Fotos: The White House, gemeinfrei & Gage Skidmore (Flickr), CC BY-SA 2.0

Meine Uni, mein Poolboy, mein Präsident

In den USA sorgt Evangelikalen-Fürst Jerry Fallwell Jr. erneut für Schlagzeilen. Zu Fall gebracht haben ihn nicht sein Rassismus und windige Geschäftspraktiken, sondern seine Doppelmoral.

Ein Megaskandal erwischt die christliche Rechte mitten im US-Präsidentschaftswahlkampf: Jerry Falwell Jr. ist als Chef der Liberty University nicht mehr erwünscht. Die evangelikale Vorzeige-Uni entledigte sich ihres Präsidenten und Kanzlers, nachdem weitere schlüpfrige Details aus Falwells Privatleben öffentlich wurden.

Interessant ist das auch für Christ:innen hierzulande, weil Falwells Geklüngel ihn erpressbar gemacht und so zum Wahlsieg Donald Trumps 2016 beigetragen hat. Falwell spielte bis zuletzt eine zentrale Rolle im Werben des US-Präsidenten um die evangelikale Wähler:innenschaft. Der Skandal um Falwell ist ein Paradebeispiel für die grassierende Doppelmoral im Evangelikalismus der Staaten, die massiv auf das politisch-gesellschaftliche Leben durchschlägt.

Jerry Falwell Jr. ist der Sohn von Reverend Jerry Falwell, einem bekannten Fernsehprediger und Gründer der Liberty University (Virginia). Liberty ist eine der weltweit größten christlichen Ausbildungsstätten. Allein der Lehrkörper umfasst fast 3 000 Voll- und Teilzeitkräfte, die Stiftung der Universität verfügt über ca. 1,6 Milliarden Dollar. Ein Studienjahr kostet Student:innen 40 000 Dollar, 15 000 von ihnen studieren vor Ort, mehr als 90 000 sind in Online-Kursen angemeldet. Die Universität strahlt damit in die gesamte evangelikale Bewegung aus und ist ein Hot-Spot der christlichen Rechten. Mit ihrer Gründung verband Falwell Sr. den Anspruch, die evangelikale Elite in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft auszubilden.

Die Student:innen unterwerfen sich einem strikten Verhaltenskodex, der außereheliche Beziehungen genauso verbietet wie das Feiern mit Alkohol. Sie nehmen verpflichtend an Universitäts-Versammlungen mit gemeinsamen Gebeten und Unterweisungen teil. Unter Falwell Jr. wurde die Universität zunehmend politisiert. Politiker:innen der Republikanischen Partei sind regelmäßig zu Gast (seltener auch Demokrat:innen), Ted Cruz startete 2015 während einer Studierendenversammlung gar seine Präsidentschafts-Kampagne.

Trotzdem unterstützte Falwell Jr. im letzten Präsidentschaftswahlkampf nicht Cruz, den natürlichen Kandidaten der rechten Evangelikalen, sondern ausgerechnet Donald Trump. Dessen Biografie und Auftreten weisen ihn eigentlich nicht als Liebling der wertkonservativen Frommen aus. Wie kam es dazu?

Hotelinvestment in Miami Beach

Bereits 2018 berichteten BuzzFeed News und die New York Times von einem seltsamen Geschäft, das die Familie Falwell mit einem Poolboy einging. Falwells Frau, Becki Falwell, ist selbst eine bekannte evangelikale Aktivistin und engagiert sich u.a bei „Woman for Trump“ für dessen Wiederwahl. Im März 2012 lernten die Falwells bei einem Auftenthalt im Fontainebleau Miami Beach Hotel Giancarlo Granda kennen, der dort als Poolboy beschäftigt war. Sie freundeten sich an und investierten bald gemeinsam in ein Jugend-Hostel in Miami, dessen Geschäftsführung Granda übernahm.

Der Vorgang regte, als er 2018 bekannt wurde, nicht nur die Phantasie der Beobachter:innen an, sondern nährte auch Zweifel am moralischen Standing der Falwells. Das Fontainebleau ist für seine Freizügigkeit und wilde Partys bekannt und im Jugend-Hostel der Falwells stiegen vor allem Student:innen zur Spring-Break ab. Miami ist eine Hauptstadt dieser feucht-fröhlichen US-amerikanischen Tradition und im Hostel der Falwells war explizit auch die LGBTQI-Community willkommen. All das steht im Widerspruch zur strengen Moral, die Jerry und Becki Falwell als Präsident und „First Lady“ der Liberty Universität verantworteten.

Das Angebot des „Fixers“

Bekannt wurde das Geschäft 2018, weil weitere Geschäftspartner die Falwells anscheinend mit privaten Fotos erpressten. Jetzt kommt Donald Trump ins Spiel, denn ausgerechnet sein Anwalt und persönlicher „Fixer“ Michael Cohen entbot seine Mithilfe beim Verschwindenlassen der kompromittierenden Aufnahmen. Zur gleichen Zeit suchte Donald Trump nach Verbündeten im evangelikalen Lager, um seinen Erfolg bei den Vorwahlen der Republikaner zu sichern.

Falwell zog seine bereits zugesagte Unterstützung für Ted Cruz zurück und sprach sich stattdessen als erster bekannter Evangelikalen-Fürst für Trump als US-Präsidenten aus. Zur Überraschung seiner Konkurrenten schlossen sich danach weitere Evangelikale Trump an. Er sicherte sich die Nominierung der Republikanischen Partei und später, dank der Stimmen der weißen Evangelikalen, die Präsidentschaft.

Falwell Jr. sprach auf dem Republikanischen Parteitag 2016 in den höchsten Tönen über den Familienmensch Donald Trump: „Meine Familie hat die Trumps lieben und schätzen gelernt. Nie zuvor haben wie eine solch bemerkenswerte und liebenswürdige Familie getroffen. Ich glaube fest, dass Mr. Trump der Milliardär der Arbeiterklasse ist.“

Seitdem hat Falwell Jr. seine Bedeutung als Vertreter der christlichen Rechten beträchtlich ausgebaut. Falwell verteidigte Trump sogar nach den rassistischen Demonstrationen in Charlottesville 2017, bei denen eine junge Frau von einem Neonazi getötet wurde, und beriet den Präsidenten persönlich mehrfach im Weißen Haus. Eigentlich war er als Wahlkampfhelfer für den laufenden Präsidentschaftswahlkampf und Redner auf dem in dieser Woche stattfindenden Parteitag der Republikaner fest eingeplant.

Doch bereits im Sommer zogen erneut Gewitterwolken über den Falwells auf. Jerry Falwell Jr. postete ein Foto auf Instagram, das ihn in Begleitung einer jungen Frau auf einer angemieteten Jacht zeigt. Beide posieren mit geöffneten Hosen und Falwell hält auf der Aufnahme ein Glas in der Hand, das seinem Bildkommentar nach „schwarzes Wasser“ enthielt. Die junge Frau wurde später als Assistentin von Becki Falwell identifiziert. Nach einigem Aufruhr löschte Falwell das Bild, das allerdings schon längst den Weg in die Medien gefunden hatte.

Die offensichtliche Diskrepanz von Falwells‘ Privatleben zur Universitätspolitik der Liberty Universität führte zu seiner „unbefristeten Beurlaubung“. Erstaunlich, da bisher alle Kritik aufgrund von rassistischen Äußerungen und politischer Parteinahme an Falwell und Liberty abgeprallt war. Beobachter:innen erwarteten zu diesem Zeitpunkt, dass Falwell sich eine Pause gönnen und später mit einer für die Evangelikalen typischen „Vom-Saulus-zum-Paulus“-Bekehrungsstory ein Comeback unternehmen würde.

Die Rache des Poolboys

Doch weit gefehlt. Am vergangenen Sonntag kam Falwell einer Veröffentlichtung der Nachrichtenagentur Reuters mit einem Statement im Washington Examiner zuvor, in dem er ein außereheliches Verhältnis seiner Frau zu Giancarlo Granda einräumte. Mit der kurzzeitigen Affäre habe Granda versucht, die Falwells zu erpressen. Die Reuters-Story vom Montag liest sich noch skandalöser:

Granda erklärt gegenüber Reuters den sexuellen Hintergrund der Geschäftspartnerschaft mit den Falwells. Er habe über sechs Jahre hinweg eine lange und intensive Affäre mit Becki Falwell gehabt, die Jerry Falwell Jr. bekannt gewesen sei. Mehr noch, Fallwell habe den Intimitäten zwischen seiner Frau und Granda als Zuschauer beigewohnt. Er habe die Falwells niemals erpresst. Jerry und Becki Fallwell widersprechen dieser Darstellung Grandas, allerdings hat Reuters die Geschichte des Poolboys anhand von Messenger-Nachrichten und Emails verifiziert.

Granda zufolge trübte sich das Verhältnis zu den Falwells aufgrund des gemeinsamen Hotel-Investments ein. Vermutlich spielen hier die Berichte über die LGBTQI-freundliche Hauspolitik des Hostels und die Enthüllungen rund um Michael Cohen und die Trump-Kampagne eine entscheidende Rolle. Granda fordert(e) von den Falwells, ihn aus dem gemeinsamen Investment herauszukaufen, die Falwells gerieten darüber mit ihm in Streit. In einer privaten Nachricht forderte Falwell Jr. Granda später auf, ihn und seine Familie in Ruhe zu lassen.

Der geneppte Poolboy wandte sich mit seiner Geschichte an Reuters und kam so eventuell Michael Cohen zuvor, der in einem Tell-All-Buch, das in wenigen Wochen erscheinen soll, umfassend über alle möglichen Affären rund um den US-Präsidenten Auskunft geben will. Falwell Jr. wurde nach den neuerlichen Enthüllungen zum Rücktritt an der Liberty Universität gedrängt. Als Trostpflaster erhält er eine Abfindung von 10,5 Millionen Dollar.

Fall aus dem Olymp

Beziehungsarrangements mit mehr als zwei Partner:innen sind seit biblischen Zeiten bekannt, selbst berühmte Theologen des 20. Jahrhunderts wie Paul Tillich und Karl Barth haben in amourösen Dreier-Konstellationen geliebt und gelebt. Mit dem hohen moralischen Anspruch der Liberty Universität, an der immerhin die Elite der Evangelikalen ausgebildet werden soll, vertragen sie sich aber nicht. Die private Cuckold-Vorliebe Falwells geht nun recht eigentlich niemanden etwas an, bildet aber natürlich einen extremen Kontrast zum Bild der evangelikalen Vorbild-Ehe, das die Falwells von sich entworfen haben.

Die Doppelmoral der Falwells hat schlussendlich zu ihrem Fall aus dem evangelikalen Olymp geführt. Dass sich Falwell Jr. erpressbar gemacht hat, hat darüber hinaus zur Wahl eines US-Präsidenten beigetragen, dessen Verhalten und Überzeugungen deutlich im Widerspruch zu christlichen Moralvorstellungen stehen.