Rezension „Against All Gods: Die Glaubens-WG“

Treffen sich ein Jude, ein Muslim und eine Christin

In einer Glaubens-Wohngemeinschaft beim ZDF sollen Vorurteile und Klischees über religiöse Menschen abgebaut werden. Ein gescheitertes Experiment, das für die Kirchen besonders misslich ist.

„Treffen sich ein Jude, ein Muslim und eine Christin…?“ Was wie ein abgestandener Witz klingt, ist derzeit als sechsteilige Serie „Against All Gods: Die Glaubens-WG“ in der ZDF-Mediathek zu sehen. Sie wurde unter dem Dach der Dokumentationsreihe „37 Grad“ von der Berliner Firma Zoo Productions produziert. Diese war in der Vergangenheit sowohl für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als auch für Netflix und Unternehmen wie Adidas tätig. Die redaktionelle Verantwortung liegt bei den mit Kirchenthemen befassten Redaktionen des ZDF.

Das Konzept der Serie ist denkbar einfach: Sechs Vertreter*innen unterschiedlicher Religionen verbringen sechs Tage miteinander in einem Berliner WG-Loft. Es wird zusammen gekocht, ein Deutschlandspiel im Schrebergarten geschaut, der Schabbat gefeiert und vor allem über verschiedene Fragen des Glaubens diskutiert.

Mit einer „Confession Cam“ können die Protagonist*innen laut ZDF „über ihr Erlebtes, ihre Gedanken, Erfahrungen und über alles, was ihnen auf dem Herzen liegt“, sprechen. Das Setting erinnert auf diese Weise wohl nicht zufällig an bekannte Realityformate wie „Big Brother“, auch wenn die Macher*innen das verneinen.

Die Serie soll laut ZDF „mal gründlich […] mit (falschen) Klischees und Vorurteilen“ aufräumen und die Frage beantworten, ob „eine Welt möglich [ist], in der alle Religionen in Frieden miteinander leben.“ Diese Hoffnung liegt vielen interreligiösen Dialogprojekten wie den von Johannes Paul II. initiierten Weltgebetstreffen der vergangenen Jahrzehnte zugrunde. Vielleicht ist das auch ein Ursache dafür, dass sich das Format seit 2021 in Planung befand und von den Produktionsverantwortlichen fast ad acta gelegt worden wäre.

Zoo Productions erläutert auf ihrer Homepage die Hintergründe ausführlicher: Die größte Herausforderung sei gewesen, „Protagonist*innen zu finden und ihnen ein Sendungskonzept auf die Leiber zu schreiben, das passt“. Das Team habe deshalb 212 religiöse Institutionen angeschrieben, „zahllose Profile in sozialen Netzwerken“ gesichtet und sich sogar in der „queeren Berliner Barszene“ umgehört. Trotz aller Widrigkeiten bezeichnet die Produktionsfirma den endgültigen Cast als „perfect match“ (was ironischerweise auch der Titel einer bekannten Datingshow auf Netflix ist).

Bedingt sprechfähig

„Jung, divers, bis auf eine Person strenggläubig“, heißt es etwas nüchterner beim ZDF. Allerdings stünden und sprächen die Protagonist*innen „nur für sich selbst.“ Sie seien „in ihrer Religion weder wissenschaftlich ausgebildet, noch [erhöben] sie den Anspruch, eine gesamte Glaubensgemeinschaft zu repräsentieren.“ Ob diese Ausgangslage den großen Erwartungen der Produktionsfirma entspricht und welche Probleme dem Format dadurch eingeschrieben sind, wird von den Verantwortlichen nicht weiter kritisch diskutiert.

Im Verlauf der Serie wird aber zunehmend deutlich, dass die versammelten Personen in Bezug auf ihren eigenen Glauben unterschiedlich sprechfähig sind. Während Jude Lars (27) als ehemaliger Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) oder Buddhist Dharamsara (30) als spiritueller Lehrer ihre Positionen recht differenziert darstellen können, bleibt den anderen Teilnehmer*innen häufig nur der Rückzug auf Autoritätsargumente à la „Meine Religion sagt…“ oder gar die Sprachlosigkeit.

Besonders deutlich wird das in einer Szene im vierten Teil, als die Protagonist*innen mit der queeren Journalistin Maria Popov über Liebe, Sex und Partnerschaft diskutieren. Dazu nutzt sie Zitate aus heiligen Texten, zum Beispiel Levitikus 18,22: „Du darfst nicht mit einem Mann schlafen, wie man mit einer Frau schläft; das wäre ein Gräuel.“ Dieser Satz wurde in Juden- und Christentum häufig zur Verurteilung der (männlichen) Homosexualität herangezogen.

Katholikin Gloria (25) ist dementsprechend etwas ratlos: „Das ganz Alte Testament ist so voll solcher Verse, wo man einfach so denkt: Oh mein Gott, wie brutal und das geht ja überhaupt nicht und die Frage ist immer, kann man das so wörtlich nehmen, wie das da drinsteht.“ Von Popov nach einer möglichen Auslegung gefragt, bittet sie Lars um Hilfe: „Mach du bitte, weil ich bin da leider nicht drin, tut mir leid!“ Dieser erläutert dann die literale Auslegung, dass männliche Homosexualität nicht ausgelebt werden soll. Gleichzeitig gibt er aber auch zu bedenken, dass der menschliche Anteil an solchen Sätzen nicht vernachlässigt werden darf und diese daher immer kontextualisiert werden müssen. Eine solche Auslegung ermögliche zumindest in reformjüdischen Gemeinden eine Trauung gleichgeschlechtlicher Paare.

Auf ähnliche Weise rächt sich das Konzept der Verantwortlichen im Verlauf der Serie zusehends: Einerseits wissen die Protagonist*innen deutlich mehr als ihre durchschnittlichen Glaubensgeschwister, andererseits wissen sie auch nicht so viel über ihre Religionen, um die Zuschauer*innen qualifiziert zu informieren. Trotz des vordergründigen Verzichts auf Repräsentanz werden die Protagonist*innen immer wieder direkt als Vertreter*innen ihres jeweiligen Glaubens angesprochen.

Eine Frage der Repräsentanz

Diese Tragik spiegelt sich besonders in der Katholikin Gloria wider, die von den Verantwortlichen als Vertreterin des Christentums ausgewählt wurde. Sie lebt als Lehramtsstudentin mit sorbischen Wurzeln in Dresden, ist bereits verheiratet und liebt angeblich „Worship-Musik und Bibel-Apps“. Laut ZDF ist für Gloria „das, was in der Bibel steht, die Wahrheit“. Zwar wird in der Serie deutlich, dass sie mit ihren Mitbewohner*innen auch gerne kritisch über vermeintlich selbstverständliche Glaubenssätze des Christentums nachdenkt. Dennoch ist sie aufgrund ihres Hintergrunds und ihrer Einstellungen beileibe keine durchschnittliche Vertreterin des katholischen Christentums, geschweige denn der Christentümer in Deutschland.

Auch wird nicht klar, warum lediglich eine Katholikin und keine evangelische Christin ausgewählt wurde. Vor allem bei traditionell innerhalb des Christentums umstrittenen Themen wie Sexualität oder Sünde wäre das in jedem Fall ein Gewinn gewesen. Das Format reproduziert auf diese Weise unfreiwillig einen bestimmten Standard christlicher „Strenggläubigkeit“ und trägt nicht zu einem vielfältigen Verständnis von Frömmigkeit bei.

Ähnliches ließ sich in der Vergangenheit bei TV-Produktionen beobachten, in denen noch radikalere Personen wie Clara Steinbrecher, die Leiterin der Initiative „Maria 1.0“, weitgehend ohne kritische Einordnung als Beispiele christlichen Lebens präsentiert wurden (z.B. in dieser Doku ebenfalls von „37 Grad“). Nicht zuletzt bürdet das Format seiner Protagonistin Gloria und damit allen WG-Bewohner*innen eine theologische Begründungslast auf, die diese weder tragen können noch tragen sollten.

Eine theologische Begleitung, die Themen wie Queerness oder die Stellung der Frau in den unterschiedlichen Religionen kompetent einordnet, gibt es nicht. Zum Beispiel hätten Alttestamentler*innen erläutern können, ob sich mit Levitikus wirklich ein Verbot von Homosexualität begründen lässt. Gäste wie Popov, die ZEIT-Journalistin und Pfarrerstochter Sabine Rückert oder der ehemalige Politiker Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) können das verständlicherweise nicht leisten. Auch deshalb verliert sich die Diskussion unter den Teilnehmer*innen entgegen der Ankündigung doch häufig in den üblichen Klischees, ohne wirklich zum Abbau von Vorurteilen beizutragen.

Und zuletzt gibt es da noch die Atheistin Josimelonie (30), die von den anderen Bewohner*innen meistens Josi genannt wird. Sie ist im Alter von 18 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten und hat als trans Frau nachvollziehbar große Probleme mit allen in der WG vertretenen Glaubensgemeinschaften: „Religionen sind für mich moderne Sekten!“ Allerdings bildet Josi mit ihrem Interesse an Religionen und ihren starken, aber reflektierten Meinungen eine Ausnahmeerscheinung unter den Nicht-Gläubigen. Was die Protagonist*innen-Runde demnach nicht abbildet: Eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung nimmt Religionen abseits politischer Diskussionen inzwischen mit großer Indifferenz wahr.

Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und Bischof von Limburg, hat das erst in dieser Woche im Eröffnungsgottesdienst der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz in Fulda mit seltener Klarheit ausgedrückt: „Immer noch argumentieren wir, die Menschen hätten in ihrem tiefsten Inneren doch eine Sehnsucht nach Gott, sie seien suchend unterwegs. Tatsache aber ist, dass den meisten nichts fehlt, wenn sie ohne Religion und Glauben ihr Leben gestalten.“

Die Grundfrage nach dem friedlichen Zusammenleben der Religionen ist für die meisten Menschen also kaum mehr von Relevanz, wenn sie rein aus der Perspektive des interreligiösen Dialogs gestellt und beantwortet wird. Umso mehr gilt das für eine nicht auf die Mehrheitsgesellschaft bezogene Suche nach religiösen Gemeinsamkeiten. Wenn dann noch die wissenschaftliche Einordnung unterbleibt, kann wie im Fall „Against All Gods“ gerade nicht von einem „gelungenen TV-Experiment“ die Rede sein, wie es neben Steffen Grimberg für die KNA noch bei weiteren Rezensent*innen zu lesen ist. Für die christlichen Kirchen ist das besonders misslich: Das Interesse und der Platz für solche Themen dürften in den öffentlich-rechtlichen Medien angesichts sinkender Mitgliederzahlen zukünftig stark schrumpfen.


„Against All Gods – Die Glaubens-WG“, alle Episoden online und in der ZDF-Mediathek, lineare Sendetermine und weitere Informationen in den Produktionsnotizen.


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