Wider den Bullshit
Trumpismo, Rumgetrolle und Geschwätz – der Bullshit hat Hochkonjunktur. Harry G. Frankfurts Buch „On Bullshit“ ist eine Anleitung zum Ausmisten.
Vom emeritierten Professor für Philosophie der Universität Princeton (USA) Harry G. Frankfurt stammt das kleine Büchlein „On Bullshit“. Ich wurde auf das Essay in einer Diskussion meiner Twitter-Filterblase aufmerksam. Es ist – vorweg – eine kurzweilige und lohnende Lektüre. Auch, weil der Autor Humor hat und sich selbst in bester amerikanischer Wissenschaftstradition nicht allzu ernst nimmt. Inwieweit der Humor des Autors auch in der deutschen Übersetzung zu erspüren ist, weiß ich nicht, dieser Rezension liegt die Lektüre der englischsprachigen Originalausgabe zugrunde. Wer regelmäßig Texte, Filme oder Serien in englischer Sprache konsumiert, sollte auf keine Verständnisschwierigkeiten stoßen.
„Is the bullshitter by his very nature a mindless slob? Is his product necessarily messy or unrefined? The word shit does, to be sure, suggest this. Excrement is not designed or crafted at all; it is merely emitted, or dumped. It may have a more or less coherent shape, or it may not, but it is in any case certainly not wrought.“ (Frankfurt, On Bullshit, p. 21)
Frankfurt begibt sich auf die Spur des Bullshits. Sein Ziel ist dabei eine möglichst zutreffende Definition, die es ermöglicht, Bullshit aufzuspüren und wirkungsvoll zu enttarnen. Es geht ihm darum, Bullshit von anderen Redeweisen abzugrenzen, ihn „identifizierbar“ zu machen. Auf diesem Weg gelingt es Frankfurt in aller Kürze – großzügig gesetzt und kleinformatig ergeben sich 67 Seiten – Hilfreiches zum Thema beizusteuern.
Was ist Bullshit?
Frankfurt grenzt den Bullshit von dem ab, was wir alltagsgebräuchlich „Lüge“ nennen. Zwar sei auch der Bullshit nicht im herkömmlichen Sinne „wahr“, der Bullshitter jedoch unterscheidet sich vom Lügner durch seine Haltung zur Wahrheit. Der Lügner ist sich, qua Definition, seiner Lüge bewusst, insofern hat er ebenso wie derjenige, der die Wahrheit spricht, eine Vorstellung von der Wahrheit. Seine Lüge nimmt Bezug auf die Wahrheit und ist darum nicht von ihr zu lösen. Dem Bullshitter jedoch ist die Wahrheit schlicht egal.
„It is just this lack of connection to a concern with truth – this indifference to how things really are – that I regard as of the essence of bullshit.“ (Frankfurt, On Bullshit, p. 33)
So kann es gleichwohl vorkommen, dass der Bullshit wahre Aussagen insofern enthält, als dass es sich dabei um zutreffende Beschreibungen einer geteilten Realität handelt. Die Verbindlichkeit der Realität als solche aber wird vom Bullshitter geleugnet. Der Bullshit ist also viel mehr als mit der Lüge, mit dem Bluff verwandt.
„Unlike plain lying, however, it [bluffing] is more especially a matter not of falsity but of fakery. This is what accounts for its nearness to bullshit. For the essence of bullshit is not that it is false but that it is phony.“ (Frankfurt, On Bullshit, p. 47)
calling the bluff
Die Verwandtschaft des Bullshits mit dem Bluff verweist auf Möglichkeiten, dem Bullshit zu Leibe zu rücken. Wer blufft, hat in der Regel die schlechtere Hand. Das gilt es zu erinnern. Der Bluff kann nur funktionieren, wenn andere Spieler auf ihn hereinfallen. Wichtig ist darum, den Wert der eigenen Hand genau zu bemessen und wenn möglich einen Überblick darüber zu gewinnen, welche Karten überhaupt im Spiel sind. Im Zweifelsfall wird man einfach darauf vertrauen müssen, dass die eigene gute Hand sich am Ende als siegreich erweist. Es braucht also den Mut, seine Hand auch durchzubringen, das Gegenüber dazu zu zwingen, seine Karten offen zu legen.
Am Beispiel Donald Trumps lässt sich das gut verdeutlichen. Besonders häufig wirft er die Bullshit-Schleuder in Situationen an, die ihm potentiell gefährlich werden können. Der Bullshit dient dann vor allem dazu, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und seiner Beobachter auf ein anderes Thema zu lenken. Besonders augenfällig ist dies bei der Verschleierung der vermuteten Kontakte seiner Mannschaft zu Russland.
Das gleiche Phänomen ist auch aus Kommentarspalten und Internetforen bekannt, die ausgesprochene Bullshit-Maschinen sein können. An einem unliebsamen Artikel wird im Extremfall schon die vermutete Intention des Autors kritisiert („von Geheimdiensten gelenkt“, „Lügenpresse!“), statt sich argumentativ mit dem Text auseinander zu setzen.
Hier spielt als eine der tieferen Ursachen für den Bullshit sicher auch die, von Frankfurt richtig identifizierte, Überforderung eine Rolle, sich mit vielen unterschiedlichen Themen gleichzeitig auszukennen. Frankfurt vermutet die Ursache dafür nicht nur in der Globalisierung, die uns zumutet, auch weitentfernten Themen und Ereignissen Aufmerksamkeit zu schenken, sondern auch die in der Struktur der Demokratie angelegte staatsbürgerliche Pflicht „Bescheid zu wissen“. All dies gebiert „Experten“, die Orientierung versprechen, und ein großes Heer von Menschen, die irgendwie das Gefühl haben, nicht mehr mitzukommen, übergangen oder veräppelt zu werden.
Im Falle Trumps ist denn auch zu beobachten, dass Expertentum an sich, Wissenschaftlichkeit und Faktenevidenz grundsätzlich diskreditiert werden. Dem mag zum Teil auch eine weitere tiefe Ursache für den Bullshit zugrunde liegen. Frankfurt identifiziert als einen Nährboden des Bullshits einen „zeitgenössisch ausgeuferten Skeptizismus“, der grundsätzlich in Frage stellt, dass es so etwas wie eine objektive Wirklichkeit gibt. Dieser Skeptizismus lehnt die Möglichkeit ab, zu wissen wie die Dinge wirklich liegen.
Authentizität ist Bullshit
Eine Reaktion auf diese Überzeugungen ist, laut Frankfurt, der Rückzug vom Ideal der Richtigkeit (correctness) hin zum Ideal der Aufrichtigkeit (sincerity). Dem zugrunde liegt die Überzeugung, dass über nichts eindeutige, objektive Aussagen getroffen werden können, als über sich selbst. Statt der Wahrheit steht die Authentizität im Fokus. Ein Phänomen, dass nicht nur, aber mannigfach vergrößert, in der Wirksamkeit Donald Trumps zu entdecken ist.
Frankfurt weist zu Recht auf die Absurdität dieses Denkens hin, wenn er festhält, dass wenn über nichts eine Aussage getroffen werden kann, dies im besonderen auch auf den Menschen zu trifft, der immer im Bezug zu anderen „Dingen“ steht und nichts über sich weiß, ohne dass er auch über jene Aussagen trifft. Frankfurt schränkt weiter ein, dass in Theorie und Erfahrung nichts darauf hinweise, das die erstaunliche Behauptung unterstütze, dem Menschen sei die Erkenntnis seiner selbst leichter zugänglich als das Erkennen der Welt um sich herum. Es verhalte sich im Gegenteil gerade anders herum. Insofern sei Authentizität für sich genommen Bullshit.
Das Bild des Bluffs weist jedoch noch auf einen weiteren Ratschlag für die Bullshit-Bekämpfung: Geblufft wird aus einer Mischung aus Minderwertigkeit und Überheblichkeit. Der Wunsch, am Spiel teilzunehmen, gleichwohl man dafür nicht die richtigen Karten hat, paart sich mit der Überzeugung, die anderen Spieler täuschen zu können. Es geht gar nicht so sehr um den Wert der Karten, als darum die ticks & tells des Gegenübers richtig zu deuten. In jedem Fall lohnt es sich im Spiel zu bleiben, besonders wenn das Gegenüber dafür bekannt ist, häufig zu bluffen.
Fazit
Weder erhebt das Büchlein den Anspruch umfassend oder gar umfänglich dem Bullshit auf die Spur gekommen zu sein, dazu fehlt z.B. eine ausführliche psychologische Betrachtung des Bullshitters, die ich hier nur angedeutet habe, noch kann dies auf so wenig Raum erreicht werden. Frankfurts Essay ist ein erster Einstieg in die Beschäftigung mit Bullshit als gesellschaftsprägendem Phänomen, es liefert eine erste Verständigung darüber, was Bullshit ist, von der aus weiter gedacht werden kann.
Bullshit
Harry G. Frankfurt
Suhrkamp
47 Seiten
4,99 €
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On Bullshit
Harry G. Frankfurt
Princeton University Press
80 Seiten
$9,95
ISBN: 9780691122946
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