Bild: Montage (Screenshot "Bioshock Infinite" & Pastor Minecraft Skin)
Kultur

Digital Games im Unterricht: Eintauchen in eine andere Welt

80 Prozent der Jugendlichen spielen digital, das Zocken mit dem Smartphone oder am Bildschirm gehört zu ihrem Alltag. (Nicht nur) im Religionsunterricht können Spiele weit mehr als unterhalten.

In den Hosentaschen sind sie immer zugänglich. Sie vertreiben die Langeweile beim Warten und fordern uns oftmals heraus. Die Rede ist von digitalen Spielen. Doch sie können noch weit mehr, als nur zur Unterhaltung dienen.

Spätestens seit der Aufnahme des Bundesverbands der deutschen Games-Branche e.V. (GAME) 2008 in den Deutschen Kulturrat können digitale Spiele als Kulturgut angesehen werden. Rund die Hälfte der Deutschen spielt Computer- und Videospiele, bei den 16-29-Jährigen sind es sogar über 80 Prozent.

Für den Religionsunterricht bedeutet dies, dass die meisten Jugendlichen, die daran teilnehmen, bereits Kontakt mit digitalen Spielen hatten bzw. dieser noch besteht. Diesen Zugang zu nutzen, eröffnet für das Feld der religiösen Bildungsarbeit neue Lehr- und Lernhorizonte.

Religiöse Artefakte, Handlungen und Perspektiven entdecken

Computer- und Videospiele unterscheiden sich grafisch stark voneinander, was den Entwickler_innen einen großen Spielraum in der Integration religiöser Symbolik bietet. So können Lernende auf Entdeckungsreise gehen und in ihrem Lieblingsspiel einmal genau hinsehen: Wo treten hier religiöse Symbole auf? In welchen Zusammenhang werden religiöse Symbole gesetzt?

Hierfür bieten sich – aber nicht ausschließlich – Spiele an, welche die Mittelalterthematik aufgreifen. Ein kirchengeschichtsdidaktischer Zugang kann sich der Entdeckung und Einordnung religiöser Artefakte nahtlos anschließen. Denn dieser hilft die (Be)Deutung von Religion aus Sicht der Spieleerstellenden zu reflektieren. Hier gilt es vorsichtig und behutsam vorzugehen, da Geschichte oftmals nur stark verkürzt dargestellt wird, worin religiöse Begründungsmuster ebenso nur angetextet werden.

Neben den bildhaften Darstellungen von Religionen lassen sich zudem religiöse Praktiken ausmachen. Im Spiel „Bioshock Infinite“ etwa, startet der bzw. die Protagonistin mit einer Art Taufhandlung, um in die Gemeinschaft dort aufgenommen zu werden. Nicht nur programmierte Handlungen aus den Religionen, sondern auch selbstgestaltete Zeremonien seitens der Spielenden lassen sich etwa in Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs), deren bekanntester Vertreter „World of Warcraft“ darstellt, entdecken. Beispielhaft seien hier Traueranlässe und Vermählungen genannt.

Das digitale Spiel stellt in seiner Gesamtheit ein einzigartiges Kunstwerk dar, dessen grafische Gestaltung, beispielsweise auch in einzelnen Szenen durch Musik, Licht und Arrangement religiöser Objekte, den Betrachtenden viele Dimensionen der Wahrnehmung eröffnet. Als Gesamtwerk ist das digitale Spiel als solches kulturell bedeutsam, also durch seine grafische Darstellung und sein Gameplay, die Art und Weise, wie gespielt wird.

Handeln der Protagonisten ethisch reflektieren

Komplexere digitale Spiele beinhalten oftmals einen Handlungsstrang: Die Spielenden werden zu Held_innen, die zahlreichen Herausforderungen gegenüberstehen. Spiele wie „The Walking Dead“ oder „The Last of Us“ erwarten von den Spielenden aktiv eine Entscheidung in schwierigen Situationen. So steht man beispielhaft bei Ersterem vor der Situation sich selbst zu opfern oder ein kleines Mädchen in Lebensgefahr zu bringen.

Derartige Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler können in den Religionsunterricht eingebracht werden, um die Bandbreite der ethischen Abwägungen möglicher Entscheidungen aufzuzeigen, denn in den meisten Spielen kommt dies nur verkürzt. In Spielen existiert häufig nur ein schwarz-weißes Bild, eine Entscheidung zwischen Gut und Böse. Diese Perspektiven aufzubrechen und über weitere mögliche Wege zu sprechen, kann Ziel eines lebensweltlich orientierten Religionsunterrichts sein. Der Übergang zur Medienkritik wird dadurch fließend gestaltet.

Denkbar ist es auch, beim gemeinsamen Spielen mit den Schülerinnen und Schülern im Anschluss auf eine Metaebene zu wechseln, auf der das vorherige Verhalten reflektiert wird. Beispielsweise nach einem digitalen Fußballturnier: „Welche Mannschaft verhielt sich am fairsten?“ Aus dem Projekt „Ethik und Games“ der TH Köln entstand ein Methodenpool von 22 niedrigschwelligen pädagogischen Settings, die in der Schule und Jugendarbeit eingesetzt werden können.

Digitale Spiele motivieren zum Philosophieren und Theologisieren

Die Erzählungen in Computer- und Videospielen können als Impulse genutzt werden, um über Fragen, die das Menschsein betreffen, ins Gespräch zu kommen. Die Besonderheit des immersiven Charakters digitaler Spiele ist, dass durch die aktive Partizipation am Spielgeschehen ein stark emotionaler Zugang zu den Protagonisten und deren Umwelt im Spiel eröffnet wird.

Daran anknüpfend, können zahlreiche religiöse und philosophische Themen in Rollenspielen (analog oder digital) entfaltet werden. Der Palette an religionspädagogischen Methoden, wie etwa dem Bibliolog, sind kaum Grenzen gesetzt.

Interesse erwecken Spiele besonders dann, wenn die eigene Kreativität gefragt ist. Das beliebte Open-World-Computerspiel „Minecraft“ lässt Lernende zu Architekt_innen ganzer Welten werden, indem sie aus digitalen Blöcken, ähnlich dem Klemmbausteinprinzip, Landschaften und Objekte gestalten. Ganz nach dem Schöpfungsprinzip entstehen über mehrere Stunden oder Wochen hinweg eigene Erden, bis hin zu Universen.

So lassen sich diese Art digitaler Spiele für Präsentationsprojekte nutzen: „Wie stellst du dir die Welt in der Zukunft vor?“ Eigenverantwortlich in Projektarbeit können Schülerinnen und Schüler ihre eigene Perspektive auf derartige Fragestellungen zum Ausdruck bringen. In Konfiprojekten kommt dies bereits bei der Gestaltung von Kirchen in Minecraft zum Ausdruck. Auf eine abstraktere Weise lassen sich auch religiöse Themen darstellen, indem etwa die Schöpfungsgeschichte oder das Kirchenjahr gebaut und begangen werden.

Das Kirchenjahr in Minecraft (Screenshot: Linda Mahler)

Hybrid oder Vollimmersiv – das passende Lernarrangement

Die Einbettung digitaler Spiele in den Religionsunterricht vollzieht sich über unterschiedliche Lernsettings hinweg. Beim Escape Game etwa können einzelne Teilelemente (d. h. Rätsel, Hinweise, Intro & Outro), aber auch das gesamte Spiel digitalisiert stattfinden und/oder über digitale Kanäle (z. B. Videokonferenzen) miteinander gespielt werden.

Eine nahezu volle Immersion in eine andere Welt lässt sich mithilfe der virtuellen Realität (VR) gestalten. Photorealisitsch oder fantasievoll modellierte Welten lassen die Spielenden in andere Zeitalter, Orte und Situationen eintauchen, fremde Klänge hören und/oder ein neues Körpergefühl entwickeln. Das Audiotagebuch von John Hull „Notes on Blindness“ führt einen so durch seine Blindheitserfahrung durch binaurale Audioaufnahmen und 3D Animationen in einer virtuellen Welt.

Die Entwicklung hin zu stärker immersiven Technologien verstärken die Möglichkeit der Perspektivübernahme anderer auf emotionaler Ebene, was nicht unreflektiert im Unterricht zum Einsatz kommen sollte. Hierbei, aber auch bei grafischen Darstellungen und erzählerischen Gestaltungen, gilt es seitens der Lehrperson die Wirksamkeit auf die Lerngruppe zu überprüfen, um digitale Spiele alters- und entwicklungsgemäß einzusetzen.

Ein Appell

Digitale Spiele tragen das Potenzial in sich, weit mehr als nur Unterhaltungskünstler zu sein. Sie eröffnen in religiösen Bildungsangeboten, wie ich anhand der Beispiele hoffentlich gezeigt habe, zahlreiche Anknüpfungspunkte für Entdeckung, Gestaltung und Reflexion. Dabei werden sie keinesfalls nur als Motivator in einer „Sprungbrettdidaktik“ eingesetzt , sondern werden ganzheitlich im Unterrichtsprozess eingebettet. Der Grad ihrer Integration ist beliebig skalierbar und basiert auf der zu erlernenden bzw. erweiternden Kompetenz, der vor Ort verfügbaren technischen Ausstattung sowie der mediendidaktischen religionspädagogischen Kompetenz der Lehrperson.

Zu Beginn lohnt es sich mit den Lernenden auf Entdeckungsreise zu gehen und mit ihnen gemeinsam ihre Lebenswelt im Bereich der digitalen Spiele wahrzunehmen. Im weiteren Verlauf können Lehrpersonen digitale Spiele tagespolitische Dimensionen entfalten lassen. Etwa im Spiel „This War of Mine“, in dem das Leben von Zivilisten im Krieg erzählt wird, die mit moralischen Fragen konfrontiert werden: Gebe ich etwas, von dem ich weiß, dass ich es selbst noch brauchen könnte? Weiterführende Impulse zur Anwendung finden sich in der Publikation „Digitale Spiele in der Jugendarbeit“ der TH Köln.