Kirche

Was ist der #Wärmewinter von EKD und Diakonie?

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie wollen mit einer gemeinsamen Kampagne auf Hilfsangebote im Winter hinweisen. Niemand soll zurückgelassen werden.

Unter der Überschrift „#Wärmewinter“ machen die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Diakonie auf Angebote aufmerksam, die Menschen bei der Bewältigung von Inflation und Energiekrise helfen sollen. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz am Dienstag wurde die Kampagne von der EKD-Ratsvorsitzenden Annette Kurschus und Ulrich Lilie, dem Präsidenten der Diakonie Deutschland, vorgestellt. Man beobachte eine „Kälte zwischen den Menschen“, erklärte Kurschus, die daherrührt, dass man sich darum fürchte, zurückgelassen zu werden. Evangelische Kirche und Diakonie wollen sich daher darum bemühen, „niemanden im Stich zu lassen“.

Angst vor dem Winter, so Kurschus, würde zum Teil mit Absicht von Akteur:innen geschürt: „Dann kommen die Ellenbogen raus“ und jede:r schaue nur noch auf sich. Dem wolle man „in den Spuren Christi mehr als Menschlichkeit und Humanität“ entgegensetzen, erklärte die Ratsvorsitzende: „In unserem jüdisch-christlichen Stammbuch steht die Verpflichtung, gerade für die Schwachen einzutreten: ‚Tu Deinen Mund auf für die Stummen, für die Sache aller, die verlassen sind!‘ (Sprüche 31,8)“ .

Auf Nachfrage der Eule kritisierten Kurschus und Lilie „populistische“ Äußerungen wie zuletzt vom CDU-Bundesvorsitzenden Friedrich Merz, der vor „Sozialtourismus“ von ukrainischen Flüchtlingen gewarnt hatte. „Sozialtourismus finde ich ein schlimmes und zynisches Wort, das ich entschieden zurückweise“, erklärte die EKD-Ratsvorsitzende, denn „niemand verlässt leichtfertig seine Heimat. Wenn unser Sicherheitsnetz auch Geflüchteten zugute kommt, dann ist das gut. Ich möchte da keine Teilung.“

Was genau ist der #Wärmewinter?

Mit der Kampagne „#Wärmewinter“ wollen EKD und Diakonie auf die zahlreichen Angebote für hilfsbedürftige Menschen in den evangelischen Kirchen und diakonischen Werken aufmerksam machen. Auf einer eigenen Website werden Tipps zur Bewältigung der Energiekrise und Hinweise zur Beantragung von Hilfsleistungen gegeben. Dort wird auch erklärt, was Kirchgemeinden vor Ort konkret unternehmen können, um Menschen zu helfen. Außerdem findet sich dort Kampagnenmaterial bestehend aus Vorlagen für Plakate und Social Media.

Diakonie-Präsident Lilie kritisierte auf der Pressekonferenz erneut die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung: Die versprochenen Leistungen würden erst zum Januar 2023 ausgezahlt, der Bedarf bestünde allerdings schon heute. Außerdem würden sie nur etwa der Hälfte der Belastung entsprechen: „50 € im Monat ab Januar reichen nicht“. Die Diakonie habe darum einen Vorschlag für eine unbürokratische Hilfe für Transferleistungsempfänger:innen vorgeschlagen: Jede:r solle so schnell wie möglich 100 € zusätzlich pro Monat erhalten. Lilie warnte eindringlich davor, dass immer mehr Familien in Not geraten: „Die Probleme reichen bis in die Mittelschicht hinein“.

Evangelische Kirchgemeinden und übergemeindliche Akteure sollen ihre Hilfsprojekte unter die Überschrift „#Wärmewinter“ stellen und auf bestehende Initiativen und Projekte unter diesem Slogan hinweisen. Die Kirche müsse lernen, so Kurschus, „zu zeigen wofür wir stehen“, da habe man noch Nachholbedarf. Während der Corona-Pandemie sei der Kirche vorgeworfen worden, sei sei nicht sichtbar genug gewesen, dem wolle man mit der gemeinsamen Kampagne nun vorbeugen.

Beim „#Wärmewinter“ geht es also darum, bereits bestehende diakonische Angebote der Diakonie und Kirche sichtbar zu machen, sie zu vernetzen und neue Kooperationen vor Ort anzustoßen. Akteur:innen aus Kirchgemeinden würden daher auch zu einem Online-Workshop mit einem Experten der Diakonie eingeladen.

Zwei Zielgruppen

Die Kampagne richtet sich also an zwei Zielgruppen: Einmal an Hilfsbedürftige, die diakonische Angebote stärker wahrnehmen sollen. „Die Hälfte der Menschen, die antragsberechtigt sind, melden sich überhaupt nicht“, erklärt Lilie ein Problem mit den unübersichtlichen Hilfsangeboten. Die Diakonie halte hier professionelle Beratung vor. Ein Ziel der gemeinsamen Kampagne sei es, dass auch die Menschen in den Kirchgemeinden auskunftsfähig werden und Hilfe bei der Antragsstellung leisten können.

Zugleich richtet sich die Kampagne an die eigene Mitgliederschaft, der man die Breite des sozialen Engagements mit Hilfe der Kampagne (neu) vor Augen führen will. Es gäbe vielfältige Möglichkeiten, sich einzusetzen. Lilie wollte sich auf Nachfrage der Eule nicht festlegen, ob man besser an bestehende Projekte spenden und dort Mitarbeit anbieten oder neue Aktionen starten sollte. Es gäbe zwar schon ein weltweit einzigartiges Netz diakonischer Hilfen in Deutschland, aber das Engagement in den Gemeinden sei sehr willkommen. Man könne zum Beispiel damit beginnen, seine Energiekostenpauschale zu spenden, wenn man sie selbst nicht benötige.

Dass Kirche und Diakonie in der Fläche besser miteinander verzahnt werden sollen, ist ein bereits seit Jahrzehnten bestehendes Reformvorhaben in der evangelischen Kirche. Unter verschiedenenen Schlagworten, wie z.B. Gemeinwesenarbeit, gibt es hierbei in den 20 EKD-Gliedkirchen (den evangelischen Landeskirchen in Deutschland) unterschiedlich starken Fortschritt. An vielen Orten laufen die Angebote der diakonischen Werke und Unternehmen und die der Kirchgemeinden noch ohne Berührungspunkte nebenher. Diakonie-Präsident Lilie wünscht sich vom „#Wärmewinter“ darum ein „stärkeres gegenseitiges Wahrnehmen“ der „sektorenübergreifenden Versorgung“, mit der Diakonie und Kirche in den „immer unterschiedlicher werdenden Sozialräumen“ tätig sind.

Sparen, aber mit Herz

Eine besondere Herausforderung im kommenden Winter stellen die gestiegenen Energiekosten auch für Kirche und Diakonie selbst dar. Auf Nachfrage der Eule bestätigte Lilie, dass man sich deshalb mit der Bundesregierung im Gespräch befände. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW), deren Präsident Lilie ist und der die sechs Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege in Deutschland angehören, habe „differenzierte Vorschläge“ unterbreitet. Es gelte, die gestiegenen Energieausgaben und Folgekosten abzufedern.

Es ginge gleichwohl, so Lilie weiter, nicht um einen „Rettungsschirm für alle“, sondern darum, gemeinwohlorientierte Unternehmen zielgenau zu entlasten. Er habe das Gefühl, mit diesem Anliegen bei der Bundesregierung inzwischen Gehör zu finden. Wenn die Wirtschaft Hilfe erhalte, dürften die Gesundheits- und Sozialbranchen nicht vergessen werden. Die Diakonie bestünde in der Mehrzahl aus kleinen Unternehmen von weniger als 80 Mitarbeiter:innen, die aufgrund der Gemeinwohlorientierung auch keine Rücklagen aufbauen dürften.

Einsparpotentiale sehe man vor allem bei Gremien- und Verwaltungstätigkeiten, so Lilie, weshalb man innerhalb der Diakonie mit allen Landesverbänden an der Umsetzung eines gemeinsamen Beschlusses zum nachhaltigen Wirtschaften arbeite. Dieser sieht neben der Vermeidung von Dienstfahrten und analogen Sitzungen auch Empfehlungen für die energetische Sanierung von Gebäuden und den Umgang mit Lebensmitteln vor.

Einen vergleichbaren Beschluss aufseiten der EKD-Gliedkirchen gebe es hingegen nicht, erklärte Kurschus. Die Landeskirchen hätten hierbei die Handlungshoheit, die Kirchenkonferenz, der die leitenden Geistlichen und Juristen der EKD-Gliedkirchen angehören, habe darum keinen gemeinsamen Sparbeschluss gefasst. Kurschus sieht in diesem Winter eine „doppelte Herausforderung“, so viel zu sparen, wie möglich ist, ohne die Bausubstanz oder Einrichtung (z.B. Orgeln) zu beschädigen, und zugleich im wörtlichen Sinne „warme Räume“ zur Verfügung zu stellen – besonders für diejenigen, die sich das Heizen zuhause nicht leisten können (zum Thema in der Eule hier & hier).

Rücksicht müsse man beim Sparen gleichwohl auf die unterschiedlichen regionalen Entwicklungsstände nehmen, sagte die Ratsvorsitzende am Dienstag. In ihrer Landeskirche, der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), sei während der Corona-Pandemie das Homeoffice gut ausgebaut worden, so dass man in diesem Winter wieder darauf zurückgreifen könne. Das sei aber nicht in allen EKD-Gliedkirchen gleichermaßen der Fall.

Freilich gibt es auch unterschiedliche Traditionen, was z.B. das Heizen der Kirchen selbst angeht, auf die Kurschus während der Pressekonferenz nicht weiter einging. Gerade in einigen reichen Landeskirchen ist es Haupt- und Ehrenamtlichen offenbar schwer vorstellbar, die Heizung auch mal abzuschalten. Konflikte darüber tragen Haupt- und Ehrenamtliche in den evangelischen Kirchgemeinden seit dem Sommer in großer Schärfe aus.

Mehreinnahmen für den guten Zweck

Von einem gemeinsamen Beschluss aller evangelischer Landeskirchen allerdings wusste Kurschus zu berichten: Die Kirchenkonferenz habe beschlossen, die Mehreinnahmen bei der Kirchensteuer, die sich aus der Besteuerung der Energiekostenpauschale ergeben, nicht für die üblichen Kirchenzwecke, sondern ausschließlich für caritative Aufgaben zu verwenden. Geschätzt geht es dabei um einen zweistelligen Millionenbetrag.

Einige Landeskirchen waren in den vergangenen Wochen schon mit gleichlautenden Ankündigungen an die Öffentlichkeit getreten. Kurschus zeigte sich gestern erfreut darüber, dass darüber nach kurzer Diskussion Einigkeit hergestellt werden konnte. In den Landeskirchen Hannover, Baden, Westfalen und Württemberg gäbe es inzwischen Beschlüsse der Kirchenleitungen. Die Synode der Nordkirche hatte ebenfalls eine Umleitung der Kirchensteuermehreinnahmen beschlossen.

Damit der „#Wärmewinter“ überhaupt als Kampagne an die Öffentlichkeit dringt, bedarf es nun der Mithilfe der Akteur:innen in der Fläche. Auf eine zentrale Darstellung mittels einer interaktiven Karte auf der Kampagnen-Website will man verzichten. So etwas sei in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen, ebenso wie eine ökumenische Koordination mit der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz und der Caritas. Man vertraue darauf, so Kurschus, dass die Christ:innen vor Ort sowieso kooperieren würden.