Die #Ehefueralle als politische Verschiebemasse
Kommt die #Ehefueralle noch vor der Bundestagswahl? Ist Angela Merkel ein genialer Schachzug gelungen oder hat sie sich verdribbelt? Was bedeutet die Entscheidung für unser Demokratieverständnis?
Die Freude ist groß, und zu recht. So wie es momentan ausschaut, wird die #Ehefueralle in Deutschland noch knapp vor Ende der Legislaturperiode Gesetz. Allen Protagonisten ist die Überraschung anzumerken, so war das nicht beabsichtigt. Den Progressiven ist ein wenig Wehmut ob des ihnen entgangenen Wahlkampfthemas abzuspüren. Doch noch ist nichts in trockenen Tüchern.
Wie eine Regierungskoalition zerbröselt
Seit Jahr und Tag fordert die SPD die #Ehefueralle, konnte sie aber weder im Koalitionsvertrag für diese gemeinsame Legislatur mit der CDU/CSU unterbringen, noch bisher dazu einen Sinneswandel des größeren Koalitionspartners herbeiführen.
Von der Opposition aus Linkspartei und Grünen wurde die SPD für ihre Koalitionstreue über die gesamte Legislatur hinweg gehänselt. Dreißig Mal brachte die Opposition Anträge zur Einführung der #Ehefueralle in den zuständigen Ausschuss ein. Dreißig Mal wurde der Antrag mit den Stimmen der Koalition verschoben.
Die #Ehefueralle drohte schon zu diesem Zeitpunkt zur polit-taktischen Verschiebemasse zu degenieren. Der Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen Konstantin Kuhle hat das in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau ganz gut auf dem Punkt gebracht: „Betroffene empfinden diese Spielchen als entwürdigend. Es ist nichts dagegen einzuwenden, die Regierung bei wichtigen Themen aufs Glatteis zu führen. Aber die Ehe für alle war zuletzt in einer Regelmäßigkeit Gegenstand parlamentarischer Schaufensteranträge, dass man sagen muss: Danke, die Show ist vorbei!“
Verdienstvolle Mahner wie Volker Beck und andere hatten sich da tatsächlich etwas verrant. Der Wert einer Regierung, die auf einer parlamentarischen Mehrheit fußt – gerade wenn ich mich persönlich durch diese Mehrheit nicht repräsentiert fühle – muss gerade in diesen Tagen, in denen in Großbritannien eine Regierung buchstäblich „in der Luft hängt“ jedem klar sein.
Der SPD vorzuwerfen, sie hätte aus der #Ehefueralle jederzeit einen casus confessionis (eher einen casus belli) machen können, verkennt, dass es auch noch andere politische Fragen gibt, die sich die Koalitionsparnter zusammen vorgenommen hatten und die zumindest der SPD am Herzen lagen. Gesellschaftlicher Fortschritt hängt nicht an der #Ehefueralle allein.
In mancher wohlfeilen Kritik an der Treue der SPD zum geschlossenen Koalitionsvertrag wird leider eine seltsame Verachtung gegenüber dem parlamentarischen Geschäft spürbar. Genauso wie in jenen Stimmen, die partout nicht verstehen wollen, warum es so etwas wie Franktionsdisziplin gibt und warum diese im Tagesgeschäft die im Grundgesetz festgeschriebene Freiheit der Abgeordneten eben nicht einfach obsolet macht.
Ein Parlament muss arbeiten, eine Regierung regieren und eine Opposition opponieren. Aufpassen müssen alle, dass wertvolle parlamentarischen Gepflogenheiten, auf denen die Stabilität des Landes fußt, nicht fahrlässig preisgegeben werden.
Die Kanzlerin knickt ein?
Darum muss niemand Frau Merkel bejubeln oder sich bei ihr bedanken. So wie es ausschaut, waren ihre Äußerungen während eines Podiums der Brigitte von Wahlkampftaktik motiviert als von tatsächlichem Sinneswandel in der Frage der Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare. Ihr Ziel war es, das für die CDU/CSU schwierige Wahlkampfthema abzuräumen.
Umfragen nach stimmen 80 % der Bürger der #Ehefüralle zu. Frau Merkel hat noch nie gegen offensichtliche Mehrheiten anregiert oder gar Wahlkampf gemacht, mit einer Ausnahme: 2005 mit einer tief neo-liberalen Agenda. Das wäre beinahe in die Hose gegangen. Gerettet hat ihr den Parteivorsitz und somit die Kanzlerschaft allein der Machismo Gerhard Schröders. Dem sie dafür und für die Agenda aus Dankbarkeit jedes Jahr ’ne Kiste Bier schicken sollte.
Ihre Zusage im CDU-Vorstand, die Partei bliebe bei der bisherigen Linie, „aber ich finde eine Sprachregelung, die uns durch den Wahlkampf trägt“, gilt nach wie vor, auch wenn sie (scheinbar) nach hinten losgegangen ist. Jedenfalls kann sich das Vorhaben von SPD, Grünen und Linkspartei, eine Abstimmung noch vor der Bundestagswahl abzuhalten, als eine Niederlage für die Union erweisen. Zuerst jedoch waren die Progressiven #Ehefueralle-Befürworter überrascht und man darf sagen, wehmütig darüber, ein hübsches Wahlkampfthema in üblicher Manier von Frau Merkel vom Tisch gespielt zu bekommen.
Druck auf CDU/CSU
Was das taktische Umdenken der Kanzlerin begünstigt hat, sind ganz sicher die klaren Aussagen aus FDP, SPD und Grünen, ohne klare Verabredung der #Ehefueralle keinen Koalitionsvertrag mit der Union zu unterschreiben. Diese Ankündigungen geschahen nicht allein aus hehrer Überzeugung, sondern aus wahltaktischen, ja, politischen Gründen. Wenn die #Ehefueralle eh kommt, dann braucht man dagegen natürlich auch nicht einen zähen Wahlkampf führen. Also, abräumen.
Es wird sich jetzt zeigen müssen, ob SPD, Grüne und Linke in der Kürze der Zeit einen parlamentarischen Fahrplan noch in dieser Legislatur auf die Beine stellen können. Es sieht ganz danach aus. Lange Diskussionen kann man sich in der Tat sparen, das Thema ist durch.
In sofern, kleine Randnotiz, ist die Pressemitteilung der EKD, das Verfahren sei übereilt und darum zu kritisieren, einfach lächerlich. Gestern beeilten sich einzelne Ratsmitglieder, sich von dieser verunglückten Positionierung zu distanzieren. Es gibt natürlich Evangelische Landeskirchen, die sich mit der Einsegnung und Trauung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften (noch) schwer tun. Es gibt aber genauso Gliedkirchen der EKD, die bereits weiter sind als der noch gegenwärtige Gesetzesstand im Lande.
Politische Verschiebemasse
Konstantin Kuhle hat vor allem mit einem Sentiment Recht: Es ist schade, dass eine Frage, die viele Bürger tief bewegt, so herumgereicht wird und von allen politisch Beteiligten eben auch durch die partei- und wahlkampftaktische Brille gesehen wird. Oder?
Es bietet sich hier eine prima Gelegenheit für die LGBTQ-Community und ihre Unterstützer und außerdem noch alle gebildeten Verächter des Parlamentarismus, weiter politisch zu reifen. Fortschritt geschieht nicht allein durch hehres Reden und prinzipientreue Sturheit, die man einander vorhält. Politik ist eben auch Parteienstreit und Rumgeschacher. Fortschritt ereignet sich in einer funktionierenden Demokratie eben auch als Nebenprodukt von Politik, dieser ach so gescholtenen Kunst.