8 Tage – Die #LaTdH vom 20. Juni

Nach nur acht Tagen endet die apostolische Visitation in Köln, gibt’s jetzt bald ne Sukzession? Außerdem: Erstmals Frau Chefin der Lutheraner, Splittergruppen und Bremsklötze.

Herzlich Willkommen!

Die Sommerhitze ist in Deutschland eingekehrt und am Beispiel der Fußball-Europameisterschaft der Männer lässt sich schön beobachten, wie lange die Meldungen des Tages jeweils vorhalten. Noch am Anfang der Woche stand für viele Menschen fest: Mit dieser Aufstellung kann man nur verlieren. Gestern bewerkstelligte dasselbe Personal einen sehenswerten Sieg gegen Portugal.

In den vergangenen Tagen prüften zwei apostolische Visitatoren, ob das Erzbistum Köln mit der bisherigen Personalaufstellung in die Zukunft gehen kann. Anders als bei der Nationalmannschaft darf bezweifelt werden, ob das Team das Ruder noch einmal herumgerissen bekommt oder gar Versöhnung zwischen dem Kirchenvolk und der Mannschaft möglich ist.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein


Debatte

Visitatoren abgereist: Wie geht’s nun weiter im Erzbistum Köln? – Martin Jarde (BR)

Nach nur acht Tagen sind die beiden apostolischen Visitatoren, die Papst Franziskus ins Erzbistum Köln entsandt hatte, schon wieder abgereist. Das irritiert nicht allein den Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller (@tschueller61), der u.a. darüber im Podcast seiner Fakultät ausführlich spricht. Was können die beiden Besucher während so einer kurzen Zeit herausgefunden haben?

Prinzipiell gibt es keine genauen Vorgaben, wie lange eine Apostolische Visitation zu dauern hat. Auch wie sie durchgeführt wird, ist im Kirchenrecht nicht geregelt. Die tatsächlichen Vollmachten des Apostolischen Visitators werden im Ernennungsschreiben des Papstes spezifiziert. Inoffiziell gilt eine Apostolische Visitation als erstes Anzeichen eines Misstrauens gegenüber dem Diözesanbischof. […]
So hatten sich die Visitatoren bei ihrer Ankunft in der vergangenen Woche zuerst mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs getroffen. Die Bischöfe dankten allen Gesprächspartnern sowie allen Personen, die sich per E-Mail oder Brief an sie gewandt hatten.

Die Gespräche fanden in einem vertraulichen Rahmen statt; bis auf die Missbrauchsbetroffenen wurden alle Gesprächspartner gebeten, nicht über die Inhalte der Treffen zu reden. Auch eine Liste der befragten Personen wurde nicht offiziell veröffentlicht. Bekannt wurde aber, dass die Bischöfe unter anderem mit der früheren Opferbeauftragten Christa Pesch, dem Hamburger Erzbischof Stefan Heße und dem Vorsitzenden des Diözesanrates des Erzbistums Köln, Tim Kurzbach, gesprochen haben.

Kurzbach: „Das Erzbistum Köln ist an einem toten Punkt angekommen“ – Felix Neumann (katholisch.de)

Tim Kurzbach hat sich in dieser Woche allerdings sehr deutlich auch in der Öffentlichkeit zu Wort gemeldet und sich das Alfred-Delp-Zitat des Münchener Erzbischofs Kardinal Reinhard Marx bei seiner Beschreibung der Umstände in Köln zu eigen gemacht:

„Das Erzbistum Köln ist an einem toten Punkt angekommen, einem richtig toten Punkt. Die Visitation war ein gutes Zeichen des Heiligen Vaters. Die Situation im Bistum ist nämlich so, dass eine überwiegende Mehrheit der Laien und auch viele Priester überzeugt sind, dass es mit einem einfachen „Weiter so“ nicht weitergehen kann. Es muss schnell eine Entscheidung getroffen werden, um diesen toten Punkt zu überwinden.“

Kurzbachs Interview bei Felix Neumann (@fxneumann) von katholisch.de lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass das Tischtuch zwischen den Laien (und Teilen des Klerus) des Erzbistums und ihrem Erzbischof irreperabel zerschnitten ist. Dafür spricht auch, dass Woelki unter der Woche eine Einladung zur Sitzung des Diözesanrates kurzfristig ausschlug. Kurzbach:

„Zwei Männer haben die Zukunft des Bistums in der Hand, und um nichts weniger geht es: Kardinal Woelki selbst und der Heilige Vater. Von beiden erwarte ich, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden, und zwar so schnell wie möglich. Ich wünsche es Kardinal Woelki aus vollem Respekt vor seiner Person, die notwendige innerliche Freiheit zu haben, um die richtige Entscheidung für sich selbst zu treffen. Der Heilige Vater hat mit dem Bericht der Visitatoren eine klare und gute Situationsanalyse über das Erzbistum Köln in der Hand. Ich dränge darauf, dass einer der beiden Herren oder beide gemeinsam jetzt eine schnelle Entscheidung treffen.“

Allerdings lobt Kurzbach die Gründlichkeit und Gesprächsbereitschaft der Visitatoren. Die Laien(vertreter:innen) wollen weiter vertrauen. Ob die römischen Prozesse diese immer wieder geleisteten Vertrauensvorschüsse rechtfertigen, steht dahin. Manches, wie das Zurückrudern des Kölner Generalvikars Markus Hofmann in der Causa Pfarrer D., dünkt mir eher pure Ergebniskosmetik zu sein.

Eine Umfrage des Bonner General-Anzeigers hat in dieser Woche bestätigt, was die aufmerksamen unter den römisch-katholischen Bischöfen längst zur Kenntnis genommen haben: Die tiefe Entfremdung von Kirchenvolk und Klerus, Menschen und Maschinerie der römischen Kirche. 76 % der Befragten wünschen sich „auf jeden Fall“ die Abschaffung des Zölibats. Und auch die Vertrauenswerte der Kirche sind weiter im Sinkflug:

Civey fragte zudem in einer weiteren Untersuchung nach den Einstellungen zur Kirche. Demnach sehen 59,4 Prozent die Kirche negativ. Im Mai 2017 lag dieser Anteil bei 45,1 Prozent. Positiv eingestellt waren aktuell 24,7 Prozent; zuvor seien es noch 37,4 Prozent gewesen.

Der Umfrage zufolge veränderte sich die Einstellung vor allem unter Katholiken. Waren sie im Mai 2017 noch zu 54 Prozent positiv der Kirche gegenüber eingestellt, hatten nun 39,2 Prozent ein positives Bild. Der Anteil der negativ Eingestellten stieg von 25,6 Prozent auf 41,7 Prozent.

Diesem Vertrauensverlust wird man nicht mit kosmetischen Veränderungen am Spielsystem begegnen können, sondern nur durch einen Systemwechsel. Und der wiederum kann wohl nur von neuen Akteur:innen bewerkstelligt werden. Kardinal Marx hat dazu einen Vorstoß unternommen, den sein Chef zurückgewiesen hat. Nimmt sich Papst Franziskus nach der 8-Tage-Visitation in Köln ein Beispiel am Bundestrainer, und hält an seiner bisherigen Mannschaft fest? Wenn ja, droht das Vorrundenaus auf Franziskus‘ „synodalen Wegen“.

nachgefasst

Synodaler Weg

Zwei skeptische Stimmen zum sogenannten Synodalen Weg der römisch-katholischen Kirche in Deutschland aus dieser Woche sind bemerkenswert: Der Bischof von Augsburg, Bertram Meier, warnt vor „Hektik“ und Schnellschüssen und will den Synodalen Weg gut eingebettet wissen in den neuen sogenannten Synodalen Prozess der Weltkirche, der den Wünschen des Papstes nach bis zur Bischofssynode 2023 in den Bistümern, nationalen Bischofskonferenzen und auf kontinentaler Ebene laufen soll. Bischof Meier will also Bremsklötze auslegen.

Die Theologin Katharina Westerhorstmann, selbst Teilnehmerin am Synodalen Weg, spricht sich gar dafür aus, den Synodalen Weg bis Herbst zu pausieren, um die von Kardinal Walter Kasper benannten „Geburtsfehler“ des Synodalen Weges zu beseitigen. Jenseits der fragwürdigen Sprache, dich sich auf dem Weg eingebürgert hat, darf man sich ruhig fragen, was eine Unterbrechung von wenigen Sommerwochen eigentlich leisten soll.

Westerhorstman beschreibt die Atmosphäre in ihrem Synodalforum „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ als „sehr respektvoll“, was nicht unbedingt für ihre Stimmungs-Sensibilität spricht.

Es habe wirklich ein „gegenseitiges Zuhören, Aufeinander-Hören“ gegeben, zugleich habe man aber gemerkt, dass der Druck steige und jetzt Ergebnisse erwartet würden. „Und das habe ich als schwierig empfunden – vor allem auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Erweiterten Präsidiums, ab jetzt nur noch Mehrheitsmeinungen zuzulassen im Hinblick auf die Synodalversammlung“, erläutert Westerhorstmann.

Erinnert sei noch einmal daran, dass das Plenum des Synodalen Weges für seine Entscheidungen die übergroße Mehrheit der Bischöfe benötigt, in deren Gutdünken dann auch die Umsetzung der umsetzbaren Reformvorschläge des Synodalen Weges in den Bistümern liegt – und die Entscheidung, wie mit den Ratschlägen an Rom, die in Deutschland formuliert werden, umgegangen wird.

Missbrauchs-Gutachten im Erzbistum Berlin

Diese Woche wurde auch der bisher zurückgehaltene Teil des Berliner Missbrauchs-Gutachtens veröffentlicht, darin befinden sich, wie die KNA (@KNA_Redaktion) herausgearbeitet hat, auch Aussagen zu den aktuellen und ehemaligen Verantwortungsträgern im Erzbistum. Für die taz fasst Stefan Hunglinger die Lage aus Perspektive der Berliner Laien zusammen:

„Wir haben als Diözesanrat seit Januar die vollständige Veröffentlichung gefordert. Das ist wichtig für die historische Aufklärung und für die Betroffenen“, sagt Jungbluth. Zusammen mit zwei weiteren Lai­en­ver­tre­te­r*in­nen und drei Priestern gehört sie der Kommission an, die nun das Gutachten bewerten und Handlungsempfehlungen abgeben soll.

Über Maßnahmen entscheiden wird am Ende aber Erzbischof Heiner Koch, in seiner Funktion als Bistumsleitung. Dieser will sich am Dienstag in einem Youtube-Stream der Diskussion stellen. Danach gefragt, wie sie den Aufarbeitungswillen des Berliner Bischofs beurteile, gab Jungbluth an, dass alle in der Bistumsleitung die Bedeutung des Themas verstanden hätten.

Buntes

Diskussion um die Werteunion: Wie christlich ist sie? – Interview mit Liane Bednarz (Domradio)

Im Interview beim Kölner Domradio ordnet die Publizistin Liane Bednarz (@L_Bednarz) die jüngeren Entwicklungen in der Werte Union ein, die für sich in Anspruch nimmt, den „konservativen Markenkern“ und die „christlichen Werte“ von CDU und CSU zu vertreten. Bednarz widerspricht.

Schmusender Pfarrer an der Grazer Heilandskirche – Walter Müller (Der Standard)

Mit einer provokanten Aktion inmitten des noch immer reichlich katholischen Österreichs macht die Evangelische Kirche in Graz auf sich aufmerksam. Das Zusammenwachsen von progressiver Weltaneignung und protestantischer Liebeskultur regt zum Schmunzeln an.

„Es soll durchaus ein Statement sein. So sind wir in der evangelischen Kirche, und das wollen wir auch zeigen“, sagt Pfarrer Matthias Weigold. Es wird kaum zu übersehen sein, was Weigold und seine Pfarrgemeinde der Heilandskirche demonstrieren wollen.

Auf überdimensionalen Plakatfahnen sind bis in den Herbst „Stationen der Liebe“ zu sehen, darunter ein küssender Pfarrer und eine schwangere Pfarrerin. „Wir wollen einfach zeigen, dass das für uns selbstverständlich und normal ist. Es ist unser Alltag, dass wir auch Pfarrerinnen haben, die schwanger werden und Familien gründen. So wie wir auch homosexuelle Paare segnen und sie bei uns in der Kirche willkommen heißen“, sagt Weigold, Vater von fünf Kindern.

Theologie

Missbrauch mit System: Das Ringen um die Zukunft der katholischen Kirche – Doris Reisinger (Blätter für deutsche und internationale Politik)

Der Aufsatz der Theologin und Publizistin Doris Reisinger (@ReisingerWagner) über das tiefsitzende Missbrauchs-System innerhalb der katholischen Kirche bei den Blättern für deutsche und internationale Politik steht nun frei online zur Verfügung und ist in jedem Fall lesenswert. Reisinger entwirft auf Grundlage ihrer Analyse Prognosen für die Zukunft der römisch-katholischen Kirche:

Am wahrscheinlichsten ist aber wohl ein drittes Szenario: Immer mehr Menschen werden die Kirche ganz verlassen, und diejenigen, die bleiben, werden sich zunehmend zwischen dem autoritären und dem egalitären Spektrum innerhalb der Kirche aufteilen – solange bis das institutionelle Gefüge der katholischen Kirche vollends dysfunktional geworden ist, weil weder Autoritäre noch Egalitäre bereit sind, die geltenden Regeln oder die Autorität der amtierenden Machthaber anzuerkennen.

Am Ende wird es eine unüberschaubare Vielzahl katholischer Splittergruppen geben – einige von der institutionalisierten Kirche abgespalten, andere formal noch zugehörig –, die alle ihre eigenen Regeln schaffen und ihren eigenen Autoritäten folgen. Teilweise ist das heute schon der Fall.

Ein guter Satz