I Will Follow Him: Warum es Millennials ins Kloster zieht
Eine neue Generation zieht es in die Klöster. In den USA steigt die Zahl der Interessentinnen aus der Generation Y am Ordensleben. Was ist davon zu halten und wie schaut es in Deutschland aus?
In einem langen und persönlichen Artikel schildert Eve Fairbanks für die US-amerikanische Huffington Post die Geschichten mehrerer junger Frauen und Mädchen, die sich für das Leben im Kloster begeistern. Fairbanks betrachtet die angehenden Nonnen aus einer Perspektive der Generationengenossenschaft: Die Frauen sind Millennials, die das Leben in der Ordensgemeinschaft der Unübersichtlichkeit der restlichen Gesellschaft vorziehen.
Zunächst begegnet Fairbanks ihnen mit einem profunden Kopfschütteln, entdeckt im weiteren Verlauf des Artikels jedoch die tiefer liegenden Gründe, die sie dazu bewegen, Nonne werden zu wollen. Diese sind auch der Autorin nicht fremd. Die jungen Frauen suchen nach einem Ort in der Welt, an dem sie total angenommen und geliebt sind.
Sehnsucht nach dem Habit
In der multioptionalen Leistungsgesellschaft, die auf Nützlichkeit und Oberflächlichkeit abfährt, glauben sie diesen Ort nicht finden zu können. Sie trachten nach einem auf strengen Regeln beruhendem Ordensleben. Und es darf sehr gerne die volle Dröhnung sein: Besonders häufig fragen die Mädchen und jungen Frauen nach Orden, die den Habit vorschreiben und besonders strenge Regeln haben. Sie fahren ab auf Keuschheit und Gehorsam.
1965, berichtet Fairbanks, lebten 180 000 Ordensschwestern auf dem Gebiet der USA. Bis 2010 sank diese Zahl rapide auf unter 50 000. 2009 waren mehr US-amerikanische Ordensschwestern über 90 Jahre alt als unter 60. Doch nach fünfzig Jahren des Schrumpfens steigt die Zahl derjenigen zuletzt wieder an, die sich ein Leben im Orden vorstellen können.
Fairbanks rekapituliert eine Untersuchung der Georgetown University: 13 % der 18- bis 35-jährigen Frauen können sich demnach ein Leben als Ordensschwester vorstellen. Das entspricht mehr als 900 000 Frauen. Wenn auch nur ein Bruchteil von ihnen tatsächlich Nonnen würde, sei die Zukunft der Frauenorden gesichert, so die US-amerikanische Journalistin.
Fairbanks beschreibt detailliert, warum gerade sog. Millennials (Generation Y) sich das Ordensleben gut vorstellen können. Ungeliebt und unerfüllt leben die jungen Frauen in einer Gesellschaft, die ihnen alles verspricht, aber wirkliche Intimität und Zuneigung nicht gewährt. Die jungen Frauen berichten von zerbrochenen Elternhäusern und gescheiterten Liebesbeziehungen. Mit dem Eifer der Proselyten kehren sie sich von diesen und den Chancen der kapitalistischen Konsumgesellschaft ab.
Mittelalterliche Regeln und digitaler Missionseifer
Dabei nutzen sie durchaus aktuelle Kommunikationsmittel: Öffentlich zelebrieren sie ihren Weg in die Klöster auf Instagram & Co. Hitziger Glaube bedient sich moderner Ausdrucksformen. Lust auf mittelalterliche Regelwerke und Gehorsam im Glauben verbinden sich mit digitalem Missionseifer.
Darin ähneln die Frauen Fundamentalisten in anderen Religionen. Allein: Nichts ist ihnen wichtiger als die Betonung der Liebe, die sie in sich spüren, wenn sie an das Leben im Kloster denken. Eine Liebe, der sie ihr ganzes Leben bedingungslos widmen möchten. Mehrere der jungen Frauen berichten von visionären Eindrücken und Erlebnissen, während derer sie sich als hilfreiche und gute Helferinnen, z.B. in Entwicklungsländern, erfahren.
Man kann dies leicht als typisch amerikanischen Religionseifer abtun, der sich so ähnlich auch bei Evangelikalen und Pfingstlern findet. Doch die jungen Frauen sind überzeugt davon, sie hätten wahrlich einen Platz im Leben gefunden. Ziehen sie ihr Vorhaben auch durch? Oder handelt es sich beim öffentlichen Nachdenken über das Ordensleben selbst um eine Äußerung desjenigen Narzissmus‘, den man dieser Generation so häufig unterstellt?
Gefahren der Unterwerfung
Doris Wagner betrachtet die Entwicklung in den USA mit Sorge. Sie hat der Eule Fragen zur Begeisterung der Millennials für das Ordensleben beantwortet. Die ehemalige Ordensfrau hat in den vergangenen Jahren intensiv zur schwierigen Situation von Frauen in katholischen Orden gearbeitet.
In mehreren Artikeln und Büchern („Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche“, mit Klaus Mertes, 2019) hat sich die Theologin und Philosophin mit den Gefahren auseinandergesetzt, in die sich junge Frauen begeben, wenn sie einer geistlichen Gemeinschaft oder einem Orden der katholischen Kirche beitreten. Ausgangspunkt dafür waren ihre eigenen Missbrauchserfahrungen in der geistlichen Gemeinschaft „Das Werk“, die sie in ihrem Buch „Nicht mehr Ich: Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau“ (2014) beschrieben hat. Es geht beim Missbrauch in den Ordensgemeinschaften nicht allein um sexuellen Missbrauch, sondern um die systematische Unterdrückung von Frauen:
„Wie verbreitet sexuelle Übergriffe an Ordensfrauen sind, hat schon vor zwanzig Jahren eine Studie von Chibnall et al gezeigt,“ so Wagner, „demnach werden 30 Prozent aller Ordensfrauen Opfer sexueller Übergriffe. Es gibt Grund zur Annahme, dass andere Missbräuche, etwa psychische Gewalt, die Ausbeutung der Arbeitskraft der Frauen oder die mangelnde Versorgung im Krankheitsfall mindestens so oft vorkommen.“
Dabei kann Wagner die Gründe der jungen Frauen für ihre Begeisterung gut nachvollziehen: „Mir scheint, dass man diese Begeisterung in einen größeren Trend einordnen kann, der sich weltweit und religionsübergreifend beobachten lässt. Eine neue Lust am moralischen Handeln, an klarer Orientierung, an radikalen Lebensentwürfen, am Aktivismus, und verbunden damit auch eine neue Lust am Religiösen.“
„Sie wollen einen radikalen Lebensentwurf, klare Orientierung und suchen geradezu danach, sich der Führung eines anderen Menschen vollkommen unterwerfen können“, beschreibt die Theologin die Motivation der Frauen. Die jungen Frauen trachteten danach, Gott die „Regie“ über den eigenen Lebensweg zu übertragen: „Das wird oft in extrem romantische Metaphern von Brautschaft, Kampf und Eroberung gekleidet. Je romantischer die Vorstellungen, je größer die Sehnsucht nach Radikalität und Unterwerfung desto „strenger“ muss die Regel sein.“
Aus dieser Perspektive wird die Vorliebe der junger Frauen für besonders strenge Orden, den Habit, sowie die Attraktivität des Keuschheitsgelübdes verständlich.
Weil es gerade nicht cool ist
Eindrücklich beschreibt Eve Fairbanks die Geschichte des Highschool-Lehrers John Olon, der in seine Klasse nach vielen anderen katholischen Gästen einen konservativen Ordensbruder einlädt. Er predigt der Klasse von Berufung und Heiligung. Doch statt Ablehnung – wie Olon vermutet – erntet der Ordensmann Bewunderung und macht die Jugendlichen neugierig.
Gerade der harrsche Unterschied zur Mehrheitsgesellschaft verfängt. Die Klasse nimmt Ordensleute, die in Sister-Act-Manier cool sein wollen, nicht ernst, sondern diejenigen die monolithisch und unbewegt den Zeitenläufen trotzen. Und die von den großen Fragen sprechen und sich Antworten zutrauen: Gehorsam zu Gott, Heiligung im Gebet.
Genau darin sieht Doris Wagner jedoch den Samen des Missbrauchs gesät: „Aus dem Verlangen heraus radikal das Richtige zu tun und sich von der als oberflächlich und verloren wahrgenommenen Mehrheitsgesellschaft abzugrenzen, geben insbesondere junge Menschen Maßstäbe des gesunden Menschenverstandes auf. Sie fühlen sich im unkritischen Befolgen religiöser Lehren „auf der richtigen Seite“ und verlieren das Gefühl dafür, wenn dabei Grenzen des Selbstschutzes, der Vernunft oder der Moral verletzt werden.“
Gefahren für junge Ordensschwestern bergen vor allem der bisweilen abgeschottete Lebensvollzug, der oft mit Kontaktabbruch nach außen verbunden ist, und das Ideal vollkommener Selbsthingabe. Für Doris Wagner steht im Zentrum dieses Denkens eine tief katholische Leidensmystik: „Es gibt die Vorstellung, dass Leiden die Frauen innerlich mit Jesus verbindet und zur Vollkommenheit führt.“
„Diese Umstände machen Frauen extrem verwundbar, zumal wenn sie sie als Ideal ihres eigenen Lebens verinnerlicht haben“, weiß die Theologin das Verhängnis vieler Ordensschwestern einzuordnen. „Sie lassen sich auf diesen Lebensstil ein, in der Überzeugung, dass Gott sie schützt und sie bei ihm völlig geborgen sind. Wenn sie dann gerade in diesem Lebensentwurf Übergriffe erleben, können sich in der Regel kaum wehren, sondern neigen dazu, zu schweigen.“
Ein Blick nach Deutschland
Ob die von Fairbanks beschriebene Ordensbegeisterung unter Millennials in den USA die Zahl der Novizinnen und Ordensschwestern tatsächlich nachhaltig beeinflusst, wird erst die Zukunft zeigen. Mit Blick auf die von Doris Wagner beschriebenen Gefahren ist der Hype um den Habit jedenfalls mit Vorsicht zu genießen. Das sehen selbst die Verantwortlichen der katholischen Kirche so, die gegenüber Fairbanks durchaus Vorbehalte gegenüber der vorbehaltlosen Begeisterung der jungen Frauen äußern.
Und wie schaut es nun in Deutschland aus? Ausweislich der Statistiken der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK), der Dachorganisation aller katholischen Ordensgemeinschaften in Deutschland, sinkt hierzulande die Bereitschaft junger Menschen zum Ordensleben weiter. Das gilt auch für die Frauenorden. Diese hatten 1998 noch 33 699 Mitglieder, 2018 waren es noch 14 257. Seit 1998 (153) ist auch die Zahl der Novizinnen kontinuierlich gesunken. Seit 2013 ist sie nurmehr zweistellig, 2018 lebten gerade einmal 58 Frauen im Noviziat.
Trotzdem sind die Mechanismen, die Millennials in den USA für das Ordensleben begeistern auch in Deutschland am Werk. Vielleicht mit der typischen Verzögerung, mit der Trends aus Amerika bei uns ankommen. Doch spielen eventuell noch andere Faktoren eine Rolle: Zum Beispiel das eher mangelhafte Marketing der Orden in den Sozialen Netzwerken hierzulande. Doris Wagner beobachtet, dass „oft jene Gemeinschaften die meisten jungen Frauen anziehen, die am medientauglichsten darum werben und am ehesten social-media-affin sind.“