Newsletter #LaTdH

„Wut verkauft“ – Die #LaTdH vom 1. Juli 2018

Eine hässliche Debatte unter der viele Menschen leiden, um die sich nur Wenige kümmern. Außerdem: Grüne Kirchen, eine biblische Hymne, #ChurchToo in Bayern & die Dialektik der Aufklärung.

Debatte

In Brüssel gipfelt die EU über die Flüchtlinge, die nach Europa gekommen sind, kommen und kommen werden oder wollen, während auf dem Mittelmeer ein Schiff mit 234 Flüchtlingen kreuzt ohne einen Hafen anlaufen zu können. Um die Debatte noch etwas mehr anzuheizen kommt aus Bayern die Forderung nach Beschlagnahme des Schiffs und strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Crew. So diskutiert man, wie lange die Union noch eins bleiben kann, wenn der eine sagt, dass er nicht mit der anderen zusammenarbeiten könne. Währenddessen leiden andere.

Nicht nur diejenigen, die vor Krieg und Hunger flüchten, sondern auch diejenigen die schon in Deutschland sind, die keine Integration erleben dürfen und können, wenn sie nicht zur Schule gehen dürfen. All diese Streitereien führen zu einer Veränderung in der Kommunikation untereinander. Der Hass wächst, aber wie mit ihm umgehen?

Warum die Wahlkampf-Strategie der CSU kippt – Erik Flügge (erikfluegge.de)

Erik Flügge (@erikfluegge) schreibt im seinen Text, dass es sich bei solchen Positionierungen um eine Wahlkampf-Strategie der CSU handle, um an die AfD verlorene Stimmen wiederzugewinnen. Er liefert klare Argumente dafür, dass diese Strategie nun nach hinten losgeht.

Es gewinnt immer derjenige, über den gesprochen wird. So einfach lautet eine alte Wahlkampfregel. Die CSU beherrscht diese Regel traditionell meisterhaft. Höchstens die niedersächsische SPD und die Grünen in Baden-Württemberg sind in Deutschland den Konservativen in Bayern in Sachen Wahlkampf ebenbürtig. Die CSU-Strategen wissen ganz genau, wer aus dem Fokus der Öffentlichkeit gerät, an dem verlieren auch die Wählerinnen und Wähler das Interesse. Deshalb poltert die CSU vor jeder Wahl.

Pöbeln ist nicht konservativ – Johann Hinrich Claussen (Hamburger Abendblatt)

Der Leiter des Kulturbüros der EKD setzt sich dafür ein, dass nicht nur Entrüstung gezeigt werden sollte, sondern dass man gerade die Gegenstimmen anhören soll. Gerade in einer Zeit, in der man mit Wut weiterkommt und Gehör erlangt, muss sich die Kirche ihrer Werte und Aufgaben bewusst werden und sich nicht unter dem Bashing anderer verstecken.

Das Christentum ist eine ebenso progressive wie konservative Kraft und hat genau deshalb epochale Umbrüche überstanden. Segensreich hat es immer dann gewirkt, wenn es die Menschenfreundlichkeit gestärkt hat und der Menschenfeindlichkeit entgegengetreten ist. Die evangelische Kirche sollte also nicht in das allgemeine Gepöbel einstimmen, sondern einerseits mit klarer Stimme für christliche Humanität eintreten und andererseits mit offenen Ohren begründete Gegenpositionen hören.

Hasst du sie noch alle? – Hannah Ringel (y-nachten)

Der Hass greift um sich: Zu beobachten ist das nicht nur in Wahlkämpfen, sondern auch im eigenen digitalen Verlauf. Trolle, die wie Unkraut sprießen und ihre Hasstiraden in die Welt brüllen, ob man sie nun lesen will oder nicht. Und schnell ist dann mal der ein oder andere geblockt, was den Hass nicht eindämmt. Aus gutem Grund werden Bücher geschrieben („Gegen den Hass“) und Projekte gestartet (#hopespeech, #ReconquistaInternet) um daran zu erinnern, sich dem Hass zu stellen und reflektierte Debatten zu führen. Hannah Ringel hat sich dafür mit Carolin Emcke, Preisträgerin des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, Gedanken über Alternativen gegen den Hass gemacht.

Um zu hassen vereinfachen wir, nehmen Debatten die Komplexität. Wir streichen das Wissen um Facetten und Nuancen und filtern unsere Bilder schwarz-weiß für maximalen Kontrast. Aus Verschiedenheit machen wir Ungleichheit. Um mit allem Graben verschütten wir die Möglichkeit auf Empathie, gegenseitiges Verstehen, auf Diskurs.

nachgefasst

„…wenig niedriger gemacht als Gott“. Menschenbilder im digitalen Zeitalter – Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (EKD)

Ein kleiner Nachschlag zum Thema #digitaleKirche, das wir diese Woche ausführlich dokumentiert haben. Beim Johannisempfang der EKD am 27. Juni in Berlin machte sich der Ratsvorsitzende Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm Gedanken über Menschenbilder im digitalen Zeitalter und wie diese in der Kirche präsent bleiben. Er fordert mit dem Hinterherhumpeln aufzuhören und stattdessen eigene Innovation mit einzubringen.

Vielleicht hat Johann Sebastian Bach darum theologisch die treffendste Spur gelegt: Er hat ja den Leitvers dieses Psalm 8, der zu Beginn und am Ende des Psalms steht, zum Eingangschoral der Johannespassion gemacht: „Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name“. Auf die Idee muss man erst mal kommen: Die Geschichte des leidenden, sterbenden und auferstehenden Christus als Antwort auf die Frage: Was ist der Mensch? Denn mit der Geschichte vom wahren Menschen und wahren Gott ist Größe und Grenze, Mut und Demut, Grund und Gefährdung des Menschen ganz und gar und ein für alle Mal auserzählt: ecce homo! Dies ist die Basis einer christlichen Anthropologie, die den Menschen realistisch einschätzt

Geständig, verwarnt, befördert – Lilith Becker (Chrismon)

#ChurchToo in der Chrismon: Ein Bericht über den sexuellen Missbrauch eines jungen Mädchens durch einen Pfarrer in Bayern, mit dem späteren und laufenden Verfahren zur Aufarbeitung. Der Text aus der Sicht der Betroffenen macht deutlich, wie wenig noch immer auf die Opfer eingegangen wird, geschweige denn, sie als solche zu bezeichnen oder zu betrachten.

Die damalige Gleichstellungsbeauftragte Johanna ­Beyer ist inzwischen pensioniert. Sie betont, wie wichtig unabhängige Prüfer seien. In der Kirche hätten Täter und Dienstvorgesetzte oft zusammen studiert, oder sie wurden gemeinsam ordiniert. „Diejenigen, die eine Anklage vorbringen, sind ja meist die Fremden.“ Im kirchlichen Verfahren gehe es nicht in erster Linie um die mutmaßlichen Opfer, sondern um das Verhältnis des mutmaßlichen ­Täters zu seiner Dienstvorgesetzten, der Kirche.

Buntes

Grüne Kirche – Martin Horstmann (marthori.wordpress.com)

Grün ist bei manchem schon wieder verschrien, weil der ein oder andere von dem ein oder anderen genervt sein könnte. Dennoch bleibt ein grünes Leben auch weiterhin aktuell, und ist nicht nur aus ethischer oder geopolitischer Perspektive zu verfolgen, sondern, wie Martin Horstmann (@Marthori) schreibt, ein christlicher Beitrag, den man zum ökosozialen Wandel als Eigenperson oder Gemeinde beitragen kann.

Er hat sich zur Strukturierung eines Workshops zur ökologischen Kirchengemeinde ein paar Inspirationen notiert, an denen er uns teilhaben lässt: von der Saatgutbörse in der Bibelwoche bis hin zu Solarzellen auf dem Dach des Gemeindehauses.

Schöpfungsverantwortung ist für mich kein Ethik-Programm. Sondern ein – christlicher – Beitrag des ökosozialen Wandels. Ich hatte hier schon einmal in aller Kürze auf die vier Dimensionen des Wandels hingewiesen: Zerstörung entgegenwirken, Alternativen entwickeln, Strukturen gestalten und Bewusstsein wandeln. Alle vier Dimensionen sind wichtig, alle bedingen sich gegenseitig – aber man kann anfangen, wo man will! Und jede dieser Dimensionen zeigt etwas Wesentliches der Schöpfungsverantwortung, jede Dimension ist christlich interpretier- und reflektierbar.

Bibel

Dialektik der Aufklärung – Andreas Mertin (Tà katoptrizòmena)

In der vergangenen Woche wurde das Urteil über den sogenannten Berliner Gürtel-Schläger gesprochen, der Mitte April einen Kippa tragenden jungen Mann angegriffen hatte. In der Berichterstattung steht oftmals nur der gewaltbereite Antisemitismus im Mittelpunkt. Andreas Mertin verdeutlicht in seinem Artikel, dass es auch gilt, in der Sprache aufmerksam zu bleiben. Er legt dar, wie das Wort „alttestamentarisch“ von einer antisemitischen Abgrenzung herkommt, die auch heute noch Geltung hat, weshalb klar zwischen „alttestamentarisch“ und „alttestamentlich“ unterschieden werden muss.

Das Wort „alttestamentarisch“ ist also eines, das den Antisemitismus in der deutschen Sprache fortsetzt. Die Journalisten und Publizisten, die es heute verwenden, können sich nicht darauf berufen, das Wort quasi „unschuldig“ einzusetzen, sie verwenden es, der korpuslinguistische Befund lässt keinen anderen Schluss zu, zur Abwertung des Judentums und – das ist eine neue Entwicklung, die sich ansatzweise aber schon mit der Aufklärung abzeichnet – weitergehend zur Abwertung alles Religiösen. Letzteres erklärt, warum es nun vermehrt zu Begriffen wie „neutestamentarisch“ kommt. Das lässt sich bis in jüngste Äußerungen zeigen.

Predigt

Islands Nationalhymne – Matthias Bernstorf (Kirche im NDR)

Auch wenn „Die Mannschaft“ inzwischen wieder nach Hause gefahren ist, geht die WM doch weiter. Gleich am folgenden Tag der Niederlage Deutschlands hörte ich im Radio Stimmen, die fragten, warum es die WM überhaupt gibt, bzw. warum es eine deutsche Nationalmannschaft gibt, die daran teilnimmt, wenn wir doch mit Bundesliga und diversen anderen Fußball-Cups mehr als bedient sind. Dabei ist doch gerade eine WELT-Meisterschaft nicht abzuwerten. Fußball verbindet über Grenzen hinaus – seien es Striche auf Landkarten oder Mauern in den Herzen – beim Fußball versteht man sich und wird aufmerksam auf die anderen Länder – und deren Nationalhymnen.

Wie ein Choral klingt die Nationalhymne von Island – und sie beruht tatsächlich auf dem 90. Psalm.

Ein guter Satz