„Ich verstehe, dass Kirchengemeinden helfen wollen“
Über das Urteil zum Kirchenasyl des Oberlandesgerichts München und die Konsequenzen für Geflüchtete haben wir mit Petra Albert, der Migrationsbeauftragten der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), gesprochen
Eule: Das OLG München hat in seiner Entscheidung vom Donnerstag festgestellt, dass das Kirchenasyl kein eigenes Rechtsinstitut darstellt und damit kein Anspruch auf Duldung verbunden ist. Was bedeutet das für die Menschen, die z.B. in der EKM Kirchenasyl in Anspruch nehmen?
Albert: Nichts. Dass Kirchenasyl nicht in der geltenden Rechtsordnung verankert ist, war auch vor dieser Entscheidung des OLG München allen Beteiligten klar.
Eule: In der vorherigen Instanz (Amtsgericht Freising) wurde geurteilt, dass das Kirchenasyl ein „inlandsbezogenes Abschiebehindernis“ darstellt, das sehr wohl einen Duldungsanspruch begründet. Das OLG hat dem jetzt widersprochen. Ist das Urteil als Rückschlag zu werten, was die Akzeptanz des Kirchenasyls angeht?
Albert: Das OLG München hat dem Urteil des Amtsgerichts Freising nicht widersprochen. Der Freispruch des Angeklagten Evans I. wurde vom OLG München bestätigt. Das OLG München hat ausgeführt, dass Evans I. sich im Kirchenasyl nicht wegen illegalen Aufenthalts strafbar gemacht hat. Grund dafür ist laut Ansicht des OLG München eine zwischen Vertretern der katholischen und evangelischen Kirche und dem BAMF getroffene Vereinbarung, an die sich die Kirchengemeinde bei der Gewährung von Kirchenasyl für Evans I. gehalten hat. Aus meiner Sicht stärkt das Urteil die Vereinbarung zwischen dem BAMF und den Kirchen.
Auf der anderen Seite hat das OLG München klargestellt, dass der Freispruch von Evans I. nicht bedeutet, dass die Gewährung von Kirchenasyl grundsätzlich straffrei sei. Aus der Einzelentscheidung lässt sich keine generelle Straffreiheit ableiten. Das Entscheidende aus Sicht des OLG München ist, so wie ich das Urteil verstehe, die Vereinbarung zwischen dem BAMF und den Kirchen.
Eule: Was soll mit dem Kirchenasyl denn bewirkt werden?
Albert: Kirchengemeinden gewähren Kirchenasyl, wenn sie davon überzeugt sind, dass der betroffenen Person/ den betroffenen Personen im Fall einer Abschiebung Gefahr für Leib und Leben, eine schwere Menschenrechtsverletzung oder eine sonstige unzumutbare Härte droht. Mit der Gewährung von Kirchenasyl soll genau das verhindert werden.
Eule: Im konkreten Fall von Evans I. urteilte das OLG, dass kein illegaler Aufenthalt vorliegt, weil das BAMF den Fall erneut prüfe. Verbindet sich mit dem Kirchenasyl häufig die Hoffnung, die zuständigen Stellen mögen ihre Ausweisungsentscheidung noch einmal korrigieren?
Albert: Ja, natürlich.
Eule: Viele Menschen, die Kirchenasyl in Anspruch nehmen, sind sog. Dublin-Fälle, d.h. sie sind über ein anderes europäisches Land eingewandert, in das sie nach dem Dublin III-Abkommen abgeschoben werden sollen. Warum ist das in den Augen vieler Gemeinden eine schlechte Idee?
Albert: Bei der Gewährung von Kirchenasyl geht es immer um Einzelschicksale, das heißt Kirchengemeinden schauen immer auf den konkreten Einzelfall. Die Gründe für die Gewährung von Kirchenasyl sind somit vielfältig.
Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele: Manchmal erkennen Behörden traditionelle Eheschließungen nicht an und wollen einen Partner abschieben und somit die Familie trennen, obwohl es vielleicht sogar ein gemeinsames Kind gibt.
In einem anderen Fall wurde zum Beispiel der Asylantrag einer jungen Familie mit zwei kleinen Kindern aus Afghanistan in einem anderen Land der EU abgelehnt und ihnen droht nun sehr akut die Abschiebung nach Afghanistan, denn dieses andere Land schiebt – anders als Deutschland – auch Familien nach Afghanistan ab.
Oder eine junge Person ist durch die Flucht schwer traumatisiert, hat in einem anderen Land der EU keine Unterkunft bekommen, hatte keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, sondern war gezwungen in vollständiger Unsicherheit auf der Straße zu leben, aber diese Person hat vielleicht sogar enge Familienangehörige in Deutschland, die ihr Halt geben. Ich verstehe, dass Kirchengemeinden in solchen Fällen helfen wollen.
Eule: In der EKM leben zurzeit 30 Menschen im Kirchenasyl, wie stellt sich die Situation dar?
Albert: Menschen im Kirchenasyl bekommen keine Sozialleistungen, sie sind nicht krankenversichert, sie können nicht selbst einkaufen gehen oder das kirchliche Grundstück verlassen. Das bedeutet, Menschen im Kirchenasyl inhaftieren sich sozusagen selbst. Sie sind auf Unterstützung durch Ehrenamtliche angewiesen. Schulpflichtige Kinder können aber in Absprache mit den Behörden die Schule besuchen.
Eule: Nicht alle Menschen in unserem Land haben Verständnis für das „Sonderrecht“ der Kirchen Asyl zu gewähren. Es gibt immer wieder Proteste und es gab auch schon Angriffe auf Kirchen. Wie kommen die betroffenen Gemeinden damit zurecht?
Albert: Der Begriff „Kirchenasyl“ ist missverständlich. Aus diesem Grund möchte ich klarstellen, dass Kirchen kein Asyl gewähren. Asyl zu gewähren ist Sache der Behörden/ des Staates. Kirche fordert auch kein eigenes Asylrecht. Darum geht es uns nicht.
Kirchengemeinden, die Kirchenasyl gewähren, wollen die befürchteten, als unzumutbar angesehenen Härten mindern, das ist das Ziel. Angriffe auf Kirchen im Zusammenhang mit der Gewährung von Kirchenasyl sind mir aus dem Raum der EKM nicht bekannt. Ich erlebe im Gegenteil immer wieder eine große Hilfsbereitschaft.
Eule: Wie schätzen sie die politische Rückendeckung für das Kirchenasyl im Raum der EKM ein?
Albert: Wenn die Kirchengemeinden sich entsprechend der zwischen den Kirchen und dem BAMF getroffenen Absprachen zum Kirchenasyl verhalten, respektieren die Behörden und Ministerien die Gewährung von Kirchenasyl. Dafür sind wir sehr dankbar.
Eule: Was können Christen konkret tun, um sich für das Kirchenasyl und die betroffenen Familien und Gemeinden einzusetzen?
Albert: Zunächst einmal: Kirchenasyl ist ein Sonderfall christlich-humanitären Engagements für geflüchtete Menschen und nicht die Regel. Christen können auch ohne Kirchenasyl viel dazu beitragen, dass geflüchtete Menschen den Krieg in ihren Herkunftsländern gut überleben können. Aber wenn es zum Kirchenasyl kommt und Sie sich dabei mit engagieren wollen, dann fragen Sie doch einfach Ihren Pfarrer/ ihre Pfarrerin, welche Hilfe und Unterstützung gerade am dringendsten ist.
Das Interview führte Philipp Greifenstein.