Interview 500 Jahre Bauernkrieg

„Hier war es möglich!“

Vor 500 Jahren erhoben sich die Bauern gegen ihre weltlichen und geistlichen Herren. Ein Gespräch über das Gedenken an den Bauernkrieg, Thomas Müntzer und Revolutionen heute.

Eule: Frau Roper, Sie sind wegen einer Tagung zum 500. Bauernkriegsjubiläum über die Frage nach dem guten Leben im ländlichen Raum nach Bad Frankenhausen gekommen. Warum Bad Frankenhausen und warum Gedenken an den Bauernkrieg?

Roper: Ich finde, dieser Ort hat etwas an sich, er ist ein Erinnerungsort. Der Schlachtberg und die Blutrinne sind erschreckend, wenn man bedenkt, dass sich dort die Bauern versammelten und „Komm, Heiliger Geist“ gesungen haben. Wie das wohl geklungen hat, als 6.000 Männer dieses Lied auf dem Berg gesungen haben? Wenn man dort oben ist, sieht man das Land, wofür man kämpft. Von dort sieht man, was auf einen zukommt. Die Landschaft ist Teil der Geschichte.

Eule: Es gibt eine regionale Mythen- und Legendenerinnerung an dieses Gemetzel des Bauernkrieges, die natürlich auch mit Thomas Müntzer im Zusammenhang steht. In ihrem Buch „Für die Freiheit“ beschreiben Sie die Motivation der Bauern aus ihrem reformatorischen Glauben. Ist der Bauernkrieg ein Religionskrieg?

Roper: Ich würde ihn so sehen, wobei ich den Begriff Religion sehr weit fasse. Viele Aspekte des Bauernkrieges sind religiös, auch solche die vielleicht überraschen. Ein Teil ist sicher der Hass der Bauern auf die Klöster und Mönche. Das war für mich bei den Forschungen eigentlich die größte Entdeckung.

Wir haben in einem Projekt die Klöster gezählt, die von den Bauern angegriffen wurden. Von 1.296 Klöstern wurden über 600 angegriffen. Im thüringischen Raum sind es sogar 70 %. Nicht alle Klöster wurden niedergebrannt, aber die Bauern haben vieles kaputt gemacht. Sie haben die Bibliotheken zerstört, natürlich wollten sie die Verträge und Dokumente zerstören. Man wollte die Rechte der Herren zerstören, die alle schriftlich fixiert waren. Die Äbtissinnen und Äbte gehörten zu den schlimmsten Herren für die Leibeigenen.

Wir sehen also den völligen Zusammenbruch einer ganzen Institution. Als ich das verstanden hatte, habe ich die Gegenreformation ganz anders verstanden, weil sie wirklich wieder „von Null“ anfangen mussten, so wie auch die lutherische Reformation. Die Zerstörung der Klöster verdankt die Reformation den Bauern. Er war eigentlich der Beginn der Säkularisation.

Eule: In Ihrem Buch bleiben Sie dabei, dass Luther sich auf die Seite der Obrigkeit gestellt hat und sich damit auch das revolutionäre Potential aus dem Luthertum verabschiedet hat.

Roper: Luther war noch schlimmer, als ich gedacht habe. Nicht nur hat Luther die bekannte Schrift „Wider die mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern“ geschrieben, sondern er hat versucht, seinen eigenen Landesherren, Friedrich den Weisen, dazu zu überreden, gewaltsam gegen die Bauern einzuschreiten. Seine Haltung hat sogar seine Freunde schockiert. Das war zu einer Zeit, da viele noch dachten, man könnte mit den Bauern verhandeln und man sollte nicht gegen sie einschreiten. Friedrich der Weise war durch den Aufstand der Bauern tief verunsichert: Was, wen Gott tatsächlich auf der Seite der Bauern steht?

Ich habe während der Arbeit an dem Buch gelernt, dass Luthers Ablehnung der Bauern noch entschiedener war, als ich zuvor gedacht hatte. Aber eine andere Entdeckung war dann, dass es auch eine andere lutherische Theologie gegeben hat, nämlich die bäuerliche. Eine Theologie, die mit der Ökologie verbunden ist. Eine Vorstellung davon, dass Gott die Ressourcen der Welt frei geschaffen hat. Deshalb war es nicht in Ordnung, dass die Herren alles besitzen und monopolisieren. In dieser Theologie sehe ich ein Potential im Luthertum, über das es sich nachzudenken lohnt.

Eule: Es ist ja ein vulgär-reformatorischer Impuls, aus der „Freiheit eines Christenmenschen“ bei Luther auf die Gleichheit aller Menschen zu schließen. Hat Luther vielleicht ein Problem damit gehabt, dass die Bauern seine Ideen auf die Straßen trugen?

Roper: Luther hat die Situation schon richtig eingeschätzt. Hätte er sich auf die Seite der Bauern gestellt, wäre die Reformation als Ganzes verloren gegangen. Ohne Unterstützung der Obrigkeit hätte es keine dauerhafte Reformation gegeben. Aber das heißt nicht, dass nicht heute Potentiale in diesen frühen Ideen zu finden sind, die für uns interessant und relevant sind.

Panorama-Museum auf dem Schlachtberg in Bad Frankenhausen, im Vordergrund Teile der Blutrinne (Foto: Van de Schaufel, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0)

Eule: In Bad Frankenhausen und während des „Denkjahres“ zum 500. Bauernkriegsjubiläum wird auch an Thomas Müntzer erinnert. Zum Schlachtengedenken hier in Bad Frankenhausen zog ein „Bauernheer“ mit einem Müntzerdarsteller von Mühlhausen hierher. Ganz ohne Personenkult geht es, ähnlich wie beim Reformationsjubiläum 2017 mit Luther, offenbar nicht.

Roper: Das Erinnern an Müntzer ist aber von Ort zu Ort ganz verschieden! In Bad Schussenried ist er kaum zu sehen. In Mühlhausen hat man sich für ein neues Denkmal von Timm Kregel entschieden, eine „Bauernsäule“ nach dem Entwurf von Albrecht Dürer. Eine sehr kluge Entscheidung! Wer hätte gedacht, dass so etwas möglich ist? Aber ist es überhaupt gut, an den Bauernkrieg ohne Müntzer zu erinnern?

Wenn man sich die drei Bücher – also von Gerd Schwerhoff, Thomas Kaufmann und von mir – genau anschaut, dann relativieren wir alle unabhängig voneinander die Rolle von Thomas Müntzer. Wir folgen damit natürlich Thomas T. Müller, der das wunderbar gezeigt hat. Aber wir sind irgendwie nicht in der Lage, kritisch mit Müntzer umzugehen und uns ein neues Bild von ihm zu machen. Das ist ein Desiderat des Bauernkriegsgedenkens.

Eule: Vom Schlachtberg aus kann man nach Heldrungen hinüber schauen, wo Müntzer im Turm gesessen hat. Luther schrieb, dass ihm dort seine Theologie aus dem Hintern kroch.

Roper: Die beiden waren sich ähnlicher, als ihnen lieb gewesen ist. Beide stammen aus dem Harz, beide heiraten „nach oben“ und zwar ehemalige Nonnen. Und beide schreiben sich in den Bauernkrieg ein, als ob er eine apokalyptische Situation ist – und hören nicht darauf, was die Bauern eigentlich sagen. An Müntzer ist nicht nur sein religiöser Fanatismus problematisch, sondern auch sein demagogischer Stil. Der ist schwer auszuhalten.

Aber Müntzer konnte auch anders: Er denkt in Metaphern, er deutet Träume. Er hört auf Frauen und hat eine ganz andere Art, mit ihnen umzugehen, als die anderen Männer zu seiner Zeit. Die Frauen spielen in Mühlhausen eine wichtige Rolle. All das war Teil seiner Anziehungskraft. Aber er überschreibt die Anliegen der Bauern auch mit seiner eigenen Agenda.

Eule: In ihrem Buch schreiben Sie vom „männlichen Ideal“, das die Bauern verbunden hat. Das ist in einer Zeit wie heute erklärungsbedürftig, in der wir über fragile Männlichkeit, Manosphere und Gewalt durch Männer diskutieren.

Roper: Den Bauernkrieg kann man überhaupt nicht verstehen, wenn man Bruderschaft nicht versteht. Die Bauern nennen sich immer wieder Brüder. Brüderlichkeit ist die Parole, mit der sie kommunizieren. Dieses Ideal von männlicher Gemeinschaft ist unheimlich wichtig für die Kraft der Bewegung. Deshalb sollte man sie nicht einfach so abtun. Es geht im Kern um eine Vorstellung davon, dass wir miteinander verwandt sind, dass wir gegenüber einander auch Verpflichtungen haben und unsere Beziehungen nicht auf Ausbeutung beruhen sollen.

Gleichwohl hatte eine rein männliche Gruppe, in der die direkte Mitwirkung von Frauen nicht möglich war, auch eine Kehrseite. Ich habe mich oft gefragt, wieso die Bauernhaufen sich auf Schlachten eingelassen haben, bei denen von vornherein klar war, dass sie verlieren werden. Ein Haufen nach dem anderen macht das. Warum haben sie das nicht verstanden? Die Erfahrung der Unschlagbarkeit, das Gefühl der Stärke, wenn man tagelang zusammen im Freien schläft, das Essen zusammen erbeutet, gemeinsam trinkt und marschiert, hat dazu beigetragen, dass sie ihre eigene Stärke überschätzt haben.

Eule: Ein weiterer Teil des Erinnerns an den Bauernkrieg sind die „Zwölf Memminger Artikel“, in denen die Forderungen der Bauern zusammengefasst waren, die von den meisten von ihnen vertreten wurden. Sie gelten als früher Meilenstein auf dem Weg zu Demokratie und Menschenrechten.

Roper: Die „Zwölf Artikel“ sind ein Meisterwerk des Sebastian Lotzer, der sie aus vielen Beschwerden und Klageschriften der Bauern destilliert hat. Wichtig ist, dass wir gut auseinanderhalten, von welcher Freiheit jeweils die Rede ist. Wenn man versucht, eine Linie durch die Geschichte zu ziehen, kommen manche Sachen zu kurz.

Ein Beispiel: Wenn man sagt, man habe im Englischen Bürgerkrieg schon dieselben Ideen gehabt, übersieht man, dass es den Bauern 1525 nicht um individuelle Rechte ging, die am Besitz hängen, sondern eine ganz andere Vorstellung von übergenerationellen Rechten im Spiel ist, eine andere Beziehung zum Land. Die Rechte, für die die Bauern stritten, waren nicht individuell, sondern gemeindebezogen. Das ist riesiger Unterschied! Mit manchen Ideen sind die Bauern späteren Revolutionen sogar voraus, ihrem Verständnis von Ökologie und auch der Verdammung von Sklaverei.

Eule: Obwohl die erste erfolgreiche deutsche Revolution 1918 eine sozialistische Revolution war, spielt die soziale Dimension der deutschen Demokratiegeschichte eine eher untergeordnete Rolle im „nationalen Gedächtnis“. Am Ende machen wir doch immer Parlamentarismusgeschichte.

Roper: Deshalb tut uns ein Nachdenken über den Bauernkrieg sicher sehr gut! Dabei wird auch deutlich, wie unterschiedlich in Ost und West an den Bauernkrieg erinnert wird. Die beiden Seiten sprechen auch viel zu wenig miteinander, das ist unendlich schade. Denn wir brauchen beide Seiten: Die „Zwölf Artikel“ und auch „An die Versammlung gemeiner Bauernschaft“ sind tolle Schriftstücke aus dem Südwesten. Wenn man Ideengeschichte betreibt, müssen diese Texte unbedingt in den Kanon, auch wenn viele Menschen sie heute nicht mehr kennen.

Aber wenn wir Bauernkriegserinnerung ohne Müntzer machen, dann verlieren wir die soziale Seite aus dem Blick. Der Bauernkrieg war ein Kampf gegen das Ausgeschlossensein, gegen die unfaire Verteilung von Ressourcen und des Landes. Wenn wir den Bauernkrieg nur als Vorläufer der Demokratie erinnern, dann verpassen wir das Interessante und – so meine ich – auch das Religiöse an der Geschichte.

Eule: In ihrem Buch schreiben Sie, dass der Aufstand der Bauern daran gescheitert ist, „eine evangeliumsgemäße Gesellschaft zu formen“. Ist damit eine Theokratie gemeint? Und können wir uns das heute überhaupt wünschen?

Roper: Die Theokratie ist natürlich die Gefahr dahinter, selbstverständlich. Aber es lohnt sich darüber nachzudenken, ob unsere Gesellschaft heute wirklich fair ist, und wie man gegen die Ausbeutung von Menschen und Natur vorgehen kann. Die Erinnerung an den Bauernkrieg bedeutet nicht, eine neue Revolution zu inszenieren, aber sie stachelt zum Denken an.

Eule: Wir leben in einer Zeit, die viele Menschen als apokalyptisch wahrnehmen, eine Zeit multipler Krisen. Sie sind zu einer Tagung über das gute Leben im ländlichen Raum nach Bad Frankenhausen gekommen. Da liegt die Frage nach der Gemeinwohlorientierung der (Land-)Wirtschaft mit auf dem Tisch. Bleibt es dabei, dass wir mal nachgedacht haben – oder was ist der nächste Schritt?

Roper: Ich sehe momentan kein Revolutionspotential, sondern denke, dass wir die Probleme politisch anders lösen können – und müssen. Der Bauernkrieg hat sich während der Epoche der Fugger ereignet, die mit ihrer ökonomischen Macht politischen Einfluss errungen haben. Wir erleben es heute ähnlich. Darüber nachzudenken, ist mehr als nur denken. Es gab eine Zeit, in der man gegen die unfaire Verteilung von Ressourcen angetreten ist. Darüber müssen wir heute diskutieren und Strategien entwickeln, wie wir die Welt fairer machen können. Wichtig ist, den Bauernkrieg als historisches Geschehen zu lokalisieren. Hier hat es stattgefunden. Hier war es möglich, sich gegen die bestehende Ordnung zu stellen. Und viele Menschen haben dafür ihre Leben gelassen.

Eule: In ihrem Buch „Für die Freiheit“ schreiben Sie, dass die Bauern ihre Kraft aus dem Glauben bezogen. Die revolutionäre Glaubenskraft ist uns in Deutschland ja seitdem gründlich abhanden gekommen. Nicht zuletzt hat der Bauernkrieg paradoxer Weise ja die Säkularisierung beschleunigt, nicht nur die der Klöster, sondern die von Gesellschaft und Politik insgesamt. Kann man heute noch aus dem Glauben heraus Revolution machen?

Roper: Sie sprechen von der kirchlichen Seite, von der lutherischen Kirche. Die Ideen der Bauern sind nicht mit ihnen auf den Schlachtfeldern gestorben, sondern haben weitergelebt. Man findet sie in der täuferischen Theologie. Wobei „Täufertum“ vielleicht kein gutes Wort für diese vielfältigen religiösen Strömungen ist, die in der Mystik und in vielen verschiedenen Gruppen bestand, die sich nach dem Bauernkrieg entwickelt haben. Es gibt andere Arten, Religion zu denken und zu leben. Auch das ist Teil des Bauernkrieges.

Schon Luther hat sich geärgert, dass aus Müntzers Hinrichtungsort, der untypischer Weise außerhalb der Stadt liegt, ein Pilgerort geworden war. Der Weg zu diesem Ort bei Görmar war gut sichtbar geworden, weil er von vielen Menschen beschritten wurde. Da hatte sich das Erinnern in die Landschaft eingeschrieben.


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Das Interview führte Eule-Redakteur Philipp Greifenstein.

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