Lion's Head über Kapstadt, Foto: Ashley Jurius (Unsplash)
Kolumne Die Internationale

Meet Us In Hope

Von einer Reise nach Kapstadt kommen die Vikar*innen der Nordkirche verändert zurück: Was lässt sich von der Kirche in Südafrika für Transformationsprozesse in Deutschland lernen?

Wie es endet

Es ist unser letzter Tag in Kapstadt. Die Sonne scheint und wir sind auf dem Weg zu einem letzten Treffen. In kleinen Gruppen gehen wir durch das Stadtviertel District Six. Der Gehweg ist nicht gepflastert, Baumwurzeln schlängeln sich über den Weg. Rechts parken Autos, zu unserer Linken blicken wir auf vertrocknete Gräser. Ein Mann steigt aus einem Auto und schwankt an uns vorbei. Er bewegt sich auf die freie Fläche zu. Dort sitzen schon andere im Gras, essen, schweigen. Eine merkwürdige Szene.

Wir scheinen nicht recht hineinzupassen und bemerken, dass wir uns verlaufen haben. Ich rufe einer Gruppe Vikar*innen vor uns zu. Wir drehen um, finden unser Ziel schließlich und betreten eine schlicht gehaltene, weiße Kirche. Über dem Eingangsportal steht „Moravian Church“, vorne über dem Altar hängt ein knallroter Stern.

Wie es begann

Ich bin Vikarin der Nordkirche und war mit meinem Kurs auf Studienreise. Diese Reise ist Teil unseres Ausbildungscurriculums und wir haben sie ein Jahr lang gemeinsam geplant. Ein Jahr lang!

In Kurswochen abends zusammensitzen, überlegen, wie wir an Geld kommen. Planen, Pläne verwerfen und neu planen. Ich habe an diesen Abenden viel gelernt: Mit einer Gruppe eine große Reise vorzubereiten und dass das mal witzig und mal richtig nervig sein kann und doch vorangeht. Zugegeben, wir hätten klimafreundlicher, unkomplizierter und günstiger verreisen können, das wissen wir. Wir haben uns jedoch Kapstadt ausgesucht.

Die religiöse Landschaft ist dort sehr vielfältig und gleichzeitig ist die Gesellschaft zerrissen. Hier treffen Armut und Reichtum brutal aufeinander und die Apartheidsgeschichte wird selbst im Stadtbild sichtbar. Wir hatten daher Fragen.

Wie kann Kirche in Südafrika, speziell in Kapstadt, aussehen und bestehen? Was hat die Kirche in der Zeit der Apartheid getan und welche Rolle spielt sie heute? Ist sie politisch engagiert? Was können wir in Kapstadt für unsere Kirche in Deutschland lernen? Wir haben uns Kapstadt ausgesucht und gefragt, wie Kirche dort im Spannungsfeld der gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Wandlungsprozesse gestaltet wird. Und dann ging es los. Und wir waren mittendrin.

Mittendrin in der persönlichen Geschichte

Da ist zuallererst die persönliche Geschichte von Joe im District Six: Joe arbeitet im District Six Museum. Joe also. Er hat eine ruhige Art. Steht gelassen vor uns und lässt sich nur manchmal von der quietschenden Eingangstür unterbrechen. Dann erzählt er weiter. Er zeigt anhand von Plakaten, Schildern und Fotos, was die Apartheidspolitik dem ehemals multiethnischen Stadtviertel District Six angetan hat.

Er berichtet davon, wie seine Familie und er in ein Township umgesiedelt wurden. Erzählt von den Protesten, die unter dem Einsatz von Baggern und der Polizei letztlich verstummten. Es ist eine tragische Erzählung, denn sie handelt von zerrissenen Communities, zwangsumgesiedelten Menschen und dem Verlust der Heimat. Es ist eine tragische Geschichte und sie ist seine persönliche Geschichte. Unabhängig davon, wie oft er sie bereits erzählt hat, jede*r soll sie hören.

Wir sprechen nach der Führung mit ihm über seine Hoffnung für Südafrika. Er berichtet davon, wie viel Bildung und Jugendarbeit ihm bedeuten („each one teach one“). Bildung sieht er als einen Schlüssel für die hoffnungsvolle Zukunft Südafrikas. Und Bildung ist ein Thema, das uns noch oft begegnen wird.

Foto: Finding Dan (Unsplash)

So geschehen beim Projekt „iThemba Labantu“. Ein Ort mitten in einem Township. Umgeben von einem hohen Zaun laufen Kinder frei über das Gelände, spielen und essen. Lernen, über sich und ihre Erfahrungen und Gefühle zu sprechen. Das ist für mich selbstverständlich in meiner bürgerlichen Wohlfühlblase. In diesem Township kommt mir „iThemba Labantu“ daher wie eine eingezäunte Rettungsinsel vor. Und ich selbst wie eine typische Touristin, die nur mal kurz da draußen vorbeischaut. Wir werden angehalten, im eigenen Shop etwas zu kaufen. Immerhin das. Ich kaufe zwei Sterne für den Weihnachtsbaum.

Mittendrin im vermeintlichen Auswärts

An einem weiteren Tag sind wir aus Kapstadt rausgefahren. Raus aus der Großstadt, vorbei an Weinbergen und Zebras bis nach Stellenbosch. Die Stadt wirkt auf mich, als wären wir zurück in die Zeit des Kolonialismus gereist. Große weiße Häuser stehen nebeneinander an breiten Straßen. Bäume ragen am Straßenrand in die Luft und werfen majestätische Schatten. Baum für Baum kommen wir der Theologischen Fakultät näher.

Dort treffen wir auf Dekan Nell und Prof. Thesnaar. Wir sprechen über ihre Forschungsthemen und das, was die Kirchen in Südafrika umtreibt. Wir erfahren viel über das Zuhören, das „getting involved“, das Gesendetsein in die Welt.

Und wir sprechen über die Herausforderungen, die die Universität selbst zu bewältigen hat: Rassismus gegen Menschen, die farbig und schwarz – also aus weißer Herrschaftsperspektive aus gesehen eben nichtweiß – sind. Ein Thema, das die ehemalige Afrikaans Universität noch länger begleiten wird, denn Studierende der Universität fordern „Luister“. Wer „Luister Stellenbosch“ bei YouTube eingibt, wird mehr dazu herausfinden.

„Luister“ heißt übersetzt „Zuhören“. Luister, um dem Rassismus und dem Machtgefälle etwas entgegenzusetzen. Das Zuhören wird ein Motiv unserer Reise und wird beim „Institute for Healing of Memories“ zur Methode. Das Institut leistet Versöhnungsarbeit in mehrtägigen Workshops. Dort erzählen Menschen ihre Geschichten und hören einander zu.

Das Zuhören begegnet uns auch beim Treffen mit Pastor*innen der ELCSA (Evangelical Lutheran Church in Southern Africa). Konkret geht es um das Rausgehen zu den Menschen und das Handeln. „We learned to put our faith into action“, sagt eine Theologin. Und das hört sich selbstverständlich und selbstbewusst an. Rausgehen, zuhören, inklusiv denken und handeln.

Ich frage mich, warum ich in meinen Bildern von Gemeinde so oft von einem „inner circle“ oder einer Kerngemeinde spreche. Zementiere ich so nicht viel mehr, was ich vermeintlich sehe? Ich habe es mir seit der Reise abgewöhnt. Erfrischend schien mir daher der methodistische Blickwinkel von Pastor Alan Storey: Seine Gemeinde besteht aus über 7,8 Milliarden Menschen. Doch das ist schon weit vorgegriffen, denn nun sind wir bereits …

Mittendrin in der ökumenischen Verbundenheit

Zurück zum knallroten Stern. Es ist der Herrnhuter Stern, der jedes Jahr zur Adventszeit in einigen unserer Fenster hängt. Wir sitzen mit einer Delegation der Moravian Church (Herrnhuter Brüdergemeine) in der Kirche mit dem knallroten Stern und erfahren, was die Gemeinden gegen Armut und Gewalt unternehmen und diskutieren, inwieweit politisches Engagement angemessen ist.

Ich blicke in die Runde: Wir sind müde von der Reise, müde von all den Erlebnissen und Begegnungen. Meine Konzentration lässt nach, die Baustelle neben der Kirche lärmt. Im Stadtviertel District Six werden neue Häuser gebaut. Es wird da neu gebaut, wo vor einigen Jahrzehnten farbige und schwarze Menschen von weißen Menschen zwangsumgesiedelt wurden. Die Idee für die Zeit nach der Apartheid war, dass vertriebene Menschen zurückkehren können. Doch an der Umsetzung hapert es. Es wird zwar gebaut – die Frage ist nur, für wen? Viel Lärm, wenig Rückkehr.

Meine Gedanken schweifen ab. Wir sprechen noch weiter im Plenum, ich weiß nicht mehr, über was. Schließlich lösen wir die große Runde auf und kommen in kleineren Gruppen zusammen. Ich spreche mit zwei Pastorinnen der Moravian Church und mir ist vor allem ein Satz in Erinnerung geblieben: „Don´t get used to violence“. Dieser Satz, diese Situation, ich habe alles noch klar vor Augen und im Herzen. Don´t get used to violence. Die Pointe ist: Wir hören den Lärm und blicken auf den knallroten Stern und machen weiter. Beten, singen, sprechen, teilen Essen aus.

Worum es geht

Vor jeder Begegnung und jedem Treffen konnten wir kaum einschätzen, was passieren wird. Mal gab es ein großes Buffet, mal haben wir spontan musiziert, mal saßen wir in großen Runden, mal in kleinen Gruppen zusammen. Wir haben geschwiegen, gesungen und diskutiert. Wir haben insgesamt viele Gespräche geführt.

Und nein, wir konnten unsere Fragen nicht ausreichend beantworten. Doch die Reise hat mich verändert. Das lag an meinen Kolleg*innen, mit denen ich mich gemeinsam auf den Weg gemacht habe und mit denen ich viel über das Erlebte gesprochen habe. Und es hat mit den Begegnungen in Südafrika selbst zu tun.

Es geht um Joe im District Six Museum, es geht um Loret vom Institute for Healing of Memories, es geht um die vergewaltigten und ermordeten Mädchen und Frauen, es geht um den 13-jährigen Jungen auf der Straße. Es geht um den knallroten Stern im District Six, ein Zeichen der Hoffnung. Und der knallrote Stern ist nicht nur unser Ziel, er ist ein Anfang: #MeetUsInHope