„Die Kirchen finden da überhaupt nicht statt!“

Soll die #digitaleKirche WhatsApp und Clubhouse nutzen? Und wie steht es um das politische Engagement der Kirchen bei der Gestaltung der Digitalisierung?

Eule: Bei den Datenschützern der Kirchen steht WhatsApp schon immer in schlechtem Ruf, aber jetzt gibt es eine große Anti-WhatsApp-Welle. Was ist denn da los?

Dachwitz: WhatsApp hat angekündigt, seine Datenschutzregeln zu ändern und die Nutzer:innen aufgefordert, diese Änderungen zu akzeptieren. Und zwar so, wie sich das für das Silicon Valley gehört: in „Friss oder Stirb“-Manier. Wer nicht mitmacht, kann WhatsApp in Zukunft nicht mehr nutzen. Dieses Vorgehen nervt inzwischen immer mehr Menschen, die dem Facebook-Konzern ohnehin schon kritisch gegenüberstehen.

Auch der Inhalt der Datenschutzänderung hat es in sich: Facebook hat im Jahr 2014 WhatsApp für 19 Milliarden Dollar gekauft, das muss sich irgendwann auszahlen. Jetzt sollen die Daten, die bei WhatsApp über das Nutzungsverhalten erhoben werden, auch für die Personalisierung der Werbung auf Facebook genutzt werden. Dass Metadaten der Nutzer:innen von WhatsApp an Facebook gegeben werden, ist nicht neu. Neu ist, dass sie für Werbezwecke genutzt werden sollen. Das gilt jedenfalls für den Rest der Welt, in Europa ist das noch nicht der Fall.

Eule: Warum ist das in Europa anders?

Dachwitz: Manche sagen, wegen der Datenschutzgrundverordnung. Wir sehen allerdings, dass die großen Datenkonzerne aus den USA auch unter diesen Bedingungen alles zu rechtfertigen versuchen, was sie gerne mit den Daten der Nutzer:innen anstellen wollen. Bislang hatten die Datenschutzbehörden im Kräftemessen mit den Konzernen noch nicht die Oberhand.

Dass Europa erst einmal außen vor ist, liegt vielmehr daran, dass die Kartellbehörden sehr aufmerksam auf Facebook schauen. Das Bundeskartellamt hat Facebook vor zwei Jahren explizit untersagt, Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen, ohne den Nutzer:innen eine Auswahlmöglichkeit einzuräumen. Dagegen wehrt sich Facebook bisher mit wenig Erfolg vor Gericht. Dass die WhatsApp-Daten in Europa heute nicht für Werbezwecke genutzt werden, heißt derweil nicht, dass Facebook es sich nicht morgen anders überlegt.

Eule: WhatsApp hat eine große Marktmacht in Deutschland. Deshalb sagen viele: Wer Menschen per Messenger erreichen will, der muss das auch mit WhatsApp versuchen. Trotzdem: Welche Alternative empfiehlst Du?

Dachwitz: Zuerst finde ich es wichtig, sich selbst zu informieren. Das kann man auch in der Gemeinde(-gruppe) machen, die eine Messenger-Gruppe anlegen will. Das Thema Messenger-Dienste ist sehr gut geeignet, sich mit den politischen Fragen des Netzes zu beschäftigen und auch ganz konkret zu handeln – es gibt hier Alternativen, die mit Blick auf die Funktionalität mindestens in der gleichen Liga wie WhatsApp spielen.

Unter den vertrauenswürdigen Messengern profitiert im Moment Signal am meisten vom Run auf die Alternativen. Eine weitere datenschutzfreundliche Alternative ist Threema, das vom Funktionsumfang her aber nicht ganz so üppig ausgestattet ist. Beide sind Open Source, das heißt Expert:innen können nachschauen, ob der Code hält, was die Werbung verspricht.

Eule: Womit verdienen die Messenger-Dienste eigentlich ihr Geld? Das sind ja keine gemeinnützigen Organisationen, oder doch?

Dachwitz: Bei WhatsApp / Facebook nennt sich das Geschäftsmodell Überwachungskapitalismus. Das Verhalten der Nutzer:innen wird analysiert, in Datenform gespeichert und weitergegeben, zusammengeführt und Kunden zur Verfügung gestellt. Signal wird tatsächlich von einer gemeinnützigen Stiftung getragen. Die haben kein Geschäftsmodell im eigentlichen Sinne, aber eben z.B. das Geld des WhatsApp-Gründers Brian Acton, der in die Stiftung eingestiegen ist, nachdem er Facebook verlassen hat. Das ist witzig, weil er erst durch den Verkauf von WhatsApp reich geworden ist.

Bei Threema zahlt man einmalig ein bisschen Geld, um die App zu kaufen. Außerdem bietet Threema einen Business-Client an, z.B. nutzt Mercedes-Benz Threema als internen Messenger. Die sagen bewusst: „Wir können unsere Daten nicht in die Hände eines windigen US-Unternehmens geben!“ Mercedes-Benz ist das Geschäftsgeheimnis insofern wohl mehr wert, als den Kirchen das Seelsorge- und Beichtgeheimnis.

Eule: Na ja, die Datenschützer:innen der Kirchen sind da schon hinterher. Aber sie sind im Grunde darauf angewiesen, dass man ihnen Verstöße meldet oder sich selbst anzeigt. „Wir müssen dorthin, wo die Leute sind“, ist außerdem ein Standardsatz derer, die sich für #digitaleKirche einsetzen. Ich habe das auch schon häufig gesagt.

Dachwitz: An den Messengern kann man den sog. Netzwerkeffekt gut studieren: Je mehr Leute eine Kommunikationsinfrastruktur nutzen, je mehr Menschen man so erreichen kann, desto höher ist der Nutzen. Deshalb sind viele Menschen nach wie vor auf WhatsApp. Das ist das gleiche Argument, das viele in der Kirche bringen: Wir müssen doch dort hingehen, wo die Menschen sind.

Ein gewisser Pragmatismus ist in meinen Augen für eine Weile auch ok, aber man darf es sich nicht darin bequem machen. Wenn man den Kontakt hergestellt hat, kann man ja zum Beispiel im Konfirmandenunterricht eine Einheit dazu machen. Also auch aus christlicher Perspektive darauf schauen, warum es wichtig ist, dass Menschen Privatsphäre und das Recht auf Geheimnisse haben. Im Idealfall entscheidet die Konfi-Gruppe dann gemeinsam, wie sie künftig miteinander kommuniziert.

Aber vor allem sollte man sich politisch dafür einsetzen, dass die geltende Rechtslage durchgesetzt wird. Das sehe ich bei den Kirchen überhaupt nicht. „Wir müssen da hin“, ist für mich der erste Schritt, aber wenn man hier stehen bleibt dann werden wir unserem eigenen Anspruch nicht gerecht. Das gilt übrigens auch für die christlichen Influencer:innen auf YouTube oder Instagram. Ich finde es ja super, dass es endlich Menschen gibt, die im Netz lebensnah und in zeitgemäßer Sprache von ihrem Christsein und ihrem Blick auf die Welt erzählen. Aber es ist schade, dass sie dabei nicht auch mal kritisch auf die Infrastruktur schauen, die sie dafür nutzen.

Eule: Mich überrascht, Stichwort Clubhouse, mit welcher naiven Begeisterung doch immer wieder auf neue Dinge aufgesprungen wird. Ich bin ein bisschen enttäuscht, weil ich das Gefühl habe, dass das so ganz gegenteilig zu dem ist, was wir in den vergangenen Jahren als Kernpunkte einer christlichen Digitalisierung erarbeitet haben.

Dachwitz: Erst einmal finde ich es gut, dass es bei der Kirche Leute gibt, die das jetzt ausprobieren wollen. Es ist gut, dass man sich nicht mehr überraschen lassen will und vielleicht erst in ein paar Monaten mal langsam anfängt, wenn der Clubhouse-Hype längst wieder vorbei ist.

Gleichzeitig finde ich die Aufgeregtheit bedenklich, mit der man meint, wir müssen da hin. Clubhouse ist ein spezifischer Dienst mit einer spezifischen Zielgruppe. Also wenn das passt und man da eine Idee hat, ok. Ich finde es aber sehr schade, dass eine theologische Diskussion von Clubhouse nicht stattfindet. Eine verpasste Chance.

Eule: Womit verdienen die denn ihr Geld?

Dachwitz: Dazu gibt es keine Infos, wahrscheinlich wissen es die Gründer:innen selbst noch gar nicht. Das Problem vieler neuer Tech-Dienste ist, dass die überhaupt kein Geschäftsmodell haben, sondern mit Venture-Kapital aufgeblasen sind. Es geht darum, ganz schnell Reichweite aufzubauen. Nach einem Geschäftsmodell wird dann später gesucht. Und das sind im Zweifel die Nutzer:innendaten. Das wird bei Clubhouse wohl nicht anders kommen.

Eule: Wie erklärst Du dir, dass neue Dienste immer wieder Hypes auslösen?

Dachwitz: Wir Menschen haben ein Bedürfnis nach Nähe, nach Austausch, nach Gemeinschaft und Anerkennung. Klassische Institutionen wie Vereine, Kirchen, Parteien oder auch die Familie sind gesamtgesellschaftlich gesehen heute weniger identitätsstiftend als im 20. Jahrhundert. Online-Communities erfüllen dieses Bedürfnis. Der Soziologe Zygmunt Baumann hat das mal auf die Formel „Konnektivität statt Kollektivität“ heruntergebrochen.

Der Hype um Clubhouse ist deshalb gerade vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Isolation sehr verständlich: Es geht darum gesehen und, in diesem Fall, gehört zu werden. Das Schwierige ist ja, dass viele der Plattformen, auch von so hochproblematischen Unternehmen wie Facebook & Google, im Wesentlichen großartige Dienste sind. Die stellen Kommunikationsinfrastrukturen bereit, die wir brauchen, und die so viel Potential haben, auch was die Demokratisierung der politischen Öffentlichkeit angeht. Es ist nur schade, dass viele von ihnen ein sehr kaputtes Geschäftsmodell haben.

Eule: Das berührt einen wunden Punkt der innerkirchlichen Debatte. Wenn man fragt, womit man denn arbeiten soll außer diesen großen Diensten, kommt man mit Tools um die Ecke, die eben nicht so gut sind.

Dachwitz: Wir bei netzpolitik.org achten sehr darauf, dass wir uns nicht von einem Infrastrukturanbieter abhängig machen. Deswegen haben wir unseren eigenen Blog, deswegen würden wir nie Content exklusiv auf einer dieser Plattformen hosten. Man sieht am Deplatforming von Donald Trump, dass einem da ja auch der Hahn abgedreht werden kann.

Deshalb braucht die Kirche jetzt kein eigenes Soziales Netzwerk aufzubauen! Aber dass man andere digitale Anwendungen nicht auch selbst entwickelt, halte ich für einen Fehler. Die Kirche verharrt immer in der Anwenderrolle und bleibt damit komplett abhängig von den Spielregeln der Anbieter. Ein schönes Beispiel dafür, wie es anders geht, ist der Chaos Computer Club (CCC), der eine eigene Videostreaming-Plattform aufgebaut hat. Da finden Livestreams statt, aber da werden auch die Videos von den Kongressen und Veranstaltungen dauerhaft angeboten. Die haben da jetzt eine riesige Mediathek mit politisch relevanten Inhalten, selbstgebaut. Es ist möglich.

Eule: Es gibt zwischen Gastdasein und Selbermachen noch einen dritten Weg. Nämlich danach zu schauen, wer eigentlich die zivilgesellschaftlichen Partner sind, mit denen die Kirchen zusammenarbeiten könnten. Eine öffentlich-rechtliche (europäische) Videoplattform wird ja immer wieder gefordert.

Dachwitz: Es gibt ein vitale digitale Zivilgesellschaft, die zeigt, dass Digitalisierung auch anders geht: ohne Überwachung, emanzipatorisch, nachhaltig und den vielen dienend, statt den wenigen. Deshalb habe ich der Kirchendelegation, die vor ein paar Jahren das Silicon Valley besucht hat, empfohlen, sich lieber von der Wikipedia als von Facebook inspirieren zu lassen. Mit ihren Netzwerken und Ressourcen könnten die Kirchen hier wertvolle Partnerinnen sein.

Eule: „Könnte“ heißt, bisher halten sich die Kirchen zu sehr zurück?

Ja, dort, wo es Alternativen gibt, sollte die Kirche auch die eigene Marktmacht ins Spiel zu bringen. Als IT-Kundin hat die Kirche ungenutzte Möglichkeiten. Vor allem aber sollten sich die Kirchen in die Digitalisierungs-Debatten einbringen. Die Diskussion darüber, wie große Plattformen zu regulieren sind, läuft seit Jahren! Auf EU-Ebene wurde dazu gerade ein riesiges Gesetzespaket vorgelegt, das in den kommenden Jahren diskutiert wird.

Die Kirchen finden da überhaupt nicht statt! Und andersherum: Diese Debatten finden auch in der Kirche nicht statt. Da gibt es zwar ein bisschen Unbehagen über die WhatsApp-Nutzung, aber es gibt keine politische Auseinandersetzung damit. Jetzt werden die Regeln für die digitale Gesellschaft der Zukunft gemacht – und die Kirchen reden nicht mit. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen das aber durchaus von der Kirche erwarten. Natürlich hilft es dabei überhaupt nicht, den Totalverweigerer zu spielen.

Eule: Ich habe das Gefühl, es macht sich Ernüchterung darüber breit, dass man den großen Datenkonzernen sowieso ausgeliefert ist. Klar kann man statt der Google-Suche ecosia benutzen, aber dann lande ich bei der FAZ oder beim SPIEGEL und die nehmen auch Geld von Google.

Dachwitz: Das Phänomen kennen wir als Lock-in-Effekt: Wenn ich erst einmal mein halbes Leben bei einem Dienst eingebunden habe, dann komm ich da auch nicht mehr raus, dann kann ich mich nicht einfach mehr ausloggen, weil die Opportunitätskosten so groß sind. Dabei ist es eine bewusste Strategie dieser Unternehmen, Konkurrenten aufzukaufen und in immer weitere Märkte vorzudringen.

Man kommt an manchen Diensten schwer vorbei. Deshalb wird inzwischen über die Zerschlagung oder Entflechtung einzelner Unternehmen diskutiert. In einer Studie bin ich mit einem Kollegen dem Einfluss von Google auf den Journalismus nachgegangen. Google verteilt Millionengeschenke auch an Verlage und Medien in Deutschland. Viele Leute haben davon noch nie gehört.

Für die einzelne:n Nutzer:in ist es darum wichtig, aufmerksam zu bleiben und irgendwo einen Anfang zu machen: Dafür ist die bewusste Entscheidung für einen Messenger ein guter Einstieg. Aber im Grunde handelt es sich bei der Dominanz von einigen Technologieunternehmen um ein Problem, dass wir nur gemeinsam, also politisch lösen können.

(Das Gespräch führte Philipp Greifenstein.)