Die Pallischwester: Muss ich jetzt sterben?

Auf Palliativstation wird nicht nur gestorben. Tatsächlich kümmert sich ein multiprofessionelles Team um die palliative Versorgung, so dass viele Menschen zu Hause sterben können.

„Muss ich jetzt sterben?“ Diese Frage sieht man öfter in den Gesichtern der Menschen, als dass man sie hört. Ich „höre“ den Gedanken an die Palliativstation als Sterbestation jedes Mal, wenn ich erzähle, dass ich auf einer solchen, also auf einer Palliativstation arbeite. Da müsse ich doch viel Leid und Tod ausgesetzt sein, oder?

Der Gedanke an die Sterbestation geht bei manchen Patienten sogar so weit, dass sie sich rigoros weigern, dorthin verlegt zu werden, weil sie noch nicht bereit sind zu sterben.

Zum Sterben bereit

Einer Frau wurde mehrfach angeboten, dass sie doch auf die Palliativstation verlegt werden könnte. Dort könne man individueller auf ihre Bedürfnisse und zeitnah auf ihre Schmerzen eingehen. Dort habe sie ein größeres Zimmer, mit Blick ins Grüne (ein Argument, das wir zum Glück inzwischen ausgemerzt haben, weil die Enttäuschung groß ist, wenn der Patient:in dann in einem Zimmer mit Blick zur Straße liegt). Die Frau weigerte sich strikt, hielt lieber ihre Schmerzen aus, als auf die Palliativstation verlegt zu werden. Denn dort stirbt man ja. Und dazu war sie noch nicht bereit.

Es kam der Tag, an dem sie ihrem Ehemann anvertraute, dass sie nicht mehr könne und nun bereit sei zu sterben, man solle sie doch bitte verlegen. Wie groß war die Enttäuschung, als sie nicht innerhalb zweier Tage hat sterben können, nicht mal innerhalb zweier Wochen.

Die Ummantelungs-Station

Die Palliativstation als Sterbestation zu bezeichnen ist ein Irrtum, der zu Angst und Enttäuschung führt. Bei uns sterben nicht viel mehr Menschen als auf anderen Stationen auch. Es gibt Zeiten, da versterben hier im Monat zwei Patient:innen. Dann gibt es aber auch wieder Zeiten, da stirbt an jedem zweiten Tag jemand. Die Versorgung Sterbender ist Teil unserer Aufgabe, aber nicht alles.

Auf einer Palliativstation werden Menschen nicht mehr kurativ behandelt, sondern palliativ. Palliativ kommt vom Wort pallium und heißt ummanteln. Das ist unsere Kernaufgabe. Zu uns kommen Menschen, deren Grunderkrankung nicht mehr geheilt werden kann.

Jede Erkrankung geht mit Symptomen einher. Wer zu uns kommt, der ist von den Symptomen so sehr geplagt, dass seine Lebensqualität darunter leidet. Wir bemühen uns also, Symptome – bei Krebspatienten sind das oft Schmerz, Appetitlosigkeit, Übelkeit, Müdigkeit, Kraftlosigkeit, Depression, etc. – soweit zu kontrollieren, dass Menschen mit einer unheilbaren Krankheit noch würdevoll leben können – ummanteln.

Eine Aufgabe für viele Professionen

Auf der Palliativstation wird daher in einem multiprofessionellen Team gearbeitet. Cicely Saunders, die Begründerin der Palliative Care hat vier Schmerzen definiert, die ein schwer erkrankter Mensch erleidet. Und für jeden Schmerz gibt es Professionen, die diesen Schmerz zu stillen versuchen.

In unserem Team sitzen also Ärzt:innen und Pfleger:innen (physischer Schmerz), Psychoonkolog:innen (psychischer Schmerz), Seelsorger:innen (spiritueller Schmerz), Sozialarbeiter:innen (sozialer Schmerz). Bei den eben genannten fällt schon auf, dass jede:r bei den Behandlungen nicht nur den hier so einfach zugeordneten Schmerz behandelt, sondern jeden. Es kommen dann noch im Kreis dazu: Musiktherapeuten, Kunsttherapeuten, Ernährungsberater:innen, Physiotherapeuten.

Um den Menschen zu ummanteln und ihm die Schmerzen lindern zu können, wird er ganzheitlich behandelt. Nicht nur der Mensch, wie er vor uns im Bett liegt, sondern sein ganzes Umfeld. Familie und Freunde werden mit einbezogen, auch sie bedürfen Pflege. Oft ist es auch für sie wieder ein Zu-Luft-kommen, wenn sie wissen, dass sich endlich jemand um den Schmerz kümmert.

Manchmal führt es aber auch zu traurigen Gesprächen wie mit dem Ehemann, mit dem besprochen werden muss, dass es nicht an seinen Kochkünsten liegt, dass seine Frau einfach nicht mehr essen will, nach jedem kleinsten Bissen erbrechen muss.

Nach Hause gehen

Auf Palliativstation wird sich bemüht, die Menschen wieder in ihr gewohntes Umfeld entlassen zu können. Es wird mit Angehörigen beraten, ob eine Versorgung zu Hause noch möglich ist. Andernfalls werden Gespräche geführt, ob eine Verlegung ins Pflegeheim oder ins Hospiz dem Gesundheitszustand und dem Krankheitsverlauf angemessen ist.

Es kommt vor, dass wir Menschen über längere Zeit begleiten, die immer wieder zu uns kommen. Das erste Mal kommen sie zu uns, nachdem die kurative Chemo abgebrochen worden ist, nachdem Metastasen aufgetaucht sind. Dann erhalten sie bei uns eine palliative Chemo oder Bestrahlung, so dass die Metastasen nicht weiterwachsen, vielleicht sogar nochmal verschwinden.

Nachdem die Patienten nach dieser Behandlung wieder nach Hause hat entlassen werden können, kommt sie einige Zeit später wieder. Weil sie von Schmerzen so geplagt ist, dass sie nicht mehr auf die Straße geht, sich nicht mehr bewegen kann. Nun wird sie also medikamentös mit Schmerzmitteln eingestellt oder/und örtlich bestrahlt, so dass sie auch dann nochmal nach Hause gehen kann.

Irgendwann kommt der Punkt, da kommt ein Patient körperlich geschwächt zu uns, hat schon seit einer Weile nichts mehr gegessen, einfach keinen Appetit mehr, es schmeckt sowieso alles nach Pappe. So kann das schonmal über ein Jahr lang gehen. Und sowohl wir Mitarbeiter:innen als auch der Patient als auch seine Familie sind glücklich, weil sie sich hier aufgehoben fühlen, und wissen, wenn sie zu uns kommen, dann wird ihnen bestmöglich geholfen.

Doch auch diese Menschen hatten am Anfang Angst vor der Verlegung, weil sie das Sterben in greifbare Nähe rückt.