule.

Jetzt informieren und Eule-Abo abschließen!

Mitdiskutieren