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Politik

Apokalypse vertagt – Kommentar zum Ergebnis der Bundestagswahl

Plötzlich schieben alle Panik, dabei ist das Ergebnis der Bundestagswahl zwar besorgniserregend, aber wenig überraschend. Der Nach-Wahl-Kommentar von Philipp Greifenstein.

Bei Licht betrachtet, vermag das Ergebnis der Bundestagswahl vielleicht nicht zu begeistern, die von vielen befürchtete Apokalypse ist aber auch nicht eingetreten.

Die AfD sitzt ab sofort im Bundestag, sie hat dreizehn Prozent der Wählerinnen und Wähler überzeugt. Die Protest-Wählerschaft der AfD ist von der Großen Koalition enttäuscht gewesen. Am Ende der Legislatur werden sie genauso enttäuscht von der AfD sein. Hier wächst die Politikverdrossenheit nur noch weiter.

Die Rassisten, Antisemiten und Völkischen der AfD feiern, denn der Protest hat ihre Protagonisten in den Bundestag gebracht. So weit, so schlecht. Mehr gibt es zur AfD erst einmal nicht zu sagen.

Die Union geht runter, wo die SPD schon ist

Bemerkenswert vor allem ist der Untergang der CDU. Die Kanzlerinnenpartei hat nach SPD und FDP diesmal auch sich selbst geschrumpft. Das liegt nicht allein an ihrer Handhabung der Migrations- und Flüchtlingsfragen. Zu diesem Ressentiment-Sockel hat sich nun auch Überdruss gesellt.

Es zahlt sich bitter aus, dass Frau Merkel und die ihren weder die SPD noch irgendeinen demokratischen Gegner ernst genommen haben. Ohne Gegenüber bleibt auch das Politikangebot der Union blass. Wenn sich zwei Führungsparteien bekämpfen, dann gewinnen dadurch beide. Hätte es mehrere Kanzlerduelle gegeben, hätte Frau Merkel in Martin Schulz ihren Rivalen gefunden, hätten auch viele Wähler mehr bei den großen Parteien Alternativen erblickt. Es wäre um die Unterschiede in zwei großen Politikangeboten für das ganze Land gegangen. Stattdessen hat sich der Wahlkampf und seine mediale Begleitung fast ausschließlich auf die AfD fokussiert.

Der Untergang der „Volksparteien“ mag vielen egal sein, so sind die postmodernen Zeiten mit ihren losen Bindungen eben. Doch geht mit ihnen nicht nur traditionelle politische Identität verloren, sondern auch, dass man von Parteien mehr abfordert, als nur das Bedienen der eigenen Klientel.

Vielleicht muss man mit Blick auf die USA und Großbritannien feststellen, dass die Zeit des großen Dualismus vorbei ist. Dass hier jeder nur seinen Partikulinteressen frönt und zwischendurch von hässlichem Populismus profitiert, können wir uns nicht ernsthaft wünschen. Dann lieber Volksparteien, die sich neu erfinden. Im Falle der SPD in der Opposition als progressive Führungskraft. Im Falle der CDU trotz Regierungsmandat überhaupt mal wieder als Partei, in der diskutiert und um konservative Lösungen gerungen wird.

Dafür werden vielleicht die Diadochen-Kämpfe um die Nachfolge Merkels sorgen. Aber, wer ist da eigentlich? Nach so einem desaströsen Wahlergebnis hat noch kein Regierungschef der Welt weiterregieren können, nicht nach einem Jahrzehnt fallender Wähleranteile. Doch die CDU hat zu Merkel schlicht keine Alternative.

„Die Kleinen“

Den Grünen war am Wahlabend ihre enorme Erleichterung abzuspüren. Nicht wenige hatten ja in den letzten Tagen des Wahlkampfs mit einem Desaster gerechnet. Aber: Noch stehen die umweltbewussten, urbanen Progressiven auch hinter der grünen Partei. Sich auszumalen, was Jamaika im Hinblick darauf bedeutet, bedarf wenig Phantasie. Als einzige (halb-)linke Partei werden sie mitregieren und hoffentlich ein wenig aufs Soziale achten. Ich wünsche den Grünen viel Glück. Sie werden es brauchen.

Erleichtert waren irgendwie auch die Genossen der Partei DIE LINKE. Warum allerdings bleibt offen. Sie wurde im Osten von der AfD deklassiert. Dort liegt nun mal ihre Basis. Frau Wagenknecht ärgerte sich darüber, dass viele Protestwähler ihre Partei nicht mehr als Druckventil begreifen. Aber ist das nach all den Jahren nicht irgendwie auch überfällig und wenig überraschend? Vielleicht will ja der LINKE-Wähler auch mal von denen regiert werden und nicht nur Recht haben? Dafür scheint der Zug abgefahren, nicht nur in dieser Legislatur.

Apokalypse vertagt

Trotz aller medialer Bevorzugung und trotz monumentaler Schwächeanfälle bei den demokratischen Parteien, hat die AfD mit ihrem Kern an rassistischen, antisemitischen und völkischen Überzeugungen und Personal nur eine im Vergleich kleine Minderheit von Menschen von sich überzeugen können. Das darf nicht in Vergessenheit geraten, wenn sich die AfD als Retter des Vaterlands aufspielt und meint für das Volk zu sprechen – wie es Herr Gauland direkt am Wahlabend unternommen hat.

Die AfD im Bundestag wird uns allen viel Geduld und Disziplin abverlangen, nicht nur den Parlamentariern der demokratischen Parteien. Was der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert seinen Kollegen einschärfte, gilt für jeden Bürger: Wir sollten uns Stil und Inhalte des politischen Diskurses nicht vorschreiben lassen. Dass der politische Streit würdig und an der Würde des Menschen orientiert geführt wird, dafür müssen wir uns alle in die Pflicht nehmen lassen.

Es ist möglich, die AfD erfolgreich zu bekämpfen, wenn wir ihnen auf dem Feld des wirklich Politischen entgegentreten. Das erfordert auch neue Allianzen: Die Demokraten dürfen sich nicht auseinandertreiben lassen.

Zu befürchten steht, dass nach einer kommenden Spaltung der AfD ihr „rationaler“ Flügel auf einmal als koalitionsfähig empfunden wird. Lasst uns nicht vergessen, mit wem wir es da zu tun haben! Das gilt besonders für die Konservativen unter uns. Den Progressiven im Lande ist es aufgetragen, ihre Überzeugungen zu einem optimistischen Zukunftsentwurf zusammenzuschnüren, der bei der nächsten Wahl auch die zu überzeugen vermag, die ängstlicher in die Zukunft schauen.

Die Apokalypse ist vertagt, aber nicht abgesagt. Die Deutschen bleiben ein verführbares Volk – wie andere auch. Die Achtsamkeit muss dort beginnen, wo definiert wird, wer zu diesem Volk gehört. Wir alle müssen wachsam bleiben.