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Kolumne Die Internationale

Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Ein Schritt vor und zwei zurück? Die Anglikanische Kirche von Kanada wählt zum ersten Mal eine Frau zur Primas und lehnt zugleich ein Kirchengesetz zur Trauung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ab.

Auf der Generalsynode der Anglikanischen Kirche von Kanada am letzten Wochenende wurde zum ersten Mal eine Frau zur Primas gewählt. Bischöfin Linda Nicholls aus der Diözese von Huron folgt Erzbischof Frederick Hiltz als Oberhaupt der kanadischen Anglikaner nach. Ein riesiger Schritt für die anglikanische Gemeinschaft in Nordamerika und weltweit.

Dieselbe Synode entschied am vergangenen Freitag jedoch auch, den 2016 begonnenen Prozess der Öffnung für gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu beenden. In erster Lesung beschloss die Generalsynode damals, dass Trauungen gleichgeschlechtlicher Paare in der Anglikanischen Kirche von Kanada überall möglich sein sollten. Bei der zweiten Lesung auf der diesjährigen Generalsynode fiel das neue Kirchengesetz jedoch denkbar knapp durch.

Ein Schritt vor und zwei zurück?

Die Generalsynode als höchstes gesetzgebendes Gremium der Kirche trifft sich alle drei Jahre, in der Zwischenzeit bereiten mehrere ständige Ausschüsse die Beschlüsse vor. Der Synode gehören Laien, Priester und Bischöfe an, die jeweils eigene Kammern bilden. Neue Kirchengesetze wie die Einführung der Trauung gleichgeschlechtlicher Paare benötigen eine 2/3-Mehrheit in jeder dieser Kammern.

Am Freitag stimmte eine überwältigende Mehrheit aller Synodalen für die Beibehaltung der Einführung: 80 % der Laien und 73 % der Priester stimmten dem Gesetzentwurf zu. In der Bischofskammer hingegen fehlten zwei Stimmen, um das Gesetz erfolgreich zu verabschieden. Statt der erforderlichen 66 % stimmten nur 62 % der Bischöfe dem neuen Kirchengesetz zu.

Die Anglikanische Kirche von Kanada lehnt gleichgeschlechtliche Ehen nicht grundsätzlich ab, in vielen Diözesen bleibt die Trauung weiterhin möglich. Das Recht der Diözesen, auf ihrem jeweiligen Gebiet zu unterschiedlichen Lösungen zu kommen („local option“), wurde auf der Synode ausdrücklich bestätigt. Zahlreiche Bischöfe haben sich zur Praxis der Trauung von gleichgeschlechtlichen Paaren bekannt.

Doch die Ablehnung eines verbindlichen Kirchengesetzes, das in der gesamten Kirche Gültigkeit beanspruchen kann, ist eine herbe Enttäuschung für viele Anglikaner in Kanada. Seit über zwanzig Jahren ist die Kirche auf dem Weg der immer weitergehenden Öffnung gegenüber der LGBTQ*-Gemeinschaft.

Dadurch gerieten die kanadischen Anglikaner schon mehrfach in Konflikt mit anderen Kirchen der anglikanischen Weltkirche, besonders mit den konservativen Landeskirchen in Afrika, die eine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften vehement ablehnen – und in denen Frauen zumeist auch nicht Priesterinnen und Bischöfinnen werden können.

„Wir sehen eure Tränen und weinen mit euch.“

In der kanadischen Kirche dienen einige schwule und lesbische Priester, mit Bischof Kevin Robertson wurde 2016 ein schwuler und verpartneter Mann in der Diözese Toronto zum Suffraganbischof gewählt. Die knappe Ablehnung stellt die Selbstwahrnehmung vieler Anglikaner als äußerlich traditionelle, aber im Kern liberale Kirche in Frage.

Um den Gesprächsfaden mit den Befürworter*innen eines neuen Kirchengesetzes und der LGBTQ*-Gemeinschaft nicht abreißen zu lassen, veröffentlichte die Bischofskammer nach dem Synodenbeschluss eine Stellungnahme: „Wir sehen eure Tränen und weinen mit euch. Wir tragen Verantwortung für tiefe Verletzungen. Wir bedauern das ausdrücklich.“

Auf die neue Primas Linda Nicholls wird es nun besonders angekommen. Tränen müssen getrocknet, Wut und Enttäuschung aufgefangen werden. Es stellen sich aber auch grundsätzliche Fragen, etwa nach dem Abstimmungsverfahren auf der Generalsynode. Ist es angemessen, dass eine vergleichsweise kleine Minderheit von Bischöfen Reformen blockieren kann, die von einer überwältigenden Mehrheit der Gläubigen gewünscht werden?

Was bedeutet die „local option“ für Priester*innen, die schwul oder lesbisch sind und in einer eingetragenen Partnerschaft mit kirchlichem Segen leben? Wird ihre Ehe nun nicht überall in der eigenen Kirche anerkannt? Wenn Sexualität und Partnerschaft nach dem Glaubensverständnis der Kirche nur in einer Ehe gelebt werden können, was bedeutet es dann, diese Möglichkeit homo- und transsexuellen Paaren vorzuenthalten?

Schwierige anglikanische Ökumene

Die „local option“ als Ermöglichung örtlicher Sonderwege spiegelt innerhalb der Anglikanischen Kirche von Kanada die Zerissenheit der Anglikanischen Weltkirche in dieser Frage wider. Während die Anglikanischen Kirchen des Westens (z.B. Church of England, Episkopalkirche in den USA) im Stile der evangelischen Mainline-Kirchen die Öffnung zur Gesellschaft und zu vormals unterdrückten Minderheiten vorantreiben, werden die Frauenordination und die Anerkennung von LGBTQ* in einigen der wachsenden Kirchen Afrikas abgelehnt und als „dekadente Anpassung an den westlichen Zeitgeist“ geschmäht.

Als Kirche der ehemaligen Kolonialherren übernehmen die Anglikanischen Kirchen des Westens an vielen Stellen Verantwortung für die Kirchen in den ehemaligen britischen Kolonien. Während die Landeskirchen dort wachsen, gehen die Mitgliedszahlen der Anglikaner in Kanada, Großbritannien und den USA zurück. Die afrikanischen Anglikaner pflegen eine konservativ-biblizistische Theologie, an den Seminaren der Anglikaner im Westen wird auf historisch-kritischer Grundlage gelehrt. Die afrikanischen Kirchen bleiben häufig arm, während die reichen westlichen Kirchen zahlreiche Entwicklungshilfeprogramme unterstützen.

Die Entscheidung der kanadischen Generalsynode ist richtig nur im Kontext dieser anglikanischen Ökumene zu verstehen, in der gesellschaftlicher Fortschritt häufig mit der Drohung der Kirchenspaltung einhergeht. Wie für alle Weltkirchen unserer Zeit bleibt die Moderation dieser Konflikte die bestimmende Aufgabe der Anglikaner in den kommenden Jahren.