Commoning und Kirchen: Sauerteig für die Ökonomie

Protest gegen verfehlte Klimapolitik und Umdenken beim eigenen Konsum: Was können wir gegen die Zerstörung der Umwelt tun? Sascha Vetterle wirbt in diesem Gastbeitrag für Commons und Commoning.

Gruppen wie Fridays for Future oder Ende Gelände, aber auch der Blog „Postwachstum“, ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung, der Vereinigung für ökologische Wirtschaftsforschung und des Wuppertal Instituts, stellen angesichts des Klimawandels die Systemfrage: Die Frage danach, inwieweit unser gegenwärtiges System, das sie als kapitalistisch beschreiben, überhaupt den Rahmen bietet, in dem eine adäquate Umkehr möglich ist, um die dramatischen Folgen des anthropogenen Klimawandels auch nur in nennenswerter Weise zu begrenzen.

Von Seiten der Kirchen ist diesbezüglich bislang wenig zu hören, auch wenn Papst Franziskus mitunter zu drastischen Worten greift („Diese Wirtschaft tötet“). Ein kleiner Blick über den binnenkirchlichen Tellerrand lohnt sich daher. Eine für Gläubige, speziell mit christlichem Hintergrund, interessante Perspektive bietet der Diskurs rund um Commons und Commoning, wie er sich speziell im Umkreis der Heinrich-Böll-Stiftung in den letzten Jahren herausgebildet hat.

Commons lässt sich etwas vage mit Allmende (Gemeindegut) ins Deutsche übertragen. Ja, der erste Gedanke geht vermutlich in Richtung Felder, Wälder und Wiesen, die gemeinschaftlich bewirtschaftet werden. Und in der Tat zählen sie zu den historisch ältesten Formen der Allmende. Heute gewinnen sie neue Relevanz im Rahmen der solidarischen Landwirtschaft („SoLawis“). Im 21. Jahrhundert fallen in die Kategorie Commons aber auch Free and Open Source Software (inzwischen auch aus Steuermitteln gefördert) wie Linux und alles dazwischen von Wohnhäusern bis zu Supermärkten – jedenfalls in (noch) vereinzelten Fällen.

Commoning meint die soziale Praxis, die Commons schafft, erhält und nutzt. Statt des Konkurrenzprinzips im Markt oder dem Top-down-Ansatz des Staates setzt Commoning auf selbstorganisierte Bedürfnisbefriedigung von unten. Kooperation und Solidarität stehen im Vordergrund. Ein Anliegen ist es, Arbeit dem Markt zu entziehen, um sich so (zumindest ein Stück weit) unabhängig von Marktmechanismen zu machen und Handlungssouveränität zurückzugewinnen.

Auf diese Weise wird es unter anderem möglich, höhere ökologische und soziale Standards zu etablieren, die nicht dem Preisdruck weichen müssen. Ein Weg hierzu ist das Praktizieren von „Geld light“, das Bemühen, wo möglich auf den Gebrauch von Geld zu verzichten.

Drei Schritte des Commonings

Erreichen lässt sich dieses Ziel auf unterschiedlichen Wegen, die – idealerweise – in Kombination beschritten werden. Der erste Schritt, den jeder von uns sofort gehen kann, ist eine Bestandsaufnahme davon zu machen, was wir wirklich zu einem guten Leben, einem buen vivir, brauchen – und uns von allem anderen zu verabschieden. Wenn es sein muss auch Schritt für Schritt.

Hierbei handelt es sich natürlich noch nicht um Commoning, die Bestandsaufnahme schafft aber zumindest die Voraussetzungen dafür, insofern so die Abhängigkeit von Lohnarbeit reduziert wird und damit auch die Zeit, die man mit ihr verbringen muss. So wird Zeit frei, die dann für das Commoning aufgewandt werden kann. Natürlich senkt ein geringerer Bedarf an Konsum- und Gebrauchsgütern auch den Rohstoffbedarf und damit direkt die Umweltbelastung.

Ein zweiter Schritt, den schon ein, zwei Haushalte gemeinsam gehen können, besteht darin, größere Anschaffungen gemeinsam zu tätigen und die Produkte dann auch gemeinsam zu nutzen. So ist ein Auto in der Stadt jetzt vielleicht nicht unbedingt das, was man wirklich braucht. Auf dem Land kann das aber unter Umständen schon ganz anders aussehen. Wenn sich nun hier 2, 3 Haushalte gemeinsam ein Auto anschaffen, ist das nicht nur geld-light, sondern darüber hinaus auch umweltschonend. Selbstverständlich erhöht dies die Notwendigkeit, sich untereinander abzusprechen, doch ist genau das der Weg, auf dem Beziehungen wachsen und reifen – ein weiteres Anliegen von Commoning.

Selbstbestimmt, kreativ, sinnvoll

Richtig spannend wird es aber mit dem dritten Schritt: Der Gründung eines oder Beteiligung an einem Common, einem gemeinschaftlichen Eigentum oder Gut, z.B. um sich gemeinschaftlich selbst zu versorgen, sei es mit ökologisch hochwertigen Lebensmitteln aus der Region oder was auch immer. Das Interessante an Commoning im Kontext Klimawandel und Klimaschutz besteht darin, dass Commons und Commoning nicht auf Gewinnmaximierung und Umsatzsteigerung ausgerichtet sind, sondern auf Bedürfnisbefriedigung. Wobei hierunter nicht nur Konsumbedürfnisse fallen, sondern ebenso soziale, intellektuelle und kreative Bedürfnisse.

Durch die anders gelagerte Zielsetzung können Commons einen Fokus auf die Produktion langlebiger und leicht reparierbarer Gebrauchsgüter legen. Ein Fokus, der unter der Prämisse des Zieles fortgesetzter Absatzsteigerungen betriebswirtschaftlich kontraproduktiv wäre. Natürlich ist auf diese Weise auch kein fortgesetztes Wirtschaftswachstum im Sinne einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts zu erzielen.

Beim Commoning geht es aber auch darum, sich von solchen Kennziffern frei zu machen zugunsten des Ziels einer nachhaltigeren und umweltverträglicheren Art des Lebens und Wirtschaftens. Langlebigere Gebrauchsgüter bedeuten schlicht weniger Müll und weniger Bedarf an Rohstoffen für neue Gebrauchsgüter. Ein Ziel ist dabei wohlgemerkt nicht (primär), dass weniger gearbeitet wird, sondern dass Arbeit anders organisiert und erfahren wird – selbstbestimmter, kreativer und sinnvoller.

Commons funktionieren

Das für Commons charakteristische Weitergeben immaterieller Güter wie Wissen erlaubt zudem, diese immateriellen Güter global – vernetzt durch das Internet – zu produzieren und zur Verfügung zu stellen für eine lokale Produktion entsprechend der jeweiligen örtlichen Gegebenheiten. Dies ermöglicht eine erhebliche Verkürzung der Transportwege und damit eine entsprechende Reduzierung des benötigten Energieverbrauchs. Silke Helfrich und David Bollier nennen dies kosmo-lokale bzw. glokale Produktion.

Dem Nachweis, dass und wie Commons dauerhaft funktionieren, verdankt Elinor Ostrom den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. In ihrer Nachfolge haben Menschen wie die bereits erwähnten Helfrich und Bollier Beispiele bekannt gemacht, die zeigen, dass Commons nicht nur in kleinem Rahmen, sondern auch unter Beteiligung von tausenden von Menschen gelingen können, etwa die seit über 50 Jahren bestehende Kooperative Cecosesola in Venezuela mit ihren rund 20.000 Mitgliedern.

Commons und Commoning haben das Potential zur Systemtransformation von Innen heraus, ganz ohne Revolution oder (Gesetzes-)Reformen, wobei letztere sicherlich hilfreich sein können. Commons und Commoning setzen bei jedem einzelnen von uns an, ohne dabei auf der Ebene der Individualethik stehen zu bleiben. Das Ziel ist, in den Worten Peter Maurins, des Mitbegründers der Catholic Worker Movement: „Building a new society within the shell of the old“.

Doch was haben Commons und Commoning nun mit dem christlichen Glauben zu tun? Eine Affinität zwischen jener Glaubensgemeinschaft, die sich selbst (auch) als Communio begreift, und einen Gott bekennt, der Gemeinschaft, communio, ist, zu Commons und Commoning liegt schon auf der rein begrifflichen Ebene zumindest nahe.

Mit päpstlichem Segen

Ein Blick in die Sozialenzykliken des jetzigen Papstes und seines kürzlich verstorbenen Vorgängers bestätigen diese Vermutung. So schrieb Papst Franziskus in seiner jüngsten Enzyklika „Fratelli tutti“:

„In einigen kleinkarierten und monochromatischen Wirtschaftstheorien scheinen zum Beispiel die Volksbewegungen keinen Platz zu finden, welche Arbeitslose, Arbeitnehmer in prekären Arbeitsverhältnissen und viele andere, die nicht einfach in die vorgegebenen Kanäle passen, versammeln. In Wirklichkeit initiieren sie verschiedene Formen von Volkswirtschaft und gemeinschaftlicher Produktion.“ (Fratelli tutti 169)

Fast noch deutlicher wurde Papst Benedikt XVI. in „Caritas in Veritate“:

„Wenn die Logik des Marktes und die Logik des Staates mit gegenseitigem Einverständnis auf dem Monopol ihrer jeweiligen Einflußbereiche beharren, gehen langfristig die Solidarität in den Beziehungen zwischen den Bürgern, die Anteilnahme und die Beteiligung sowie die unentgeltliche Tätigkeit verloren. Diese unterscheiden sich vom „Geben, um zu haben“, das die Logik des Tausches ausmacht, und vom „Geben aus Pflicht“, das für die öffentlichen Verhaltensweisen gilt, die durch staatliche Gesetze auferlegt werden.“ (Caritas in Veritate 39)

Und:

„Die exklusive Kombination Markt-Staat zersetzt den Gemeinschaftssinn. Die Formen solidarischen Wirtschaftslebens hingegen, die ihren fruchtbarsten Boden im Bereich der Zivilgesellschaft finden, ohne sich auf diese zu beschränken, schaffen Solidarität. Es gibt keinen Markt der Unentgeltlichkeit, und eine Haltung der Unentgeltlichkeit kann nicht per Gesetz verordnet werden.“ (Caritas in Veritate 39)

Commons / Commoning kann als Versuch verstanden werden, die Communio der Kirche nicht nur liturgische und soziale, sondern auch ökonomische Realität werden zu lassen. Sie sind ein Versuch, die Sphäre der Wirtschaft, der Ökonomie mit dem Sauerteig des Evangeliums zu durchsäuern und sie so zu humanisieren.

Warum sollten also nicht zum Beispiel Kirchgemeinden ihre eigenen Commons starten und sich hierzu im Geiste der Ökumene auch konfessionsübergreifend zusammentun? Vielleicht sogar mit anderen Glaubensgemeinschaften? Das wäre nicht nur ein wichtiger Beitrag zur sozial-ökologischen Transformation, sondern auch ein großer Schritt hin zu einem glaubwürdigeren Zeugnis für das Evangelium.