Interview Ökumenischer Kirchentag während Corona

„Digitale Gemeinschaft ist möglich!“

In einem Monat findet der 3. Ökumenische Kirchentag statt, wegen der Corona-Pandemie vornehmlich digital. Im Eule-Interview erklärt Kirchentags-Generalsekretärin Julia Helmke, was wir vom ÖKT erwarten können.

Eule: Kann man eine Veranstaltung wie den Kirchentag, der so aufs Analoge angewiesen ist, überhaupt ins Digitale übertragen? Wird das ein „Kirchentag im Netz“ oder wird der 3. Ökumenische Kirchentag in diesem Jahr eine ganz andere Veranstaltung?

Helmke: Ja, es wird eine ganz andere Veranstaltung. Wir kopieren nicht einfach den Ökumenischen Kirchentag per Copy-Paste ins Internet und damit ist alles gut. Durch den Wechsel ins Digitale haben wir noch einmal bemerkt, wie viel Partizipation, die man nicht einfach so übertragen kann, in so einem Kirchentag tatsächlich steckt. Im vergangenen Jahr haben wir als Gesellschaft und als Kirchen aber auch gelernt, dass digitale Partizipation sehr wohl möglich ist.

In der Pandemie wird deutlich, dass der Kirchentag ein Experimentallabor war und ist und es darum geht, sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen. Wir beschäftigen uns seit einem Jahr damit, wie wir den ÖKT während der Pandemie durchführen können, und haben da um jede Entscheidung gerungen. Den ÖKT dieses Jahr trotzdem durchzuführen, ist eine Herausforderung, der wir uns gestellt haben. Das haben wir nicht immer mit Freude getan. Aber man muss halt auch deutlich sagen: die Alternative wäre eine Absage gewesen.

Eule: Warum hat man denn nicht einfach abgesagt oder verschoben?

Helmke: Am Anfang dachten wir auch, wir verschieben das um ein oder zwei Monate, dann ist alles gut. Heute können wir realistisch sagen: Dann ist überhaupt noch nicht alles gut. Das Gesundheitsamt geht davon aus, dass alle großen Veranstaltungen bis Ende des Jahres unter Vorbehalt stehen und eigentlich nicht analog stattfinden sollen. Wir wissen nicht, wann die Pandemie vorbei ist, insofern kam eine Verschiebung für uns nicht in Frage.

Und die Fragen, die jetzt gerade gestellt werden, sind ja auch unsere Fragen: Wie gehen wir mit der Pandemie als Kirchen und als Gesellschaft um? Der ÖKT wird eine Plattform sein für Fragestellungen jenseits der täglichen Inzidenzzahlen, für Fragestellungen, die in der täglichen Diskussion hinten runterfallen. Dafür ist für mich dieser ÖKT ein ganz wichtiges Zeichen.

Es haben sich viele Menschen an uns gewandt und gesagt: „Wir brauchen diese seelische Tankstelle. Wenn das jetzt einfach ausfällt, wäre das für uns ein Loch. Es würde zeigen, dass die Kirche sich nicht traut, etwas Neues zu wagen.“ Den ÖKT ganz zu lassen, nur weil das, was wir uns ursprünglich gewünscht haben, nicht möglich ist, kam für uns deshalb nicht in Frage.

Eule: Immerhin hat ja in den Kirchen inzwischen auch eine Gewöhnung an digitale Formate stattgefunden.

Helmke: Wir sehen, dass viel mehr möglich ist, als sich das viele Menschen zu Beginn der Corona-Krise vorgestellt haben. Natürlich spielt uns die Digitalisierungswelle in der Kirche da in die Hände. Digitale Gemeinschaft ist möglich! Vor einem Jahr hätte ich persönlich mir nicht vorstellen können, dass man miteinander auch im Netz betet. Das war für mich zu Beginn schon seltsam. Nun haben wir als ÖKT über Ostern eine Reihe von Insta-Andachten gemacht und da habe ich gemerkt, wie selbstverständlich das für mich inzwischen geworden ist. Es ist in den Kirchen, aber auch in der gesamten Gesellschaft – man schaue sich einmal die Parteitage an -, wirklich eine Menge möglich geworden.

Eule: Meine Befürchtung ist, dass von der Breite des sonst üblichen Kirchentagerlebnisses das übrig bleibt, was ohnehin in der Presse schon immer Aufmerksamkeit auf sich zieht: Politiker:innen mit Kirchentagschals. Und wir sitzen zuhause und hören, was die zu sagen haben.

Helmke: Gesprächsrunden mit Politiker:innen wird es natürlich geben. Dass der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kommt, freut mich zum Beispiel außerordentlich, weil das Thema Friedenssicherung gesellschaftlich im Moment völlig untergeht. Ein Blick in die Ostukraine und auf die Krim zeigt aber, wie akut das Thema ist.

Wir werden aber zahlreiche Möglichkeiten für die Beteiligung der Teilnehmer:innen haben und nicht einfach „Fernsehen“ machen. Neben Live-Streams im ÖKT-Studio-Programm haben wir andere Formate wie Workshops, Barcamps und digitale Begegnungsorte. Ein Gedanke, der vielleicht bisher noch zu kurz gekommen ist, ist die Dezentralität des ÖKT. Hier gibt es schon viele gute Ideen, den Kirchentag vor Ort mitzugestalten.

Eule: Seit einem Jahr wird immer wieder die Frage gestellt, ob Corona unser Leben nachhaltig verändern wird, z.B. unseren Angang an Großveranstaltungen. Ich gebe zu, wenn ich an eine Halle mit tausenden Menschen drin denke, das fühlt sich nach einem Jahr Corona irgendwie gefährlich und falsch an. Wie wird sich der Kirchentag post-Corona verändern?

Helmke: Die Digitalisierung des Kirchentages wird weitergehen, voraussichtlich noch stärker als hybrides Format. Die Sehnsucht nach Leiblichkeit, beim Abendmahl und darüber hinaus, ist in die Theologie tief eingeschrieben. Das Ziel ist also nicht, in Zukunft einen rein digitalen Kirchentag zu haben.

Die Digitalisierung verändert die Vorbereitung immens und erweitert die Mitwirkungsmöglichkeiten der Teilnehmer:innen. Wir werden sehen, welche Themen und Veranstaltungen bewusst digital oder analog oder hybrid durchgeführt werden können. Das wird natürlich auch daran hängen, wie stark jetzt die Resonanz ausfällt. Von diesem erzwungenermaßen digitalen ÖKT können wir für die Zukunft viel lernen.

Eule: Das Motto des 3. Ökumenischen Kirchentages ist „schaut hin“. Wohin?

Helmke: Der ursprüngliche Gedanke mit Rückgriff auf Markus 6, 38 ist: „Schaut hin, wo eure Ressourcen sind“. Das ist in der Pandemiesituation bleibend wichtig. Natürlich verbindet sich damit auch die Aufforderung, dahin zu schauen, was sonst verborgen ist oder droht unterzugehen. Innerkirchlich bedeutet das, sich den Umgang mit Macht und Missbrauch in den Kirchen anzuschauen, und gesellschaftspolitisch sind es vor allem Fragen nach dem, was uns zusammenhält und nach der globalen Verantwortung im Hinblick auf Klimakrise, Armut und gerechte Verteilung. Mir ist dabei der Gedanke von Hans Leyendecker vom Evangelischen Kirchentag 2019 zu den „guten Nachrichten“ wichtig: Auch darauf zu schauen, was uns stärkt und was gelingt. Das kommt mir in der Corona-Zeit zu kurz.

Eule: Ist es vom ÖKT nicht zu viel verlangt, in dieser Zeit der Nachrichten-Überforderung eigene Themen zu setzen?

Helmke: Bei den Evangelischen Kirchentagen – und so wird es auch bei diesem Ökumenischen Kirchentag sein – ist es eigentlich nie gelungen, vorher festzulegen: „Dieses eine Thema wollen wir jetzt setzen!“. Trotzdem haben sich meistens ein, zwei Themen herauskristallisiert, die Öffentlichkeit gefunden haben und vor allem auch in der Gesellschaft weiter diskutiert wurden. Ich denke da an die Friedenspolitik in den 1980er-Jahren, aber auch an 2019 mit der Seenotrettung. Die kam drei Tage vor dem Kirchentag erst so richtig auf die Tagesordnung beim DEKT und hat sich dank der Schlusspredigt von Sandra Bils richtig manifestiert.

Es sind noch ein paar Tage bis zum ÖKT und wir wissen alle nicht, was bis dahin noch passiert. Dass sich die Frage der Pandemie-Bewältigung durch alle Themenbereiche durchzieht, ist aber jetzt schon klar.

Zum 3. ÖKT laden ein (v.l.n.r.): Bischof Georg Bätzing (Limburg), Kirchenpräsident Volker Jung (EKHN), DEKT-Generalsekretärin Julia Helmke, ÖKT-Präsident Thomas Sternberg, ÖKT-Präsidentin Bettina Limperg, ZdK-Generalsekretär Marc Frings (Foto: ÖKT)

Eule: Reden wir über das Ö in ÖKT: Meine Wahrnehmung der Ökumene an der Basis ist, dass wir gemeinsam feiern, gemeinsam Gemeinde sein können und zu vielen Fragen auch ein gemeinsames christliches Zeugnis in der Gesellschaft geben können. Aber eben nicht bei allen Themen, denn es gibt auch Meinungsverschiedenheiten, z.B. bei den Themen assistierter Suizid, Schwangerschaftsabbruch, LGBTQI*. Welche heißen Eisen werden angepackt?

Helmke: Der ÖKT ist kein kontrovers-theologisches Expert:innen-Gremium. Das heißt, er dient eher nicht dazu (theoretisch) zu sondieren, was die „heißen Eisen“ sind und zu entscheiden, welche davon angepackt werden oder nicht. Es geht um den Moment der Begegnung und der Gemeinschaft, miteinander zu feiern und zu diskutieren. Meinungen und Standpunkte sind dabei ja nicht immer festgefügt, sondern wir erleben einen Prozess, der durch die Begegnung und den Dialog gewinnt.

Ökumene insgesamt ist immer ein Prozess, nie ein abgeschlossenes Ergebnis. Als ein wirkliches Plus dieses 3. Ökumenischen Kirchentages sehe ich die verstärkte Mitwirkung der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK). Ökumene ist ja nicht nur evangelisch-katholisch, sondern viel ausdifferenzierter. Das wird sich bei diesem Kirchentag auch in den Veranstaltungen zeigen. Unsere Gesellschaft ist divers, für die Kirchen ist dies auch ein Lernfeld. Da setzt dieser Kirchentag ein positives Zeichen ökumenisch und interreligiös.

Eule: Ein Zeichen für mehr Ökumene sollte auch das gemeinsame Abendmahl sein. Wann wird es so weit sein?

Helmke: Ich habe auf dem gemeinsamen Weg gelernt, dass es nicht allein darum gehen kann, wann denn nun gemeinsam Abendmahl oder Eucharistie gefeiert wird. Es geht auch darum, gegenseitig wahrzunehmen, was wir denn da eigentlich feiern, wenn wir an den Tisch des Herrn treten. Dafür hat die Schrift „Gemeinsam am Tisch des Herrn“ von 2019 eine wichtige theologische Grundlage geliefert.

Davon ausgehend wünsche ich mir, dass wir „ökumenische Sensibilität“ zu einem neuen Leitbegriff der Ökumene machen. Wir nehmen den Reichtum der verschiedenen Konfessionen wahr und ernst. Wir sagen nicht, das eine ist besser als das andere. Wir lernen uns einander besser kennen. Das klingt banal, aber für die Glaubenden geht es dabei auch um die Möglichkeit, einen persönlichen Vertrauensbezug zu den verschiedenen Mahlfeiern herstellen zu können.

Wenn ich also am Samstagabend des ÖKT zu einem der geplanten Gottesdienste gehe, je nachdem ob und wie es die pandemische Lage zulässt, gehe ich nicht zu einem ökumenischen, sondern zu einem ökumenisch sensibel gestalteten, aber konfessionellen Gottesdienst. Zentraler Gedanke dabei: Christus lädt ein. Wir nehmen am Mahl teil, weil wir uns eingeladen fühlen und unsere Gewissensentscheidung geachtet wird.

Eule: Das ist dann aber eben kein gemeinsames Abendmahl.

Helmke: Das hängt davon ab, was man unter einem gemeinsamen Abendmahl versteht. Dass man gemeinsam am Tisch des Herrn steht, ist ja nicht wenig.

Eule: Ich sage ja auch nicht, dass es wenig ist. Aber die Begriffe haben ja einen Anlauf und gemeinsames Abendmahl bedeutet: Es ist eine gemeinsame Feier.

Helmke: Ja, das wäre etwas anderes. Das aktuelle ÖKT-Materialheft zu den konfessionellen Gottesdiensten in ökumenischer Sensibilität bietet über die Mahlgestaltung hinaus aber viele Anregungen, wie wir auch in den Gemeinden vor Ort in Zukunft verstärkt so miteinander feiern können, dass die unterschiedlichen Traditionen sich gegenseitig befruchten und wir voneinander lernen. Das geht schon bei einer ökumenisch sensiblen Liedauswahl los. Wir hoffen damit Impulse für die gottesdienstliche Alltagspraxis auch nach dem ÖKT setzen zu können.

Eule: Was ist denn das christliche Zeugnis in dieser Zeit?

Helmke: Sowohl für die Kirchen als auch für die ganze Gesellschaft ist es wichtig, dass man nicht einfach sagt: Ich stehe hier und bewege mich nicht weiter – und du stehst dort, das ist halt so, wir respektieren uns und damit Schluss Ende. Nein, wir sind ja zusammen auf dem Weg. Zeugnis ablegen heißt zu wissen, wer wir sind und was unsere Überzeugungen sind – zugleich offen dafür zu sein, miteinander Wege zu gehen und sich verändern zu lassen.

Ich finde, das ist in einer Gesellschaft, in der sich Positionen immer weiter verhärten, ein ganz wichtiges Zeichen. Darum haben wir uns auch dafür entschieden, dass der ÖKT stattfindet. Das mag erst einmal subkutan anmuten, aber ich hoffe, dass die vielen Menschen, die am ÖKT digital teilnehmen werden, diesen Gedanken weitertragen und so die gemeinsame christliche Verantwortung stärken.


Das Gespräch führte Philipp Greifenstein.


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