Katholische Theologie

Nachwuchsmangel: Die katholische Theologie in Bedrängnis

Der wissenschaftliche Nachwuchs in der katholischen Theologie fehlt. Für junge Wissenschaftler:innen sind das eigentlich gute Nachrichten – das System aber steht in Frage.

Seit 2006 lässt die Deutsche Bischofskonferenz Zahlen erheben, die für die Analyse der Situation der katholischen Theologie in Deutschland wesentlich sind. Ziel der Erhebung ist festzustellen, ob sich ausreichend wissenschaftlicher Nachwuchs in der Qualifikation befindet, um den Bedarf an Professor:innen in den kommenden Jahren zu decken.

Aus diesem Grund werden aller fünf Jahre die Fakultäten und andere universitäre Einrichtungen für katholische Theologie in Deutschland befragt. Dazu werden Daten zur Entwicklung der Fakultäten und Institute, zu den vorhandenen Stellen für Professor:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen, aber auch zu Alter und Geschlecht der Professor:innen und – ganz entscheidend – auch zu jenen, die die Stellen einmal nachbesetzen sollen, zusammengetragen. 2021 wurde die Umfrage nun zum vierten Mal durchgeführt, sodass erstmals ein Gesamtbild über die Entwicklungen der katholischen Theologie in den letzten 20 Jahre in Deutschland vorliegt.

Wer in Deutschland eine Professur übernehmen will, durchläuft nach dem erfolgreichen Abschluss des Studiums in der Regel zwei Qualifikationsphasen: Die Promotion und die Habilitation. Die Zahlen der letzten Erhebung legen nahe, dass sich immer weniger Menschen für diesen Weg entschieden oder ihn erfolgreich zum Abschluss gebracht haben.

In den Jahren von 2016 bis 2020 haben insgesamt 467 katholische Theolog:innen ihre Promotion abgeschlossen. Im Schnitt wurden also 93,4 Promotionsprojekte im Jahr zu Ende gebracht. Im Vergleich zum ersten Erhebungszeitraum 2000 bis 2005, in dem noch 120,5 Promotionen im Jahr gefertigt wurden, ist das ein Rückgang um fast 23%. Bei den Habilitationen war die Anzahl der Abschlüsse zuletzt stabil, allerdings auf niedrigem Niveau. Seit 2010 werden im Jahr ca. 14 Habilitationen abgeschlossen. Zwischen 2000 und 2005 waren es noch 23,3.

In der Gesamtschau ist seit 2000 ein großer Einbruch um knapp ein Drittel bei den Promotions- und fast die Hälfte bei den Habilitationszahlen bis 2010 zu erkennen. Es folgt über fünf Jahre eine leichte Erholung, an die sich aber die rückläufige Entwicklung der Zeit bis 2021 anschließt, sodass sich die Zahlen wieder dem Stand um 2010 nähern. Dieser Rückgang des wissenschaftlichen Nachwuchses ist eine problematische Entwicklung, deren Auswirkungen durch die Zunahme der Emeritierungen von Professor:innen im gleichen Zeitraum noch verschärft wird.

Die sinkende Nachwuchsquote

Das Verhältnis von nachrückenden Wissenschaftler:innen und durch Emeritierung frei werdenden Professuren wird im Rahmen der Studie mit der sogenannten Nachwuchsquote genauer bestimmt. Dazu wird die Summe aus den bereits habilitierten Wissenschaftler:innen, die noch keinen Lehrstuhl innehaben, und den in den kommenden fünf Jahren zu erwartenden Habilitatiant:innen gebildet. Für diese Prognose wird damit gerechnet, dass 60% der aktuell laufenden Habilitationsprojekte auch erfolgreich zu Ende gebracht werden. Aufgrund der tatsächlichen Abschlusszahlen der letzten Jahre, haben die Autoren die zu erwartende Abschlussquote von vorher 80% auf jetzt 60% gesenkt, um den realen Gegebenheiten besser zu entsprechen.

Die errechnete Summe der Kandidat:innen wird durch die Anzahl der anstehenden Emeritierungen, genauer durch die Zahl der Lehrstühle, die frei werden und auch neu besetzt werden sollen, dividiert. Kurz: Die Nachwuchsquote ergibt sich aus der Anzahl der voraussichtlichen Kandidat:innen dividiert durch die Anzahl der freien Lehrstühle. So errechnet ergibt sich 2021 ein Quotient von 1,4. Nimmt man nun alle qualifizierten Bewerber:innen, aber auch alle anstehenden Emeritierungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum (mit Österreich, der Schweiz und Südtirol) hinzu, sinkt die Quote auf 1,3.

In den kommenden Jahren wird – vereinfacht gesagt – pro frei werdender Professur nur gut ein:e qualifiziert:e Kandidat:in für die Besetzung zur Verfügung stehen. Das ist die niedrigste Quote seit Beginn der Berechnung. 2006 und 2016 lagen die Quoten um zwei. 2011 lag sie sogar um drei. Wobei die früheren Quoten für die Vergleichbarkeit unter Berücksichtigung der neuen niedrigeren Abschlussquote bei den Habilitand:innen neu berechnet worden sind.

Gute Nachrichten für den wisssenschaftlichen Nachwuchs?

Was wie gute Neuigkeiten für junge Wissenschaftler:innen klingt, bringt die katholische Theologie in Deutschland in Bedrängnis. Man führe sich nur das fächerübergreifend übliche Besetzungsverfahren für Professuren vor Augen: Aus den Bewerber:innen für eine Stelle werden die am besten geeigneten für eine Probevorlesung eingeladen. Aus diesen Kandidat:innen wird eine Dreierliste erstellt, aus der schließlich ein:e Kandidat:in gewählt wird.

In den kommenden Jahren wird es von vornherein nicht für jedes Berufungsverfahren ausreichend qualifizierte Kandidat:innen geben, um die finalen Listen zu füllen. Es gibt keine Auswahl mehr. Der Markt ist leergefegt. Bereits 2016 wurde der Mangel an qualifizierten Bewerber*innen von den Autoren der damaligen Studie als dramatisch beschrieben. Nun hat er sich nochmals verschärft.

Angesichts der ebenfalls rückläufigen Zahlen der Studierenden im Voll- und Lehramtsstudium der katholischen Theologie ist nicht zu erwarten, dass sich der Nachwuchsmangel in den kommenden fünf Jahren entspannen wird. Wie aber könnte man versuchen, dem rückläufigen Trend entgegenzuwirken? Ein erster Ansatz wäre, die Töpfe zu vergrößern, aus denen die Kandidat:innen für eine Promotion gewonnen werden. Dazu müsste beispielsweise Lehramtsstudent:innen eine einfachere Möglichkeit geboten werden, im Dr. theol. zu promovieren. Bisher müssen in den meisten Fällen umfangreiche Leistungen nachgeholt werden, um einen Stand äquivalent zum:zur Magister*Magistra theologiae zu erreichen. Hier gibt es an verschiedenen Universitäten bereits Programme, die den Übergang strukturieren. Diskutiert wird aber auch zurecht, wie die Anforderungen verantwortlich gesenkt werden können.

Der Kern des Nachwuchsproblems wird aber in der Gruppe derer zu suchen sein, die eine Promotion oder Habilitation begonnen, sie aber nicht zu Ende gebracht haben. Gegenüber den bei der letzten Erhebung (2016) als laufend gemeldeten Promotionen machen die seitdem tatsächlich abgeschlossenen Promotionen nur 44% aus. Mehr als die Hälfte der damaligen Promovend:innen haben ihre Arbeit 2021 (noch) nicht abgeschlossen. Die Marke von 50% wurde damit erstmals unterschritten. Bei den Habiliationen bleibt die Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Projekte mit 58% seit 2011 zwar recht stabil. Sowohl bei den Habilitationen als auch bei den Promotionen gibt es aber weniger katholische Theolog:innen, die überhaupt eine Arbeit begonnen haben, sodass in den kommenden Jahren – sollte die Abschlussquote nicht deutlich steigen – voraussichtlich noch weniger Qualifikationsarbeiten fertig gestellt werden als bisher.

Wie anderswo, nur noch härter

Nun hat die Studie zum wissenschaftlichen Nachwuchs quantitative Daten erhoben, um die oben dargestellten Entwicklungen abzubilden, jedoch die möglicherwiese zugrundeliegenden Ursachen – etwa für die hohe Zahl der Abbrüche – nicht untersucht. Immerhin wird man in einer ersten Annäherung an eine kausale Deutung der Daten davon ausgehen können, dass Probleme, die in den wissenschafts- und kirchenpolitischen Debatten der vergangenen Jahre deutlich herausgestellt worden sind, sich auch in der katholischen Theologie auswirken.

Unter dem Hashtag #IchBinHannah kritisieren Mitglieder der wissenschaftlichen Community Missstände des deutschen Wissenschaftssystem, die auch den wissenschaftlichen Nachwuchs in der hiesigen katholischen Theologie betreffen dürften. Sie benennen unter anderem, dass von ihnen eine hohe Flexibilität erwartet wird, die wissenschaftliche Laufbahn bis zur Erlangung der Professur gleichzeitig aber kaum planbar und die Zukunftsperspektive unsicher ist. Die hohe Zahl befristeter Verträge für wissenschaftliche Mitarbeiter:innen stellt einen Hinderungsgrund besonders für jene Wissenschaftler:innen dar, die eine Familie gründen wollen.

Zuletzt wurden die Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter:innen 2010 bis 2021 um 50% deutlich ausgebaut. Bis 2016 ging damit eine Abnahme des durchschnittlichen Stellenumfangs einher. Es gab mehr Stellen, die aber mit einer geringeren durchschnittlichen Stundenzahl und damit mit weniger Gehalt ausgestattet waren. Von 2016 bis 2021 stieg die Zahl der Stellen aber bei gleichbleibendem durchschnittlichem Stellenumfang. Das erfüllt den Wunsch nach unbefristeten Stellen vor allem für die berufliche Laufbahn ab dem Post-Doc nicht. Dennoch wurde damit eine Möglichkeit der Finanzierung einer Promotion aufgestockt und mehr Interessent:innen geöffnet. Die Theologie profitierte hier vom allgemeinen Stellenaufbau an allen staatlichen Universitäten.

Was können die Bistümer tun?

Einen Beitrag zur Absicherung der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen zu Beginn der akademischen Laufbahn und gleichzeitig eine sichere berufliche Perspektive können auch die katholischen (Erz-)Bistümer in Deutschland bieten. Man wird annehmen dürfen, dass ein Großteil der Theologiestudent:innen mit dem Ziel antritt, in den pastoralen Dienst einzutreten. Immerhin ist das eine der wenigen sicheren Berufsperspektiven, die das Studium bietet. Vor der Anstellung zum Beispiel als Pastoralreferent:in steht eine dreijährige praktische Ausbildung, sodass die Entscheidung für den Dienst im Bistum eine Promotion in der Regel zunächst ausschließt.

Die Bistümer können aber einen Rahmen zu schaffen, in dem die Promotion nach der Ausbildung bei fortlaufender bezahlter Vollanstellung als sichere Perspektive angeboten und ermöglicht wird. Tatsächlich ist die Freistellung pastoralen Personals zu Promotionszwecken bereits gängige Praxis. Auf Nachfrage bei allen deutschen (Erz-)bistümern haben jene 22 (Erz-)bistümer, die auf die Anfragen reagiert haben, angegeben, pastorales Personal bei fortlaufender Gehaltszahlung freigestellt zu haben. Von den Freistellungen profitieren aber vor allem Priester. Nur neun der (Erz-)Bistümer berichten von freigestellten Laienmitarbeiter:innen. Nur in einem Fall handelt es sich um eine Laienmitarbeiterin. Auch im Umfang der Freistellung bestehen deutliche Unterschiede zugunsten der Priester. Die Freistellung pastoraler Mitarbeiter:innen hat also ein ständekirchliches Profil.

Die Förderung der wissenschaftlichen Karriere von Priestern mag ihre Wurzeln in dem Anliegen haben, dass ein Großteil des Lehrpersonals in der katholischen Theologie Priester sein soll. Dieses Ziel wird angesichts des immer kleiner werdenden Anteils der Priester in den Professorien aber zunehmend unrealistisch. Wenn die Diözesen ihren Teil zum Aufbau des wissenschaftlichen Nachwuchses in der katholischen Theologie beitragen wollen, sollten sie das Instrument der Freistellung für Laienmitarbeiter*innen breiter öffnen, die Freistellung vom Einzelfall zum fest etablierten und eingeplanten Angebot machen, und für die Promotion werben.

So verlieren sie Personal aus der Praxis an die Hochschulen, gewinnen aber mit einem attraktiven Angebot womöglich auch solche Absolvent:innen, die sich heute ausschließlich für eine Promotion entscheiden würden, und später womöglich promovierte Theolog:innen, die sich gegen den Verbleib in der Wissenschaft entschieden haben. Den Bistumsleitungen kann schließlich nur daran gelegen sein, dass ihr pastorales Personal auf theologisch hohem Niveau sprachfähig ist. Auf der anderen Seite gehört zur Ermöglichung der Promotion in teilberuflicher Form auch die weniger ortsgebundene Ausrichtung des Promotionsangebots durch die Fakultäten.

Die Probleme reichen tiefer: Diversität und Geschlechtergerechtigkeit

Von dieser Möglichkeit profitieren aber nur jene, die sich eine Anstellung, die vom Wohlwollen kirchlicher Autoritäten abhängig ist, überhaupt noch vorstellen können. Die Kirche und mit ihr die katholische Theologie hat nicht nur als Arbeitgeberin angesichts der schleppenden Aufarbeitung der Fälle sexualisierter Gewalt sowie ihrer Vertuschung, des problematischen Umgangs kirchlicher Arbeitgeber mit Diversität, römischer Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit und die verweigerte Gleichstellung von Frauen auf allen Hierarchieebenen an Ansehen verloren.

Insbesondere junge Theologinnen und queere Theolog:innen werden sich die Frage gestellt haben, welche Zukunftsperspektiven eine Qualifizierung für die akademische Laufbahn in der katholischen Theologie für sie noch bieten kann.

Auch dies indizieren Daten der Erhebung, wonach Frauen einen deutlich geringeren Anteil der Promovend:innen (38%) und Habilitand:innen (31%) ausmachen. Markant ist der jeweils große Schritt vom Anteil an den Promovend:innen zum Anteil an den Promovierten (38% > 26%) und vom Anteil an den Sich-Habilitierenden zum Anteil an den Habilitierten (31% > 13%). Frauen weisen mit 31% die niedrigste Abschlussquote für Promotionen hinter den männlichen Laien (47%) und den Priestern (60%) auf. Mit knapp einem Fünftel unterbietet auch der Anteil der Frauen am Professorium der katholischen Theologie in Deutschland (26%) den Frauenanteil in allen universitären Fächern 2021. Das ist bemerkenswert, weil es mehr Theologiestudent:innen als Studenten gibt.

Das Phänomen des Rückgangs des Frauenanteils mit steigender Qualifikationssufe kommt in allen universitären Fächern vor, in der katholischen Theologie ist er aber ausgeprägter als im Durchschnitt der universitären Fächer insgesamt und deutlich ausgeprägter als in den Geisteswissenschaften zusammengenommen. Das lässt vermuten, dass in der katholischen Theologie spezielle Faktoren wirksam sind, die Frauen davon abhalten, ihr wissenschaftliches Qualifikationsprojekt erfolgreich abzuschließen.

Das Bewusstsein für dieses Problem wächst. Die Junge Agenda, ein Zusammenschluss junger Theologinnen, sammelt Erfahrungen junger Wissenschaftlerinnen in der katholischen Theologie und veröffentlicht sie. Programme auch mit Unterstützung der Deutschen Bischofskonferenz zur Unterstützung junger Frauen in Theologie und Kirche sind aufgelegt. Diese Bemühungen müssen von einem öffentlich wahrnehmbaren Kulturwandel hin zu mehr Respekt vor Diversität in der katholischen Kirche flankiert werden.

Die Zukunft ist fraglich

Es sind aber nicht nur die Zahlen des postgradualen wissenschaftlichen Nachwuchses, die der katholischen Theologie Sorge bereiten dürften. Angesichts sinkender Studierendenzahlen erst recht im Vollstudium aber auch im Lehramtsstudium, werden die Universitätsleitungen Finanzierungen katholischer Fakultäten und nicht-fakultärer Einrichtungen prüfen. Insgesamt werden im gesellschaftlichen Diskurs die Stimmen lauter, die die staatlichen Leistungen für die katholische Kirche in Frage stellen.

Die Verantwortungsträger*innen in der Theologie müssen sich überlegen, wie sie den Studiengang so attraktiv gestalten, dass die Zahl der Student:innen wieder steigt. Auch dies ist eine Frage der Berufsaussichten. Alternativ müssen Pläne her, wie die Lage der katholischen Theologie konsolidiert werden kann. In jedem Fall sollte die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses mitgedacht und ausgebaut werden.


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