„Diese neue Wagenburg-Kultur ist wirklich schlimm“

Die Evangelische Kirche muss sparen und gibt sich dafür eine neue Strategie. Das Zentrum für Frauen und Männer soll geschlossen werden. Wie viel Pluralität leisten sich die Evangelen in Zukunft?

Auf der EKD-Synode am kommenden Wochenende stehen mit der neuen Finanzstrategie auch harte Entscheidungen an. Das Papier enthält konkrete Vorschläge, wo im Haushalt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gespart werden soll – nicht irgendwann, sondern ab sofort und bis zum Ende des Jahrzehnts.

An der neuen Finanzstrategie hat ein vom Rat der EKD eingesetzter „Begleitender Ausschuss“ seit März 2018 gearbeitet. Zur Synode im vergangenen Jahr wurden die Richtlinien vorgestellt, nach denen man den EKD-Haushalt durchkämmen will. Nun also kommt die Abrechnung.

Dabei setzt sich die EKD, laut Finanzchef Carsten Simmer, drei übergeordnete Maßgaben, nach denen bei der Kürzung gewichtet werden soll. Denn das allgemeine Ziel von -30 % soll nicht per Rasenmäherprinzip erreicht werden, sondern mittels strategischer Kürzungen.

Die drei Richtlinien sind: Die besondere Bedeutung der EKD für die Erledigung der betreffenden kirchlichen Aufgabe (also in Stellvertretung oder als Service für die Gliedkirchen), Mitgliedergewinnung und -bindung und die Unterstützung der öffentlichen Präsenz der Evangelischen Kirche. Unter Berücksichtigung der Richtlinien wird manchenorts gar nicht, anderswo allerdings umso radikaler gekürzt.

Einfach platt gemacht?

Zum Beispiel beim Evangelischen Zentrum Frauen und Männer. Durch einen Artikel der Publizistin Antje Schrupp ist die Diskussion darum zumindest schon eröffnet, während es rund um andere Kürzungsvorschläge erstaunlich ruhig bleibt. Im Evangelischen Zentrum Frauen und Männer, das wie so viele EKD-Einrichtungen und -Büros in Hannover sitzt, soll laut neuer Finanzstrategie ein umfassender Kahlschlag vorgenommen werden. Die realen Kürzungen fallen mit -74 % besonders heftig aus , das Zentrum soll in den kommenden Jahren schlicht abgewickelt werden.

„Die unabhängige evangelische Verbands-Frauenarbeit wird plattgemacht“, lautet daher nicht allein das Urteil Schrupps. Die Empörung, vor allem bei den Evangelischen Frauen in Deutschland (EFiD), ist groß. Im Verband, dessen Präsidium Schrupp angehört, sind vierzig zum Teil sehr unterschiedliche evangelische Frauenvereine organisiert. EKD-Geld soll es in Zukunft nur noch für einzelne Projekte geben, immerhin knapp 290 000 Euro im Jahr 2030, und vielleicht für eine Stelle im Studienzentrum der EKD für Genderfragen, die verbleibende Aufgaben organisiert.

Eske Wollrad, die gemeinsam mit Martin Rosowski als Geschäftsführerin des Zentrums wirkt, hält von den Plänen wenig: „Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass man das, was wir hier in kurzer Zeit aufgebaut haben, wieder zusammenstreicht.“ Tatsächlich ist das Zentrum erst 2016 aus den vormaligen Geschäftsstellen der Evangelischen Frauen in Deutschland und der Männerarbeit der EKD entstanden. Sollten Kraft und Geld, die in die Neuorganisation geflossen sind, eine Fehlinvestition gewesen sein?

„In den Landeskirchen wurde der Rotstift längst massiv angesetzt“, fasst Wollrad gegenüber der Eule die Situation der Frauen- und Männerarbeit in den EKD-Gliedkirchen zusammen. Darum griffen viele Menschen auf die Entwürfe und Materialien zum Beispiel aus der Zeitschrift des Zentrums zurück, die man genau deshalb vor anderthalb Jahren neukonzipiert habe. „Wir leisten mit dem Zentrum einen wichtigen Service für die Ehren- und Hauptamtlichen in den Gemeinden und Gliedkirchen“, ist sich Wollrad sicher.

Eske Wollrad, Geschäftsführerin des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer (Foto: Annett Wonneberger)

Tatsächlich ist es einigermaßen verwunderlich, dass ausgerechnet dort radikal gekürzt werden soll, wo bereits ausführlich rationalisiert und restruktiert wurde. Antje Schrupp nennt dieses Vorgehen nicht unzutreffend einen „Treppenwitz des evangelischen Reform-Dilettantismus“. Regelmäßig werde „viel Geld für aufwändigen Buhei“ ausgegeben, „nur um die Ergebnisse davon später wieder in die Tonne zu treten“.

Evangelische Meinungspluralität

Wenn trotz Rationalisierung und gesamtkirchlicher Bedeutung doch gekürzt werden soll, müssen also andere Gründe handlungsleitend sein. In einem internen sog. „One-Pager“, aus dem Schrupp auf ihrem Blog zitiert, fasst die EKD die Gründe für die Einsparung knackig zusammen: Die Zielgruppen des Zentrums seien demnach „gemeinsam gealtert“, „die Rückbindung an die Positionierung der Gemeinschaft der Gliedkirchen wenig etabliert“.

Tatsächlich vertreten das Zentrum und die EFiD immer wieder Positionen, die in den konservativen Amtskirchen der EKD auf wenig Gegenliebe stoßen. „Wir haben natürlich zuweilen andere Meinungen als die verfasste Kirche“, erklärt Wollrad. „Das ist auch unsere Aufgabe.“ Den Vorwurf aus dem Kirchenamt, das Zentrum fände in einer ablehnenden Haltung gegenüber „Statements und Positionen der EKD“ seine eigene „Identität“, lässt sie nicht gelten: „Es gibt eine evangelische Meinungspluralität, die wir erhalten müssen. Diese neue Wagenburg-Kultur ist wirklich schlimm.“

„Unter dem Schlagwort, eine kleiner werdende Kirche müsse mit einer Stimme sprechen, sollen vom Kirchenamt abweichende Positionen domestiziert werden“, befürchtet Wollrad. Und tatsächlich ist dies nur die Zuspitzung eines der Leitgedanken, die durch die 12 Leitsätze zur Zukunft der Evangelischen Kirche wabern. „Wichtig ist, dass zukünftig dieselbe Aufgabe jeweils nur noch einmal gemacht wird  – und dafür gut“, heißt es im letzten Leitsatz des Dutzends. Aber wer bestimmt, was gut ist? Und soll es auch im Protestantismus in Zukunft nur einen guten Weg geben?

Kompetenz für Geschlechtergerechtigkeit

Natürlich gibt es in der EKD und in den Landeskirchen Doppelstrukturen, die man sich in der Zukunft nicht mehr wird leisten können. Gelegentlich gibt es Schreibtische, über die nichts anderes läuft als die Dokumente der Selbstbeschäftigung. Schauen wir mal, wie es dem 12-Leitsätze-Papier ergehen wird. Aber, so kritisiert Wollrad die Pläne, man müsse sich schon mit den Abteilungen und Werken auskennen, die man streichen will. Ein Zusammengehen mit dem Gender-Zentrum zum Beispiel sei aufgrund der sehr unterschiedlichen Zielsetzungen nicht zweckmäßig.

Dort mache man eine tolle Forschungsarbeit und kümmere sich um die Qualifikation von Leitungskräften und Hauptamtlichen, im Zentrum Frauen und Männer habe man eine ganz andere Aufgabe und arbeite ganz anderen Zielgruppen zu, vor allem ehrenamtlichen Frauen und Männern und Pastor:innen, die in der Fläche die fachliche Unterstützung dringend gebrauchen können, weil sie ihrerseits durch Stellenkürzungen unter Druck geraten.

Man könne nicht im persönlichen Gespräch und bei offiziellen Anlässen die Frauenarbeit loben und gleichzeitig per Finanzstrategie ihre Abwicklung beschließen, wirft Geschäftsführerin Wollrad den leitenden EKD-Vertretern vor: „Wenn Geschlechtergerechtigkeit zur DNA der evangelischen Kirche gehört, dann müssen wir dafür auch die Kompetenz bereit halten.“