„Ein Bischof hat zwei Aufgaben: Die Einheit der Kirche und Klarheit“
Der Dresdner Superintendent Christian Behr kandidiert für das Bischofsamt in Greifswald (Nordkirche). Wir haben mit ihm über seine Arbeit in der Sächsischen Landeskirche und die Zukunft gesprochen.
Eule: Herr Behr, wie wird man denn eigentlich Bischofskandidat?
Behr: Das müssen Sie den Bischofswahlausschuss fragen. Ich wurde vom Präses der Nordkirchensynode angerufen und gefragt, ob ich für eine Kandidatur zur Verfügung stünde. Ich habe später einmal nachgefragt: Wie kam es denn dazu? Mein Name sei halt auf dem Tisch gelandet. Es wurden sicher mehrere Kandidaten gefragt, von denen ich einer war. Ich wurde zu einem Gespräch in den Bischofswahlausschuss eingeladen und bin darüber dann in diese engere Runde gekommen.
Eule: Ihr Mitbewerber Tilman Jeremias kommt ursprünglich aus Bayern und ist schon länger in der Nordkirche tätig. Sie sind in Thüringen aufgewachsen, arbeiten seit Jahren in der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens (EVLKS), also nicht in der Nordkirche. Macht das einen Unterschied?
Behr: Ich würde den Unterschied wenn dann nur biographisch weit hinten sehen. Wie bin ich sozialisiert? Ich habe schon eine Ostsozialisierung, die ein kleines bisschen anders ist an manchen Stellen, durch meine eigenen biographischen Erfahrungen von der Berufsausbildung bis hin zur Armeezeit. Das sind Dinge, die man aus Westdeutschland so nicht kennt. Auch Fragen des Umgangs im Miteinander vor 1989, die bei mir schon tief sitzen an vielen Stellen. Aber das hat nichts mit positiv oder negativ zu tun: Manchmal ist der Abstand auch ganz gut, dass man nicht unbedingt alles selber erfahren oder durchlitten hat. Es ist einfach meine Biographie, die da ein bisschen anders ist. Davon hat sich ja in den letzten 25 Jahren auch einiges abgeschliffen.
Eule: Es gibt immer wieder Statistiken, die belegen, wie wenige Ostdeutsche tatsächlich in Führungspositionen gelangen. Das scheint immer noch ein Thema zu sein.
Behr: Das ist hier Sachsen in letzter Zeit ein starkes Thema, auch von den PEGIDA-Diskussionen her. Unsere Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) hat darüber inzwischen ein Buch geschrieben. Mit ihr bin ich dazu auch im Gespräch. Ich teile ihre Position nicht vollständig, dass das Unbehagen nun immer von den Beschädigungen nach der Wende herrührt – z.B. das Gefühl einer Übernahme durch mittleres und höheres Führungspersonal aus den westlichen oder eben gebrauchten Bundesländern. Aber es hat schon eine Auswirkung darauf, was mit den Menschen hier passiert ist. Das ist auch in der Kirche in Sachsen so: Alle drei Spitzen (Synodalpräsident, Präsident des Landeskirchenamtes & Landesbischof) sind westdeutsch sozialisiert.
Eule: Gut, der neugewählte Landeskirchenamtspräsident hat ja eine sächsische Geschichte. Meine Wahrnehmung der EVLKS ist überhaupt, dass sie besonders „im eigenen Saft schmort“.
Behr: Das ist so. Der frühere Landesbischof (Jochen Bohl, Anm. d. Red.) stammte aus dem Rheinland, war dann Diakoniedirektor hier in Sachsen, bevor er Bischof wurde. Hat als Bischof dann aber auch sehr die innersächsischen Themen vertreten, auch nach außen. Auch die sächsischen Sonderheiten. Die sächsischen Vikare – das habe ich erst jetzt gelernt – werden in einem Extrakurs mit dem sächsischen Sondergut vertraut gemacht. Da gibt es also schon noch Dinge, die bei uns anders sind.
Eule: Empfinden Sie es als Vorteil, wenn man für geistliche Leitungsämter Personen aus anderen Landeskirchen sucht? Sie sind ja für den Bischofssitz in Greifswald ein Kandidat von außen.
Behr: Das finde ich schon gut. Oder wenn die Person wenigstens mal Luft „draußen“ geschnuppert hat, wie der neugewählte Landeskirchenamtspräsident, der lange Zeit in Braunschweig war, aber wiederum eine Ostsozialisierung hat. Das sind schon Dinge, die an manchen Stellen mitspielen. In Sachsen wird ja sehr aus dem eigenen Bereich heraus rekrutiert. Da denke ich schon, dass man daran etwas ändern sollte.
Trotz aller biographischen Unterschiede waren die vier Kandidaten zur letzten Bischofswahl in Sachsen alle aus der sächsischen Landeskirche. Da ginge es schon darum, eine größere Auswahl zu haben. Zumindest bei Menschen meiner Generation geht es sicher auch noch um Ost-West-Fragen.
Eule: Jetzt stehen Sie mit dem Herrn Jeremias da auf einem Wahlzettel und es ist der einzige Wahlzettel in diesem Bischofs-Wahljahr 2019 innerhalb der evangelischen Landeskirchen auf dem keine Frau draufsteht. Ist das angemessen?
Behr: Jetzt könnte ich ganz einfach antworten: Ist nicht meine Sache, ich habe die Kandidaten ja nicht aufgestellt. Ich finde es nicht unangemessen, weil ja zwei der vier im Bischofsrat der Nordkirche befindlichen Bischöf*innen Frauen sind und es daher schon eine Ausgewogenheit gibt. Mir wurde auf meine Nachfrage dahingehend mitgeteilt, dass das schon ein Thema war. Auch, dass deshalb nicht mit aller Macht unbedingt eine Frau auf die Kandidatenliste musste. Wie genau die Auswahlkriterien waren, das müssen Sie das Bischofswahlkollegium fragen.
Eule: Sehen Sie in der Kandidatur mehr eine Herausforderung in Greifswald oder einen Abschied von Dresden? Was wollen Sie mehr, nach Greifswald oder aus Dresden weg?
Behr: Das mit dem „Wollen“ ist schon gar nicht so einfach. Also ich will auf alle Fälle nicht aus Dresden weg. Hier ist es für uns sehr schön, auch was das Wohnen in der Stadt angeht. Wir haben uns hier beheimatet, kulturell und auch kirchlich. Das wird mir in den vergangenen Wochen, seitdem die Kandidatur öffentlich ist, auch oft gespiegelt. Uns treibt hier überhaupt Garnichts weg. Ich habe viele Aufgaben, die hier noch auf mich warten. Zukunftsfragen von der Jugendkirche über die Bahnhofsmission, in der evangelischen Musikschule. Das sind Dinge, die in den nächsten Jahren auch viel Power brauchen. Und daran habe ich auch Freude.
Aber in meinem Alter ist eine solche Anfrage schon so etwas wie eine letzte Möglichkeit, eine neue Herausforderung anzugehen. Und ich denke auch, dass ich in der Kommunikation und Moderation in den letzten Jahren als Superintendenten viel gelernt habe, das ich woanders noch weitergeben könnte. Das ist es, was mich reizt. Ich war über die Anfrage schon überrascht, habe dann aber zu mir gesagt: Ich könnte mich so einer Aufgabe auch noch einmal stellen.
Eule: Über Dresden in den vergangenen Jahren zu sprechen ist nicht möglich, ohne über PEGIDA zu sprechen. PEGIDA hat dem Ruf der Stadt massiv geschadet. Der Riss, der offenbar geworden ist, geht ja auch durch die Kirchengemeinden. Hat die EVLKS ein Rechtsextremismusproblem?
Behr: Das denke ich nicht. Aber sie hat manchmal ein Problem mit der Abgrenzung. Theologisch würde ich es nicht meinen, da haben wir ja auch vom Landesbischof relativ klare Aussagen. Wenn man es aber politisch nimmt, z.B. bei der AfD: Wo ist denn die Grenze? Sind Menschen, die sich in der AfD engagieren in der Kirche haltbar? Ist die AfD nun schon eine rechtsextreme Partei oder nicht? Da scheiden sich momentan die Geister und wir versuchen das im Gespräch zu klären.
Eule: Es gibt in der EVLKS ja die Position, die ich als abwartend und abwägend bezeichnen würde – das ist nach meinem Kenntnisstand die Mehrheit. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen: Jetzt wird es aber Zeit, dass sich auch die Sächsische Landeskirche ein Beispiel an anderen Landeskirchen nimmt und deutlicher gegen die AfD auftritt. Was muss denn in der AfD noch passieren, damit sich die Landeskirche stärker positioniert?
Behr: Nach den Analysen der letzten Wochen, gerade auch von Äußerungen von AfD-Politikern, muss aus meiner Sicht nicht noch mehr passieren. Mir hat es auch schon vor einem Jahr gelangt. In der Sächsischen Landeskirche stehe ich auch als Person dafür, dass wir da ein klareres Wort brauchen.
Eule: Es gab vor Weihnachten aus dem Landesjugendpfarramt eine sehr eindeutige Stellungnahme contra AfD und dann zu Weihnachten das geistliche Wort des Landesbischofs, das dahinter zurückblieb.
Behr: Ich bin nicht in der Kirchenleitung und nicht in der Synode, habe da also wenig Zugriff auf diese Kanäle. Ich versuche als Superintendent meine Position deutlich zu machen. Dabei werde ich auch überhaupt nicht beschnitten, dass da jemand sagen würde „Das darfst Du doch so nicht sagen!“. Im „Forum Gemeinschaft und Theologie“ versuchen wir gemeinsam in diese Richtung zu wirken.
Eule: Es hat sich ja inzwischen amtlich bestätigt, dass die Sächsische AfD auf „Flügel-„Kurs ist. Die drei Politiker, die als Ministerpräsidentenkandidaten der AfD in Frage kommen, sind „Flügel-„Männer. Der Verfassungsschutz beobachtet den „Flügel“, deshalb ist auch die AfD zum Prüffall erklärt worden.
Ist denn nicht gerade jetzt im Blick auf die kommenden Wahlen und die eigene Geschichte in den ausgehenden 1920er-Jahren, beginnenden 1930er-Jahren die Zeit gekommen, entschieden zu handeln?
Behr: Ich habe mit dem Landesbischof erst vor Kurzem über sein Amtskreuz gesprochen und gefragt, wie man das so trägt, als nationalsozialistisch beschmutztes Symbol. Ich stimme ihm zu, dass man da zu seiner Geschichte stehen muss. Das Kreuz hat sich Friedrich Coch (1933 in Sachsen eingesetzter Landesbischof der Deutschen Christen, Anm. d. Red.) damals in der Frauenkirche selbst umgehangen. Ich muss zu dieser Geschichte stehen und ich denke, das verlangt heute nach klaren Aussagen. Dass muss nicht heißen, wie ich es vor fünfzehn Jahren bei der NPD gesagt habe, dass ein Parteimitglied nicht bei mir im Kirchenvorstand Mitglied sein kann.
Eule: Was in der Sächsischen Landeskirche damals der Fall war.
Behr: Ein Kollege hat damals ein NPD-Mitglied aus dem Kirchenvorstand ausgeschlossen. Das ist rechtlich nicht ganz einfach. Aber moralisch war das gefordert. Da ist auch mal ein Schritt gefordert, ohne dass ich mich ganz genau kirchenjuristisch abgesichert habe. Ob die AfD immer weiter in diese Richtung rückt? Das hat sich in den letzten Wochen ja noch weiter geklärt.
Ich wurde auch jetzt in der Nordkirche nach meiner Haltung dazu gefragt und habe mich bisher ja auch in der Sächsischen Landeskirche exponiert, so dass man schon sagt: „Ach ja, der Behr, da ist schon alles klar.“ Wichtiger ist, dass sich die Kirchenleitung jetzt eindeutig positioniert.
Eule: In Sachsen gibt es Christen, die das Gefühl haben, bei der AfD gut aufgehoben zu sein, weil sie ihre konservativen Überzeugungen dort wiederfinden. Wir sitzen hier im Haus an der Kreuzkirche. Im gleichen Haus befinden sich die Bürgerbüros von zwei als sehr konservativ bekannten CDU-Abgeordneten des Deutschen Bundestages, bei denen ich jetzt nicht auf die Idee käme, dass man bei denen als konservativer Christ nicht gut aufgehoben wäre.
Wenn die Kirche dazu etwas sagen will, dann käme die Kirche doch wirklich ins politische Argumentieren, das ist doch mit einer Stellungnahme gegen eine Partei nicht einzuholen. Ist das mit dem starken Luthertum der EVLKS vereinbar?
Behr: In Sachsen sind die zuerst die einzelnen Christenmenschen zum Argumentieren befähigt. Die Schwierigkeit bleibt immer: Wie kann ich die Kirche in ihrer Einheit bewahren? Das bischöfliche Amt oder die Kirchenleitung müssen schauen, wie sie die unterschiedlichen Strömungen, die es in Sachsen kirchlicherseits gibt, irgendwie überein kriegen. Trotzdem finde ich – und habe das auch in den Vorstellungsrunden in der Nordkirche gesagt -, ein Bischof hat zwei Aufgaben: Die Einheit der Kirche, aber auch die Klarheit. Ich muss eine klare Position beziehen. Dafür stehe ich in Dresden und auch in der Nordkirche. Das Ziel, alle mitzunehmen, hat für mich nichts damit zu tun, mich nicht klar zu äußern.
Eule: Lassen Sie uns noch zu anderen Themen kommen, die die evangelischen Kirchen bewegen. Da wäre z.B. die Digitalisierung, wo die Nordkirche unter den evangelischen Kirchen in Deutschland mit in der Führungsgruppe ist. Sind Sie da ein freudig Lernender oder sehen Sie die Entwicklung skeptisch?
Behr: Ich bin an manchen Stellen zu naiv und habe auch zu wenig Zeit, mich in die ganzen Internetsachen hineinzuarbeiten. Aber ich bin ein Fan davon, das zu nutzen. Ich freue mich immer, wenn ich auf die Nordkirchenwebsite gehe, was da schon alles möglich ist und was man dort finden kann. Die Entwicklung geht voran, da können wir uns sonst wie auf den Kopf stellen und sagen, wir sind analog geboren.
Ich bin heute noch immer ziemlich analog, aber ich finde, wir brauchen gute Leute, die das gut machen. Nicht alle Pfarrer müssen auf Facebook sein, aber Kirche schon. In der Nordkirche finde ich gut, dass es da Leute gibt, die das gut können und die dafür auch beauftragt sind. Mir ist wichtig, dass Kirche Digitalisierung aktiv betreibt und nicht immer nur hinterherläuft.
Eule: Ein zweites wichtiges Thema ist der Missbrauch, seit dem Herbst auch in der EKD. Darum kümmert sich ja vor allem Kirsten Fehrs, Bischöfin in Hamburg und vielleicht ja ihre neue Bischofskollegin in der Nordkirche. Was braucht die Kirche, um da voran zu kommen?
Behr: Da sehe ich auch eine Parallele zur Digitalisierung: Ich würde mir wünschen, dass wir in der internen Arbeit so weit wären, dass wir uns von außen nicht treiben lassen müssen. Und da haben wir noch einiges zu tun.
Jeder Missbrauchsfall ist etwas richtig Schlimmes, und deshalb müssen wir da dran bleiben.Es wird nur dann weniger Missbrauch geben, wenn wir uns auch unserer Vergangenheit stellen. Das ist wie mit der Geschichte der Kirche im Dritten Reich. Das sieht man auch z.B. am 13. Februar. Wenn man sich dem stellt, was damals war, dann kann ich heute damit auch umgehen. Wenn ich Dresden zu einer Opferstadt stilisiere, dann wird es mit dem Umgang heute schwierig.
Beim Missbrauch verhielte es sich so, wie wenn wir sagen würden: Die Evangelische Kirche ist davon verschont geblieben, weil wir alle so lieb und demokratisch sind. Dann werden wir uns auch in der Zukunft nicht diesen Problemen stellen können. Ich muss schauen, was war. Ich denke an die Pfarrherrlichkeit, aber auch an die Abgeschlossenheit der evangelischen Jugendarbeit in der DDR, wo sicher manchmal blauäugig agiert wurde.
Eule: Kommen wir zum Schluss noch zu einem Dresdner Thema, zur geplanten Jugendkirche. Darüber wurde schon gesprochen, als ich 2006/2007 im Stadtjugendpfarramt mein FSJ gemacht habe. Damals wurde das abschlägig beschieden, jetzt ist es so weit. Braucht eine Großstadt wie Dresden eine Jugendkirche?
Behr: Ich finde, dass wir sie dringend brauchen. Es gibt viele junge Menschen von hier aber auch von anderswo, die hier lernen, studieren, die es schwer haben, sich hier in der Kirche zu beheimaten. Da kann so ein Projekt ein ganz großer Anziehungspunkt werden, wenn es mit Leben gefüllt wird. Mir ist wichtig, dass die Jugendkirche sich nicht auf ein Publikum verengt, sondern offen bleibt, auch z.B. für die jungen Menschen aus anderen Regionen Sachsens, die häufig bei Freikirchen landen, wenn sie für die Ausbildung oder das Studium nach Dresden kommen.
(Das Gespräch führte Philipp Greifenstein am 1. Februar.)