Tag der Profi-Pflege – Die #LaTdH vom 12. Mai
Zum #IND2024 stehen die professionelle Pflege und ihre Probleme im Fokus. Deshalb übernimmt Anja Katharina Peters, Professorin für Pflege / Pflegewissenschaft, in dieser Woche die #LaTdH.
Haben Sie es heute schon in Ihrem Social Media-Account gelesen? – Heute begehen wir nicht nur den Sonntag Exaudi, sondern heute wird von Krankenkassen, Verbänden, einigen Politiker:innen und Arbeitgebern sowie von Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden zum „Tag der Pflege“ gepostet. Und weil wir schon dabei sind, eröffnen wir in Sachsen mit Klang & Schall die „Woche der [bei weitem nicht ausreichend anerkannten] pflegenden Angehörigen“. „An diesem Tag der Pflege, der mit dem Muttertag zusammenfällt“, erklärt Maria Loheide, Vorständin für Sozialpolitik der Diakonie Deutschland, „gilt mein besonderes Augenmerk der häuslichen Pflege durch Angehörige.“
An dieser Stelle muss ich etwas geraderücken, und damit herzlich willkommen zu einer #LaTdH-Ausgabe, die als Gastautorin zu gestalten ich die Ehre habe. Heute ist #IND2024 – International Nurses Day und das ist nicht der Tag der professionellen Pflege und Pflegeassistent:innen und Angehörigen-/Zugehörigenpflege, sondern ausschließlich der Tag all jener, die eine mindestens dreijährige Pflegeausbildung bzw. ein Pflegestudium absolviert haben.
Damit soll weder das berufliche Engagement von einjährig Ausgebildeten oder der un- und angelernten Mitarbeiter:innen negiert noch die Leistung der vielen An- und Zugehörigen (meistens Frauen) vernachlässigt werden, aber am Welttag der Hebammen am 5. Mai werden eben auch jene gefeiert und nicht jede:r, die/der als Doula arbeitet oder der eigenen Schwester bei der Geburt ihres Jüngsten beigestanden hat. Meines Wissens gibt es heute in Dresden keine „Zentrale Würdigungsveranstaltung“ für Pflegefachleute. Aber die stehen ja auch am Stand im OSTRA-DOME in Dresden und werben bei pflegenden An- und Zugehörigen für ihre Arbeitgeber.
Professionelle Pflege anno domini 2024 ist ein wissenschaftsbasierter Beruf, der „die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften, sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings) [umfasst]. Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein. Weitere Schlüsselaufgaben der Pflege sind Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse (Advocacy), Förderung einer sicheren Umgebung, Forschung, Mitwirkung in der Gestaltung der Gesundheitspolitik sowie im Management des Gesundheitswesens und in der Bildung.“
So weit die Definition von Pflege (PDF) des International Council of Nurses. Die Berufsgruppe der professionell Pflegenden – Altenpfleger:innen, Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpfleger:innen, (Kinder-)Krankenschwestern/-pfleger, Pflegefachfrauen/-männer/-personen – betreut jede:n von uns an irgendeinem Punkt des Lebens und häufig in krisenhaften Situationen, hat uns in den Hochphasen der COVID-19-Pandemie gerettet und häufig bitter dafür bezahlt und ist weltweit eine ausgesprochen knappe und dringend benötigte Ressource im Gesundheitswesen. Ich finde, dass Pflegefachleute wenigstens diesen einen Tag für sich haben sollen.
Einen guten Start in die Woche wünscht
Ihre Anja Katharina Peters
PS: Bitte schenken Sie kein Merci. Die meisten von uns können es nicht mehr sehen.
Debatte
Ich möchte Sie anlässlich des #IND in ausgewählte laufenden Debatten um die Pflege und Pflegeberufe mitnehmen. Gelegentlich finden diese Eingang in Nachrichtensendungen und werden auch auf Social-Media-Plattformen diskutiert. Vor allem dann, wenn etwas schiefgelaufen ist. Das führt dazu, dass die Hintergründe des Pflegenotstands häufig unterbelichtet bleiben.
Personalmangel: Von Leiharbeit und Flexibilität
Vor einigen Tagen vermeldeten die Kliniken Beelitz, dass sie seit dem 1. Januar 2024 vollständig auf Leiharbeit in der Pflege verzichten würden. Die Klinik beschreibt rückläufige Ausfallzeiten, bessere Organisation, mehr finanzielle Spielräume und eine verbesserte Kompetenz der Mitarbeiter:innen. Anscheinend ist der Verzicht auf Leiharbeit die Lösung für fast alle Probleme im Pflegesektor des Hauses. Allerdings müssen die Kliniken auch eingestehen, dass dennoch nicht alle Stationen zu 100% ausgelastet werden können, weil es eben doch an Personal fehlt.
Der grassierende Personalmangel in der Pflege – mindestens 280 000 zusätzliche Pflege“kräfte“ (keine definierte Berufsbezeichnung) bis 2024 in Deutschland, 13 Millionen weltweit in den kommenden Jahren – führte zur ebenfalls grassierenden Leiharbeit. Wenn man die Verlautbarungen der letzten Jahre zu diesem Thema verfolgt hat, kann man zu dem Schluss kommen, dass Leiharbeit die Wurzel allen Übels in der Pflege wäre. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) twitterte bereits im März 2023:
„Die Leiharbeit in der Pflege nimmt zu und schwächt die Stammbelegschaften. Alle Pflegekräfte sollten besser verdienen. Daran arbeiten wir mit Tariftreue zB. Der Gewinn der Leiharbeitsunternehmen fehlt in der Pflege selbst.“
Im Mai 2023 – kurz vor dem damaligen #IND – unterstützte die Diakonie das Ansinnen des Ministers:
„Die Zunahme der Leiharbeit in der Alten- und Langzeitpflege geht zu Lasten Pflegebedürftiger, der Pflegekräfte und der Pflegeeinrichtungen. Sie konterkariert die bisherigen Maßnahmen zur Verbesserung der Situation in der Pflege und belastet das ohnehin bedrängte System weiter: Für die Stammbelegschaft bedeutet die Zunahme von Leiharbeit die Übernahme zusätzlicher Aufgaben, die benötigte Einarbeitung von Leiharbeitspersonal und die Übernahme von Wochenend- und Nachtdiensten. Dies bringt Betriebsfrieden und -abläufe dauerhaft in Gefahr. Pflegebedürftige sehen sich durch den Anstieg von Leiharbeitnehmer:innen in Pflegeeinrichtungen mit häufig wechselnden Ansprechpartner:innen konfrontiert. Dies widerspricht einem professionellen Verständnis von Pflege und kann die Qualität der Pflegeleistungen verringern.“
Und die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA) ließ ihren Schatzmeister im Dezember 2023 schreiben:
„Es kann nicht sein, dass sich Leiharbeiter die besten Schichten rauspicken können, während die Stammbelegschaft Nacht- und Wochenendschichten schieben muss.“
Während also das Gesundheitssystem seit Jahren auf Markt getrimmt wird und das Sozialsystem selbigem und seinen Schwankungen angepasst wird, sind Pflegefachpersonen, die Gesetze des Marktes (Angebot und Nachfrage) für sich nutzen, eine zusätzliche Belastung für Team und Kosten, anstrengend für pflegebedürftige Menschen und eigentlich überhaupt unsolidarisch. Es wird spannend sein zu sehen, was die Bundesregierung aus dem Appell des Bundesrates machen wird, die Zeitarbeit in der Pflege einzugrenzen.
Nun ist fraglich, ob Pflegefachpersonen, die sich eben genau wegen der mit Leiharbeit verbundenen Freiheit für diese entschieden haben, sich mit technischen Hilfsmitteln (die 2024 selbstverständlich sein sollten) und Tarifgehalt in das Dreischichtsystem zurücklocken lassen. Vielleicht ist es ja an der Zeit, endlich Pflegefachpersonen auch als potentielle „unternehmerisch tätige Einzelpersonen“ zu betrachten und wie alle Existenzgründer:innen zu fördern? Wir könnten auch über aufsuchend-autonom handelnde und eigenständig abrechnende Pflegefachpersonen im Quartier nachdenken. Aber das wäre a) aktive Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention und b) revolutionär und c) allein schon deswegen eine ganz neue Debatte. Die aber spätestens seit dem Alleinlassen tausender nicht krankenhauspflichtiger COVID-19-Patient:innen geführt werden sollte.
Pflege: Ein Beruf für hochqualifiziertes Personal
Ein solch selbständiges Pflegehandeln bedarf jedoch hochqualifzierter Pflegefachpersonen mit Hochschulabschluss. Wir erwarten auch, dass unser:e Hausärztin/-arzt über einen Hochschulabschluss verfügt. In Deutschland hält sich aber hartnäckig die Vorstellung, dass man in der Pflege vor allem das praktische Tun (meist bezogen auf Körperreinigung) beherrschen und ganz viel Herz haben möchte. Doch wenn man das Patient:innen-Outcome in allen Settings verbessern und eine hochwertige Versorgung in der zunehmend hochkomplexen Langzeitpflege sicherstellen möchte, kommt man an der (international) üblichen Akademisierung der Pflege nicht vorbei.
Entgegen des landläufigen Vorurteils, dass Pflegestudierende einfach nicht mehr „am Bett“ sein wollen (Betten sind auch einigermaßen langweilig, eigentlich wollen wir mit den Patient:innen und Bewohner:innen arbeiten.) und sich zu „fein zum Waschen“ wären (Ziemlich viele Pflegetätigkeiten beinhalten keinen Waschlappen.), zeigte die VAMOS Verbleibstudie bereits 2019, dass Pflegefachpersonen mit Hochschulabschluss mehrheitlich in der direkten Versorgung tätig werden möchten – wenn man sie denn lässt. Am 23. Mai 2024 wird sich der 13. Pflegefachtag an der Evangelischen Hochschule Dresden mit dem vermeintlichen Spannungsfeld von akademischem Elfenbeinturm und pflegepraktischem Handeln befassen.
Geschlechterverteilung in der Pflege
An der Evangelischen Hochschule Dresden macht sich derzeit das Projekt PEPe daran, die Geschlechterverteilung in der Pflege ausgewogener zu gestalten: In Schnupperkursen an Wochenenden können junge Männer ab 16 Jahre am Lernort Hochschule pflegepraktisches Handeln ausprobieren. Wer intensiver ausprobieren möchte, ob ein Pflegestudium etwas für ihn sein könnte, kann in den Sommerferien drei Wochen lang einen Pflegediensthelferkurs inklusive Erste-Hilfe-Lehrgang absolvieren.
Dabei unterscheidet sich dieser Kurs von anderen Angeboten darin, dass die Inhalte zwar niedrigschwellig, aber konsequent evidenzbasiert sind. Ziel ist nicht, Helfer anzulernen, sondern jungen Männer zu ermöglichen, sich drei Wochen lang mit Pflege im Kontext von Männlichkeitsvorstellungen auseinanderzusetzen und vielleicht zu dem Schluss zu kommen: „Modern Men Do Care“. Anmeldungen für den Sommerkurs 2024 sind noch per E-Mail möglich.
nachgefasst
Der 12. Mai ist als #IND gleichzeitig der Geburtstag von Florence Nightingale (1820-1910). Die fromme Dame aus der Oberschicht gelangte als „Engel von der Krim“ zu Berühmtheit. Anhand ihres Buches „Bemerkungen zur Krankenpflege“ wurde sie posthum (aus meiner Sicht etwas bemüht) zur ersten Pflegetheoretikerin ausgerufen, dabei reichen ihre Verdienste in der Statistik, um das Militärgesundheitswesen und um die Neugestaltung der Pflegeausbildung in den englischsprachigen Ländern völlig aus, um sie zu den Großen unseres Berufsstandes zu zählen.
Allerdings würde ich gerne mal nachfragen, was eigentlich aus den Diskussionen um Nightingales durchaus zeittypischen, aber nicht weniger abstoßenden Rassismus und Kolonialismus geworden ist. Ich habe den Eindruck, dass Nightingale so felsenfest in das kollektive Berufsverständnis einzementiert worden ist, dass jegliche kritische Auseinandersetzung als Bilderstürmerei verstanden wird. In Deutschland haben wir die Kritik aus Australien und Neuseeland an der Nightingale-Verehrung ohnehin nicht wahrgenommen.
Andererseits haben wir bis vor kurzem auch die Sorbin Marie Simon / Marja Simonowa ignoriert und damit komme ich zu …
Buntes
Wer Florence Nightingale kennt, kommt in Deutschland an Marie Simon / Marja Simonowa (1824-1877) vorbei. Oder sollte nicht vorbeikommen, aber leider wurde Simon / Simonowa ziemlich vergessen. Dabei war Simon / Simonowa eine der Begründerinnen der säkularen Pflege in Dresden, eine der Stammmütter des Roten Kreuzes in Sachsen und ihr Pflegelehrbuch ist den Lesekundigen in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek erhalten geblieben. Am 12. Mai 2023 wurde ihre restaurierte Grabstelle auf dem Trinitatis-Friedhof durch das DRK Sachsen e.V. an die Öffentlichkeit übergeben.
An besagtem Grab führt ein QR-Code zur Website des DRK in Sachsen und wer heute Lust auf ein bisschen Pflege-LARP hat und vielleicht sowieso noch nicht weiß, was es zu essen geben soll, kann sich durch die Rekonvaleszenzrezepte nach Marie Simon / Marja Simowa kochen.
„Diese angeführten Speisen sind selbst für verwöhnte Rekonvaleszenten ausreichend; werden weitere Delikatessen gewünscht und erlaubt, so geben Kochbücher die Anleitung dazu, doch müssen scharfe Gewürze und alle ins Blut gehende, reizende Sachen vermieden werden.“
Noch mehr Rezepte und vor allem spannende Egoberichte aus der Kriegskrankenpflege und auch ein paar Rezeptvorschläge finden sich in Marie Simons / Marja Simonowas Tagebüchern und Briefen, die 2024 neu herausgegeben wurden. Derzeit forschen zwei Studierende der Evangelische Hochschule Dresden zu verschiedenen Aspekten in Simons / Simonowas Pflegelehrbuch. Sie werden ihre Ergebnisse am 16. November 2024 im Rahmen der gemeinsamen Tagung von DRK Sachsen e.V. und der Sektion Historische Pflegeforschung in Dresden vorstellen.
Theologie
Diakoninnen in den Startlöchern
Während der Pflegeberuf in Deutschland zu knapp 85% weiblich besetzt ist, schafft es eine andere Berufsgruppe, zu 100% männlich gelesen zu werden: Die Frauenquote im römisch-katholischen Klerus stagniert seit etwa 2000 Jahren auf Nulllinie. In den letzten Jahrzehnten wurde zunächst vereinzelt und in den vergangene Jahren verstärkt darüber diskutiert, Frauen zumindest zum Diakonat zuzulassen. Während in Rom die mittlerweile zweite Kommission unter Papst Franziskus darüber berät, wie und ob überhaupt das Frauendiakonat sein darf, bereiten sich einige Frauen in Deutschland bereits auf den Tag X vor und lassen sich zu Diakoninnen ausbilden, berichten Angelika Prauß und Roland Juchem von der KNA.
Dabei steht überhaupt nicht fest, a) ob dieser Tag X kommen wird und ob er b) ein Freudentag sein oder c) einen Sündenfall darstellen wird. Auf Letzteres lassen zumindest etliche Reaktionen (ultra-)konservativer Geschwister auf X (der Social Media-Plattform, die mal Twitter hieß) schließen, als vor einigen Tagen eine Meldung aus Simbabwe für (kircheninterne) Schlagzeilen sorgte: Der griechisch-orthodoxe Bischof Serafim weihte am orthodoxen Gründonnerstag am 2. Mai Angelic Molen zur Diakon in Harare. Innerhalb der orthodoxen Kirchen waren nicht alle „Twitter“-User glücklich über diese Entwicklung, aber auch in römisch-katholischen Kreisen dürfte diese Weihe für Stirnrunzeln gesorgt haben. Domradio-Redakteur Renardo Schlegelmilch fasst treffend zusammen:
„Frauenweihe geht nicht, da würden uns die Orthodoxen aufs Dach steigen.“ Wie oft habe ich das Argument die letzten Jahre gehört…
Da Simbabwe zum Griechisch-Orthodoxen Patriarchat von Alexandria und ganz Afrika gehört, das im Ranking der Patriarchate an dritter Stelle steht, lässt sich das nicht einfach wegignorieren. Allerdings beanspruchen auch die koptische und die katholisch-koptische Kirche das Patriarchat für sich, die beide keine Frauen weihen. Vielleicht sucht sich einfach jede Seite in dieser Diskussion ihren Patriarchen aus? Innerhalb der Orthodoxie soll die Weihe von Angelic Mole jedenfalls positiv aufgenommen worden sein. Die Armenische Apostolische Kirche weihte übrigens bereits 2018 in Teheran Ani-Kristi Manvelian zur Diakonin.
Predigt
An dieser Stelle wird in den #LaTdH manchmal auf bemerkenswerte Predigten verwiesen. Da ich als Christin in der römisch-katholischen Kirche selbst mit Theologiestudium nicht predigen dürfte und diese Ausgabe ohnehin mir „gehört“, nutze ich die Gelegenheit und kapere auch noch die Predigt.
„Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.“ (Lukas 10,35)
Der Barmherzige Samariter ist ein bisschen wie ein großer Bruder, den ich gleichermaßen liebe wie er mir auch auf die Nerven geht. Er ist der Inbegriff der Empathie, Zugewandtheit, Nächstenliebe und zudem Namensgeber heutiger hiesiger Samariter:innen. Dass dieses Vorbild in Barmherzigkeit und Krankenversorgung auch noch einer benachteiligten Minderheit angehört, sollte der Einen oder dem Anderen, die/der christliche Werte für etwas autochthon Deutsches und ein bürgerliches Ideal hält, zu denken geben.
Aber ich finde ihn auch schwierig: Das von Jesus vorgestellte Ideal ist nicht nur zum Ansporn geworden – vielmehr prägt das hier gezeichnete Bild selbstloser Aufopferung und der barmherzigen Extrameile bis heute den gesellschaftlichen Anspruch an Pflegefachpersonen. Dass der Samariter helfen kann, weil er die Ressourcen – Wissen, Material, Budget, Zeitorganisation – hat, wird bei der Vermittlung dieses Klassikers der erbaulich lehrreichen Bibeltexte unterschlagen.
Es ist wohlgetan, dem Samariter als Rollenmodell nachzufolgen. Wenn wir dieses Ideal jedoch ernstnehmen, müssen wir dafür sorgen, dass wir im Stande dazu sind. Auch wenn das bedeutet, die Sanftmut und vor allem den „Engel“ oder die „Dame“ in uns hintan zu stellen. Um es mit jemandem zu sagen, der Jesus aus tiefer innerer Überzeugung nachfolgte: „Tuet Gutes um Eurer selbst willen!“ (Johannes von Gott, 1495-1550) – Fordert laut und deutlich, dass man Euch, liebe Kolleg:innen, gut ausgestattet professionell arbeiten lässt – auch im Sinne Eurer Sinnfindung und Arbeitszufriedenheit.
Und setzt Ihr, liebe Geschwister im Herrn mit (potentiellem) Pflegebedarf, Euch dafür ein, dass Pflegefachpersonen gut ausgebildet, wissenschaftsbasiert und mit entsprechenden materiellen, personelle und zeitlichen Ressourcen arbeiten können – um Eurer selbst willen. – Amen.
Ein guter Satz
„Wenn wir recht bedenken würden, wie groß das Erbarmen Gottes ist, so würden wir nie unterlassen, das Gute zu tun.“
– Johannes von Gott