Foto: Michael Thaidigsmann (Wikipedia), CC BY-SA 4.0

Der Reisende

Kardinal Reinhard Marx verabschiedet sich vom Vorsitz der Deutschen Bischofskonferenz. Welche Konsequenzen für den Reformprozess in der katholischen Kirche hat sein Rückzug?

Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, hat heute bekannt gegeben, dass er nicht für eine zweite Amtszeit als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) zur Verfügung steht. Seine sechsjährige Amtszeit endet regulär mit der Frühjahrskonferenz der DBK vom 2. bis 5. März 2020 in Mainz.

Marx begründet seinen Entschluss in einem Brief an die Bischöfe der deutschen (Erz-)Bistümer u.a. mit seinem Alter. Am Ende einer weiteren Amtszeit wäre er 72 Jahre alt und stünde damit auch kurz vor dem Ende seiner Amtszeit als Erzbischof von München und Freising. Er wolle in den kommenden Jahren „wieder stärker im Erzbistum München und Freising präsent sein, gerade in dem umfassenden Strategieprozess, den wir in diesem Jahr beginnen wollen.“

„Ich finde, es sollte die jüngere Generation an die Reihe kommen“, teilt Marx seinen Amtsbrüdern mit und überlegt, ob es nicht überhaupt gut wäre, das Amt häufiger rotieren zu lassen. Seine Entscheidung stünde für ihn schon „seit einiger Zeit“ fest. Mit Marx verliert die DBK einen Vorsitzenden, der sich in den vergangenen Jahren zu einem mutigen Reformer gewandelt hat.

Von München in die weite Welt

Zwar will Marx sich auch weiter für den Synodalen Weg engagieren, der maßgeblich auf sein Engagement zurückgeht, aber sein Verzicht auf eine Kandidatur für eine zweite Amtszeit markiert einen Wendepunkt in der Karriere des umtriebigen Kirchenmannes.

Seit seiner Ernennung zum Erzbischof von München und Freising 2007 und noch mehr seit seiner Erhebung zum Kardinal 2010 durch Papst Benedikt XVI. ist Marx in vielen Ämtern und Beauftragungen in der katholischen Weltkirche präsent. 2013 berief in Papst Franziskus in den Kardinalsrat. Das zunächst acht-, dann neuköpfige und nach den Demissionen von Laurent Monsengwo Pasinya , George Pell und Francisco Javier Errázuriz Ossa sechs Kardindäle umfassende Gremium („K9-Rat“) berät Franziskus bei der Umsetzung der dringend benötigten Kurienreform.

Von konservativen Kreisen wird die Macht des Kardinalsrates immer wieder misstrauisch beäugt. Tatsächlich hat das Gremium an der Reorganisation der vatikanischen Behörden und der Schaffung mehrerer neuer Dikasterien mitgewirkt. Solche Reformen verursachen innerhalb der Kurie immer wieder ein erhebliches Stühlerücken, das von starkem Widerstand begleitet wird.

Marx sitzt als Kardinal-Koordinator dem Päpstlichen Wirtschaftsrat vor, der das 2014 neugebildete Wirtschaftssekretariat der Kurie beraten soll. Das Gremium besteht aus acht Kardinälen und sieben Laien aus der Finanz- und Wirtschaftswelt. Das Wirtschaftssekretariat geriet in den vergangenen Jahren immer wieder in die Schlagzeilen. Nicht zuletzt, weil gegen den ersten Präfekten des Dikasteriums, Kardinal Georg Pell, wegen Missbrauchs ermittelt wurde. In einem Gerichtsverfahren sprach ihn eine australische Jury im Dezember 2018 einstimmig schuldig. Das Urteil, das auch in der Berufungsinstanz 2019 bestätigt wurde, ist noch nicht rechtskräftig und wird zurzeit in letzter Instanz überprüft.

Reaktionen auf die Missbrauchskrise

Sowohl in seinem vormaligen Bistum Trier als auch in Bayern wurden in den vergangenen Jahren zahlreiche Missbrauchsfälle enthüllt, für die Marx als (Erz-)Bischof Verantwortung übernehmen muss. Doch hat Marx, anders als so mancher Amtsbruder, nach den Enthüllungen am Canisius-Kolleg 2010 Konsequenzen gezogen. In Rom und München positioniert er sich als Aufklärer.

„Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, ich habe immer schon alles gewusst. Als ich ein junger Priester war, war das überhaupt kein Thema für uns, davon hat man vielleicht von Ferne gehört. Aber es war kein wirkliches Thema, wurde nicht diskutiert. Auch das Thema der Sexualität wurde im Grunde wenig besprochen. Dann eben die ersten Missbrauchsfälle, da haben wir gedacht, das sind Einzelfälle… also genau hinschauen, das darf nicht wieder passieren, das war ganz klar. Aber eine wirkliche Perspektive, also was heißt das eigentlich für die Kirche, ist das ein Auftrag für uns und wie können wir mit den Opfern weiterarbeiten, das ist erst 2010 mit diesem Schock gekommen.“ (Vatican News)

Auf der Missbrauchskonferenz im Vatikan vor einem Jahr forderte Marx die Abschaffung des „päpstlichen Geheimisses“ für Missbrauchsfälle. Papst Franziskus entsprach dieser Forderung im Dezember 2019. Gemeinsam mit der Päpstlichen Universität Gregoriana und dem Universitätsklinikum Ulm gründete das Erzbistum München und Freising 2012 ein Zentrum für Kinderschutz, an dem 2018 ein eigener Masterstudiengang „Safeguarding of Minors“ in Rom eingerichtet wurde.

Auch der „Synodale Weg“ (wir berichteten), den Marx mit besonderer Verve gegen Widerstände aus dem Vatikan und der Bischofskonferenz durchsetzte, ist für ihn eine Konsequenz aus der Missbrauchskrise. Die 2018 veröffentlichte MHG-Studie habe ihm vor Augen geführt, dass die Kirche trotz aller Bemühungen seit 2010 noch nicht genug getan hätte.

Auf dem „Synodalen Weg“ beraten Laien und Kleriker gemeinsam in vier Foren über die Zukunft der röm.-kath. Kirche in Deutschland. Aufseiten konservativer Katholiken gilt Marx seit seinem Engagement für diesen Reformprozess endgültig als Persona non grata.

Wohin führt der Weg?

Es darf darum überraschen, dass Kardinal Marx sich von der Spitze der Bischofskonferenz ausgerechnet in dem Moment verabschiedet, da der „Synodale Weg“ mit seiner ersten Vollversammlung Ende Januar 2020 richtig begonnen hat. In seinem Brief an die Bischofskonferenz betont er, dass er den Start des Unternehmens für gelungen hält. Doch wurden in den vergangenen Tagen auch erhebliche Meinungsverschiedenheiten unter den Bischöfen öffentlich.

Diese existieren schon seit langem: Marx möchte wenigstens über Frauendiakonat und -Priestertum, Machtteilung und den Zölibat diskutieren lassen, während andere – wie der Kölner Erzbischof Kardikal Woelki und der Regensburger Bischof Voderholzer – darin schon eine gefährliche Abweichung von der kirchlichen Lehre sehen.

Marx ist das beliebteste Ziel reaktionärer Kritik und Schmähungen. Großsprecher wie Kardinal Gerhard Ludwig Müller und Kardinal Raymond Leo Burke haben sich schon lange auf ihn eingeschossen und werden in ihren Bemühungen von einem nicht müde werdenden Mob von Online-Kommentatoren und einigen katholischen Medien wie EWTN/CNA unterstützt. Marx und die deutschen Katholik*innen gelten ihnen als Kirchenspalter und Häretiker. Was hat sein Rückzug von der nationalen Bühne zu bedeuten?

Ist Kardinal Marx der Kämpfe müde? Sieht er seine Bemühungen und den „Synodalen Weg“ in so gutem Fahrwasser, dass es seiner Unterstützung im Amt des Vorsitzenden der Bischofskonferenz nicht mehr bedarf? Oder ist sein Verzicht auf eine zweite Amtszeit ein Zeichen dafür, dass er den begonnenen Kampf für Reformen in der Kirche bereits für verloren hält?

An Franziskus‘ Seite

Es bleibt abzuwarten, ob Marx auch seine internationalen Verpflichtungen im Vatikan und in der Weltkirche hinter sich lässt, um sich – wie angekündigt – auf das Erzbistum München und Freising zu konzentrieren. Als Unterstützer der Agenda des amtierenden Papstes ist er für Franziskus eigentlich unverzichtbar, der geschickte Netzwerker und kraftvolle Organisator wird weiter gebraucht.

Immer wieder setzt Marx unauffällige, doch deutliche Spitzen in Richtung der erzkonservativen Cliquen, die sich gegen Reformen in der katholischen Kirche wenden. So spendete sein Erzbistum zuletzt – ganz auf der Linie Franziskus‘ – 100 000 € für Flüchtlingshilfe auf Lesbos und 150 000 für Flüchtlinge in Nigeria. Außerdem unterstützt Marx aus seinem erzbischöflichen Haushalt auch den Verein #United4Rescue mit 50 000 €.

Das Herzensprojekt seines Freundes Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und EKD-Ratsvorsitzender, erregt nicht nur in den evangelischen Kirchen die Gemüter. Mit seinem klaren Unterstützungssignal für die Seenotrettung auf dem Mittelmeer gibt Marx auch zu verstehen, dass er bereit ist seine Mittel und Möglichkeiten einzusetzen, um an einer Kirche mitzuarbeiten, wie Papst Franziskus sie fordert: Synodalität nach Innen, Solidarität mit den Schwächsten nach Außen.

Vielleicht gewinnt Marx mit seinem Verzicht auf eine zweite Amtszeit auch mehr Beinfreiheit für genau solches Handeln. Moderieren muss er die zerstrittene Bischofskonferenz jedenfalls bald nicht mehr.