Scharfe Kritik der Bischöfe an Israel
Die römisch-katholischen Bischöfe kritisieren Israels Kriegshandeln in Gaza deutlich. Doch was folgt aus ihrem Plädoyer für die gerechte Koexistenz von Israel und Palästina?
Liebe Eule-Leser:innen,
im Gaza-Streifen spiele sich ein „Inferno“ ab, sagt der Vorsitzende der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing (Limburg). Gemeinsam mit seinen Amtsbrüdern hat er in dieser Woche bei der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz eine ausführliche Erklärung zum Gaza-Krieg (PDF) formuliert, in der Israel scharf kritisiert wird.
Das Entsetzen über den Gaza-Krieg unterliegt Konjunkturen. Immer wieder wird das Elend des Krieges von den vorderen Plätzen der Nachrichtensendungen verdrängt: Es ist ja auch eine Menge los in der Welt, vom Charlie-Kirk-Attentat und dem Kampf um die Demokratie in den USA bis zum „Herbst der Reformen“, den die Bundesregierung angekündigt hat. Ende Juni in der letzten Ausgabe der #LaTdH und Ende August in der ersten Ausgabe des „Re:mind“-Newsletters hatten wir uns die kirchlichen Stellungnahmen zum Gaza-Krieg zuletzt intensiv angeschaut.
Trotz eines merklichen Shifts in der Gesamtgestimmtheit, auch der deutschen Bevölkerung, gegenüber der israelischen Kriegsführung haben sich die katholischen Bischöfe allerdings bis in diese Woche hinein Zeit gelassen, um sich ausführlich zum Gaza-Krieg, zur Zunahme des israelbezogenem Antisemitismus und zur Friedenshoffnung im Nahen Osten zu äußern. Gut Ding will Weile haben?
Die Erklärung der Bischöfe ist mit gut drei Seiten Text außergewöhnlich lang. Spürbar ist an jeder Ecke des Textes, dass es sich die Bischöfe nicht leicht gemacht haben. Kritik an der israelischen Regierung und Kriegsführung dürfe geübt werden, aber ohne dass antijüdischen Ressentiments Raum gegeben wird: Das ist meiner Meinung nach recht überzeugend gelungen. Besondere Glaubwürdigkeit erlangt die Stellungnahme der Bischöfe durch die klare Analyse der Rolle, die „fundamentalistisch-religiöse Überzeugungen“ im Konflikt spielen.
„Klar ist, dass der Gaza-Krieg durch den Terroranschlag der Hamas ausgelöst wurde“, stellen die Bischöfe fest und halten auch im Gedächtnis, dass der Terror der Hamas und ihrer Verbündeten bis heute anhält. Israel dafür verantwortlich zu machen, sei „zynisch“. Die Bischöfe fordern nicht allein – wie Papst Leo XIV. – ein sofortiges Schweigen der Waffen, mithin also eine Einstellung der Kampfhandlungen durch die israelische Armee, sondern auch die unverzügliche Rückkehr aller Geiseln.
„Besonders fatal“
Kurz vor dem zweiten Jahrestag des „verheerenden Terrorangriffs der Hamas auf Israel“ vom 7. Oktober 2023 erinnern die Bischöfe an das Leid, das diese „schlimmste Katastrophe in der jüngeren Geschichte“ des Landes verursacht hat. Seither versuche die israelische Armee, die Hamas mit militärischen Mitteln „zu vernichten“. Zwar sei das Selbstverteidigungsrecht Israels unbestritten, aber nicht „schrankenlos“, sondern unterläge „den limitierenden Vorgaben des Völkerrechts“, erklären die Bischöfe.
„Die fatalen Folgen des nunmehr zwei Jahre andauernden Krieges sind schon seit Längerem unübersehbar. Die Strategie der israelischen Regierung, ausschließlich auf militärische Maßnahmen zu setzen, hat im Gazastreifen katastrophale Folgen: Über 60.000 Menschen sind ums Leben gekommen, mehr als 150.000 wurden verletzt, ganze Gebiete des Küstenstreifens liegen in Trümmern. Die apokalyptischen Bilder aus dem Gazastreifen sind erschütternd und dokumentieren das Leid einer Zivilbevölkerung, die inmitten massiver Zerstörung ums Überleben ringt. Schlimmer noch: Die Blockade humanitärer Hilfe verschärft die Not zusätzlich.“
Fatal. Auf die Verwendung dieses Wortes in der Erklärung der Bischöfe an zwei wichtigen Stellen im Text muss hingewiesen werden. Fatal, das heißt so viel wie verhängnisvoll, verderblich, folgenschwer. Eine scharfe Kritik des (militärischen) Handelns Israel. „Besonders fatal“ sei, so die Bischöfe, „dass die israelische Regierung sowohl im Gazastreifen als auch im Westjordanland Fakten schafft, die einem gerechten Frieden zwischen Israelis und Palästinensern auf längere Sicht im Wege stehen“.
Die katholischen Bischöfe halten – „auch im Angesicht der schlimmsten Katastrophen“ – am Leitbild eines gerechten Friedens fest, bestehen auf die Gültigkeit des internationalen Rechts (und seiner Institutionen) und sprechen sich auch weiterhin für eine Zwei-Staaten-Lösung aus:
„Deshalb appellieren wir an die internationale Gemeinschaft, auch an die deutsche Bundesregierung, ihre Verantwortung wahrzunehmen und Initiativen zu stärken, die die Grundlagen einer gerechten Koexistenz schaffen: zwei Staaten, die friedlich Seite an Seite leben.“
Fatal, verhängnisvoll, schlecht beraten und „zunehmend selbst isoliert“, so nehmen die katholischen Bischöfe die Lage Israels wahr. Ihre Erklärung ist ein Spagat zwischen der von den Päpsten Franziskus und Leo vorgetragenen Solidarität mit dem palästinensischen Volk, auch mit den wenigen im Gaza-Streifen verbliebenen Christ:innen, und dem historisch-politischen Zusammenhang, den wir in Deutschland ab- und verkürzend mit dem Begriff der „Staatsräson“ bezeichnen.
Die unverbrüchliche Unterstützung Deutschlands für das Existenzrechts Israels stellen die Bischöfe nicht infrage. Jedoch ergänzen sie, so deutlich wie bisher keine anderen kirchlichen Vertreter in Deutschland seit dem 7. Oktober, das Existenzrecht Israels durch das Existenzrecht eines „souveränen palästinensischen Staates“. Eine friedliche und gerechte Koexistenz ist das Ziel.
Palästina anerkennen?
Gegenüber der Presse spitzte Bishof Bätzing die gemeinsame Erklärung durch die Verwendung des „Inferno“-Begriffs für das Kriegselend in Gaza noch einmal zu, wie bei Benjamin Lassiwe im Nordkurier nachzulesen ist. Aber jenseits von rhetorischen Stilfragen stellt sich vor allem jene, was aus den bischöflichen Worten nun folgt:
Eine Aufforderung an die Bundesregierung, Palästina als Staat anzuerkennen, wie es in den vergangenen Wochen von einigen verbündeten Staaten getan wurde, enthält die Erklärung der Bischofskonferenz nicht. Warum eigentlich nicht? Sie wäre eine schlüssige Folge aus den dargelegten Gedankengängen – aber ist den Bischöfen vielleicht doch ein zu heißes Eisen.
Aktuell im Magazin:
Sachbücher über politische Moral: Die Krise der bürgerlichen Moral – Tobias Graßmann, Philipp Greifenstein
Navid Kermani und Anne Rabe haben je ein Buch über Moral in der Politik geschrieben. Können sie überzeugen? In ihren Rezensionen von „Wenn sich unsere Herzen gleich öffnen“ und „Das M-Wort“ fragen Tobias Graßmann und ich auch danach, worin die bürgerliche Moral angesichts der Krisen unserer Zeit eigentlich gründet.
Eule-Podcast (48): Charlie Kirk als „KI“-Jesus – Michael Greder und Philipp Greifenstein (35 Minuten)
Spricht Charlie Kirk aus dem Jenseits zu seinen Anhänger:innen? Was hat es mit den Heiligenbildchen vom ermordeten US-Rechtsradikalen auf sich? Im „Eule-Podcast“ diskutieren Podcast-Host Michael Greder und ich über die Reaktionen auf das Attentat auf Charlie Kirk, die in großem Ausmaße mit „KI“-Werkzeugen erstellt werden. Über Charlie Kirks Wirken hatte ich bereits zuvor hier in der Eule geschrieben.
Von Mittwoch bis heute besuche ich in Bad Frankenhausen, Schauplatz einer der grauslichsten Schlachten des Bauernkrieges und Sitz der Eule, eine wissenschaftliche Tagung, die gegen Ende des 500. Jubiläumsjahres danach fragt, was es mit dem Aufstand von 1524/25 eigentlich nun auf sich hat. Organisiert hat die Tagung die Historische Kommission für Thüringen und um die Erinnerungspolitik 500 Jahre nach der „wilden Handlung“ ging es natürlich auch. Mehr dazu bald in der Eule. Ein paar erste kurze Gedanken habe ich in der „z(w)eitzeichen“-Kolumne in der „z(w)eitzeichen“-Kolumne der zeitzeichen notiert:
„Geht es uns heute um eine verstümmelte Form christlicher Freiheit, die ausschließlich die geistliche Freiheit meint – und in der Gefahr steht, sich von leidensfähiger Zeitgenoss:innenschaft freizusprechen? Die den Mächtigen der Welt nicht in den Arm fällt, wenn sie das Schwert gegen die Armen und Schwachen führen? Oder halten wir daran fest, dass christliche Freiheit auch heute Freiheitskampf und -Gestaltung auf Erden meint.“
Weil ich ja nun kein Historiker bin, interessiert mich ganz schamlos nicht nur die Frage, ob und wie wir den Bauernkrieg heute anders oder gar: besser verstehen als zu früheren Jubiläen, sondern auch was dieses veränderte, genauere Verständnis eigentlich damit zu tut hat, wie wir heutige Konflikte und Krisen bewältigen. Haben Christ:innen und ihre Kirchen dabei ein Wörtchen mitzureden?
Ein schönes Wochenende wünscht
Philipp Greifenstein
Ein guter Satz
„Die Aufgabe, die Gott [den Christen] gegeben hat, ist so nobel, daß es ihnen nicht erlaubt ist, zu desertieren.“
– Willem Adolf Visser ’t Hooft, erster Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen, in seiner Dankesrede zur Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gemeinsam mit Kardinal Augustin Bea
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