„Den Antisemitismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet“
Jüdisches Leben wurde in der DDR erneut unterdrückt. Dass es im zweiten deutschen Staat keinen Antisemitismus gegeben hätte, ist eine Lebenslüge, die bis heute fortwirkt.
Auf dem Gebiet der früheren DDR leben wir in einer der, manche sagen sogar in der entchristlichsten Gegend der Welt. Nur mehr 20 % der Bevölkerung in Thüringen gehören einer Kirche an. Ob wir damit auch eine Weltgegend ohne Religion leben, steht auf einem anderen Blatt.
Friedrich der Große soll den französischen Philosophen Voltaire nach einem Gottesbeweis gefragt haben. Dieser habe geantwortet: „Majestät, die Juden!“ Voltaire selbst kann man problemlos als Antisemiten beschreiben. Mit und gegen ihn könnte man daher rasch ins Philosophieren kommen. Zum Beispiel darüber, was es bedeutet, dass in jeder christlichen Kirche ein ermordeter Jude am heiligsten Ort, nämlich auf dem Altar steht. Zum Beispiel darüber, was es bedeutet, dass Judenfeindschaft auch in einer entchristlichten Gesellschaft höchst lebendig ist.
Vorläufer unserer Gesellschaft ist die der DDR. Um die DDR und ihre Judenfeindschaft soll es in meinem Beitrag gehen. Ich bin kein Historiker. Darum ist meine Zielrichtung, durch einen Blick auf die DDR ein besseres Verständnis für unsere Gegenwart zu gewinnen. Deshalb will ich zunächst diese Gegenwart beleuchten, indem ich auf vier Nachrichten der vergangenen Wochen eingehe.
Juden- und Israelfeindschaft in der Gegenwart
Die sogenannten sozialen Medien stehen gegenwärtig im Brennpunkt unserer gesellschaftlichen Debatten, weil sie enormen und extrem wachsenden Einfluss auf die Nutzer haben. Kürzlich äußerte sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg zur Leugnung des Völkermords an europäischen Juden im Zweiten Weltkrieg. Zuckerberg sagte im Interview, die Leugnung des Holocaust sei zwar „tief beleidigend“, solche die Judenvernichtung bestreitenden Inhalte sollten auf Facebook aber nur verboten werden, wenn sie für den Angriff auf jemanden verwendet würden oder Schaden erzeugten. Zuckerberg, der selbst Jude ist, sagte, Ziel seines Netzwerks sei nicht, Nutzer davon abzuhalten, etwas Unwahres zu sagen, sondern die Verbreitung von falschen Nachrichten zu stoppen.
Das ist eine interessante Unterscheidung, über die es lohnt nachzudenken. Einerseits ist die Leugnung des Holocaust in Deutschland ein Straftatbestand. Und die Strafbewehrung haben wir leider immer noch nötig. Andererseits mag Zuckerberg auch ein Stück weit recht haben. Wenn wir anfangen, unwahre Nachrichten aus den Medien zu eliminieren, müssen wir auch gegen Menschen vorgehen, die sagen, die Erde sei eine Scheibe.
Der Umgang mit Unwahrheit muss daher auf einer anderen Ebene als ihrer Löschung erfolgen. Vermutlich hat – allen historischen Forschungen und aller Aufklärung und der Präsenz des Begriffes Holocaust in unseren Debatten zum Trotz – der Umgang mit ihm als einem geschichtlichen Faktum und damit einer Wahrheit noch den größten Weg vor sich. Das liegt daran, dass mit ihm Traumata verbunden sind. Dass in unserer Mitte, in Erfurt, in Thüringen, in Deutschland so gut wie niemand der Ausgrenzung, der Einsammlung, der Deportation und der Ermordung des jüdischen Teils der deutschen Gesellschaft vor 80 Jahren widersprochen hat, rührt an Existenzfragen auch der Nachgeborenen, die keine Schuld trifft.
An der TU Berlin – und das ist die zweite Nachricht – wurde im Juli die bisher größte Studie zum Antisemitismus und der „Netzkultur des Hasses“ unter der Überschrift „Antisemitismus 2.0“ vorgestellt. Die Ziffer 2 ist dabei ebenso reißerisch wie irreführend; man könnte genauso gut eine 8.0 schreiben.
Die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Arbeit der Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel ist allerdings insofern einmalig, als sie mithilfe so genannter „Crawler“, also für die Internet-Suche geschriebener Computerprogramme, über Jahre hinweg mehr als 66 000 Websites durchmustert und mehr als eine Viertelmillion User-Kommentare durchsucht hat. Eine derart umfangreiche Untersuchung in Raum und Zeit hat es noch nicht gegeben. Das Ergebnis stellte die FAZ unter die erschrockene Überschrift „Es wird schlimmer, Tag für Tag“.
„Es wird schlimmer, Tag für Tag“
Wer in den letzten Monaten das Gefühl hatte, es habe sich etwas an Häufigkeit, Gefährlichkeit und Dreistigkeit antisemitischer Übergriffe bei uns verändert, von der Verhöhnung von Juden auf offener Straße bis zu tätlichen Angriffen auf Träger der Kippa, wird sich jedenfalls durch die Langzeitstudie der TU Berlin bestätigt fühlen.
In Bonn wurde im Sommer ein israelischer Professor der Universität Baltimore, der für eine Vorlesung an der Uni Bonn in klassischer deutscher Philosophie eingeladen und für drei Tage in Deutschland war, in Begleitung einer Bonner Kollegin auf der Straße angesprochen: „Bist du Jude?“, da er eine Kippa trug. Diese wurde ihm dreimal vom Kopf geschlagen und der Angreifer sagte: „Du darfst die Kippa hier nicht haben“ und „Keine Juden in Deutschland“. Nachdem der Jude sich die Kopfbedeckung immer wieder aufgesetzt hatte, wurde der Mann mit den Worten „Du hörst nicht auf mich?!“ immer wütender und griff ihn auch körperlich an.
Leider kam die Meldung aber vor allem deswegen in manche Medien, weil die nach 20 Minuten eintreffende Polizei nicht den inzwischen verschwundenen Täter, sondern das Opfer in Gewahrsam nahm, wobei er blutende Wunden im Gesicht davontrug, seine Brille kaputt ging und die Armbanduhr zerriss. Als ihm einer der Polizisten die Handschellen abnahm, warnte ihn dieser auf Englisch: „Leg dich nicht mit der deutschen Polizei an!“ Der Professor sagte nach eigener schriftlicher Aussage:
„Ich habe keine Angst mehr vor der deutschen Polizei. Die deutsche Polizei hat meinen Großvater ermordet. Sie hat meine Großmutter ermordet. Sie hat meinen Onkel ermordet, und sie hat meine Tante ermordet. Alles an einem Tag im September 1942. Also, leider habe ich keine Angst mehr vor Ihnen.“
Wir müssen akzeptieren und realisieren, dass solche Vorkommnisse keine Einzelfälle sind, obgleich sie schon als solche nicht passieren dürften. Die erwähnte Studie der TU Berlin beschreibt zum einen eine „semantische Radikalisierung“, was heißt: Dinge, die früher verschämter geäußert, gleichsam mitgeschmuggelt wurden, können jetzt in der Öffentlichkeit des Internets unverhohlen geschrieben werden, oft in Formulierungen, die in Qualitätsmedien nicht zitierfähig wären. Zugleich habe sich das Sichtbarkeitsfeld antisemitischer Äußerungen „exorbitant vergrößert“.
Typen der Judenfeindschaft
Die judenfeindlichen Äußerungen ordnet die Studie in drei Typen ein: klassisch-antisemitisch, post-Holocaust-antisemitisch und Israelbezogen-antisemitisch.
Diese drei Typen könnte man durch zwei Kategorien ergänzen. Zum einen Judenfeindschaft aus Dummheit und Dumpfheit heraus, aus Unbildung und mangelnder Affekt-Kontrolle. Hierunter fällt die überwiegende Masse des judenfeindlichen Materials, das die Studie gesammelt hat. Sie lässt den Gedanken an Veränderung oder pädagogische Bemühungen ziemlich utopisch erscheinen.
Auf der anderen Seite stehen quantitativ weniger breit, jedoch inhaltlich schwerer argumentativ zu bearbeiten, die Judenfeindschaft der gebildeten Schichten. Ihnen attestiert die Studie, sie artikulierten ihren Judenhass weniger offen, vielmehr pseudorational und „in Verbindung mit Abwehr- und Umdeutungsstrategien“. Auschwitz wird da nicht geleugnet, sondern komplex in das Ich-Bild des gebildeten Nachkriegsdeutschen und Geschichtsbewältigers eingearbeitet.
Der Vollständigkeit halber will ich einen vierten Typus der Judenfeindschaft nennen, da er obwohl von manchen schon tot gehofft, ebenfalls kürzlich sich wieder bemerkbar machte; es ist die christliche Judenfeindschaft. Ein ihr zugehörendes Dokument hat die konservative katholische Zeitschrift Communio veröffentlicht. Geschrieben hat es der emeritierte Papst Benedikt XVI, Josef Ratzinger. Lediglich das Beispiel einer israelbezogenen Judenfeindschaft aus seinem Aufsatz will ich nennen. Ratzinger schreibt von einer Zerstreuung der Juden in der Welt, die endgültig sei: „Ihre Diaspora ist nicht bloß und nicht primär ein Zustand der Strafe, sondern bedeutet eine Sendung.“
Daher hat bei Ratzinger ein jüdischer Staat Israel keinerlei religiöse Bedeutung. Nur in einem naturrechtlichen Sinn hätten Juden wie jedes Volk einen Anspruch auf ein eigenes Land. Dies kann Ratzinger behaupten, weil er eine „Umstiftung des Sinai-Bundes in den neuen Bund im Blute Jesu“, der „eine neue und für immer gültige Gestalt“ habe, erkennen will. Diese christliche Theologie raubt den Juden ihre religiöse Grundlage, ein gottgewolltes Leben mit der Tora als für sie bleibend gültiges Wort Gottes.
Verharmlosung der Lage Israels
Hier ergänzt eine katholische Israelkritik die politische und mediale. Als in den vergangenen Monaten Israel immer wieder von Gaza aus angegriffen wurde, berichteten zahlreiche Zeitungen und Magazine in Deutschland vor allem, Israel habe auf Demonstranten geschossen. So erschien Israel als böse und unmenschlich.
Es waren jedoch keine Demonstranten, auf die geschossen wurde, sondern Soldaten, Kämpfer der Regierung von Gaza. Verschwiegen wurde, dass die Regierung im Gazastreifen Israel mit ihrer erklärten Absicht, das Land Israel sowie jeden einzelnen Juden zu vernichten, im Krieg mit Israel steht. Das Tötungs- und Vernichtungsstreben steht in der Gründungscharta der Hamas und wird von islamischen Predigern und Politikern der Hamas beinahe täglich öffentlich ausgesprochen.
Die Verharmlosung der Hamas hat aufgrund deren Häufung Methode. Jüngstes Beispiel aus den letzten Oktobertagen, als Nachrichtenagenturmeldung viele Male in den Medien wiederholt: „Dutzende Raketen fliegen aus Gaza auf israelische Gebiete, Israels Luftwaffe bombardiert daraufhin Ziele in dem Palästinensergebiet.“ Aber die Raketen fliegen nicht einfach rüber; palästinensische Terrorgruppen schießen gezielt auf Orte und Städte im Süden Israels. Ein Kinderschlafzimmer wurde getroffen, nachdem die Mutter Sekunden zuvor die kleinen Schläfer aus den Betten in den Bunker gezerrt hatte.
Das ARD-Magazin Monitor trieb die falsche Beurteilung auf die Spitze, indem es behauptete, die israelische Armee schoß am Gazastreifen „rücksichtslos“ auf „auch Frauen und Kinder“ und betonte: „Nein, das waren keine Zusammenstöße …, sondern ein maßlos übertriebener Einsatz von Gewalt, ein mögliches Kriegsverbrechen, begangen von der israelischen Armee und deren Führung“. Der Verweis auf die stereotyp seit Jahrzehnten beschworene „Spirale der Gewalt“, die Israel vorantreibt, und die ebenso stereotyp verwendete Floskel vom „Öl“, das „der US-amerikanische Präsident und der israelische Premierminister Netanyahu … ins Feuer gießen“, fehlten nicht.
Die aktuelle Israel-Berichterstattung zeigt, wie unverändert gültig ist, was der deutsch-israelische Schriftsteller Chaim Noll als früherer DDR-Bürger 2004 notierte, indem er auf die Golfkriege Bezug nahm:
„Der Protest galt dem Staat Israel, der nicht anders verurteilt wurde als aus DDR-Zeiten bekannt, als ‚Aggressor‘ und ‚Störer des Weltfriedens‘. Hier zeigte sich den sonst von Brüchen Verstörten eine beruhigende Kontinuität, eine der wenigen beständigen Konturen in ihrem Weltbild: der Staat Israel blieb friedensfeindlich, daher verurteilungswürdig. Heute scheint es, als gehörten anti-israelische, mittlerweile auch anti-amerikanische Gefühle zu den wenigen emotionalen Aufwallungen, die Ost- und Westdeutsche noch gemeinsam bewegen.“
„Israelkritik“ als deutsch-deutsche Kontinuität
Ist „Israelkritik“ eine Kontinuität und Konstante in der ansonsten wenig Gemeinsamkeiten aufweisenden Geschichte der Bundesrepublik und der DDR? Dass sie tatsächlich ein Problem ist, zeigt sich nicht nur in der sie einklagenden, stereotyp wiederholten Beschwerde, dass „man Israel ja noch kritisieren dürfen“ müsse, sondern auch in der Beobachtung, dass das Wort „israelkritisch“ es in die 27. Auflage des Duden geschafft hat. Er gehört zu den sogenannten Frequenzwörterbüchern: Aufgenommen wird, was populär genug erscheint. Überflüssig zu erwähnen, dass es keinerlei Einträge unter amerikakritisch, russlandkritisch, irankritisch usw. gibt.
Für die Debatte, ob „Israelkritik“ auch antisemitisch ist, gibt es den „3-D-Test“: Israelbezogener Antisemitismus liegt vor, wenn sich antisemitische Ressentiments auf den Staat Israel beziehen und Israel dämonisiert oder delegitimiert wird oder aber doppelte Standards an das Verhalten Israels angelegt werden. In diesem Sinne war das Verhältnis der DDR zum Staat Israel tatsächlich ein antisemitisches. Freilich hieß die Israelkritik damals noch nicht so, sondern „Antizionismus“.
„Der Staat Israel – ein Werkzeug der Imperialisten“
Im November 1984 erschien in der DDR-„ABC-Zeitung“ für Kinder das Märchen vom kleinen „Feuerdrachen Zion“, der ohne Not und aus Undankbarkeit und Habgier das Land der „Kinder Palästinas“ zerstört. Der Zeitschriftenartikel stellte mittels antisemitischer Stereotype den Nahostkonflikt nicht nur für Kinder vereinfacht, sondern als alleinig von Israel zu verantworten dar. Da die ABC-Zeitung das propagandistische Organ des Zentralrates der FDJ und parteinah war, lag dem Beitrag eine direkte oder indirekte Vorgabe der DDR-Staatsführung zugrunde.
Die antisemitische Fabel zeigt beispielhaft, dass für das reale Israel, womöglich gar für Sympathie mit dem jüdischen Staat in der DDR kein Raum war. Spätestens mit dem Sinai-Feldzug im Oktober 1956 wurde „Der Staat Israel – ein Werkzeug der Imperialisten“ (Neues Deutschland vom 09.11.1956) und die DDR solidarisierte sich mit Ägypten und den anderen arabischen Staaten.
1967 begann mit dem Sechs-Tage-Krieg eine erneute Hetzkampagne. Völkerrechtler der Humboldt-Universität zu Berlin erklärten Israel zum „internationalen Rechtsbrecher“ und „Aggressorstaat“. Dies blieb fortan die Kennzeichnung Israels. Karl-Eduard von Schnitzler, ideologischer Chefkommentator im DDR-Fernsehen, formulierte es 1981 so:
„Den 1948 gegründeten Staat Israel gab es nicht, als der deutsche Imperialismus seine Faschisten zu den Verbrechen an den Juden Europas anstiftete. Dieser Staat hat also keinerlei Ansprüche. Die Regierung von Tel Aviv hat nicht das geringste Recht, die jüdischen Opfer des deutschen Faschismus zu Kronzeugen ihrer Politik zu machen, denn das Regime in Tel Aviv handelt selbst nach der faschistischen Lüge vom Volk ohne Raum, betreibt Landraub nach dem faschistischen Motto ‚Blut und Boden‘, führt gegen das arabische Volk von Palästina einen Vernichtungsfeldzug, eine Ausrottungspolitik.“
Verantwortung gegenüber der Judenvernichtung wurde abgelehnt
Hier liegt eine klassische antisemitische Täter-Opfer-Umkehr vor. Nicht jedoch für die DDR. Denn in deren Augen saßen die Täter allein im westlichen Deutschland. Im DDR-Verständnis waren nicht die Deutschen für den Massenmord an Juden verantwortlich, sondern nur wenige imperialistische Großindustrielle. Alle „Junker und Kriegsverbrecher“ jedoch waren in die „Bonner Republik Adenauers“ migriert. So konnte eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und eigener partieller Schuld in der DDR ausbleiben.
Eine sachliche Diskussion wurde nie ernsthaft und repressionsfrei versucht; stattdessen wurde beharrlich die „fortschrittliche Rolle“ des „ersten Arbeiter- und Bauern-Staates auf deutschem Boden“ betont. Die so politisch entlasteten Bürger schlossen das unangenehme Kapitel einer Vergangenheitsbewältigung ab, bevor es aufgeschlagen wurde. Sie konnten mit dem Aufbau des Sozialismus zur Tagesordnung übergehen.
In der Innenpolitik der DDR wurde infolge der ideologischen Angriffe der staatlich gelenkten Massenmedien gegen Israel der Antizionismus hoffähig gemacht. In der Außenpolitik wurde er eingesetzt für die einseitige diplomatische Unterstützung und Waffenbrüderschaft mit den arabischen Staaten. Ab den 1970er Jahren propagierte die DDR aktiv die UN-Resolution 3379, in der der Zionismus als „eine Form von Rassismus und Rassendiskriminierung“ verurteilt wurde.
Und sie entwickelte sich zum Hauptunterstützer der PLO. Arafat besuchte mehrmals Ost-Berlin, wo er wie ein Staatsgast empfangen wurde. Es kam zur Eröffnung einer PLO-Vertretung, die 1980 sogar in den Rang einer Botschaft erhoben wurde. Demgegenüber blieben diplomatische Beziehungen zu Israel bis zum Ende der DDR aus; ab 1975 gab es nicht einmal mehr einen Postverkehr mit dem jüdischen Staat.
DDR lieferte die Waffen zum Kampf gegen Israel
Auf ideologischer Ebene wurden der gemeinsame antiimperialistische Kampf und die gerechte Sache der arabischen Völker hervorgehoben. Aber die Unterstützung ging noch weiter. Die DDR wurde zu einem der wichtigsten Waffenlieferanten der arabischen Staaten und der PLO. Die Details über die Ausrüstung und Ausbildung palästinensischer Terroristen blieben zwar geheim, aber ganz offen wurde in der Presse über Treffen zwischen Honecker und der „Militärdelegation“ der PLO berichtet. So beteiligte sich die DDR und damit ein Teil Deutschlands am Ziel der PLO, den Judenstaat Israel und seine Bewohner zu beseitigen. Für eine Verbindung zur deutschen Vernichtung der Juden vor 1945 war sie ideologisch blind.
Blieben freilich noch die Juden im eigenen Land. Kennzeichnend für die ambivalente Haltung vieler Juden gegenüber der offiziellen Israelpolitik der DDR war die Aussage des Erfurter Gemeindevorsitzenden Herbert Ringer, der Ende der sechziger Jahre eingestand:
„Natürlich ist das eine etwas schmerzhafte Sache für uns. Die meisten von uns haben dort (d.h. in Israel) Freunde und Verwandte. … Schließlich sind wir ein sozialistischer Staat, und Israel ist noch ein kapitalistischer Staat. Das erschwert eine harmonische Beziehung. Wir müssen realistisch sein und die Politik unserer Regierung unterstützen.“
Diese Politik wurde in dem 1985 in Neuauflage erschienenen „Taschenlexikon für Zeitungsleser“ aus dem SED-eigenen Dietz Verlag begründet, indem der „Zionismus“ definiert wurde als „internationale chauvinistische Ideologie und rassistische, expansionistische und politische Praxis der jüdischen Bourgeoisie“. Der Staat Israel wurde beschrieben als ein „Zentrum der ideellen und politischen Einwirkung auf die jüdischen Bürger in Israel und in anderen Ländern der Welt im Sinne von Nationalchauvinismus und Antikommunismus“.
Selbst vor dem nationalsozialistischen Kampfbegriff „Endlösung“ schreckte man nicht zurück: Am 2. Juni 1982 schrieb der Kommentator der Berliner Zeitung, Klaus Wilczynski, Israel wolle die Kampfhandlungen im Libanon „bis zur Endlösung“ fortsetzen.
Antisemitismus als Täter-Opfer-Umkehr
Die hier wiederum aufscheinende Täter-Opfer-Umkehr hatte Methode. Das sollen an dieser Stelle zwei Gedichte veranschaulichen. Louis Fürnberg – pikanterweise selber Jude und Verfasser des berühmten Liedes „Die Partei hat immer recht“ – trug dem deutschen Aufrechnungsbedürfnis in den 50er Jahren mit den folgenden Zeilen Rechnung:
„Ein Ghettovolk, jahrhundertelang gequält, / hat nichts gelernt und fühlt sich auserwählt / zu Knutenschwingen und zu Herrenton. / Von Bomben träumt die junge Generation, / das Hakenkreuz schlingt sich zum Zionsstern.“
Konrad Weiß zitiert aus seinem Privatarchiv ein Gedicht, „das ebensogut im Stürmer hätte stehen können“. Es stammt von Rudi Riff und wurde 1967 von der Magdeburger Volksstimme, dem Bezirksorgan der SED gedruckt. „Die SED stellt sich damit in die üble Tradition des religiösen Antisemitismus“, so Weiß:
„O Israel! Du hast das Schwert geschliffen
und deine Söhne Raub und Mord gelehrt,
und dreist von fremdem Land Besitz ergriffen
und fremde Taschen wie ein Dieb geleert.Du hast den Frieden frech ans Kreuz geschlagen,
treibst täglich neue Nägel in sein Fleisch,
und eine Dornenkrone muß er tragen,
weil du ihn stündlich geißelst, Streich auf Streich.Du wagst es noch als Sieger dich zu spreizen
und pochst dabei auf deine Waffenmacht.
Ja, deine Gönner nicht mit Waffen geizen,
weil sie dich brauchen in der Großen Schlacht,die zwischen Gut und Böse schon entbrannte,
als erstmals griff das Unrecht zur Gewalt –
du hast’s empfunden, als man einst verbannte
dein Volk aus Palästina, jung und alt…Doch wehe dir, wenn du in blindem Wahne
den Nachbarn drohst mit neuem Golgatha,
wenn du erhebst des Krieges blut’ge Fahne
zu neugeplanter, unheilvoller Tat!Die Völker dulden keine Sklavenketten.
O hüte dich vor neuem Friedensbruch,
denn kein Jehova wird dich dann erretten
vor der Vergeltung strengem Richterspruch!“
Schuldbekenntnis der letzten Volkskammer
Konrad Weiß war es auch, der 1990 als Parlamentarier der demokratisch gewählten Volkskammer ein Schuldbekenntnis gegenüber Israel anregte und mitverfasste, das dann Bestandteil der Gemeinsamen Erklärung wurde, die die Volkskammer am 12. April 1990 abgegeben hat. Darin heißt es:
„Wir bitten die Juden in aller Welt um Verzeihung. Wir bitten das Volk in Israel um Verzeihung für die Heuchelei und Feindseligkeit der offiziellen DDR-Politik gegenüber dem Staat Israel und für die Verfolgung und Entwürdigung jüdischer Mitbürger auch nach 1945 in unserem Lande.“
Weiß hält fest:
„Die Erklärung wurde in die Vereinbarung zwischen den Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 23. September 1990 zur Durchführung und Auslegung des Einigungsvertrages aufgenommen – Artikel 2 – und ist damit bis heute geltendes Bundesrecht.“
Das bedeutet freilich nicht, dass damit „Heuchelei und Feindseligkeit“ gegenüber dem Staat Israel an ihr Ende gekommen wären – ebenso wenig wie die Judenfeindschaft in Deutschland insgesamt.
„Antisemitismus – den hat’s bei uns nicht gegeben“
Die Amadeu-Antonio-Stiftung eröffnete im April 2007 in Berlin-Lichtenberg eine Ausstellung mit der Überschrift „‚Das hat’s bei uns nicht gegeben!‘ Antisemitismus in der DDR“. Sie wurde zum Anlass besonders heftiger Debatten um einen DDR-Antisemitismus. Streitschriften wie „Vom angeblichen Antisemitismus“ (Detlef Joseph) oder der „Mär vom Antisemitismus in der DDR“ (Kurt Pätzold) zeigen schon durch ihren Zorn, dass am Thema „etwas dran“ war.
In der DDR-Verfassung von 1974 hieß es in Artikel 6: „Die Deutsche Demokratische Republik hat getreu den Interessen des Volkes und den internationalen Verpflichtungen auf ihrem Gebiet den deutschen Militarismus und Nazismus ausgerottet.“ Im Selbstverständnis der DDR gehörte dazu auch, „dass wir den Antisemitismus auf unserem Territorium mit Stumpf und Stiel ausgerottet haben“ (Paul Markowski am 4. Juni 1967 im Sonntagsgespräch des Deutschlandsenders).
Gerade weil dies von SED-Politikern „allezeit und unermüdlich als Mantra deklamiert“ wurde (Wolfgang Benz), fiel gar nicht mehr auf, dass Victor Klemperer in seinem bereits 1947 erschienen „Notizbuch eines Philologen“ das Wort „ausrotten“ der Lingua Tertii Imperii zugeordnet und als charakteristische Wendung der nationalsozialistischen Sprache identifiziert hatte.
Noch im Oktober 1988 musste sich der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman, der im Vorfeld der Gedenkfeiern zum 50. Jahrestag der „Reichskristallnacht“, die erstmals in Ostberlin aufwändig begangen wurden, mit dem höchsten Orden der DDR, dem „Großen Stern der Völkerfreundschaft in Gold“ dekoriert wurde, beim Festbankett aus dem Munde des DDR-Außenministers Oskar Fischer anhören, dass Faschismus und Antisemitismus im Arbeiter- und Bauernstaat mit Stumpf und Stiel ausgerottet seien.
Ob es gefühlter bzw. tatsächlicher Druck oder aber Überzeugung war, sei dahingestellt, jedenfalls äußerte sich zum Jahrestag der Novemberpogrome 1982 der Präsident der jüdischen Gemeinden in der DDR, Helmut Aris, im gleichen Ton:
„Wenn ich die seitdem verflossenen 44 Jahre überblicke und an das grausame Morden zwölfjähriger Hitlerherrschaft denke, so erfüllt es mich mit Freude und Dankbarkeit zugleich, heute in einem deutschen Staat leben zu können, in dem der Antisemitismus mit seinen Wurzeln ausgerottet ist, einem Staat, der das Vermächtnis aller Opfer des Faschismus erfüllt hat. Die kleine Zahl der Juden in der DDR teilt diese Dankbarkeit mit mir.“
Wie konnte es zu dieser Doktrin, die jedenfalls nicht nur von Parteimitgliedern der SED geteilt wurde, kommen?
Kurze Zeit der Hoffnung auf jüdisches Leben in der DDR
Die von Helmut Aris genannte kleine Zahl der Juden in der DDR weist den Weg zu einer Antwort. Denn diese Zahl war nicht immer klein. Nach der Beseitigung der nationalsozialistischen Herrschaft hatte sich auch auf dem Boden der SBZ bzw. DDR allmählich wieder ein jüdisches Leben zu rekonstruieren begonnen.
Am 31. August 1952 wurde in Erfurt auf dem Platz der im November 1938 zerstörten Synagoge eine neu errichtete in Dienst genommen. Sie durfte sich baulich nicht hervorheben, war aber am Giebel durch einen Davidstern doch als Synagoge kenntlich. Das machte den Juden im damaligen Jüdischen Landesverband Thüringen und in der ganzen DDR Hoffnung.
Sie wurde dadurch verstärkt, dass der CDU-Vorsitzende und stellvertretende Ministerpräsident Otto Nuschke die Einweihung persönlich vornahm und Rabbiner Martin Riesenburger die Synagoge weihte. Zuvor war schon auf dem jüdischen Friedhof von Leipzig ein Mahnmal für jüdische Opfer errichtet worden. Außerdem hatte die DDR-Regierung am 9. Juli 1952 den „Verband der jüdischen Gemeinden in der DDR“ als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt.
Aber der Hoffnung sollte mit der Jahreswende 1952/1953 unter den Mitgliedern der jüdischen Gemeinden in der DDR eine Atmosphäre der Panik folgen, nachdem die Tschechoslowakei den früheren Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Rudolf Slánský, und 13 weiteren führenden Genossen (davon elf Juden), den Prozess machte und zum Tode verurteilte und in der Sowjetunion jüdische Ärzte aus dem Kreml 1953 wegen eines angeblichen Mordkomplotts verhaftet wurden.
Die Prozesse lösten in der DDR eine Welle der Verfolgung und Demütigung aus. Die Räume der jüdischen Gemeinden wurden durchsucht, Gemeindevorsteher verhört und zahlreiche Juden verhaftet. Sie sollten nach den „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörertum Slánskýs“, so ein Beschluss des ZK der SED, in Schauprozessen als „Werkzeuge der internationalen Finanzoligarchie“ entlarvt und als „Agenten der jüdischen Weltverschwörung“ verurteilt werden (wiederum: Ist das nicht die Sprache von Goebbels und Himmler?).
Im Dezember 1952 wurde Paul Merker verhaftet und noch 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod, als Leiter einer „zionistischen Agentengruppe“ verurteilt. Merker hatte sich mehrfach zugunsten einer Politik der gezielten Rückgewinnung jüdischer Emigranten für den Neuaufbau eingesetzt. Jetzt warf man ihm vor, Genossen jüdischer Abstammung aufgefordert zu haben, „in die jüdische Gemeinde einzutreten, angeblich, damit sie in den Genuß von Care-Paketen der amerikanischen Agenten-Zentrale Joint kommen sollten, in Wirklichkeit, damit sie auf diese Weise dieser imperialistischen Agentur verpflichtet würden.“
Am 15. Januar 1953 ließ Walter Ulbricht den Vertrieb der jüdischen Zeitung „Der Weg“ verbieten und ordnete eine Überprüfung der Parteiakten von SED-Mitgliedern jüdischer Abstammung an. Die SED-Zeitschrift „Einheit“ schrieb in diesem Zusammenhang: „Ist es nicht eigenartig, wenn es heute noch Genossen gibt, die sich als Marxisten wähnen und die Mitglieder der jüdischen Kirche sind?“
Jüdischer Exodus aus der DDR
Aufgrund dieser Ereignisse gerieten die Mitglieder der jüdischen Gemeinden in panische Angst. In kurzer Zeit flohen etwa 500 Juden nach Westberlin. Weitere sollten folgen. Sowohl überzeugte Kommunisten wie Leo Zuckermann, wie auch Vertreter der jüdischen Gemeinden verließen das Land, unter ihnen Julius Meyer, der Präsident des „Verbandes der jüdischen Gemeinden in der DDR“ und die Vorsteher der jüdischen Gemeinden in Erfurt, Dresden und Leipzig. Der Historiker Jeffrey Herf resümiert die Verfolgungen:
„Die Säuberung vom Winter 1952/53 stellte die entscheidende und unumkehrbare Wende in der Behandlung jüdischer Belange und der Politik der Erinnerung in Ostdeutschland dar.“
Unumkehrbar war deren Ergebnis auch demographisch. Im Ergebnis der Fluchtwelle hörten in Thüringen die jüdischen Gemeinden in Eisenach, Gera, Jena und Mühlhausen auf zu existieren. Damit löste sich auch der Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Thüringen auf. Nachfolger war die Jüdische Landesgemeinde Thüringen mit Sitz in Erfurt mit ca. 140 Mitgliedern. Die Mitgliederzahl schrumpfte bis zur Wende des Jahres 1989 weiter auf 26.
Chaim Noll schreibt im Nachwort zu seinen Erinnerungen an die Lebenszeit in der DDR zum Umgang mit Juden:
„(…) das schattenhafte Dasein der Juden in der DDR, ihre Überwachung, ihr von der Partei verordnetes Aussterben. Ein weiterer Versuch, jüdisches Leben zu verhindern. Ein stilles, verschwiegenes Geschehen, das die meisten Deutschen kaum bemerkt haben, weder im Osten noch im Westen. Inmitten ständiger Beteuerungen vom Antifaschismus, vom Neubeginn, von der ‚Überwindung der Vergangenheit‘ wurde ein weiteres Mal eine jüdische Bevölkerung in Deutschland dezimiert. Nicht, indem man die einzelnen Exemplare umbrachte, wie es die Nazis getan hatten, sondern indem man die Gemeinschaft als solche am Fortleben hinderte, jeden Nachwuchs unterdrückte, sie aussterben ließ. Ein vom Vergessen bedrohtes Detail deutscher und jüdischer Geschichte, von dem ich denke, es sollte festgehalten werden.“
Verbliebene jüdische Intellektuelle waren eingeschüchtert und begannen, ihre jüdischen Wurzeln fürderhin zu verschweigen. In der Nomenklatura rückten Personen jüdischer Herkunft wie Albert Norden oder Hermann Axen auf, die sich nicht zum Judentum bekannten. Symptomatisch für das Verleugnen der eigenen Herkunft war dabei, dass der Rabbinersohn Norden in offiziellen Publikationen immer nur als „Sohn eines Funktionärs“ bezeichnet wurde.
Folgen der Unterdrückung jüdischen Lebens reichen bis heute
Die Antwort auf die Frage, wie eine Doktrin von der Ausrottung des Antisemitismus in der DDR vertreten werden konnte, muss daher lauten: Weil man das lebendige Judentum und aktives jüdisches Leben in der DDR unterdrückt hatte. Nicht einmal die Grundfunktionen des Judentums waren gegeben. Es gab in der DDR bis 1987 keinen Rabbiner, unerlässliche jüdische Rituale wie Beschneidung und Bar Mizwa wurden verhindert. Jüdisches Schrifttum im eigentlichen Sinn existierte nicht. Unter solchen Bedingungen war es so gut wie unmöglich, Kenntnisse über das Judentum zu erlangen, sogar für Wissenschaftler und Schriftsteller. Entsprechende Literatur in den Bibliotheken war nur mit einer Sondergenehmigung zu erhalten.
Insofern gab es in der DDR – anders als nach außen gerichtet deren antisemitische Israelfeindschaft – nach innen gerichtet tatsächlich seit Mitte der 1950er-Jahre keinen Antisemitismus mehr, denn es lebten einfach kaum mehr Juden in der Republik, die sich als solche zu identifizieren wagten, so dass sich eine Judenfeindschaft in der DDR an ihnen hätte reiben können.
Die Folgen dieses „jüdischen Verschwindens“ währen bis heute. Das Wissen über Judentum und jüdisches Leben tendiert in der ostdeutschen Bevölkerung um Null herum. Juden sind weitgehend nur dann Thema, wenn sie Opfer sind, wenn es gefährlich wird eine Kippa zu tragen. Juden sind nur ein negatives Thema, nämlich dann, wenn es um alten oder neuen Antisemitismus geht.
Auch 25 Jahre „Thüringer Tage der jüdisch-israelischen Kultur“ haben daran in der Breite und Tiefe noch nichts ändern können, zeigen aber auch die Notwendigkeit der Profilierung des Themas „70 Jahre Staat Israel“. Es ist das Motto des vom 3. bis 18. November in 20 Thüringer Orten stattfindenden 26. Jahrgangs dieser Kulturtage.