Wenn die Webcam angeht
Während der Corona-Pandemie experimentieren viele Kirchen und Gemeinden erstmals mit Videochat-Werkzeugen. Andernorts haben sie sich im Alltag schon durchgesetzt. Was wir bisher gelernt haben und noch verbessern können:
Mit dem Phänomen Videokonferenzen begann es im Frühjahr 2020 nach meinem Eindruck folgendermaßen: Die meisten hatten davon schon einmal davon gehört, nur gemacht hatte es bislang kaum eine:r in schulischen und kirchlichen Kreisen.
Die Pandemie hat gezeigt, wir sind als Kirche auch digital handlungsfähig. Nie zuvor gab es auf breiter Ebenen so viel Bereitschaft, sich mit neuen digitalen Tools und Technologien auseinanderzusetzen. Einzelne Dienstreisen zu Konferenzen können dank Videocalls überflüssig werden, aber auch Besprechungen mit vielen Menschen, die einen vollen Terminkalender haben, lassen sich viel schneller organisieren.
Für einen Cultural Change, einen Kulturwandel, brauchen wir als Kirche allerdings deutlich mehr! Geld für Technologien auszugeben ist relativ einfach. Mitarbeitende und kirchliche Teams im Sinne einer nachhaltigen digitalen Transformation zu schulen und zu professionalisieren, ist deutlich komplexer und anspruchsvoller. Jedoch benötigt eine inhaltlich und methodisch gelungene Online-Veranstaltung mehr als digitale Tools und das „Elektrifizieren“ einer vorher kohlenstofflichen Variante.
Nach fast einem Jahr des Ausprobierens, Einblicken in private Arbeitszimmer, ungewollten Katzenfiltern, lustigen TikTok-Videos über Pleiten, Pech und Pannen, technischen Herausforderungen und dem Gefühl von Zoom-Müdigkeit, erkenne ich allmählich Innovationen am #digitalekirche-Horizont. Immer mehr Initiator:innen von digitalen Konferenzen, Fortbildungen und Gottesdiensten erkennen und fokussieren einen bislang vernachlässigten Aspekt: Social Connecting, informelles Beisammensein im digitalen Raum, und die Wichtigkeit einer eigenen Didaktik und Methodik für Videokonferenzen.
Online-Veranstaltungen und hybride Formate werden zukünftig wichtige mediale Formate für Kirchen und Schulen darstellen. Erfolgreich werden aber nur diejenigen Akteur:innen sein, die es verstehen, die inhaltliche Themensetzung mit einer neuen Form des Sozialen zu verbinden.
Ungewollte Katzenfilter und Zoom-Müdigkeit
„Eine Zoom-Sitzung mit so viel Vertrautheit und Offenheit habe ich noch nie erlebt. Da wird digitaler Raum plötzlich ganz warm und gemütlich. So wünsch ich mir EKBO und digitale Kirche allgemein“, sind die Worte einer Teilnehmerin der ersten digitalen „FuckUp Stories EKBO“ vom November 2020. Das Scheitern aus der Tabuzone zu holen und direkt auf die Bühne zu stellen, war das inhaltliche Motto des Abends.
Zudem wurde bei dieser digitalen Veranstaltung erlebt: Nähe geht trotz Social Distancing! Informeller Austausch und Interaktion sind nicht „nice to have“ sondern vielmehr ein wesentliches Element für die Effizienz einer digitalen Veranstaltung. Auch bei einer digitalen Veranstaltung kommen Menschen zusammen, die sich zu einem Thema austauschen und vernetzen wollen. Aber anders als in Präsenzveranstaltungen gibt es keinen gemeinsamen Tagungsraum, keine Kaffeepause und keine zufälligen Treffen im Gang.
Dafür braucht es eine Atmosphäre und Haltung, um Nähe und Zugehörigkeit herzustellen und das Selbstverständnis, auch im virtuellen Raum als Gastgeber:in zu agieren. Dazu gehören aus meiner Erfahrung:
Zeit am Anfang für einen Check-In: Im Gegensatz zu kohlenstofflichen bieten virtuelle Treffen den Teilnehmenden mehr Raum für Ablenkung. Ziel sollte es sein, virtuelle Inhalte zu kreieren, die eine Beteiligung gleich zu Beginn ermöglichen, zum Beispiel durch Live-Abstimmungen, Umfragen, ein Brainstorming.
Raum für Begegnung und Fragen in kleinen Gruppen: Nicht alles kann oder will man im Plenum besprechen. Das ist bei virtuellen Treffen nicht anders, als auf kohlenstofflichen Konferenzen. Genutzt werden sollten also Videokonferenz-Werkzeuge, die einen Wechsel der Sozialform zulassen. In Gruppenräumen können Networking, Reflexion, Gruppenarbeit und Austausch stattfinden.
Digitale Kaffeepausen oder Digital Drinks zum Get Together wie #BYOB – Bring your own beer am Ende einer Veranstaltung.
Integration von thematisch passenden Warm-Ups und Energizern: Das heißt, neue Themen oder Tagungsabschnitte werden bewusst mit einer Aktion zum Mitmachen eingeleitet. So wird der Strom aus Inhalten strukturiert und aufgelockert.
Jedes Meeting mit einem Check-Out beenden: Wie auch bei einer kohlenstofflichen Veranstaltung sollte man digital nicht einfach auseinandergehen und die Kamera abschalten. Außerdem können Check-Outs mit sinnvollen Feedback-Methoden gestaltet werden, die für Teilnehmer:innen und Veranstalter:innen wichtige Erkenntnisse bringen.
Bei digitalen Veranstaltungen ist es deutlich schwieriger die Reaktionen der Teilnehmenden wahrzunehmen, wenn das Gegenüber aus einer Aneinanderreihung von Videokacheln besteht. Umso wichtiger ist hier am Ende ein beidseitiges wertschätzendes Feedback und eine gut durchdachte Verabschiedung. Auf der „FuckUp Stories Night EKBO“ gab es am Ende eine sehr simple, aber schöne spirituelle Geste. Die Teilnehmenden bekamen den Auftrag, ihre Videokachel in der Mitte des Bildschirms zu platzieren und die Hände auszubreiten. So entstand im Gesamtbild eine virtuelle Menschenkette, die Landesonlinepfarrer Andreas Erdmann mit einem Segen verabschiedete.
Machen und vor allem besser machen
Eine Antwort auf die Frage, wie wir in (Online-)Veranstaltungen arbeiten wollen, kann uns keine Technologie geben. Nur eins steht fest: Wir können klassische Präsenzveranstaltungen nicht Eins-zu-eins ins Digitale übertragen. Und ich gehe ein Level weiter: Wollen wir den Stil früherer kohlenstofflicher Konferenzen wirklich zurück?
Lange Vorträge ohne Interaktionsmöglichkeit, einzelne Workshopangebote, synchrone Bildungssettings und mäßige Moderation? Freilich sind zum Beispiel Barcamps schon vor der Corona-Pandemie einen anderen Weg gegangen. Aber auch diese Formate dürfen nicht stehen bleiben, müssen sich neu erfinden, und sich bezüglich des fachlichen Niveaus kritisch hinterfragen.
Wenn es ein Learning aus den digitalen Veranstaltungen des letzten Jahres gibt, dann vor allem die Emanzipation der Interaktion und Vermittlungskompetenz. Bildungsakteur:innen in Kirche und Schule sollten diese Kompetenzen im virtuellen Raum sowie auf Präsenzveranstaltungen entwickeln und professionalisieren. Eine Online-Konferenz mit vielen Pausen, souveräner Moderation, fokussierten Inputphasen, abwechslungsreicher Methodenwahl, starkem partizipativen Ansatz, Einbindung der (Online-)Community und asynchronen Lernsettings ist für mich der Inbegriff einer gelungenen Online- und Präsenzveranstaltung gleichermaßen.