Nicht hinter den Gerichten verstecken!
Der Freispruch für Olaf Latzel im Verfahren wegen Volksverhetzung verstört LGBTQI* und ihre Verbündeten in der Kirche. Dabei ist die Konsequenz aus dem Urteil klar. Ein Kommentar.
Die Kirche ist ein weltanschaulicher Tendenzbetrieb. Was sie – im Rahmen der weltlichen Gesetze – als Teil ihrer Verkündigung gelten lassen will, muss sie selbst entscheiden. Sie kann diese Entscheidung nicht weltlichen Gerichten überlassen. Das hat nicht nur der Prozess gegen Olaf Latzel am Landesgericht Bremen gezeigt, den zeitzeichen-Chefredakteur Reinhard Mawick hier letzte Woche ein „sinnloses Verfahren“ nannte. Auch die Verhandlung des Bundesgerichtshofes über eine Klage gegen die „Judensau“ an der Fassade der Wittenberger Stadtkirche am kommenden Montag wird das wieder zeigen – ganz egal zu welcher Entscheidung das Gericht kommen wird.
„Das ist alles von der Religionsfreiheit gedeckt“, kommentierte ich im Herbst letzten Jahres in der Eule die Absicht des Bremer Landgerichts, Gutachten über die religiöse Rechtmäßigkeit der Latzelschen Äußerungen einzuholen. Die Anspielung an Danger Dans „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ ist Absicht. Ob nun Art. 4 oder 5 des Grundgesetzes: Nur wenige Tage nach dessen 73. Geburtstag dürfen wir dankbar festhalten: Was den Inhalt der Kunst oder Religionsausübung angeht, hat der Staat nur dann ein Eingriffsrecht in Form einer Güterabwägung, wenn andere Grundrechte bedroht sind.
Auch wenn es weh tut, sind die Grenzen dabei so weit zu setzen, dass die Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 GG) oder der Religionsausübung (Art. 4 (2) GG) nicht bloße Verfügungsmasse ist. Ob die konkreten Inhalte von Kunst oder Verkündigung für eine gereizte oder religionsentwöhnte Gesellschaft verständlich oder annehmbar sind, ist dafür unerheblich.
Egal ist auch, dass die Welt ohne „Judensäue“, Antisemitismus, Schwulenhass, Rechtsradikale, Polizeigewalt und Verschwörungsschwurbel eine bessere wäre. Natürlich wäre sie das! Und natürlich wird dagegen auch verstärkt mit rechtlichen Mitteln vorgegangen werden müssen, z.B. in meiner sächsischen Heimat, wo man es mit der Gesetzesgenauigkeit nicht so hat. Tagtäglich werden selbst die weiten Grenzen unserer Gesetze überschritten und man darf sich hier ganz in konservativer Manier „die volle Härte des Rechtsstaates“ wünschen (O-Ton des damaligen Bundesministers des Innern Horst Seehofer bzgl. antisemitischer Straftaten, Mai 2021).
Aber um Antisemitismus, Homofeindlichkeit und Rechtsradikalismus zu besiegen, können wir Bürger:innen uns nicht auf die Justiz und die Exekutive verlassen. Wir müssen selbst Handelnde werden, wenn es um den Schutz der Demokratie, von Minderheiten, des guten Anstands und der Nächstenliebe geht. Und das bringt mich zurück zum Tendenzbetrieb Kirche.
Insbesondere die evangelische Kirche kann sich nicht auf Prozessen, Freisprüchen oder Verurteilungen vor staatlichen Gerichten ausruhen oder sie nachgerade vorschieben, wenn es doch eigentlich um ihre eigene Verantwortung geht. Ihr sind geeignete Werkzeuge in die Hand gelegt, selbst tätig zu werden. Die EKD hat eine zentrale Beschwerdestelle, die Landeskirchen können ihre Mitarbeiter:innen und Pfarrer:innen wegen Dienstvergehen belangen und nicht zuletzt gibt es in allen evangelischen Landeskirchen das synodale Prinzip. Das bedeutet nichts anderes, als dass das was „die“ Kirche macht von allen evangelischen Christen gemacht wird.
Homofeindliche Pastoren und ihre Gemeinden sollten keinen Platz in der evangelischen Kirche haben. Da hilft auch alles Aufwiegen mit den zahlreichen progressiven Gegenbeispielen nichts. Darauf haben in ihrer letzten „Anders Amen“-Sendung auch Steffi und Ellen Radtke hingewiesen. Das emphatische „Ja“ der evangelischen Kirche gegenüber LGBTQI* darf nicht zum Feigenblatt werden, wo auch andere Wege beschritten werden können. Es stimmt, was Ellen Radtke sagt: Homofeindliche Verkündigung ist gefährlich, gerade wenn junge Menschen ihr ausgeliefert sind. So ein bisschen theologischer Sophismus a’la Olaf Latzel ist nicht harmlos! Es ist kein Grundrecht, landeskirchlicher Pastor zu sein. Fein säuberlich schwulenfrei kann man als Kirchgemeinde wohl unter dem Grundgesetz leben, aber eben nicht in einer evangelischen Landeskirche.
Davon unberührt bleiben kann die Gewissensfreiheit derjenigen PastorInnen, die aufgrund ihrer theologischen Überzeugungen keine gleichgeschlechtlichen Trauungen durchführen wollen. Auch hier hat Radtke allerdings einen gangbaren Weg parat: Im „Innendienst“ jenseits der Kinder- und Jugendarbeit lässt sich bestimmt Verwendung in den aufgeblähten evangelischen Apparaten finden. Aber das ist ein anderes Thema.
„Hass ist keine Meinung“, hält Ellen Radtke fest. Und ich frage mich, warum das bei Homohass nicht ebenso selbstverständlich in meiner Kirche ist wie bei Antisemitismus und Rechtsradikalismus. Dann frieren meine Gedanken ein, weil ich weiß, dass auch dort die Lage nicht so eindeutig ist, wie es die Verlautbarungen der Kirchenleitungen nahelegen. Findige Juristen werden den Satz „Hass ist keine Meinung“ sowieso nicht einfach so stehen lassen können, aber wir sind hier eben nicht vor Gericht, sondern in einer evangelischen Kirche.