Maria 2.0 – Die #LaTdH vom 19. Mai

Die katholische Kirche wird bestreikt: Eine Woche lang demonstrieren Frauen gegen die Diskriminierung in ihrer Kirche. Außerdem: Missbrauch, AfD-Updates und 2 ganz und gar positive Nachrichten.

Kirchenfrauen bestreiken die röm.-kath. Kirche: In diesem kurzen Tagesschau-Artikel, inkl. Video der Kundgebung in Münster, gibt es eine komprimierte Zusammenfassung des Protestsziels: Frauen soll der Zugang zu geweihten Ämtern eröffnet werden.

Debatte

„Das letzte Wort ist gesprochen“ – Interview mit Georg Bier (katholisch.de, KNA)

Bei katholisch.de befragt Volker Hasenauer den Kirchenrechtler Georg Bier. Hier findet sich noch einmal der Status quo abgebildet, inkl. der Verniedlichung, den Frauen gehe es um mehr „Beteiligung“. Die Krux ist doch: Frauen sind am Leben der Kirche nicht einfach „beteiligt“, ohne ihr Tun findet Kirche überhaupt nicht statt. Im krassen Missverhältnis dazu steht die Verweigerung, über die Weihe von Frauen zu Diakoninnen und Priesterinnen wenigstens ergebnisoffen nachzudenken. Bier weiter:

Die Gesetzgebung ist hierarchisch-monarchisch organisiert und allein dem Papst überlassen. Wenn überhaupt könnte also nur der Papst etwas ändern. Aber der Clou des Weiheverbots für Frauen ist, dass es lehramtlich argumentiert keine Änderungen mehr geben kann. Wir drehen uns im Kreis und landen höchstens wieder beim Ausweg, die Grundlagen der damaligen Lehraussage anzweifeln zu können.

Gemeint ist natürlich das 1994 von Johannes Paul II. veröffentlichte Schreiben „Ordinatio sacerdotalis“. Statt über Sinn und Unsinn des Weiheverbots zu diskutieren, möchte Bier lieber über die Gültigkeit des damaligen Schreibens im Lichte der päpstlichen Macht („letztverbindlich“) diskutieren.

Anderswo nennen wir das Derailing, wörtlich Entgleisung: Eine Diskussion wird absichtlich vom Kernthema auf einen Seitenaspekt abgelenkt. Wenn dort dann auch noch lehramtliche Betonwände warten, kommt der Zug recht zügig zum Halt.

In die gleiche Kerbe schlagen die meisten der sympathisch daherkommenden Bischofsworte zu Maria 2.0. Dass hier die Machtfrage in ihrer Kirche gestellt wird, ist ihnen sehr wohl bewusst, aber es lässt sich natürlich einfacher darüber sprechen, ob es angemessen sei, der Eucharistie fern zu bleiben und gar vor der Kirche Mahlfeiern durchzuführen.

Boykott der Eucharistie kann kein Instrument sein – Interview mit Bischof Bode (katholisch.de, KNA)

KNA-Chefredakteur Ludwig Ring-Eichel (@LudwigRingEifel) versteigt sich im Interview mit Bischof Franz-Josef Bode sogar zur Frage:

Frage: Gibt der Frauen-Protest dem synodalen Prozess für systemische Veränderungen in der Kirche zusätzlichen Schub – oder gefährdet er ihn, bevor er überhaupt angefangen hat?

Bode: Er gibt dem synodalen Weg intensive Themen auf, die sehr ernst zu nehmen sind. Denn die Befassung mit Partizipation, Gewaltenteilung, Klerikalismus und auch mit der konkreten Aufarbeitung des Missbrauchsskandals hängt wesentlich vom Miteinander von Männern und Frauen ab, weil die Kompetenz, die Frauen und Mütter in diese Debatten einbringen, unersetzlich ist. […] Der Boykott der Eucharistie allerdings gefährdet die differenzierte, sachliche Auseinandersetzung.

Angesichts dessen, dass die übergroße Zahl der Katholik*innen in Deutschland der Eucharistie aus anderen Gründen fernbleibt, mutet Bodes Warnung amüsant an. Maria 2.0 ist ein zutiefst binnenkirchliches Phänomen. Zum Streik verbünden sich Frauen, die sich bei anderen Kirchenthemen wenig zu sagen haben. Maria 2.0 ist mehr als das Aufbäumen der letzten tapferen 68erInnen. Besonders schön zeigt das die Geschichte von Ursula Brintrup, die Jonas Weyrosta (@jonasweyrosta) in der ZEIT aufgeschrieben hat.

Hier streiken Frauen, die sich nicht weiterhin von solchen Bischofsworten beeindrucken lassen:

Maria 2.0 habe gezeigt, dass die Forderungen nicht nur von „ein paar verrückten Aktivistinnen an der Spitze der Frauenverbände“ getragen würden, sondern „von der breiten Mehrheit der Frauen an der Basis, die das aktive Gemeindeleben vor Ort entscheidend tragen und prägen“. Die Proteste zeigten, wie tief das Gefühl sitze, zu wenig gehört zu werden, betonte Flachsbarth. Sie freue sich darüber, dass viele Bischöfe Verständnis gezeigt hätten für die Forderungen der Frauen: „Ich hoffe, dass sie jetzt auch ihre Ankündigungen wahrmachen und den beschlossenen Synodalen Weg mit uns gemeinsam gehen.“ (Quelle)

Darum lässt mich die Frage nach den kirchenentfremdeten Frauen nicht los, die von der katholischen Theologin Maria Herrmann (@maerys) in den virtuellen Raum gestellt wurde:

Maria in der Vulva

Die Fachschaft der Theologischen Fakultät der Uni Freiburg solidarisiert sich mit den Maria 2.0 Streiks. Zu diesem Zwecke hat sie dieses Motiv groß an die Unikirche aufgehängt. Diese Darstellung Mariens hat zu erwartbaren Protesten geführt, die in ihrem Frauenhass und ihrer Abwertung (weiblicher) Sexualität einmal mehr das dem Missbrauch wie der Diskriminierung von Frauen zugrunde liegende Problem des traditionellen katholischen Milieus vor Augen führt: Angst und Scham vor der fleischlichen Realität des Menschen.

Die Fachschaft begründet ihr Vorgehen in diesem Facebook-Post:

Wir möchten auf eine ästhetische Weise eine andere Seite der Figur Marias in den Blick rücken, die für feministischen Mut und Stärke steht. Wir wehren uns deswegen gegen den Vorwurf der Blasphemie und der Verunglimpfung des weiblichen Geschlechtsorganes und somit von Weiblichkeit allgemein! Die Assoziation mit der Vulva ist zudem in vielen traditionellen Darstellungen Marias deutlich erkennbar, jedoch durch ihre bildliche Einmantelung in Tugendhaftigkeit zum Symbol der sexuellen Unterdrückung der Frau geworden. In diesem Sinne möchten wir mit unserer Darstellung selbstverständlich keine religiösen Gefühle verletzten, sondern unserem Marienverständnis Ausdruck geben, das von einem positiven und selbstbewussten Frauenbild geprägt ist. Die Vulva als eigenständiges Organ und – unabhängig von ihrem funktionalistischen Verständnis im Bezug auf einen Mann – steht für dieses Frauenbild.

Vielleicht tröstet die Kritiker des Vulvenbildes ja trotzdem der funktionalistische Hinweis darauf, dass es Gott war, der es vorzog, von einer Frau geboren zu werden. Die Inkarnation und die Schöpfung des Menschen inkl. seiner Sexualorgane sind nicht „blasphemisch“ oder „widerlich“, sondern sehr gut.

Wer sich Maria nur als kindliches Objekt göttlichen Handelns, nicht als tätige Frau denken kann, der hat auch sonst ein Problem mit weiblicher Sexualität. Bleibt man in der bi-polaren Geschlechtlichkeit, bedeutet die Ablehnung der Sexualität von Frauen nichts anderes als die Behauptung der Alleingültigkeit der des Mannes. Die Frage nach dem Geschlecht ist die Machtfrage.

Darum ist die Maria in der Vulva provokant, auch für neutrale Beobachter*innen. Sie fordert zum Nachdenken auf. Deshalb ist es wunderbar, dass die Gegner der Aktion ausgerechnet zum Rosenkranzgebet aufrufen.

Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.

Schicksalsfrage

Mit Maria 2.0 wird verfahren, wie es im Angesicht von Protesten inzwischen üblich geworden ist: Die Protestform(en) werden zum Inhalt der Debatte, dahinter verschwindet in der medialen Aufarbeitung das Kernanliegen des Protests (#FridaysforFuture, ick hör dir trapsen). Ob Maria 2.0 zu einem befreienden Moment werden kann, liegt darum auch in den Händen der bisher schweigenen Beobachter*innen. Entgleist der Protestzug oder wird tatsächlich über die Forderungen der Frauen gesprochen?

Für die Kirche im Westen ist es eine Schicksalsfrage geworden, ob es ihr gelingt, die von ihren Gläubigen geforderte Gleichberechtigung der Geschlechter und sexuellen Orientierungen institutionell wiederzugeben. Nach Deutung vieler Christ*innen geht es dabei nur darum, die aus dem Schöpfungsglauben und dem Evangelium kommenden Forderungen umzusetzen.

Unauflöslich verbunden ist dieser Kampf mit der Aufarbeitung und Prävention des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Denn diejenigen, die sich gegen eine bigotte Männerkirche wehren, sehen in ihr den zentralen systemischen Fehler, der Missbrauchsverbrechen überall auf der Welt ermöglicht.

Nix da mit „Geduld, meine Damen!“ – Interview mit Christiane Florin (Publik-Forum)

Britta Baas (@brittabaas) interviewt in der Publik-Forum die Journalistin Christiane Florin (@christianeflori), die mit ihrem Buch „Der Weiberaufstand“ die Maria 2.0-Streiks inspiriert hat (Rezension in der Eule). Darin beschrieb sie die häufig anzutreffende Stilfigur, den aufständischen Frauen entgegen zu halten, in der Kirche gehe es doch gar nicht um Macht, sondern ums „Dienen“. Darum sei ein Ausschluss von der Weihe auch keine Diskriminierung. Florin hält Maria 2.0 für einen Erfolg:

Ich halte es für einen Erfolg, dass so vielen Frauen jetzt klar ist: Sie werden diskriminiert, es ist Unrecht, das ihnen widerfährt. Und die Bischöfe haben ihnen auch nach einer Wochen Frauenstreik nichts anzubieten. Das ist ein Skandal. Sie winden und wenden sich und jeder sieht, dass es eben doch um Macht geht.

nachgefasst

Ehemaliger Augsburger Bischof Walter Mixa sagt nach Kritik Rede bei AfD-Veranstaltung ab (StadtZeitung)

Nach der heftigen Kritik der Bistumsleitung an seiner Zusage, bei einer AfD-Veranstaltung zu sprechen (wir berichteten), hat Bischof em. Walter Mixa die Einladung ausgeschlagen. Er wird weder in Augsburg, noch anderswo für die AfD auftreten. Entsprechende Anfragen aus der Partei hatte es im Zuge der Aufregung gegeben.

Auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) gab Mixa nun bekannt, dass er den Vortrag über Islamisierung und Christentum nicht halten werde. Er habe vor gut einem Monat die Einladung des Augsburger Landtagsabgeordneten und Stadtrats Markus Bayerbach erhalten, habe aber „nicht gewusst, dass der ein AfD-Mann ist“.

Googeln hilft.

Ex-Ordensfrau kritisiert Vatikan nach Priester-Freispruch (Kirche + Leben, KNA)

Doris Reisinger (@ReisingerWagner) reagierte zunächst auf Twitter und dann gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) auf den „Freispruch“ Hermann Geißlers, dem sie sexuelle Belästigung während der Beichte vorwirft.

Unter normalen Umständen und an ordentlichen Gerichten gäbe es jetzt wenigstens eine Revision, weil am Urteil mit Bischof Giuseppe Sciacca ein Mann beteiligt war, der offenbar ein erhebliches Eigeninteresse daran hat, den Fall unter den Tisch zu kehren. Mehr zum Hintergrund des Falls in der Herder Korrespondenz.

Buntes

Gewinner*innen des #LaTdH100-Gewinnspiels

Zur 100. Ausgabe der „Links am Tag des Herrn“ haben wir vergangene Woche drei interessante Bücher unter allen Abonennt*innen des #LaTdH-Newsletters verlost. Gewonnen haben: Elaine R., Katharina B. & Daniel L. Die Bücher gehen den Gewinner*innen in den kommenden Tagen zu. Herzlichen Dank nochmals an den Echter Verlag, Grünewald Verlag und das Verlagshaus Pustet.

Landeskirche Hannover führt Trauung für Homosexuelle ein (Braunschweiger Zeitung)

Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers hat nun die Trauung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften eingeführt. Eine entsprechende Handreichung an die Gemeinden hat die Synode einstimmig verabschiedet.

Nach der Schaffung der staatlichen „Ehe für alle“ sehe die Kirche theologisch keinen Grund mehr, zwischen gemischt- und gleichgeschlechtlichen Paaren zu unterscheiden, heißt es in dem Papier, das nun an die Gemeinden weitergegeben werden soll. Die Landeskirche hatte bereits 2014 Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare eingeführt.

Die Bürgerwut im Kreistag? Analyse der rechten Kandidaturen bei den Kommunalwahlen 2019 (Moses Mendelsohn Zentrum)

Am 26. Mai wird nicht allein das Europäische Parlament neu gewählt, in zehn Bundesländern stehen auch Kommunalwahlen an, darunter auch in den fünf ostdeutschen Flächenländern. Dort nutzen längst militante Neonazis und Rechtsextreme die Wahllisten der AfD. Am Beispiel Brandenburgs ist die Emil-Julius-Gumbel-Forschungsstelle am MMZ für Europäisch-Jüdische Studien an der Uni Potsdam dem nachgegangen.

Die Eiterbeule ist geplatzt – Jakob Juchler (Journal21)

Über den auf YouTube veröffentlichten Film über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Polen von Tomasz Sekielski, der über 19 Millionen Mal angeklickt wurde, schreibt Jakob Juchler. Den Film kann man auch ohne Polnischkenntnisse anhand der englischen Untertitel nachvollziehen.

Der eindrückliche, über Crowdfunding finanzierte Film brachte explosionsartig ein schwelendes Problem an die breite Öffentlichkeit. Obwohl das Thema Missbrauch insgesamt in der katholischen Kirche immer mehr an Brisanz gewann, fand es in Polen lange Zeit wenig Beachtung. […] Bei über 30’000 Priestern war es allerdings absehbar, dass hier ein gewaltiges Skandalpotential vorhanden war. Eine Aufarbeitung war jedoch nicht gefragt. Es ging nur darum, das Ansehen der Kirche zu schützen.

Bibel

Es fehlt – Till Magnus Steiner (Dei Verbum)

Till Magnus Steiner (@TillMSteiner) stößt übel auf, dass ausgerechnet nach dem Osterfest das Erste Testament aus den Gottesdiensten der Kirche verschwindet:

Das Alte Testament hat in der Geschichte einen doppelten Ausgang: sowohl ins heutige Judentum als auch ins Christentum. […] Hätten die Apostel nach der Auferstehung Jesu das Alte Testament einfach so beiseitegelegt und nicht wie Jesus mit den beiden Jüngern auf dem Weg nach Emmaus in die Hand genommen, die Kirche wäre nichts anderes als eine Blume ohne Wurzeln, die heute schon längst ausgetrocknet wäre.

Ein guter Satz

„Ihr Erbarmen schenkt sie von Generation zu Generation denen, die Ehrfurcht vor ihr haben. Sie hat Gewaltiges bewirkt. Mit ihrem Arm hat sie die auseinander getrieben, die ihr Herz darauf gerichtet haben, sich über andere zu erheben. Sie hat Mächtige von den Thronen gestürzt und Erniedrigte erhöht, Hungernde hat sie mit Gutem gefüllt und Reiche leer weggeschickt.“

– Lukas 1, 50-53, aus der „Bibel in gerechter Sprache“