Der katholische Präsident
Mit Joe Biden wird heute erst der zweite Katholik in das Amt des US-Präsidenten eingeführt. Bidens Frömmigkeit steht in den vergangenen Tagen aus guten Gründen im Vordergrund.
Heute wird Joe Biden nach John F. Kennedy und Josiah „Jed“ Bartlet als dritter Katholik in der US-Geschichte zum Präsidenten vereidigt. Bidens Katholischsein spielt seit einigen Wochen in den Medien eine herausragende Rolle. Immer wieder wird betont, dass er und seine Frau jeden Sonntag die Messe besuchen. Eine gute Praxis, von der erwartet wird, dass er sie auch als Präsident fortsetzen wird.
Dass Bidens Religiosität in diesen Tagen besondere Beachtung erfährt, hat sicher auch damit zu tun, dass er Donald Trump im Amt des US-Präsidenten ablöst. Dieser hat eine einzigartige religiöse Koalition geschmiedet. Nach wie vor halten es die weißen Katholiken und weißen Evangelikalen mehrheitlich mit ihm. Die Demokraten bringen auch deswegen Bidens katholischen Glauben ins Spiel, weil sie damit die Hoffnung verbinden, zumindest einige der religiösen Trumpanhänger:innen beruhigen und langfristig überzeugen zu können. Ziel ist es, „das Land zu heilen“.
Der „Links-Katholik“ Joe Biden
Darum lohnt sich ein Blick auf die Katholizität Bidens. Denn obwohl er ein treuer Messgänger ist, wird ihm diese vom rechten Flügel des US-Katholizismus abgesprochen. Biden ist kein culture warrior („Kulturkämpfer“) wie Trumps ehemaliger Justizminister William Barr. Er teilt auch nicht die Obsession vieler seiner Glaubensgeschwister für das Thema Abtreibung. Im Gegenteil, er gilt als pro choice, d.h. er verteidigt Roe v. Wade und das Recht von Frauen, über eine Abtreibung selbst zu entscheiden.
Die katholische Kirche in den USA ist hoch polarisiert. Noch jetzt gibt es Priester, die auf rechtsradikalen Medienkanälen von einer gestohlenen Wahl sprechen und die Hoffnung schüren, man könne Biden irgendwie verhindern. Eine wirksame Kontrolle immer neuer Renegaten, die auf diesem Weg ins Rampenlicht streben, durch die Bischöfe findet kaum statt.
Die US-Bischofskonferenz ist tief gespalten. Eine (wachsende) Gruppe von Bischöfen, die von Papst Franziskus ernannt oder befördert wurden, steht einem eisernen Block von sehr konservativen und kulturkämpferischen Bischöfen gegegenüber, die ihre Karrieren den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. verdanken. Um sie alle herum schwirren has-beens wie Erzbischof Carlo Maria Viganò, Kardinal Raymond Burke und Kardinal Gerhard Ludwig Müller, die mit immer neuen Verschwörungserzählungen Aufmerksamkeit für die eigenen traditionalistische Agenda und persönliche Fehden gegen Franziskus generieren.
Der Deutsche Müller, ehemaliger Präfekt der römischen Glaubenskongregation, war in den letzten Jahren regelmäßig Gast bei EWTN. Der mit Abstand größte konfessionelle Sender des Landes ist zugleich Epizentrum des katholischen Kulturkampfs. Sender-Aushängeschild Raymond Arroyo lobt sich seiner Nähe zu Trump und kommentiert regelmäßig auf FoxNews. Zum ETWN-Medienverbund gehören zahlreiche konservative und reaktionäre Medien, auch CNA Deutsch. Im Sender sieht man sich derzeit vor die Alternative gestellt, mit dem Rest der Trump-Anhängerschaft in immer faschistoidere Szenerien abzusteigen oder die Notbremse zu ziehen. Personalentscheidungen der letzten Tage deuten eher auf ersteres hin.
Joe Biden stellt sich demgegenüber bewusst in die Traditionslinie des von katholischen Traditionalisten und Rechten häufig als „Links-Katholizismus“ verunglipften liberalen Flügels der US-Katholizismus. Katholik:innen in den USA engagieren sich seit jeher auch in der Bürgerrechtsbewegung, für #BlackLivesMatter, für LGBTQI-Rechte (@JamesMartinSJ), gegen die Todesstrafe (@helenprejean, „Dead Man Walking“) und für neue spirituelle Aufbrüche (Richard Rohr).
Doch griffe man wohl zu weit aus, Biden zu einem katholischen Aktivisten zu erklären. Mit seiner offensiv vorgetragenen Frömmigkeit unterläuft Biden gleichwohl die Bemühungen der katholischen Rechten, ihn als Gegner des Glaubens zu zeichnen.
Ein normaler Christdemokrat
Einige Medien beeilen sich derzeit auch, die Parallelen zwischen Joe Biden und Papst Franziskus zu beschreiben. Die beiden gehören einer Generation an, der Papst ist nur sechs Jahre älter als Biden (78). Beide haben im Klimawandel die zentrale Herausforderung für den Fortbestand der Menschheit erkannt und schöpfen aus der sozialen Tradition des Katholizismus. Vor allem liberale katholische Kommentator:innen wünschen sich von einer Biden-Regierung eine stärkere Betonung der katholischen Soziallehre.
Doch reicht auch der Vergleich mit Franziskus nur so weit: Denn gesellschaftspolitisch ist der Papst deutlich konservativer als Biden, der Wert darauf legt Mitglieder der LGBTQI-Community und Frauen in Regierungsämter zu berufen. Bei Joe Biden handelt es sich, gerade aus deutscher Perspektive, um einen ziemlich normalen Katholiken und Christdemokraten.
Die Beachtung der Religiosität Bidens verdankt sich dem Kontrast zu seinem Amtsvorgänger, der mega-unfromm ist, sich aber bis zuletzt auf eine große religiöse Anhängerschaft verlassen konnte. Dass gerade viele fromme Christen Trump unterstützen, löst in den Staaten inzwischen auch eine erhebliche anti-religiöse Gegenwehr aus. Hinzu kommt, dass immerhin ein Viertel der Bevölkerung sich keiner Religion (mehr) zugehörig fühlt.
Nicht anti-religiös, aber anti-fundamentalistisch
Das führt zum Schluss zum Vergleich mit dem fiktiven Jed Bartlet, denn natürlich ist Joe Biden nach John F. Kennedy erst der zweite Katholik, der tatsächlich in das Amt des US-Präsidenten gewählt wurde. Doch der Blick auf die Bartlet-Regierung aus der Serie „The West Wing“ lohnt sich. Jed Bartlet wird vom Autor der Serie, Aaron Sorkin, als frommer Katholik gezeichnet, der insbesondere mit den schweren ethischen Entscheidungen zu kämpfen hat, die er als Präsident zu fällen gezwungen ist.
Sorkins „West Wing“ entwarf während der Regierungsjahre George W. Bushs ein positives Bild vom Regierungshandeln. Schon damals ein Kontrapunkt zur Ideologie der Republikanischen Partei, nach der staatliches Handeln mit massiver Skepsis begegnet wird. Die Fernsehfigur Jed Bartlet wurde in diesen Jahren zu einem „Ersatzpräsidenten“. Seine rhetorischen und intellektuellen Qualitäten fielen vor der Kontrastfolie des jüngeren Bush umso deutlicher ins Auge.
An einen frommen Präsidenten müssen sich die meisten US-Amerikaner nach Jimmy Carter, Ronald Reagan und Jed Bartlet jedenfalls nicht erst gewöhnen. Demonstrative Nähe zu religiösen Akteur:innen hat noch keinem Präsidenten geschadet. Außerhalb der black community hat man Barack Obama seine christliche Frömmigkeit jedenfalls nicht abgenommen. Mit seiner Offenheit gegenüber allen Religionen und auch Nicht-Religiösen war Obama ein moderner Präsident, der Dissens mit weißen Evangelikalen und Katholiken wurde dadurch hingegen vertieft.
Jed Bartlet gereicht Biden noch aus einem weiteren Grund zum Vorbild: Gleich in der ersten Folge tritt er bewaffnet mit seiner Tradition und profunden Bibelkenntnis christlichen Fundamentalisten entgegen. Ein Motiv, das Sorkin im Verlauf der Serie häufiger wiederholt. Die Befriedung gesellschaftspolitischer Konflikte, die viele Menschen von Joe Biden erhoffen, wird nicht gelingen, wenn er als dezidiert religiöser Präsident allein versucht, radikalisierte Christen wieder einzubinden.
Er muss auch deutlich machen, dass sich eine intensiv gelebte Religiosität und aufgeklärtes Denken und Handeln nicht widersprechen müssen. Um dem christlichen Fundamentalismus und Fanatismus entgegenzutreten, bedarf es vielleicht gerade eines Präsidenten, der selbst tief in seiner religiösen Tradition verwurzelt ist.