„Man muss ja nicht jedes Rad drei Mal erfinden“
Friedrich Kramer ist Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und Mitglied im „Z-Team“ der EKD, das die „12 Leitsätze“ erarbeitet hat. Wie steht es um die Reformfähigkeit der evangelischen Kirchen?
Eule: Aus den 11 Leitsätzen für eine „Kirche auf gutem Grund“ vom Sommer sind 12 Leitsätze geworden. Warum? Und warum ist das Dokument so viel länger geworden?
Kramer: Das liegt daran, dass anders als das Papier „Kirche der Freiheit“, das den letzten Reformprozess begleitet hat, wir diesmal einen diskursiveren Stil haben. Wir sagen nicht, wo es lang geht, sondern haben einen Aufschlag gemacht, der unterschiedlich aufgenommen wurde. Die Leitsätze sind also eine Einladung zur Weiterarbeit, auch an die Synode. Mich freut, dass die Taufe beim Thema Mitgliedschaft und auch die Seelsorge jetzt einen hohen Stellenwert einnehmen.
Eule: Gegen Taufe und Seelsorge wird niemand etwas einzuwenden haben. Aber ist die Verlängerung nicht auch Symptom einer evangelischen Eigenart, dass am Ende immer alles drin sein muss in so einem Dokument, egal worum es eigentlich ging? Selbst der Titel ist noch mal gewachsen Das verwäscht doch das Ergebnis.
Kramer: Das ist die Gegenposition und es gab auch unter uns Stimmen, die sagten: „Lasst das, wie es ist!“ Die Mehrheit in unserer Gruppe war aber der Meinung, dass sich eine Überarbeitung lohnt. Es ist ja auch immer noch nicht alles drin. Die Leitsätze können und sollen nicht alles abbilden. Sie sind kein vollständiger Katalog dessen, was heute in der evangelischen Kirche wichtig ist. Es gibt ganz viele Themen, deren Fehlen man bemängeln kann. Aber es soll ja auch ein Anregungspapier sein, das Diskussionen auslöst und das sich die Landeskirchen – wenn sie mögen – in ihren Zukunftsprozessen anschauen können.
Eule: Im 12. Leitsatz heißt es: „Wichtig ist, dass zukünftig dieselbe Aufgabe jeweils nur noch einmal gemacht wird – und dafür gut.“ Geht es dabei um eine verstärkte Zentralisierung?
Kramer: Zentralisierung Ja oder Nein ist eine spannende Frage. Man hat nach „Kirche der Freiheit“ zum Beispiel Kompetenzzentren errichtet. Da fragen wir uns heute, wie die weiterentwickelt werden können. Wo kann man Dinge nochmal stärker bündeln? Das kann man schön auch in meiner eigenen Landeskirche sehen:
In Wittenberg haben wir ja das Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur. Die unterschiedlichen Kompetenzzentren zu diesen Fragen sollen sich stärker vernetzen. Ich glaube, wir dürfen nicht so eine Angst vor Zentralisierung haben nach dem Motto: „Jetzt wird alles zentral gesteuert!“. Gerade für uns finanziell schwächere Landeskirchen im Osten ist es selbstverständlich, Dinge gemeinsam zu machen. Das wird perspektivisch immer mehr der Fall sein, weil wir alle den Finanzierungsdruck merken. Andernfalls rutschen uns dann auch Sachen weg, die wir nicht mehr finanziert oder besetzt kriegen. Wenn man sich hingegen zusammentut, vorrangig in den Regionen, dann kann man das weiter leisten, aber eben nicht mehr jede Landeskirche für sich.
Es gibt bei uns immer noch die Abwehrbewegung, alles selber machen zu wollen. Solange man das finanzieren kann und Geld ohne Ende hat, kann man das ja machen. Aber eigentlich sollte man selbst dann zusammenarbeiten, denn man muss ja nicht jedes Rad drei Mal erfinden.
Eule: Die Zentralisierungsskepsis gibt es naturgemäß überall in den evangelischen Landeskirchen. Wer das ablehnt, der muss die Konsequenz akzeptieren, dass es dann eine starke Regionalisierung geben wird. Das kann in einigen Landeskirchen zu Fusionen führen, wie sie ihre Landeskirche ja schon hinter sich hat.
Kramer: Da bin ich mal ganz skeptisch, weil ich das nicht weiß. Es gibt oft so ein schnelles Bashing „Was, ihr seid nur noch 30 000 Leute? Ist das noch ne Kirche?“. Nein, mit dieser Frage muss man mit Respekt umgehen und nicht von außen sagen: „Ihr seid zu klein!“ Das müssen die Kirchen selbst entscheiden. Wenn sie merken, dass sie allein nicht mehr die Kraft haben und es sinnvoll ist zusammenzugehen, dann ergibt sich das.
Die Fusionen der Nordkirche und EKM sind ja auch nicht nur der Größe nach erfolgt. Es gab jeweils eine gemeinsame Idee davon, wie man in der Region Kirche sein kann. Bei uns gab es vor der Fusion die Situation, dass Erfurt als Landeshauptstadt Thüringens nicht Teil der Thüringischen Landeskirche war. Das kann man irgendwann ja keinem mehr erklären! Meine Erfahrung ist auch, dass eine Fusion kompliziert und schmerzhaft ist – und ob das am Ende so viel Geld einspart, kann man sich auch fragen. Ich sehe keine Fusionswelle auf uns zukommen.
Eule: Laut Finanzstrategie der EKD will man 30 % einsparen. Das heißt an manchen Stellen wird dichtgemacht, anderes wird zusammengestrichen, manches vollständig erhalten. Wenn das die Landeskirchen machen, dann werden das viele, viele Millionen Euro mehr sein, als im vergleichsweise kleinen EKD-Haushalt.
Kramer: Das ist richtig.
Eule: Es wird immer betont, an den Gemeinden und am Kundenkontakt will man nicht sparen. Also, wo soll in den Landeskirchen gespart werden?
Kramer: Die Frage ist, wie die Landeskirchen sich jeweils konzeptionell aufstellen. Wir haben als EKM ein ganz klares Finanzgesetz, das regelt, wie viel Geld in übergemeindliche Aufgaben geht und wie viel in die Gemeinden. Wenn die Ressourcen schrumpfen, schrumpfen sie überall. Davon kann man auch die Gemeinden nicht ausnehmen, wenn man einmal realistisch zum Beispiel darauf schaut, wie viele Menschen wir mit unseren Sonntagsgottesdiensten erreichen. Da müssen wir auch an viele Fragen ran.
Vor allem aber müssen wir endlich dieses Gegeneinanderstellen von Gemeinden und übergemeindlichen Aufgaben abstellen. Das kann man auch anders denken! Was wollen wir eigentlich, dass Hauptamtliche leisten? Wir sind eine Landeskirche mit einer ganz kleinteiligen Gemeindestruktur und sehr vielen Kirchen. So behalten die Leute ihre Identität. Das heißt im Umkehrschluss, dass unsere Pfarrer:innen – mit wenigen Ausnahmen in den Städten – für viele Gemeinden gleichzeitig zuständig sind.
Wir müssen darüber nachdenken, was – wie Sie sagen – der „Kundenkontakt“ für uns bedeutet: Was wünschen sich die Kirchensteuerzahler:innen von ihrer Kirche? Es wird wichtig bleiben, intensiven persönlichen Kontakt zu einzelnen Menschen zu halten. Die klassischen Sozialmuster wie Familie und Milieu rutschen weg und es geht vermehrt um die spirituelle Begleitung des einzelnen Menschen.
Eule: Sehen wir, wenn wir in den Osten schauen, die Zukunft der Kirche?
Kramer: Das weiß ich nicht. Die evangelischen Kirchen sind für ein überall gültiges Konzept viel zu vielfältig, von Landeskirche zu Landeskirche, aber auch intern. Wichtig ist, dass jede Kirche für sich Wege findet, die Grundfunktionen der Kirche zu erhalten: Dass wir Gottesdienst feiern, Seelsorge leisten und Kasualien begehen. Und wir müssen Neues ausprobieren! Wir haben bisher die Erprobungsräume neben unseren Strukturen gemacht, jetzt werden wir in die Erprobung der Strukturen kommen.
Eule: Das EKD-Engagement in Lutherstadt Wittenberg, das ja auf dem Gebiet der EKM liegt, soll auch mit der neuen Finanzstrategie beibehalten werden, mit einer Ausnahme: Aus der Finanzierung der Forschungsbibliothek will sich die EKD zurückziehen.
Kramer: Das bleibende Engagement in Wittenberg begrüßen wir ausdrücklich. Das ist auch wichtig, weil wir dort ja viel investiert haben. Als gemeinsamer Ort der evangelischen Kirchen hat Wittenberg eine große Bedeutung. Dass die Mittel für die Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek perspektivisch auf Null gefahren werden sollen, finde ich sehr kompliziert. Da hängen auch staatliche Leistungen mit dran, da wird man vielleicht noch einmal nachjustieren müssen.
Das ist an vielen Stellen der Finanzstrategie so. Es geht am Ende bei vielen Dingen auch nicht um riesige Beträge. Auf der anderen Seite kann ich diejenigen verstehen, die das Paket nicht wieder aufschnüren wollen. Das wird man diskutieren müssen.
Eule: Wird es dieses Jahr wieder einen singenden und klingenden digitalen Adventskalender von Ihnen geben?
Kramer: Selbstverständlich. Die Aufnahmen laufen.
Eule: Die EKD braucht ab dem kommenden Jahr einen neuen Ratsvorsitzenden. Haben Sie denn Lust?
Kramer: Ich stehe definitiv nicht zur Verfügung. Auch ein Engagement im Rat halte ich für nicht realistisch.
Das Gespräch führte Philipp Greifenstein.
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