Foto: Francis McKee (Flickr), CC BY 2.0
Kirche

Wider den Bullshit in der Predigt

Bullshit wird auch von den Kanzeln gepredigt. Welche Ursachen hat der Predigt-Bullshit? Wie kann man ihn aufspüren und gegen ihn vorgehen? Hat der Bullshit nicht auch seine guten Seiten?

Ich interessiere mich sehr für Bullshit. Vor ein paar Jahren habe ich das Bullshit-Bingo Weihnachtspredigt entwickelt. Es nimmt verunglückte Verkündigung in Weihnachtsgottesdiensten aufs Korn. Es soll Spaß machen, beim Lesen und beim Spielen. Doch sein Hintergrund ist ein ernster: Es dient auch dazu, phrasenhaftes und inhaltsleeres Sprechen wahrzunehmen und zu enttarnen. Es ist ein Bullshit-Detektor.

Vor einiger Zeit dann wurde mir das Buch „On Bullshit“ von Harry G. Frankfurt empfohlen. Kontext waren allerdings nicht die Bullshit-Bingos, sondern der Aufstieg Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Eine Rezension des Buches ist Anfang dieser Woche hier in der Eule erschienen.

Predigt-Bullshit aufspüren

Fast immer handelt es sich beim Predigt-Bullshit um traditionelle Redeweisen, die ihren Sinn deshalb verloren haben, weil das Publikum die hinterlegten Informationen nicht mehr decheffrieren kann. Häufig handelt es sich um Phrasen, die eingestreut werden, „weil man es so macht“.

Das Weihnachtspredigt-Bullshit-Bingo soll dabei den ertappten Predigerinnen und Predigern gar keinen bösen Willen unterstellen. Der Bullshit entsteht häufig nebenbei und ohne böse Absicht. Sein Anliegen ist weniger die Täuschung des Hörenden, sondern die Maskierung der Unsicherheit des Predigenden. Die allermeisten Phrasen des Bingos entstehen, weil die Unsicherheit darüber groß ist, was und wie von Gott zur (Weihnachts-)gemeinde gesprochen werden kann.

Beim Bullshit-Bingo zur Weihnachtspredigt handelt es sich um ein Instrument der rhetorischen Analyse, zu mehr taugt es kaum. Es liefert z.B. keine Hinweise darauf, warum und wie die Phrasen genutzt werden. Es gibt Predigten, in denen reichlich Phrasen auftauchen, in denen also – im Sinne des Spieles – aufgestanden und „Bullshit!“ gerufen werden müsste, und die trotzdem funktionieren. Vielleicht, weil es der Predigt und dem Predigenden gelingt, den durch die Phrasen markierten Unsicherheitsraum auf andere Weise zu füllen.

Ebenso gibt es Predigten, bei denen nicht ein einziges Kreuzchen in das Bingo gesetzt werden muss, und die trotzdem schlecht sind. Üblicherweise entsteht der Predigt-Bullshit unabsichtlich, das zeigt schon die peinliche Betroffenheit der meisten Ertappten. Was ist jedoch mit absichtsvoll abgesonderten Bullshit?

Wenn Predigerinnen und Prediger absichtsvoll am Inhalt des Bibeltextes vorbei reden, gegen die Intention des Textes reden, von der Kanzel aus falsche Aussagen treffen, dann geht es eben nicht um Bullshit. Die Unabsichtlichkeit des Predigtbullshits unterscheidet ihn, mit Frankfurt, von der dreisten Lüge. Vereinfacht ausgedrückt: Die Lüge und der Bullshit liegen auf unterschiedlichen Ebenen der Intentionalität. Lügen muss man wollen, Bullshit passiert.

Warum gibt es Predigt-Bullshit?

Was bedeuten nun Frankfurts Überlegungen zum Bullshit (siehe Rezension) für die Predigt? Handelt es sich beim Predigt-Bullshit ebenfalls um Bluffs der Prediger, die sich nicht in die Karten schauen lassen wollen? Wenn ja, dann muss gefragt werden, warum geblufft wird?

Zumeist wohl aus ganz pragmatischen Gründen (1) . Mangelnde Zeit zur Predigtvorbereitung, die Schwierigkeit sich zwischen all den anderen Aufgaben des Pfarrberufs Raum für die Predigtvorbereitung zu schaffen, werden nicht zuletzt von vielen Pfarrerinnen und Pfarrern selbst immer wieder beklagt. Und tatsächlich hat sich der Anteil der Predigtvorbereitung am Aufgabenfeld von Pfarrerinnen und Pfarrern stetig verringert.

Sicher muss man auch einmal ein Einsehen darin haben, dass nicht jeder Pfarrer ein Held vor dem Herrn ist und im Stile eines Übermenschen, Berufs- und Privatleben wegorganisiert. Die Predigt entsteht häufiger als gedacht und von den Betroffenen gewünscht unter erheblichen Zeitdruck. Da rutschen logischerweise Phrasen und erprobte Passagen in Predigten hinein. Und die enthalten häufig Bullshit.

Der Bluff bestünde dann darin, der Gemeinde (und sich selbst) vorzumachen, trotz heißer Nadel eine hübsche Predigt zusammengeschneidert zu haben. Die Gemeinden sind an stehende Formulierungen gewohnt. Gleiches gilt von Theologinnen und Theologen, die nicht selten davon überzeugt sind, dass einmal hervorragend Formuliertes ohne Probleme immer wieder ohne Rücksicht auf den Kontext des Textes und der Gemeinde wiedergegeben werden kann.

Es soll auch Predigthörende geben, die ohne bestimmte Formulierungen unzufrieden sind oder dem Predigenden sogar falsche Lehre vorwerfen. Am Heiligen Abend muss gesagt werden, dass Gott Kind wurde. Am 1. Weihnachtstag muss gepredigt werden, dass das Wort Fleisch ward. Die elende Gewohnheit (2) ist ein weiterer Grund für den Predigt-Bullshit.

Die Hörgewohnheiten der Gemeinden und die Redegewohnheiten der Predigenden tragen gleichermaßen zur Misere der Predigt bei. Eine Gemeinde, die über Jahre nur einen Prediger mit einem Predigtstil und einer Predigtsprache gewohnt ist, wird Anderes natürlicherweise als fremd und „nicht richtig“ wahrnehmen. Glücklich die Gemeinde, auf deren Kanzeln ein größeres Angebot an Predigerinnen und Predigern, Predigtansätzen und Ansprachen besteht.

So mancher Pfarrer aber scheut vielleicht auch den Vergleich mit anderen und so manche Gemeinde, will von „ihrem“ Pfarrer nicht lassen. Es soll auch Gemeinden geben, wo zu bestimmten Anlässen oder Perikopen eine ganz bestimmte Predigt erwartet wird. Der Bluff besteht darin, dass sich Gemeinde und Pfarrer gegenseitig darin bestätigen, es sei doch alles gut. Und wer denkt an die, die nicht kommen?

In der Tat ist es für die Predigenden in der Praxis schwer, die Hörgewohnheiten ihrer Gemeinden herauszufordern. Dazu braucht es Mut und eine gute Sprachfähigkeit in Glaubensfragen. Für den Predigt-Bullshit trägt deshalb auch die theologische Ausbildung (3) der Predigerinnen und Prediger Verantwortung.

Viel zu selten geht es an Fakultäten, Hochschulen und auch in der Vikarsausbildung darum, selbst sprachfähig zu werden. Im Vordergrund stehen häufig die Wahrnehmung und das Erlernen bereits bestehender Sprachlösungen, aus denen man sich dann die möglichst passende aussuchen darf. Auch das wird von den Betroffenen selbst immer wieder kritisiert.

Die wirklich interessierten Predigenden suchen sich darum in Weiterbildungen und kirchenunabhängigen Angeboten Hilfe. Nicht zuletzt die Titel zahlreicher Veranstaltungen weisen darauf hin, dass auch dort häufig nicht nach der je eigenen Sprache gefragt wird. Besonders bedauerlich sind dann vor allem jene Versuche, die Brücke zu einer neuen Predigtsprache dadurch zu schlagen, dass man sich an Moden oder vermeintliche Slangs anbiedert. Nichts ist schlimmer als ein Prediger, der bemüht jugendlich klingen will!

Die Predigerinnen und Prediger, die auf der Kanzel tatsächlich ein Problem haben, die also eigentlich unter besonders großem Leidensdruck stehen und denen ihre Predigtperformance das Arbeitsleben ruiniert, trifft man nach wie vor selten dort an, wo ihnen tatsächlich geholfen werden könnte. Deshalb ist auch die innerkirchliche Schamkultur (4) ein, vielleicht sogar der Grund für den Predigt-Bullshit.

Sich selbst keine Blöße geben, sich nicht angreifbar machen, das sorgt für hermetische Predigtsprache, in der nur abgesichert durch tradierte Formeln gesprochen wird. Sich Hilfe suchen, wirklich etwas dazulernen zu müssen, wird als Schwäche wahrgenommen. Zuerst von den Betroffenen selbst, die sich vielleicht vom traditionellen Bild des Pfarrers als Vorbild leiten lassen. Genauso aber auch von Kollegen und Gemeindegliedern, die an ähnlichen Perfektionsprojektionen leiden. Wo Pfarrer über ihre Predigten sprechen, kommt da auch das Scheitern zur Sprache?

Mit Frankfurt handelt es sich beim Bullshit um eine Täuschung, die ohne Kunst geschieht. Werden die traditierten Sätze nur aus Mangel an eigener Glaubenssprache vorgeschoben? Ganz sicher markieren sie die großen theologischen Unsicherheitszonen (5) des christlichen Glaubens. Die Lösung kann sicher nicht darin bestehen, diesen Themen aus dem Weg zu gehen.

Die große Verunsicherung

Es gibt einfach Themen über die wir Christen nur in Formeln überhaupt noch sprechen können. Versuchen sie es einmal selbst! Was bedeutet Auferstehung? Was der Tod? Was heißt Sünde? Und bitte ohne Zitate von Paulus, Luther, Barth oder wen auch immer man gerne anruft. Das ist schwer, und umso schwerer, desto intensiver man diese Themen studiert. Der eine oder die andere ersehnt sich vielleicht einen neuen theologischen Durchbruch, der uns auf einmal alle wieder übersprudeln lässt an kreativer Glaubenssprache.

Doch könnte nicht unsere Aufgabe als Predigende heute gerade darin bestehen, mit der Gemeinde zusammen auszuharren, unsere Sprachlosigkeit auszuhalten? Statt auf den großen Durchbruch zu warten, sollten wir unsere Hoffnung auf die durch Christus gestiftete Gemeinde setzen. Sich als Predigerin und Prediger die eigene Sprachlosigkeit einzugestehen und sie der Gemeinde nicht vorzuenthalten entspricht jedenfalls meiner Interpretation vom Priestertum aller Getauften. Vielleicht predigt ja die Gemeinde dem Prediger.

So soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. (Jesaja 55, 11)

Die Authentizitäts-Falle und der Wert des Bullshits

Mir unvergesslich ist die Pfarrerin, die von der Kanzel herab meinte, ihr würde zum Predigttext nichts einfallen, sie hätte sich stattdessen einen anderen gesucht. Man kann von der Perikopenreihe abweichen, aber so? Auf der Kanzel auch zuerst selbst Hörende des Wortes zu sein, darf nicht dahin führen, sich selbst zum alleinigen Maßstab zu erklären.

Mit Frankfurt ist Authentizität an sich Bullshit, weil sie der Aufrichtigkeit absoluten Vorrang vor der Wahrheit einräumt. So kommen die Phrasen des Bullshit-Bingos am Ende doch zu ihrem Recht. Sie sind bleibendes Reservoir, das angezapft, von dem ausgehend nachgedacht werden kann. Sie sind Spiegel einer reichen Tradition, in die man sich stellen darf. Weil auch das Predigen eine praxis pietatis ist, könnte als Spielregel für den Umgang mit dem Predigt-Bullshit ebenso gelten: fake it, till you make it.