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Jage dem Frieden nach – aber wie?

In der evangelischen Kirche wird über den Frieden gestritten. Die neue EKD-Friedensdenkschrift wird kontrovers aufgenommen und es gibt auch Impulse aus der Ökumene.

Thomas Wystrach

Liebe Eule-Leser:innen,

während ich mich auf dem Weg zur 478. Sitzung der Synodalvertretung des Katholischen Bistums der Alt-Katholiken in Deutschland befinde, ist Philipp Greifenstein wieder von der journalistischen Begleitung der Synodentagung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Dresden zurückgekehrt. Hier in der Eule hatte er bereits vorab den Stand der Debatte bei den wesentlichen Themen – Kirche und Macht, Klimaschutz, Missbrauch, Friedensethik – umrissen. Über die Befassung der EKD-Synode mit dem Thema sexualisierte Gewalt hat Philipp hier in der Eule berichtet.

Kriege, Krisen und Konflikte nehmen weltweit zu. Der Rat der EKD hat deshalb eine neue Friedensdenkschrift unter dem Titel „Welt in Unordnung – Gerechter Friede im Blick“ (PDF) veröffentlicht, die Impulse für die Suche nach einer angemessenen christlichen Friedensethik für das 21. Jahrhundert bieten will. Die EKD will mit der neuen Denkschrift an ihren friedensethischen Grundüberzeugungen und der Vision eines Gerechten Friedens festhalten, ohne die Realität von Gewalt und Bedrohung zu leugnen.

Gestritten wird im Nachgang der Veröffentlichung nun nicht allein über die Neuakzentuierung beim Schutz vor Gewalt auch mit militärischen Mitteln, sondern vor allem über die Stellung des christlichen Pazifismus und die Haltung der evangelischen Kirche zu Atomwaffen. Wie Philipp Greifenstein in der Eule bereits geschrieben hat, bleibt die Friedensethik eine Baustelle. Was haben die Kritiker:innen der Denkschrift zu sagen? Und wie ist die Debatte über Krieg und Frieden auf der EKD-Synode eigentlich gelaufen?

Kritik und Wertschätzung von Expert:innen

Mit ihrer neuen Friedensdenkschrift lege die EKD eine überzeugende Bündelung des friedensethischen Diskurses vor, einfache Antworten auf die Krisen der Welt biete sie nicht an, erklärt Michael Haspel, apl. Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Martin-Luther-Institut der Universität Erfurt, in seiner Analyse in der Eule:

„In der Sache ist die Denkschrift nicht nur eine überzeugende und weiterführende Bündelung des gegenwärtigen friedensethischen Diskurses im deutschen Protestantismus, sondern ein wichtiger systematischer Beitrag sowohl zur Ethik des Politischen als auch zur Ethik der Internationalen Beziehungen. Inhaltlich knüpft sie an das Leitbild des Gerechten Friedens von 2007 an, weist aber die Synodenkundgebung von 2019 zurück. Das wird Anlass für weitere Debatten sein, für die die Denkschrift eine vorzügliche Grundlage bietet.“

Die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) sieht hingegen in der Denkschrift eine grundlegende Veränderung des Konzepts des Gerechten Friedens. In einer ausführlichen Stellungnahme auf der AGDF-Website wird die neue EKD-Friedensdenkschrift scharf kritisiert, u.a. würden „die Möglichkeiten ziviler Konfliktbearbeitung“ unterschätzt.

„Auch wenn nicht bestritten werden soll, dass in spezifischen Konstellationen militärische Gewalt notwendig ist […], zeigen viele Beispiele und nicht zuletzt der Afghanistaneinsatz die Grenzen des militärischen Handelns. Es ist gut, dass die Denkschrift die neuen technischen Möglichkeiten und das mit ihnen gewachsene Ausmaß an Zerstörung wahrnimmt, das sich mit modernen Kriegen wie in der Ukraine verbindet; sie machen deutlich, dass militärisches Handeln immer schwieriger politisch einzuhegen ist. Die Denkschrift ist jedoch darauf fokussiert, militärisches Handeln friedensethisch zu rehabilitieren.“

Die Initiative Ohne Rüstung leben hat weitere kritische Stimmen zur Denkschrift auf ihrer Website zusammengefasst. Bei der Denkschrift handele es sich um eine „theologische Rechtfertigung kriegerischer Gewalt“. Kritik wird auch daran geübt, dass Atomwaffen für „politisch notwendig“ erklärt werden.

„Das Ziel, die Institution des Krieges aus der internationalen Politik zu entfernen, ist aufgegeben. Damit fällt das Ratspapier hinter die Charta der Vereinten Nationen und hinter den aktuellen friedensethischen Diskurs zurück“, stellt der Vorstand der Bonhoeffer-Niemöller-Stiftung ernüchtert fest. „Die Autor:innen erliegen dem Mythos der erlösenden Gewalt und können sich nicht zwischen der Nachfolge der gelebten Friedenspraxis Jesu und einem aus der Zeit gefallenen Staatskirchentum entscheiden.“

Besonders empört ist der Vorstand der Stiftung über die Haltung der EKD-Denkschrift zum christlichen Pazifismus: „Die Verniedlichung des christlichen Pazifismus als ‚Ausdruck gelebter Frömmigkeit‘ beleidigt die Menschen, die friedensethisch fundiert und wissenschaftlich informiert politische Impulse für eine friedenslogisch praktikable Sicherheitspolitik geben.“ Natürlich enthalte die Denkschrift auch wichtige, begrüßenswerte Aussagen, doch: „Im Kontext des Ganzen verblassen sie in Beliebigkeit.“

Mit „Frieden suchen in konfliktreichen Zeiten“ legt die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden außerdem ein neues Buch mit „Antworten auf wichtige Fragen“ vor, an dem zahlreiche Akteur:innen der evangelischen Friedensbewegung und Friedensethiker:innen mitgewirkt haben und zu dem der Friedensbeauftragte des Rates der EKD, Landesbischof Friedrich Kramer (EKM), ein Vorwort beigesteuert hat.

Von einem „erfolgreichen Wissenstransfer mit der Evangelischen Kirche“ sprechen hingegen die Forscher:innen vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH). Der „fachliche Input“ der IFSH-Cybersicherheitsexperten Matthias Schulze und Mateusz Labuz sei in die Denkschrift eingeflossen. (Mit dem Kapitel zu „Cybersicherheit“ befassen sich Michael Greder und Philipp Greifenstein kritisch im aktuellen „Eule-Podcast“.)

„Wir hoffen, dass dieses Grundlagenpapier die EKD dabei unterstützen wird, die gesellschaftliche Resilienz im digitalen Raum zu stärken. Die EKD kann dazu beitragen, polarisierte Diskurse zu versachlichen und digitale Bildung zu fördern.“

Frieden im Zentrum, aber ohne synodalen Beitrag

Ganz ähnlich sieht das auch die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich. Zum Ende der Synodentagung erklärte sie vor Journalist:innen, dass der Frieden für sie das zentrale Thema der Tagung in Dresden gewesen sei.

Die neue Friedensdenkschrift der EKD und die entsprechenden Berichte im Plenum der Synode (s. EKD-Kanal auf YouTube) durch das Leitungstandem des Denkschriftredaktionsteams, Reiner Anselm (LMU München) und Friederike Krippner (Ev. Akademie zu Berlin), und den Friedensbeauftragten des Rates der EKD, Landesbischof Friedrich Kramer, hätten – so Heinrich – gezeigt, dass man „eigene Positionen deutlich machen könne, ohne sie in Abgrenzung zu anderen zu formulieren“. Das sei gerade bei kontroversen Themen eine Stärke der evangelischen Kirche.

Doch selbst wer nicht in Kontroverse und Streit verliebt ist, hätte sich wohl mehr Debatte zum Thema während der Synodentagung gewünscht. Nicht nur war die Synode nicht an der Erstellung der Denkschrift beteiligt, sie hat sie auch nicht durch einen eigenen Beschluss ratifiziert. Die EKD-Friedensdenkschrift ist eine Denkschrift des Rates der EKD. Wie die kurze Aussprache zu den Berichten des Redaktionsteams und der Arbeit der EKD-Friedenswerkstatt auf der Synodentagung zeigte, war die Synode zu mehr als einigen bedauernden Bemerkungen zu den doch eigentlich kontroversen Meinungsverschiedenheiten in der Kirche, beispielsweise zur Frage nach der atomaren Abschreckung und zur Relevanz des christlichen Pazifismus, nicht in der Lage.

Um des lieben Friedens willen

Um des lieben Friedens willen zog die pazifistisch orientierte mitteldeutsche Regionalbischöfin Friederike Spengler am Schlusstag der Synode ihren Antrag zurück, der im Rahmen der „Fortentwicklung“ der evangelischen Friedensethik ein klares „Nein“ ohne realpolitische Einschränkungen zu Atomwaffen und für den Pazifismus „eine ethisch-legitime Rolle im Gesamtkonzert evangelischer Friedensethik“ einforderte. Die Synodale Judith Filitz, die zu den 17 Unterstützer:innen des Antrags gehörte, trug noch ihr Befremden vor, dass diese für sie eigentlich selbstverständlichen Positionen keinen Raum fänden. Eine Grundsatzdebatte wollte sie kurz vor dem Schluss der Tagung nicht mehr anfachen.

In ihrem Beschluss zum Thema nimmt die Synode den Bericht des Friedensbeauftragten „dankbar zur Kenntnis und begrüßt besonders seine abgewogene Würdigung der Friedensdenkschrift des Rats“. Sie bittet außerdem darum, „die friedenspolitische Debatte in geeigneten Formaten“ fortzusetzen. Sich selbst nimmt die Synode offenbar nicht (mehr) als geeigneten Debattenort wahr. Das ist umso erstaunlicher, weil die neue Friedensdenkschrift ja die Kundgebung der EKD-Synode von 2019 „Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens“ in entscheidenden Schwerpunktsetzungen überschreibt.

Aktuell im Magazin

Was wird auf der EKD-Synode in Dresden wichtig? – Philipp Greifenstein

Die EKD-Synode widmet sich dem Thema „Kirche und Macht“. Highlight der Tagung in Dresden wird die Vorstellung der neuen Friedensdenkschrift. Doch auch an Konfliktherden mangelt es nicht.

Was leistet die neue Friedensdenkschrift der EKD? – Michael Haspel

Eine friedensethische Erklärung und Einordnung der neuen Friedensdenkschrift des Rates der EKD des evangelischen Theologen und Friedensethikers Michael Haspel.

Eule-Podcast (51): Gerechter Friede oder Zeitgeist? (68 Minuten)

Im „Eule-Podcast“ diskutieren Michael Greder und Philipp Greifenstein über militärischen Schutz vor Gewalt, hybriden Krieg und die evangelische Friedensethik angesichts von Ukraine-Krieg und Nahost-Konflikt.

Baustelle Frieden – Philipp Greifenstein

Bericht mit Einordnung und Stimmen zur neuen EKD-Denkschrift von der Vorstellung der Friedensdenkschrift auf der EKD-Synodentagung in Dresden.

„Verantwortung übernehmen, auch wenn es unbequem ist“ – Philipp Greifenstein

Auf der Tagung der EKD-Synode in Dresden wurden außerdem auch Ergebnisse der Arbeit im Beteiligungsforum (BeFo) und Fortschritte bei der Umsetzung der Empfehlungen der „ForuM-Studie“ vorgestellt. Philipp Greifenstein gibt einen Überblick darüber, was aus den großen Vorhaben für die Bereiche Prävention, Intervention, Aufklärung, Aufarbeitung und Anerkennung des Leids geworden ist. Und wo es Auseinandersetzungen, Lernerfolge und/oder Scheitern gibt.


Nicht nur in der evangelischen Kirche wird über den Frieden nachgedacht und über Krieg gestritten. Zwei Lesehinweise:

Im Zuge der gegenwärtigen ökologischen, politischen, militärischen, sozialen wie auch technischen Entwicklungen besteht die Herausforderung, Frieden stets neu zu denken und Friedenskonzepte zu entwerfen, die einerseits an traditionelle religiöse oder politische Vorstellungen von Frieden angebunden sind, andererseits aber auch diesen neuen Verschiebungen Rechnung tragen. Die aktuelle Ausgabe der Open-Access-Zeitschrift LIMINA beleuchtet diese Fragestellungen sowohl aus theologischen wie auch aus politik- und sozialwissenschaftlichen bzw. friedenswissenschaftlichen Perspektiven.

Das vierte Jahrbuch des Ökumenischen Instituts für Friedenstheologie (OekIF) dokumentiert Beiträge der Sommerseminare 2023 und 2024, die unter den Titeln „Feindbild Pazifismus“ bzw. „Kirche, Konstantin und Kriegsdienstverweigerung“ standen. Einen Schwerpunkt bilden verschiedene Arbeiten, die der komplexen Geschichte der Kriegsdienstverweigerung in den einzelnen Kirchen und Konfessionen nachgehen. Hinzu kommen Aufsätze und Thesen, die das Verhältnis von Kirche und Staat beleuchten, auch in Bezug auf die Ukraine und in Bezug auf Russland.

Ein schönes, friedliches Wochenende wünscht
Thomas Wystrach


Ein guter Satz

„Wenn ihr in ein Haus kommt,
so sagt als erstes:
Friede diesem Haus!“

– Lukasevangelium 10, 5


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Mitarbeit: Philipp Greifenstein