Zerstörte Häuser in Aleppo, Foto: Stefan Rammelt

„Aleppo sieht aus wie Dresden 1945“

Eine thüringische Kirchengemeinde unterstützt den Wiederaufbau in syrischen Kriegsgebieten. Pfarrer Christian Kurzke hat zuletzt Spenden in Höhe von 12 000 € überbracht. Die Zukunft des Landes hängt derweil weiter in der Schwebe.

„Aleppo sieht aus wie Dresden 1945″, berichtet Pfarrer Christian Kurzke. Einige Stadtviertel seien fast vollständig zerstört, in anderen hätten die Rebellen alle Wohnungen leergeräumt. „Drei Jahre gab es keinen Strom, vier Wochen lang kein Wasser. Da werden unsere Probleme hier sehr relativ.“

Der Pfarrer aus Ostthüringen war acht Tage in Syrien unterwegs: „Die Menschen sind sehr dankbar für unsere Hilfe. Ich war der erste Ausländer, der sie besucht – sie haben das Gefühl, in ihrem Leid vergessen zu sein.“ Seit 2015 unterstützt er kleine Projekte im engen Austausch mit Partnern vor Ort: „Ich finde es sehr wichtig, Solidarität zu zeigen.“

Die überreichten Spendengelder stammten hauptsächlich aus einer Kollekte der Westfälischen Landeskirche sowie einem Benefizlauf der Christlichen Gemeinschaftsschule Gera. Die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) unterstützt die Hilfsprojekte der Kirchengemeinde Rüdersdorf-Kraftsdorf jährlich mit 80 000 Euro. Dieses Jahr werden damit Bildungsprojekte im Nordirak, im Libanon und in Syrien gefördert. Das Engagement der Gemeinde ist über die Jahre stetig gewachsen, jetzt soll auch die Werbung in Deutschland für die Hilfsprojekte verbessert werden: „Wir sind mittlerweile wie eine kleine NGO und werden uns jetzt noch besser organisieren.“ (Facebook-Seite der Initiative)

Seife für Syrien

Seine Reise führte Kurzke nach Kessab zum Seifenproduzenten Avedis Titizian, der im Krieg seine Existenz verloren hat. Um ihm einen Neuanfang zu ermöglichen, verkauft die Kirchengemeinde seine Seifen.

Ab Oktober werden wie im Vorjahr 3 600 Stück angeboten, den Erlös erhält der Syrer. Im vergangenen Jahr war dieselbe Menge nach acht Wochen ausverkauft. „Wer auf der Suche nach einem sinnvollen Weihnachtsgeschenk ist, ein Dankeschön für Ehrenamtsabende zum Jahresende sucht, kann die Seife bei mir per Email bestellen“,  so Kurzke.

Pfarrer Christian Kurzke in Syrien, Foto: Stefan Rammelt

In Aleppo hat die Thüringer Kirchengemeinde im Jahr 2016 einen Zahnarztstuhl für das Kirchenzentrum „Church of Christ“ der armenisch-evangelischen Gemeinde finanziert – nun bezahlt sie den Generatorenstrom. „Während der Belagerung war das die einzige Zahnarztpraxis für 20.000 Menschen, und auch jetzt finanziert die Kirche eines der wenigen Zentren für medizinische Versorgung“, erklärt Kurzke. Er überreichte zusätzlich Geld für einen Notfonds für Patienten, die Medikamente nicht zahlen können. Die Helfer suchen weiterhin gebrauchtes, aber voll funktionstüchtiges medizinisches Gerät und Krankenhausinventar.

In Homs überreichte er an eine maronitische Gemeinde 7 000 Euro für die Fertigstellung eines Freizeitheims. „Kinder sollen die zerbombte Betonwüste zeitweise für einen Aufenthalt auf dem Land verlassen können. Schon der Rohbau wird genutzt, die Kinder sind überglücklich inmitten der grünen Obstplantagen.“ Auch hier hatte er Medikamente für die Arztpraxis in der Kirche dabei.

Die Zukunft der Christen in Syrien

„Kirchgemeinden entstehen neu in Gebieten, wo es sie bisher nicht gab. Zugleich gibt es einen großen Verlust an historischer Verwurzelung und Mitgliederschwund wegen des Exodus,“ beschreibt Kurzke die momentane Lage der Christen im Land. „Sie haben gelernt konstruktiv mit ihrer Minderheitenstuation umzugehen. Mittelfristig werden die Folgen ähnlich wie im Libanon nach dem Bürgerkrieg heute sein. Mischwohngebiete wird es kaum noch geben, die Angst als Christ in einem sunnitischen Viertel zu wohnen ist durch den Krieg gewachsen.“

Laut Kurzke leisten die Kirchen mit ihrer sozial-diakonischen Arbeit einen großartigen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes – auch in ökumenischer Zusammenarbeit. Allerdings bestehe auch die Gefahr eines „schleichenden Proseletysmus, wo immer Geld oder Hilfe durch eine Kirche oder Denomination versprochen und gewährt wird.“

Europa in der Pflicht

Syrien spielt in den Debatten in Deutschland häufig nur als Herkunftsland vieler Geflüchteter eine Rolle, wenn z.B. wie zu Beginn der Woche vom sachsen-anhaltinischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (CDU) eine beschleunigte Rückkehr syrische Geflüchteter gefordert wird. Euphemistisch wird dann gerne von „Rückführungen“ gesprochen und geschrieben.

Doch ein genauer Blick auf das Land, auf die Ursachen der Flucht ist notwendig, soll der Wiederaufbau überhaupt voran gehen. Nur dann können die Menschen in Syrien ihr Leben wieder selbstständig gestalten und Familien zurückkehren, die vor Krieg und Elend geflohen sind. Die meisten von ihnen sitzen nach wie vor in Lagern in Nachbarländern fest.

„Der Wiederaufbau ist möglich, wenn auch Europa ihn möglich macht“, glaubt Kurzke. „Derzeit behindert Europa den Wiederaufbau mit Embargos: der Geldtransfer ist erschwert, Güter- und Personenverkehr direkt nach Syrien über den Luftweg ist nicht möglich, es gibt nur den Umweg über den Libanon.“

Syrien ist zum Spielball vieler internationaler Akteure und Interessen geworden, „das gilt es schnellstens zu stoppen und alle Waffenlieferungen, Unterstützung, die nicht Leben fördert, egal für welche Seite, ob Assad oder Rebellengruppen, sind einzufrieren“, fordert der Pfarrer. Der Krieg in Syrien dauert schon länger an als der 2. Weltkrieg. Nach einer zunächst friedlichen Revolution, die gewaltsam niedergeschlagen wurde, kam es zu einem offenen Bürgerkrieg.

Zugleich agierte auch die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) auf dem Gebiet Syriens. Sowohl der IS (sunnitisch) als auch die Syrische Regierung, die mit dem Iran (schiitisch) verbündet ist, stellten den Konflikt als Religionskrieg dar und rekrutierten stetig neue Kämpfer. So zogen auch junge Europäer sowohl auf Seiten des IS als auch für Rebellen in den Krieg, die gegen den IS kämpften.

„Ein Krieg der Worte und der Medien“

Die staatliche Integrität Syriens ist auch im Sommer 2018 nicht sichergestellt, Rebellengruppen beharren auf Konzessionen der Regierung von Präsident Assad, der – unterstützt von Iran und Russland – seinem Ziel der Konsolidierung seiner Herrschaft inzwischen näher gekommen und zu einem Entgegenkommen nicht bereit ist. Die Rebellen wurden von der Syrischen Armee in Randgebiete zurückgedrängt.

Viele Häuser und Stadtviertel sind nach wie vor unbewohnbar, Foto: Stefan Rammelt

„Es ist nicht nur ein Krieg der Waffen, sondern auch der Worte und Medien,“ meint Pfarrer Kurzke. Das gegenseitige Vertrauen sei erschüttert. Für Entsetzen sorgten in den letzten Jahren Berichte über Massaker und Plünderungen der beteiligten Kriegsparteien. Der Syrischen Armee werden darüber hinaus Angriffe mit Giftgas vorgeworfen.

Wie es nach vielen Jahren Krieg, nach Zerstörung und Flucht in Syrien weitergeht, steht immer noch auf Messers Schneide. Der Wiederaufbau der Häuser und Städte kann mit internationaler Hilfe sicher gelingen, die an politischen Fortschritt gebunden sein wird. Aber wie sieht es mit den Herzen der Menschen aus? Christian Kurzke ist sich sicher: „Die Versöhnung des Volkes ist Aufgabe der Syrer und darf nicht von außen gesteuert werden, auch wenn sie sich gegen unser Modell der westlichen Demokratie entscheiden.“