Bereit für den Marathon
Die Deutsche Bischofskonferenz hat zum ersten Mal eine Generalsekretärin. Beate Gilles ist zugleich neue Geschäftsführerin des Verbands der Diözesen Deutschlands (VDD).
Von Kurt Marti, dem Schweizer Pfarrer und Poeten, dessen 100. Geburtstag in diesen Tagen gefeiert wird, stammt der Aphorismus: „Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und keiner ginge mal nachsehen, wo man hinkäme, wenn man hinginge.“ Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) schaut mit der Wahl von Beate Gilles zur ersten Generalsekretärin in ihrer Geschichte in die Zukunft.
Wo käme man hin, wenn man sich mit Beate Gilles auf den Weg macht? Ziemlich schnell sehr weit, so scheint es. Die Ausdauerläuferin Gilles benötigt für die Marathondistanz 4:14:59 Stunden. Eine überdurchschnittliche Laufzeit in der Königsdisziplin der Läufer:innen. Auf ihre Kompetenz auf der Langstrecke spielt sie bei ihrer Vorstellung am Dienstagmittag selbst an. Durchhaltevermögen und Zähigkeit bringe ich mit, soll das wohl bedeuten.
Der Vorsitzende der DBK, Bischof Georg Bätzing (Limburg), hatte ein Jahr lang gemeinsam mit seinem Stellvertreter Franz-Josef Bode (Osnabrück) und Franz Jung (Würzburg) nach eine:r Nachfolger:in für den langjährigen Sekretär Pater Hans Langendörfer gesucht. Eine geschlechtsinklusive öffentliche Ausschreibung hatte im letzten Jahr schon für Aufsehen gesorgt. Dass man unbedingt eine Frau für das Amt suchte, war bekannt. Auch eine Personalberatungsagentur wurde, so Bätzing, hinzugezogen. Fündig wurde man dann direkt vor der Haustür des DBK-Vorsitzenden: Beate Gilles war bisher in Bätzings Bistum Dezernentin für Kinder, Jugend und Familie und hat sich dem Vernehmen nach auf die Ausschreibung hin für das Amt beworben.
Eine erfahrene Kirchenfrau
Die 50-jährige Gilles wird ihr neues Amt Amt am 1. Juli 2021 antreten. Von 1989 bis 1995 studierte sie an der Universität Bonn katholische Religionslehre und Deutsch, 2000 promovierte sie mit einer liturgiewissenschaftlichen Arbeit zur Dr. theol.. In ihrer bisherigen Karriere hat sie ein breites Spektrum kirchlicher Handlungsfelder bearbeitet. Die daraus gewonnenen Erfahrungen dürften diejenigen vieler Bischöfe übertreffen, die von Priesterseminar und Universität über kurze Umwege in die Kirchenverwaltung einrückten – und das, was die Kirche für die Menschen bedeutet, nur aus der Aufseher-Perspektive kennen.
Gilles arbeitete als Referentin in der Erwachsenenbildung, war Mitarbeiterin bei der katholischen Fernseharbeit im ZDF, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bonn, dann Geschäftsführerin des Katholischen Bildungswerkes Stuttgart und zuletzt seit 2010 Dezernentin für Kinder, Jugend und Familie im Bistum Limburg. Seit Anfang 2021 vertritt sie die Interessen der hessischen katholischen Diözesen im hr-Rundfunkrat. Auch in diesem Amt ist sie die erste Frau.
Wie man es für die Besetzung eines solchen Spitzenamtes erwarten darf, bringt sie langjährige Leitungs- und Geschäftsführungserfahrung mit. Eine „Quotenfrau“ ist Gilles eindeutig nicht. In Personalunion wird sie, wie ihr Vorgänger auch, den Verband der Diözesen Deutschlands (VDD) als Geschäftsführerin leiten. Von einer Trennung beider Tätigkeiten, wie sie zwischenzeitlich diskutiert wurde, habe man mit Blick auf die schwindenden Ressourcen Abstand genommen. So ist Gilles Wahl mehr als ein Feigenblatt: Mit ihren neuen Ämtern sind Gestaltungsspielraum und Macht verbunden.
Sympathien für Maria 2.0
„Es ist gerade eine herausfordernde, aber auch spannende Phase für die katholische Kirche in Deutschland. Mit dem Synodalen Weg hat etwas Neues begonnen. Dieser Prozess wird es mir ermöglichen, die differenzierte katholische Landschaft schnell kennenzulernen“, freut sich Gilles bei ihrer Vorstellung. Tatsächlich ist ihre Wahl nur zwei Tage nach den aufsehenerregenden Thesenanschlägen der Reformbewegung Maria 2.0 bemerkenswert.
„Das sind Frauen, die in der Mitte unserer Kirche stehen“, findet Gilles auf Nachfrage der Eule. „Viele Ziele von Maria 2.0 sind auch mir ein Anliegen“, antwortet sie konziliant auf die Frage danach, ob sie sich mit den protestierenden Frauen solidarisiere. Im Ehrenamt ist Gilles seit vielen Jahren bei „IN VIA Deutschland“, dem katholischen Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit, engagiert. Seit 2020 als dessen Vorsitzende.
„IN VIA“ setzt sich für benachteiligte Mädchen und Frauen ein, zum Beispiel in der Schulsozialarbeit und bei Migrationsfragen. Dabei tritt der Verband als dezidiert politischer Akteur an der Seite von Frauen auf, die am Rande der Gesellschaft stehen. Diese Perspektive schätze sie als Ergänzung „zu der häufig privilegierten diözesanen Arbeit“ sehr, so Gilles. Werden sich Gilles‘ frauenpolitische Erfahrung und Kompetenz in ihren neuen Ämtern niederschlagen?
Auf Nachfrage der Eule, ob sie sich denn selbst als Feministin beschreiben würde, antwortet sie jedenfalls nicht direkt. Sehr verständlich in einer Kirche, in der Feminismus und „Gender-Ideologie“ nicht wenigen als Teufelszeug gelten. „Ich bin eine selbstbewusste Frau, die schon lange in der katholischen Kirche aktiv ist“, antwortet Gilles nach einem kurzen Lacher. „Ich erlebe die Kirche als Ort, an dem ich mich gerne engagiere und das wird auch in Zukunft so sein. Auch ein Marathon entscheidet sich nicht auf der 42-Kilometer-Strecke, sondern auf den tausend Trainingskilometern davor.“