Bild: Louis-Maurice Boutet de Monvel, 1850-1913, Le Bon Samaritain, 1878, musée des Beaux-Arts d’Orléans, Loiret (Foto: Renaud Camus), CC BY 2.0

Der barmherzige Samariter an der Wahlurne

Über die Krankenversicherung wird sich in den USA gegenseitig an die Gurgel gegangen. Im deutschen Wahlkampf spielt sie überhaupt keine Rolle. Schade, denn hier finden sich die erhofften Unterschiede zwischen den großen Parteien.

Im Gleichnis vom barmherzigen Samariter wird die Übernahme der Pflegekosten pragmatisch gelöst: Es gibt eine Anzahlung, sollte dieser Rahmen überstiegen werden, wird nachgezahlt. So verspricht es der Samariter, also der Gesunde. Denn obwohl es im Gleichnis nicht um die Organisation eines sozialen Gesundheitssystems geht: Hier zahlt der Gesunde für den Kranken bzw. Verletzten.

Das soziale Gesundheitssystem hat genau das zum Kern: Das Heer der Gesunden zahlt solidarisch mit. So werden Krankheitskosten abgedeckt, die Einzelne sich nicht leisten könnten. Im Idealfall ist gute Gesundheitsversorgung also nicht vom Geldbeutel abhängig.

Für ein solidarisches Gesundheitssystem haben sich die Deutschen vor langer Zeit entschieden. Keine der Parteien, die am 24. September aller Wahrscheinlichkeit nach in den Bundestag einziehen werden, will es komplett abschaffen. Ein wohltuender Unterschied zur Republikanischen Partei in den USA, der das Grundprinzip der Solidarität schlicht als Sozialismus gilt. Dabei ist ein solches System nicht nur „samaritanischer“, also barmherziger, christlicher – auch günstiger kann sich ein Gemeinwesen seiner Krankheitskosten nicht entledigen.

So sieht’s aus

Doch ganz so nach dem Prinzip, die Gesunden zahlen, damit die Kranken gut versorgt werden, funktioniert es doch nicht. Das fängt schon beim Versicherungsmodell an. In Deutschland herrscht Versicherungspflicht, so dass die Krankheitskosten nicht am Staat kleben bleiben, wie es z.B. in den USA bei Unversicherten häufig geschieht.

Der deutsche Staat übernimmt zwar die Gesundheitskosten von Sozialhilfeempfänger und auch Ayslbewerbern. Diese werden in der gesetzlichen Krankenversicherung untergebracht, die Leistungen werden allerdings nicht aus den Beiträgen der Versicherten, sondern aus Steuermitteln bezahlt. D.h. für die Gesundheitsversorgung der Ärmsten und Schwächsten kommen schon jetzt alle Steuerzahler auf. Wer sich allerdings trotz Versicherungspflicht nicht versichert, muss im Fall der Fälle empfindliche Nachzahlungen zzgl. eines Säumniszuschlags vo 60 % bezahlen.

Versichert sind die meisten Deutschen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dort steht ein kunterbunter Haufen unterschiedlicher Kassen zu Verfügung, die seit ein paar Jahren auch ein bisschen Wettbewerb um Beitragszahler führen dürfen.

Zwei-Klassen-System?

Oder aber man versichert sich bei einer privaten Krankenversicherung. Für einige Berufsgruppen – Beamte, Abgeordnete, Pfarrerinnen und Pfarrer – lohnt sich das, weil sie ihre Beiträge in die gesetzliche Versicherung alleine zahlen müssen („freiwillig gesetzlich versichert“), während bei Angestellten und Arbeitern der Arbeitgeber einen Anteil der Krankenversicherungsbeiträge übernimmt.

Vor allem lohnt sich die private Krankenversicherung für Menschen, deren Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung höher wären als ihre private Versicherungspolice – also Menschen mit einem sehr hohen Einkommen.

Die Krux: Arme und Kranke sind vor allem gesetzlich versichert, während in die private Krankenversicherung vor allem wirtschaftlich Starke und überproportional gesunde Menschen einzahlen. Solidarität, hö?

Wer zahlt die steigenden Gesundheitskosten?

Dieses duale System möchte die Union nicht antasten. Auch nicht, dass die Arbeitgeberanteile an den Versicherungskosten nicht weiter steigen dürfen. Das wurde vor ein paar Jahren eingeführt, um die Lohnnebenkosten (dazu gehört die Krankenversicherung) zu drücken.

Seitdem können nur die Arbeitnehmeranteile an den Krankenversicherungsbeiträgen steigen. Wird die Versorgung der Versicherungsnehmer teurer, steigen nur die Beiträge der Versicherten, nicht aber der Arbeitgeberanteil.

Das wollen die SPD, die Grünen, die Partei Die Linke und die AfD ändern. Sie fordern eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung, d.h. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen zu gleichen Teilen die Versicherungsbeiträge. Die Union und die FDP wollen an der Beitragsdeckelung für die Arbeitgeber festhalten. Diese Frage erhält in einer älter und darum auch kränker werdenden Gesellschaft immer mehr Relevanz.

Der Wettbewerb der gesetzlichen Kassen untereinander könnte im Prinzip dafür sorgen, dass diejenigen die hohe Beiträge nicht bezahlen wollen und nur selten einen Arzt brauchen, sich eine Kasse mit geringeren Beiträgen suchen. Deshalb sind alle gesetzlichen Krankenversicherungen verpflichtet, mehr oder weniger den gleichen Leistungsumfang zu bieten. Würde das weiter liberalisiert (na, an wen denken wir da?), könnten sich Gesunde und Clevere auch innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zumindest etwas aus dem Solidarsystem verabschieden.

Die Systemfrage nach der Zukunft des dualen Systems stellen die SPD, die Grünen und die Partei Die Linke. Sie wollen das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung durch eine Bürgerversicherung ersetzen.

Wie funktioniert die Bürgerversicherung?

Im Grunde so wie die gesetzliche Krankenversicherung, nur dass wirklich alle einzahlen. Die entstehenden Krankheitskosten würden so auf alle Menschen mit Einkommen umgelegt. Die Beitragssätze einer solchen Bürgerversicherung, versichern Ökonomen, wären geringer als die heutigen.

Wie heute schon in der gesetzlichen Krankenversicherung würde der Leistungsumfang der Bürgerversicherung von Staat, Kasse und Leistungsgebern ausgehandelt. Sollte man sich darüber hinaus weitere Leistungen sichern wollen, könnte man sich privat zusatzversichern.

Die Modelle von SPD, Grünen und der Partei Die Linke unterscheiden sich im Detail, wenn es um die genaue Ausgestaltung dieses neuen Systems geht, aber im Wesentlichen ist es das.

„Die sind sich doch alle gleich …“

So. Da hätten wir mal einen großen Unterschied zwischen Union und SPD. Beiden Großkoalitionären wird ja unentwegt vorgeworfen, sie würden sich gar nicht wirklich voneinander unterscheiden. Bei der Ausgestaltung der Krankenversicherung aber tun sie es:

Die Union möchte gerne alles so behalten, wie es momentan ist, inkl. der Deckelung der Arbeitgeberanteile an den Krankenversicherungsbeiträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die SPD will, dass sich die Arbeitgeber dort wieder in gleichem Maße engagieren wie die Arbeitnehmer. Und sie möchte darüber hinaus das zweigliedrige System durch die solidarische Bürgerversicherung ablösen.

In einer Großen Koalition unter Führung der Union wird sich an unserem Krankenversicherungssystem grundsätzlich nichts ändern. Das liegt auch daran, dass während der 2. Großen Koalition von 2005 bis 2009 bereits Kompromisse geschlossen wurden. Vielen Leuten in Deutschland ist das so ganz recht.

Doch wie sieht es mit jungen Menschen aus?

Viele junge Menschen verdienen heute nicht mehr so gut, wie es ihre Eltern getan haben, als sie ins Berufsleben starteten. Und, schwerwiegender, ihr Einkommen wird im Verlauf ihres Berufslebens auch nicht auf das Niveau der vorherigen Generation ansteigen.

Junge Menschen hätten deshalb viel von einer solidarischen Bürgerversicherung, weil in diese ältere, besserverdienende Menschen genauso einzahlen und sich somit an der Finanzierung der steigenden Gesundheitskosten einer alternden Gesellschaft beteiligen würden.

Aber auch die meisten älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer würden von einer Bürgerversicherung profitieren, weil sie bei gleichbleibendem Leistungsumfang weniger hohe Beiträge zahlen müssten. Menschen mit sehr gutem Einkommen müssten wohl insgesamt etwas mehr für ihre Gesundheitsversorgung bezahlen.

In Deutschland wählen junge und arme Menschen im Vergleich zu älteren und vermögenderen Menschen seltener. Dabei gäbe es wirklich etwas zu entscheiden, auch zwischen den ach so ähnlichen Großkoalitionären Union und SPD.

Ob das Gesundheitssystem in Richtung einer solidarischen Bürgerversicherung reformiert wird, ob alles beim Alten bleibt, oder ob das Soziale in unserem Gesundheitssystem weiter zurückgedreht wird, das haben die Wählerinnen und Wähler in der Hand.

Und der Samariter?

Den gibt es ja nur im Gleichnis, er hat seine Pflicht erfüllt. Und was würde der Erzähler des Gleichnisses, what would Jesus do?