AfD verdoppelt ihr Ergebnis unter Christen
Die AfD verdoppelt ihr Ergebnis unter Christ:innen, die Katholik:innen halten treu zur Union. Wie haben die Christen:innen bei der Bundestagswahl abgestimmt und was bedeutet das für die Kirchen?
Die Bundestagswahl 2025 und der scharfe Wahlkampf, der sich vor allem um die Migrationspolitik drehte, wird lange nachhallen. Während in Berlin Union und SPD Sondierungen zur Bildung einer neuen Bundesregierung beginnen, fragen sich viele Menschen, wie dem fortschreitenden Rechtsruck Einhalt geboten werden kann. Die AfD hat ihr Ergebnis im Vergleich zur Bundestagswahl vor vier Jahren auf 20,8 % verdoppelt. Sie ist bundesweit zweitstärkste Partei, dominiert den Osten des Landes und hat auch in zahlreichen Regionen Westdeutschlands enorme Zuwächse zu verzeichnen.
Auch unter Christ:innen hat die AfD bei der Bundestagswahl stark abgeschnitten, das zeigen Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen. Bei ihrer Nachwahlbefragung an den Wahllokalen hat sie knapp 50.000 Bürger:innen nicht nur danach gefragt, wie sie gewählt haben, sondern weitere Daten erhoben. Dazu zählt auch die Frage nach der Kirchenzugehörigkeit. Dabei differenziert die Forschungsgruppe Wahlen nach „katholisch“, „evangelisch“ und „konfessionslos“. Wie bereits bei den letzten Bundestagswahlen liegen also einigermaßen belastbare Daten darüber vor, wie Christ:innen abgestimmt haben.
Leerstellen und Zugehörigkeiten
Zu beachten ist, dass es es sich dabei um eine Hochrechnung auf die Gesamtwähler:innenschaft handelt und daher ein kleiner Toleranzbereich mitgedacht werden muss. Die Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen ist jedoch repräsentativ. Die Daten basieren auf den Selbstauskünften der Befragten. Ob sie tatsächlich Mitglied in einer der evangelischen Kirchen oder in der römisch-katholischen Kirche sind, wird nicht überprüft. Deshalb ist hier im Artikel und in den Grafiken auch nicht von Kirchenmitgliedschaft die Rede, sondern von Kirchenzugehörigkeit.
Auch eine Einschätzung darüber, wie kirchenverbunden und/oder fromm die Befragten sind, kann allein auf der Zuordnung in „katholisch“, „evangelisch“ und „konfessionslos“ basierend nicht vorgenommen werden. Gerade in den beiden großen Kirchen sind viele Menschen Mitglied, die nur gelegentlich oder äußerst selten kirchliche Angebote wie den Gottesdienst wahrnehmen und sich in Denken und Handeln nur selektiv an Verkündigung und kirchlichen Botschaften orientieren. Das gilt auch für die politische Orientierung.
Eine Leerstelle der Erhebung bleibt wie auch in den Vorjahren der Verzicht darauf, nach weiteren Religiongszugehörigkeiten zu fragen. Weil diese im Vergleich eher selten waren, summierte die Forschungsgruppe Wahlen sie in den vergangenen Jahren unter „Sonstige“. Von den 3,5 – 5 Millionen Muslimen in Deutschland sind jedoch mehr als die Hälfte Bundesbürger:innen und daher mögliche Wähler:innen. Unter den Konfessionlosen befinden sich sicher auch gläubige Menschen, die aber aus unterschiedlichen Gründen die Kirchen verlassen haben, oder einer Religionsgemeinschaft angehören, die nicht zur Auswahl stand.
Über die Wahlpräferenzen von Menschen nicht-christlicher Religionszugehörigkeit geben die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen ebenso wenig Auskunft, wie über die präzise konfessionelle Zugehörigkeit der befragten Christ:innen. Unter „evangelisch“ können sich schließlich auch Mitglieder zahlreicher Freikirchen einordnen, unter „katholisch“ mindestens einmal Mitglieder der Altkatholischen und der griechisch-katholischen Kirche. Die rund 2 Millionen orthodoxen Christ:innen in Deutschland (ohne Ukrainer:innen) fallen ebenso unter den Tisch.
Schmelzende Milieus und anhaltende Treue
Insgesamt zeigt sich eine hohe Ausdifferenzierung der Wahlvorlieben von Christ:innen. Anders als in der Gründungszeit der Bundesrepublik oder in anderen Ländern lässt sich keine typische christliche, katholische oder evangelische Wahlentscheidung aus den Daten ableiten. Vielmehr verlieren traditionelle konfessionelle Parteivorlieben weiterhin an Bedeutung für den Wahlausgang. Das liegt auch am demografischen Wandel: Die Kirchenbindung ist bei älteren Menschen deutlich stärker als bei jüngeren Menschen. Je jünger Menschen in Deutschland sind, desto seltener fühlen sie sich einer Kirche zugehörig. Das starke Abschneiden der Union bei älteren Wähler:innen korreliert mit ihrer im Vergleich zur Gesamtbevölkerung stärkeren kirchlichen Bindung.
Das Wahlverhalten der Christ:innen, die mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten in Deutschland ausmachen, orientiert sich ebenso wie das der Konfessionslosen an vielen Faktoren. Der Glaube spielt an der Wahlurne eine immer geringere Rolle. Ein Vergleich mit den christlichen Wahlpräferenzen der vergangenen Bundestagswahlen zeigt: Auch Christ:innen folgen aktuellen Trends und Stimmungen.
Mit den großen Parteien CDU/CSU und SPD teilen die großen Kirchen das Schicksal, dass sich ihre traditionellen Milieus beständig auflösen. Dabei handelt es sich nicht um plötzliche, sondern langfristige Entwicklungen, die bei Wahlen je nach Stimmung und gesellschaftlicher Lage mal mehr, mal weniger deutlich durchscheinen. Werden Parteien von den Wähler:innen deutlich abgestraft, wie in diesem Jahr vor allem SPD und FDP, oder wegen eines besonders guten Politikangebots und Wahlkampfes besonders häufig gewählt, spiegelt sich dies in den Wahlergebnissen unter Christ:innen wieder.
Traditionell haben Katholik:innen eine hohe Bindung an CDU/CSU. Von Werten jenseits der 50 % kann jedoch keine Rede mehr sein. Es gibt jedoch noch einzelne stark katholisch geprägte Regionen wie Bayern, das Sauerland oder das thüringische Eichsfeld, wo sich die konfessionelle Parteibindung bis heute deutlich in Wahlergebnissen niederschlägt. Die Bindung von Katholik:innen und Union ist dabei in Deutschland singulär: Keine andere Partei kann sich auf eine derart starke konfessionelle Stammwähler:innenschaft verlassen. Ihren Wahlerfolg hat die Union vor allem katholischen Wähler:innen zu verdanken.
Bei dieser Bundestagswahl erhielt die Union den Daten der Forschungsgruppe Wahlen zufolge 39 % der Stimmen von Katholik:innen. Damit liegen CDU/CSU unangefochten auf dem ersten Platz unter katholischen Christ:innen. Auf Platz 2 rangiert jedoch bereits die AfD mit 18 % (vor der SPD mit 15 %). Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 hat die AfD unter Katholik:innen 10 % zulegen können, obwohl die deutschen Bischöfe einhellig vor einer Wahl der Partei gewarnt haben (wir berichteten).
Auch 20 % der Evangelischen haben in diesem Jahr AfD gewählt, ein Zuwachs von 11 % im Vergleich zur letzten Bundestagswahl. Auch die evangelischen Kirchen warnen immer wieder vor der AfD. Eine weitere signifikante Abweichung der evangelischen Wahlpräferenz im Vergleich zur nicht-evangelischen Mehrheitsgesellschaft ist das etwas bessere Ergebnis der SPD (20 %, gesamt: 16,4 %, katholisch: 15 %). Stärkste Partei unter evangelischen Christ:innen ist die Union mit 29 %.
Die AfD wurde, wie auch bei vorherigen Bundestags-, Europa- und Landtagswahlen, häufiger von Konfessionslosen als von Christ:innen gewählt (24 %, gesamt: 20,8 %). Unter den Konfessionslosen lässt die AfD sogar die Union hinter sich. Hier wirken sich die noch bestehenden konfessionellen Parteibindungen und bei kirchennahen Menschen womöglich auch die Warnungen der Kirchen also dämpfend auf das Wahlergebnis der rechtsradikalen Partei aus.
Und der Vollständigkeit halber: Aus der politischen Rechten wird insbesondere der Evangelischen Kirche häufig der Vorwurf gemacht, sie wäre „linksgrün“. Auf SPD, Grüne (11 %, gesamt: 11,6 %) und DIE LINKE (7 %, gesamt: 8,8 %) entfallen insgesamt aber nur 38 % der evangelischen Stimmen.
Kirche, was nun?
Das starke Abschneiden der AfD bei dieser Bundestagswahl muss gesamtgesellschaftlich erschrecken. Und es gibt auch den Kirchen zu denken: Dringen sie mit ihren politischen Appellen in der eigenen Mitgliedschaft (noch) durch? Wie sollen die Kirchen und ihre Spitzen auf den Rechtsruck in der Gesellschaft reagieren? Wie soll man mit AfD-Politiker:innen und -Wähler:innen in den eigenen Reihen umgehen?
Beide großen Kirchen trennen bisher deutlich zwischen Parteiakteur:innen und Wähler:innen. An der Kirchentür wird niemand nach seiner*ihrer Parteipräfenz oder -Zugehörigkeit gefragt. Die Kirchen bieten Seelsorge, Lebensbegleitung und das politische Gespräch weiterhin auch Menschen an, die rechtsradikale Parteien wählen. Einen politischen Dialog mit Politiker:innen der AfD aber gab es in den vergangenen Jahren zunehmend weniger. Die Gesprächsfäden insbesondere im Bund und auf Länderebene sind fast vollständig zerrissen. Das liegt weniger an der mangelnden Dialogbereitschaft kirchlicher Amtsträger:innen, sondern vielmehr am kirchenfeindlichen Agieren und Auftreten der AfD-Funktionär:innen.
Die AfD eilt derzeit von Wahlerfolg zu Wahlerfolg, trotzdem – oder weil? – sie sich immer weiter radikalisiert. Von einer Mäßigung der rassistischen, nationalistischen, frauen- und queerfeindlichen Positionen und Gebärden kann keine Rede sein. Unter diesen Bedingungen erscheint eine Zusammenarbeit mit den Kirchen ausgeschlossen. Das Tischtuch ist zerschnitten.
In der Hochphase des Wahlkampfs wurde aufgrund der Kritik der „KirchenbotschafterInnen“ bei der Bundesrepublik Deutschland an den Bundestagsmanövern der Union insbesondere über das Verhältnis der Kirchen zur Union diskutiert (s. hier, hier, hier & hier in der Eule). Die Nachwahlbefragung der Forschungsgruppe Wahlen zeigt jedoch eine im Vergleich zu den anderen Parteien immer noch erhöhte Bindung der alterenden christlichen Wähler:innenschaft an CDU und CSU. Im Vergleich zur Gesamtheit der Christ:innen und insbesondere zu den Katholik:innen sind Kirchenmitarbeiter:innen offenbar weniger konservativ eingestellt, wie die Kritik an Friedrich Merz und dem Wahlkampf der Unionsparteien in den katholischen Lai:innenverbänden und evangelischen Kirchen zeigt.
Wenngleich die Union im Wahlkampf Gegenpositionen zu politischen Anliegen der Kirchen bezogen hat, z.B. bei Flucht und Migration, beim Lieferkettengesetz und bei der internationalen Entwicklungszusammenarbeit, erwarten sich die Kirchen von einer Unions-geführten Bundesregierung auch Forschritte, z.B. bei einer umfassenden Pflegereform, und auch bei Eigeninteressen der Kirchen wie dem kirchlichen Arbeitsrecht. Das Bundestagswahlergebnis unter Christ:innen zeigt deutlich, dass auch sie empfänglich für Hetze und gefährliche politische Botschaften sind, sich von der aufgeheizten Stimmung des Wahlkampfsn treiben lassen und sich im Allgemeinen von den gleichen Zukunftsängsten bewegen lassen wie nicht-konfessionell gebundene Wähler:innen. Was sagt das über die christliche Hoffnungsbotschaft?
Bei den Demokratie-Demos der vergangenen Woche waren viele Christ:innen und Kirchenmitarbeiter:innen aktiv. Sie riefen zu Nächstenliebe und Verständigung auf. Doch die Warnungen der Kirchen davor, den Wahlkampf auf dem Rücken der Schwächsten in unserer Gesellschaft auszutragen, und insbesondere vor rechtspopulistischen Forderungen in der Migrationspolitik haben nicht allein CDU und CSU in den Wind geschlagen – auch viele Christ:innen wollten sie nicht hören.
Alle Eule-Beiträge zur Bundestagswahl 2025.
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