Ihr sollt keine Opfer sein!
Der Maria 2.0-Streik in der katholischen Kirche erntet Widerspruch. Dabei sind die Argumente gegen den Protest schlicht und widersinnig – manche sogar ehrenrührig.
In einem Gastkommentar bei domradio.de drückt Sr. Anna Mirijam Kaschner, Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz, ihr Unbehagen gegenüber Maria 2.0 aus. Einige ihrer Fragen sollten zu denken geben. Etwa, wenn sie danach fragt, welches Ziel der Protest hat. Denn natürlich werden unterschiedliche Probleme gemeinsam adressiert und eine Menge Forderungen gleichzeitig formuliert.
Kaschner wiederholt in ihrem Kommentar allerdings auch Argumente, die fast schon automatisch immer dann aus dem Kästchen kirchenpolitischer Redeweisen herausgeholt werden, wenn Frauen in der Kirche die Machtfrage stellen.
Die Frauenfrage und der Misssbrauch
Es gibt einen inneren Zusammenhang zwischen der Diskriminierung von Frauen in der röm.-kath. Kirche und der Missbrauchsepidemie, auch wenn Kaschner ihn nicht sehen will. Nirgends ist das Machtgefälle, das jeden Missbrauch begünstigt und besonders sexuellem Missbrauch zugrunde liegt, größer als zwischen einem Kind und einer männlichen Respektsperson. So beschreibt es u.a. Missbrauchsexperte Christian Rommert im Interview mit der Eule.
In der Kirche wird dieses Verhältnis theologisch aufgeladen, dann ist von Hirten und ihrer Herde die Rede. Theologisch legitimiert wird ein Machtgefüge, das den männlichen Priester aus der Menge der Gläubigen heraushebt. Er ist etwas Besonderes. Ihm zu widersprechen, gegen seine Wünsche zu handeln, wird als Sakrileg empfunden – so schildern es Missbrauchsopfer immer wieder. Die Abgehobenheit des Priesters verdammt Opfer zum Schweigen gegenüber ihren Eltern, Familien, der Gemeinde. Was nicht sein darf, kann nicht sein.
Die männlich dominierte Kirchenhierarchie schützt darüber hinaus Täter, statt den Missbrauchsopfern Gehör und Solidarität entgegen zu bringen. Die Beispiele dafür sind Legion. Darum greifen alle binnenkirchlichen Bemühungen zu kurz, die meinen sich bei der Aufklärung und Sanktionierung von Missbrauchsverbrechen auf die Kirchenhierarchie verlassen zu können. Rettung kann nur von außen in Gestalt der weltlichen Gerichtsbarkeit kommen, das haben die Ereignisse der letzten Tage erneut gezeigt.
Die männliche Hierarchie begünstigt den Missbrauch und sie erleichtert dessen Vertuschung. Sie ist der systemische Mangel, den die Kirche um der Opfer willen beseitigen muss.
Frauen arbeiten mit
Kaschner stellt fest, dass Frauen in vielfältiger Weise in der Kirche mitarbeiten. Sie selbst ist dafür ein gutes Beispiel. Dort wo Frauen „Dienste und Ämter in der Kirche übernehmen – im Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand, als Pastoral- und Gemeindereferent/innen, Lektorinnen und Gottesdienstleiterinnen“ ist in der Tat schon viel von der Männerunkultur der Kirche zurückgedrängt worden. Besonders gilt das für die theologische Ausbildung an Universitäten, wo selbstverständlich auch Frauen als Theologieprofessorinnen tätig sind.
Damit, so Kaschner, sollten sich Frauen doch zufrieden geben. Warum nur? Wenn sie doch in diesen und anderen Rollen immerzu nachweisen, dass sie Lehren und Verkündigen können, als Seelsorgerinnen für Menschen da sind – welches andere Argument als das der Biologie bleibt dann noch? Daran ändert sich auch nichts, wenn gut katholisch statt von Biologie von Naturrecht gesprochen wird.
In manchem Bistum bemühen sich die Bischöfe redlich, Frauen mit Leitungsaufgaben zu betrauen. Dadurch wird der Widersinn, sie nicht auch zum Diakonat oder priesterlichen Amt zuzulassen, keineswegs geringer, eher noch augenfälliger. Die reaktionären Kritiker dieses Fortschritts haben dafür ein gut ausgeprägtes Sensorium: Sie wissen, jede Frau mehr, die leitet und lehrt, kratzt an der „heiligen Herrschaft“.
Ihr Platz am Rande der Kirche
Kaschner meint, Frauen könnten ihr Charisma gerade deshalb so gut in die Kirche einbringen, weil sie von der Weihe ausgeschlossen sind. Das ist schon dreist. In einer seltsamen Exegese schreibt sie, die Jüngerin Maria aus Magdala sei aufgrund ihrer Abwesenheit beim letzten Abendmahl für die Verkündung der Auferstehung begabt gewesen. „Apostolin der Apostel“ sei sie durch ihre „prophetische Gabe“, die eine Stellung am Rande – man könnte auch sagen: im Abseits – voraussetzt.
Es müsste Kaschner ob dieser Argumentation schwindelig werden: Denn sie bedeutet nicht zuletzt, dass dem prophetischen Wort der Maria 2.0-Streiterinnen Gewicht zukommt. Ich würde gerne einmal wissen, von wo Kaschner eigentlich das spezifisch weibliche Talent zum Prophetenamt herleitet, außer von ihrer Diskriminerung her? Braucht es dazu eine Vulva?
„Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir Frauen in der Kirche unsere Rolle einnehmen, die sich nicht über das Streben nach dem Priesteramt definiert,“ mein Kaschner. Warum ausgerechnet jetzt, da die Kirche durch die Missbrauchskrise so herausgefordert ist, die Zeit für das Schweigen der Frauen gekommen sein soll, lässt sie offen. Kaschner weist den Frauen genau den Platz zu, den ihnen die männliche Kirchenhierarchie seit Jahrhunderten gönnt. Gib dich zufrieden, und sei stille!
Keine Opfer sein!
Trotzdem Kaschner dieses Argumentationsmuster wiederholt, verwahrt sie sich dagegen, Frauen würden in der Kirche diskriminiert, ja zu Opfern gemacht. Aber der Ausschluss von der Hierarchie ist diskriminierend. Hierarchie bedeutet „heilige Herrschaft“. Solange Frauen an ihr nicht teilnehmen, sind sie weder in gleicher Weise anerkannt, noch gleichberechtigt in der Führung der Kirche.
Da können Kaschner und Bischöfe stur weiter behaupten, die Weihe geschehe zum „Dienst“, nicht zur Herrschaft – die Realität spricht dem Hohn. Vielleicht nicht mehr in der katholischen Kirchengemeinde im deutschsprachige Raum, aber doch in der Weltkirche. Dass die Maria 2.0-Streiterinnen streiken, ist nichts anderes als ein wohlverstandenes sentire cum ecclesia. Sie streiken auch in Stellvertretung der Frauen der weltweiten Kirche, die nicht priviligiert genug sind, ihre Meinung so lautstark, kompetent und sicher vor Repressionen zu äußern.
Frauen, die unter der Diskriminierung von Frauen leiden, können sich selbstverständlich auch als Opfer der Kirche verstehen. Kaschner insinuiert, die Maria 2.0-Streiterinnen würden sich den Opfer-Mantel zu Unrecht umlegen, er gebühre allein den Missbrauchsopfern. Die Kirche hat Zeit ihrer Existenz viele Opfer von ihren Gläubigen gefordert, die Opfer sexuellen Missbrauchs stechen unter ihnen aufgrund der Schwere der Verbrechen heraus. Das macht andere Leidensgeschichten und Diskriminierungserfahrungen jedoch nicht obsolet.
Vielleicht rührt Kaschners Angst vor dem Opferbegriff ganz küchenpsychologisch simpel daher, dass damit natürlich auch die Frage nach den Tätern gestellt ist. Und wer macht sich schon gern mit solchen Leuten gemein?
Heiliges Lachen
Christiane Florin hat Recht, wenn sie als einen Erfolg des Maria 2.0-Streiks benennt, dass die ernüchternde Schlichtheit der Argumentation der männlichen Hierarchie durch den erneuten Anlauf der Frauen ans Licht kommt. Sie wird auch nicht schlauer, wenn sie, wie im Falle von Kaschner, von einer Frau vorgetragen wird. Es geht um die Machtfrage und männliche Macht allein lässt sich, wie jede Ungerechtigkeit, nicht mit Weisheit verteidigen.
Eigentlich ist das ein Grund zu heiligem Lachen: Den Argumenten der Hierarchie wird seit Jahr und Tag nichts von Substanz hinzugefügt. Sie erweist sich dem Prophetinnenwort und der Weisheit der Frauen gegenüber als unterlegen. Entweder öffnet sich die Hierarchie für Frauen oder sie zerbricht ganz.