#digitaleKirche: Was kommt nach dem X-odus?

Twitter/X geht den Bach runter, adäquate Alternativen sind rar gesät. Wie können kirchliche Akteur:innen und christliche Nutzer:innen auf die Veränderungen reagieren? Was taugen Bluesky, Threads und Mastodon?

Fast täglich gibt es bei Twitter/X, Mastodon, Threads und Bluesky Neuigkeiten, die Aficionados interessiert beobachten. Für die Kirche im Netz war das Mikroblogging bisher eine kleine Nische. Trotzdem lohnt sich ein Blick darauf, wie christliche Medien, Organisationen und einzelne Nutzer:innen auf die Veränderungen reagieren können. Aus dem Social-Media-Trends-Update von Mittwoch dieser Woche haben wir das Thema Mikroblogging daher zunächst ausgeklammert, weil durch den Untergang von Twitter enorm viel Bewegung in die Mikroblogging-Landschaft gekommen ist und die Entwicklungen auf X und den alternativen Plattformen eine eigene Darstellung verdient.


Inhalt


Beim Mikroblogging handelt es sich dem Wortsinne nach um kurze Blogs, d.h. zumeist um sehr kurze Texte, die entweder auf persönlichen Websites, per Messenger-Diensten oder auf Mikroblogging-Plattformen veröffentlicht werden. Angereichert werden die Texte seit vielen Jahren schon mit Bildern und Videos. Viele der Kurznachrichten enthalten auch Links zu längeren Texten, Videos oder Podcasts. Im Unterschied zu Direktnachrichten (private message, direct message) findet das Mikroblogging öffentlich statt. Auf den größeren Mikroblogging-Plattformen kann man den Kreis der Empfänger:innen allerdings einschränken.

Die nach wie vor größte Mikroblogging-Plattform ist Twitter/X mit ca. 360 Millionen aktiven, monatlichen Nutzer:innen (2021). Aktuelle, überprüfbare Nutzungszahlen liefert das Unternehmen gegenwärtig nicht. Nach der Übernahme des Sozialen Netzwerkes durch Elon Musk hat sich dessen Zerfall beschleunigt. Eine vollwertige Alternative zu Twitter/X gibt es am Markt aber leider noch nicht. Wer sich intensiver mit dem Untergang von Twitter/X und den Neuerungen auf den alternativen Plattformen befassen will, dem sei der sehr gute Podcast Haken dran von Gavin Karlmeier und Dennis Horn empfohlen.

Als Ergänzung zum #digitaleKirche: Social-Media-Trends-Update soll hier nur kurz nachgezeichnet werden, warum christliche Medien und Nutzer:innen die Welt des Mikrobloggings nicht aus dem Blick verlieren sollten – und wie in der gegenwärtigen Situation klug agiert werden kann.

Der Feed als Nachrichtenquelle

Viele Nutzer:innen nutzen den chronologischen Feed von Twitter/X oder einer anderen Mikroblogging-Plattform, um aktuelle Nachrichten mitzubekommen, interessante Themen und Meinungen zu finden. Auf Twitter war man früher einmal eher und besser informiert als Nutzer:innen von Facebook, Instagram & Co. Je nachdem, wie Nutzer:innen sich ihre Timeline zusammenstellten, war es ihnen möglich, nicht nur weltbewegende Nachrichten nachzuverfolgen, sondern auch an der Entwicklung in einzelnen Nischen und Fachgebieten dranzubleiben.

Twitter/X war darum in den 2010er Jahren die Social-Media-Plattform für den Austausch über Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft. Maßgebliche Akteure wie Regierungen, Medien, Forschungsinstitute, Universitäten, NGOs und die bei ihnen beschäftigten Menschen verbreiteten auf Twitter ihre Anliegen und Nachrichten. Andere Nutzer:innen konnten darauf schnell reagieren. Twitter stellte den schnellsten Weg dar, um Schlagzeilen zu machen.

Deshalb war Twitter auch für Kirchen und christliche Medien wichtig, obwohl es im Vergleich zu Facebook mit seinen fast 3 Milliarden aktiven monatlichen Nutzer:innen immer schon klein war. Die Medienhäuser der beiden großen Kirchen unterhalten für ihre Nachrichten-Plattformen evangelisch.de und katholisch.de Twitter-Accounts. Auch andere Kirchenzeitungen, Radios und Online-Projekte sind vertreten. Auf diesen Accounts werden in den Posts (früher: Tweets) zumeist neue Artikel, Podcastepisoden oder Videos angeteasert. Anders als auf Facebook investierten die christlichen Medien nur im geringen Umfang in das Community-Building und -Management auf Twitter.

Ebenso verhält es sich mit den Accounts der größeren Kirchen und Kirchenbünde, der kirchlichen Wohlfahrtsverbände und einigen anderen Institutionen. Das Eigentliche der Kommunikation via Mikroblogging wurde von den Kommunikationsabteilungen, Pressestellen und Redaktionen entweder nie begriffen oder bewusst ignoriert. Für den schnellen, konkreten, witzigen und charmanten Austausch z.B. mit @ekd, @dbk_online, Caritas und Diakonie gilt der eschatologische Vorbehalt. (Im Unterschied dazu waren einzelne Vertreter:innen von kirchlichen Organisationen auf ihren „privaten“ Accounts zugänglicher.)

Twitter als Marktplatz und Öffentlichkeit

Die offiziöse Schnarchnasigkeit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch auf dem Feld von Kirchen- und Religionspolitik in Deutschland viele Nachrichten auf Twitter generiert wurden. Selbst wenn sich kirchliche Kommunikator:innen und Journalist:innen auf Twitter freiwillig oder unfreiwillig beim Senden zurückhielten, lasen sie doch, was veröffentlicht und diskutiert wurde. Obwohl sich in den Kirchenbubbles im deutschsprachigen Raum zu Spitzenzeiten ingesamt wohl nur Accounts im niedrigen vierstelligen Bereich versammelten, beeinflusste „Kirchentwitter“ Gespräche und Handeln in und um die Kirchen.

Das lag vor allem auch daran, dass die verschiedenen Kirchenbubbles auf Twitter nicht isoliert voneinander und vom Rest der Welt vor sich hin kommunizierten: Insbesondere Religionsjournalist:innen sind seit jeher Brückenbauer in andere Bubbles und Nachrichtenwelten. Nutzer:innen machten ihre Bubbles mit ihren Anliegen, Spezialgebieten und Hobbies vertraut. Nachrichten und Wissenswertes aus anderen Ländern und Weltregionen fanden Eingang in das Gespräch. Der interkonfessionelle und interreligiöse Kontakt insbesondere mit Kirchen aus Osteuropa, mit Organisationen und Akteur:innen aus Judentum und Islam wurde durch das Neben- und Miteinander auf der Plattform erleichtert. Theologie und Kirche wurden auf Twitter im Kontext von anderen Wissenschaften, kulturellen und gesellschaftspolitischen Entwicklungen performt.

Auch wenn auf Twitter im Vergleich zu Facebook weniger Klicks generiert werden konnten, war es doch bedeutsam für christliche Medien und Organisationen, weil dort unmittelbar und mittelbar Reichweite für die eigenen Botschaften hergestellt werden konnte. Auch in Zukunft bleibt das Mikroblogging aus diesen Gründen für christliche Medien(-schaffende), Kirchen und Werke wichtig. Aber zunehmend nicht mehr auf Twitter/X.

Memes, Nähe und Inklusion

Die Kirchenbubbles auf Twitter waren deshalb lange Zeit lebendige Communities, weil sich in ihnen nicht nur über die neuesten Nachrichten gestritten wurde, sondern Leben geteilt. Mikroblogging ist im Vergleich zu anderen Social-Media-Formaten barrierearm. Auf Twitter konnte man auch anonymisiert gut mitreden. Weder brauchte man für das Mikroblogging eine gute Smartphone-Kamera noch ein Kamera-Lächeln.

Auf Twitter versammelten sich viele Menschen, die etwas zu sagen hatten und gehört werden wollten. Lange vor Instagram war Twitter der Ort, an dem queere Christ:innen eine überörtliche Öffentlichkeit in den Kirchen erkämpften. Menschen mit und ohne Behinderungen traten in intensiven Austausch ein. Randgruppen und (kirchen-)politische Aktivist:innen nutzten den kurzen Draht zu Meinungsmacher:innen und Medienschaffenden.

Anders als auf Facebook sortierte sich der social graph auf Twitter nicht maßgeblich nach Bekanntschaften und Freundschaften aus dem analogen Leben, sondern setzte sich aus digitalen Beziehungen zusammen. Die Vielfalt und Lebendigkeit dieser Kontakte war insbesondere während der Corona-Pandemie für viele Menschen eine moralische und seelische Stütze. Appropos: Die vormals zahlreichen „frommen Angebote“ von Abendandachten (#Twomplet), Gebeten, Segens-Tweets etc. sei nicht verschwiegen! Die Twitter-App war für viele Menschen ein täglicher Begleiter und ein gutes Mittel gegen Einsamkeit.

Nicht zuletzt waren die Kirchenbubbles gespickt von Leuten, die sich als fleißige Diskurs- und Meme-Arbeiter:innen befleissigten. Witz und Humor sind beim Mikroblogging Trumpf und die Theobubbles unterschiedlicher Couleur zogen viele Jahre lang intelligente und charmante Mikroblogger:innen an, die sich am wilden Getümmel beteiligen wollten. Nicht selten genau jene Menschen, die analog aus unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten haben, kommunikative Hürden zu überwinden.

Kann es für so einen märchenhaften Ort überhaupt einen Ersatz geben? So verschieden wie die Mikroblogger:innen auf Twitter waren, so ausdifferenziert sind auch ihre Beweggründe für die Nutzung dieses sehr speziellen Sozialen Netzwerkes gewesen – zu dem die eher hüftsteifen und institutionell gehemmten Akteur:innen aus der Kirche und ihren Medien kaum je richtig Zugang fanden. Hat das Mikroblogging im Raum der Kirche eine Zukunft? Und wenn ja, wo?

Die Twitter-Alternativen: Threads, BlueSky, Mastodon

Schon vor der Übernahme von Twitter durch Elon Musk wurde an zahlreichen Alternativen gearbeitet. Die jeweiligen Plattformen verdanken sich zum Teil der Idee, die technischen Begrenzungen und diskursethischen Fehler von Twitter zu vermeiden (z.B. Mastodon) oder waren politisch motiviert (z.B. rechtsradikale Plattformen wie Parler). Nun aber da Twitter selbst zu einem (noch) sicheren Hafen für Rechtsextreme geworden ist, stellt sich für viele Nutzer:innen, die sich auf der Plattform aus guten Gründen nicht mehr wohl und sicher fühlen, erst recht die Frage nach guten Alternativen.

Stand heute gibt es keine Plattform, die alle der vielfältigen use cases von Twitter abdeckt. Der Mangel an einer vollwertigen Alternative wirkt sicher auch als lebensverlängernde Maßnahme für X. Viele Nutzer:innen haben inzwischen durchaus Alternativen erprobt, kehren aber nicht zuletzt wegen des starken Netzwerkeffekts immer wieder zu X zurück.

Threads

Threads verdankt sich unmittelbar dem Musk-Inferno bei Twitter/X. Die Mikroblogging-Plattform des Meta-Konzerns (u.a. Facebook, Instagram) wurde Anfang Juli 2023 als direkter Konkurrent zu Twitter in den Markt eingeführt. Binnen kürzester Zeit wurde die symbolisch bedeutsame Grenze von 100 Millionen Nutzer:innen überschritten. Insbesondere in den USA hat Threads erhebliches Momentum. Die App kann allerdings in Ländern der Europäischen Union bisher nicht genutzt werden, als X-Ersatz fällt sie daher auch für den deutschprachigen Raum (noch) aus.

Threads ist nicht nur nach den Twitter-typischen Fäden von Tweets – aneinandergekette Kurznachrichten, die auf Englisch thread genannt werden – benannt, die Meta-Ingenieur:innen beeilen sich auch, alle wichtigen Funktionen der Twitter/X-App nachzubauen. So gibt es seit kurzem auch einen rein chronologischen Feed, wie ihn das neue Digitale-Dienste-Gesetz der EU vorschreibt.

Wie beim Meta-Konzern üblich, werden die einzelnen Social-Media-Plattformen untereinander verschränkt. Das sorgt nicht zuletzt dafür, dass die bisherige Nutzer:innenschaft von Instagram (und Facebook) leichter auf Threads einwandern kann. Auch wenn sich Meta an die EU-Gesetze halten muss, bleiben die Sicherheits- und Datenschutzbedenken bei Facebook, Instagram und eben auch bei Threads massiv. Ob eine kirchliche Nutzung möglich sein wird, wird man wohl mit seinem Datenschutzbeauftragten klären müssen.

Wird Threads in Europa überhaupt (noch einmal) Momentum aufbauen? Das hängt davon ab, wie schnell es auch innerhalb der EU ohne größere Hürden genutzt werden kann. Nur wenn die Threads-App einfach in den App-Stores von Google und Apple heruntergeladen werden kann, besteht die Möglichkeit, eine breite Nutzer:innen-Basis aufzubauen. Threads hat aufgrund seiner Verknüpfung zu Instagram eindeutig einen Marktvorteil: Auch christliche Medien, die längst auf Facebook und Instagram Accounts betreiben, werden dann sicher Threads für das Ausspielen ihrer Inhalte nutzen. Werbewirtschaft und Influencer:innen stehen sich schon die Beine in den Bauch, weil sie Threads gerne kommerziell nutzen wollen. Der Meta-Konzern wird sich beeilen, auf der Plattform eine Umgebung zu schaffen, in der sich diese Akteur:innen wohl fühlen.

Für einzelne Nutzer:innen bedeutet das alles wiederum, dass Threads von allen Twitter-Alternativen wohl diejenige sein wird, die am ehesten wie das alte Twitter als Newsfeed genutzt werden kann. Außerdem wird man dort auf Bekannte von Facebook und Instagram treffen bzw. seine Community von dort importieren können.

Bluesky

Ein weiterer Twitter-Klon ist das Projekt Bluesky, das momentan nur genutzt werden kann, wenn man zuvor eine Einladung von eine:r Bluesky-Nutzer:in erhalten hat (sog. invite code). Alternativ dazu kann man sich auf eine offizielle Warteliste setzen lassen und Monate lang auf einen Zugang hoffen. Bluesky will eine dezentrale Alternative zu Twitter sein, aus dem es ursprünglich einmal hervorgegangen ist. Wann die halb-öffentliche Beta-Phase abgeschlossen wird, ist nicht bekannt.

Die Exklusivität des Zugangs stellt zwar eine große Hürde für eine schnell skalierende Nutzung dar, sorgt aber zugleich für erhebliche FOMO (fear of missing out). Die künstliche Beschränkung von Neuanmeldungen ist ein geschicktes Marketinginstrument. Auf der Plattform hat sich bereits eine kleine, aber momentan sehr aktive deutschsprachige Szene gebildet. Vorreiter:innen sind insbesondere (Tech-)Journalist:innen und Kulturschaffende.

Ob sich Bluesky als Alternative zu X und Threads durchsetzen kann, hängt auch hier vom Timing ab. Sollte Threads schnell in den europäischen Markt kommen, wird sich die Strategie der künstlichen Verknappung von Zugängen vermutlich als Boomerang herausstellen. Es sei denn, bis dahin haben sich auf der Plattform genügend Communities angesiedelt, so dass der Netzwerkeffekt die Nutzer:innen bei Bluesky hält. Bluesky hat immerhin den Vorteil, keine Meta-Plattform zu sein.

Auf dem Radar von christlichen Medien(-schaffenden) sollte Bluesky schon aufgetaucht sein, spielt aber in der Praxis noch überhaupt keine Rolle. Wer sich Bluesky als Nutzer:in erschließen will, wird dort schon auf einige Akteur:innen treffen, die vom deutschsprachigen Twitter/X bekannt sind. Auf die Anlieferung von frischen Nachrichten und Accounts von Institutionen muss man wohl noch warten, bis sich das Anmeldeverfahren weiter gelockert hat.

Mastodon

Unter den Twitter-Alternativen sticht Mastodon schon deshalb heraus, weil es (eigentlich) keine Twitter-Alternative sein will. Mastodon ist einer der Mikroblogging-Dienste innerhalb des Fediverse, ein dezentrales und nicht-kommerzielles Soziales Netzwerk. D.h. Mastodon läuft auf zahlreichen eigenständigen Servern (sog. Instanzen), die von Privatpersonen, Vereinen oder sonstigen Institutionen eigenverantwortlich betrieben werden, aber miteinander interagieren können. Inzwischen haben sich über 10 Millionen Nutzer:innen einen Account auf einer der Mastodon-Instanzen eingerichtet.

Als nicht-kommerzielles, frei zugängliches und bürgerschaftliches Netzwerk entspricht Mastodon am ehesten der werteorientierten Gestaltung des Lebens in der Digitalität, wie sie von der europäischen Zivilgesellschaft und auch den Kirchen hochgehalten wird. Mastodon ist – aus dieser Perspektive betrachtet – das natürliche Mikroblogging-Habitat für Kirchen, kirchliche und diakonische Akteur:innen und wertebewusste Christ:innen.

Warum also hebt Mastodon nicht richtig ab? „Culture is more important than strategy“ lautet ein Management-Merksatz, der im Silicon Valley sehr beliebt ist – und den die Mastodon-Macher:innen herzlich und weitgehend ignorieren. Es ist ganz und gar nicht so, dass man sich nicht vermittels einer guten App auf Mastodon ebenso mühelos bewegen könnte wie auf dem alten Twitter. Im Vergleich zu X fehlen zwar noch ein paar Funktionen, wie z.B. die von manchen geliebten, von anderen verachteten Drükos (Zitierfunktion), aber dass Mastodon nach einigen Tagen starken Wachstums, immer dann wenn auf Twitter/X eine neue Katastrophe hereinbricht, regelmäßig wieder an Momentum verliert, liegt nicht an fehlenden Funktionen oder daran, dass Apps und Instanzen manchmal streiken, sondern an der Plattform-Kultur.

Diese ist bisher von Technerds und Aussteiger:innen-Hippies geprägt, die sehr viel Wert auf ihre Verachtung für Twitter legen. Das bekommen auch X-Flüchtende zu spüren. So spannend Dezentralität, Instanzen und Sicherheitsvorkehrungen auch sind: Muss man sich als Neuling wirklich erst durch ein Handbuch und einen Einsteigerkurs quälen? Der Start auf Mastodon ist inzwischen aber deutlich leichter geworden: Er stellt auch für technisch oder digital unbedarfte Nutzer:innen definitiv keine Hürde mehr dar!

Resonanz auf eigene Beiträge (Tröts) zu generieren, ist definitiv schwerer als auf den anderen Mikroblogging-Plattformen, weil sie ausschließlich denjenigen Nutzer:innen angezeigt werden, die sie auch sehen wollen. Mastodon verzichtet nämlich aus voller Überzeugung auf algorithmische Beeinflussung. Es kommt bei Mastodon also viel mehr als auf den anderen Plattformen darauf an, sich die neue Umgebung aktiv zu erschließen. Andererseits wird man eben auch nicht mit Spam und unverlangten Tröts beworfen.

Die Kirche auf Mastodon

Es gibt eine eigene deutschsprachige christlich-kirchliche Mastodon-Instanz (kirche.social), die vom LUKi e.V. betrieben wird und sich als „christlich, interkonfessionell und ökumenisch“ versteht. Die Moderator:innen stammen mehrheitlich aus evangelischen Kirchen, unter ihnen sind gleich mehrere Pastoren. Wer Mastodon in einer ultra-sicheren Umgebung ausprobieren will, ist hier richtig. (Und kann natürlich mit seinem @kirche.social-Account auch Mastodon-Accounts von anderen Instanzen folgen.) Eine weitere kirchennahe Instanz (libori.social) wird im Erzbistum Paderborn betrieben.

Einige wenige kirchliche Akteure haben sich auch schon auf Mastodon eingefunden: Die Nordkirche hat sich @kirche@mastodon.social gesichert und sendet auch regelmäßig, wie auch die Deutsche Kapuzinerprovinz und das katholische Hilfswerk missio Aachen. Ansonsten herrscht weitgehend noch Flaute, was Kirchen, kirchliche Werke und Arbeitsstellen sowie theologische Forschungseinrichtungen angeht, auch wenn sich einzelne kleine Accounts aus den Bereichen Digitales, Pädagogik und Inklusion finden lassen. Dafür haben schon eine Reihe (semi-)privater Akteur:innen aus den Twitter-Kirchenbubbles zumindest einen Account bei Mastodon.

Christliche Medien verhalten sich Mastodon gegenüber bemerkenswert zurückhaltend. Neben dem Account der Eule (@eulemagazin@mastodon.social) ist mir nur derjenige von kath.ch aufgefallen, der offiziellen römisch-katholischen Nachrichtenplattform in der Schweiz. Der letzte Beitrag stammt allerdings auch von Anfang Juli. Für Medienmarken stellt sich der Nutzen von Social-Media-Auftritten vor allem in Form des Zuwachses von Klicks oder Leser:innen-Zahlen dar. Das lässt sich auf Mastodon – auch aufgrund des fehlenden Algorithmus – nicht ohne erheblichen Aufwand realisieren. Das Fediverse verlangt by design einen großen Einsatz beim Community-Building. Medienhäuser, die für sich in Anspruch nehmen für ein großes Publikum zu senden, sind daher skeptisch.

Andere, nicht-konfessionelle Medien wie die „Tagesschau“, die taz, der österreichische Standard, die schweizerische WOZ und kleinere Projekte wie queer.de, Übermedien, das Verfassungsblog, die Blätter für deutsche und internationale Politik sowie eine große Zahl von weiteren Nischenmedien sind längst kontinuierlich auf Mastodon aktiv. Es gibt sogar einen El Hotzo-Account! Es fällt Mastodon-Nutzer:innen also zunehmend leichter, ihre persönliche Timeline als Newsfeed zu gebrauchen und sich en passant unterhalten zu lassen.

Ist die Zeit für den X-odus gekommen?

Auf Mastodon aktiv zu sein, mag sich für Medien und Nutzer:innen (noch) nicht in Reichweite und Klickraten auszahlen, ist aber auch ein inhaltliches Statement: Eine Parteinahme für das freie, demokratische und bürgerschaftliche Netz. Eine solche Willensbekundung könnte man von Kirchen und ihren Medien eigentlich erwarten. Das konkrete Handeln von kirchlichen Organisationen auf den Social-Media-Plattformen müsste mit den hehren Forderungen nach informationeller Selbstbestimmung und einer sicheren Plattformgestaltung in Einklang gebracht werden, die von den Kirchen regelmäßig formuliert werden.

Ende November 2022 erklärten Vertreter:innen römisch-katholischer Bistümer und Organisationen katholisch.de-Redakteur Felix Neumann (@fxneumann@bonn.social) gegenüber ihre Twitter- und Mastodon-Strategien. Die meisten wollten damals an ihren Twitter-Accounts festhalten, nur wenige Mastodon als Alternative erproben. Seitdem hat sich auf Twitter/X nichts verbessert, aber noch vieles weiter verschlimmert. Zwar haben die Accounts von (Erz-)Bistümern, Landeskirchen und Dachorganisationen wie EKD und Bischofskonferenz sowie christliche Medien dort eine quantitativ große Reichweite, aber an einen konstruktiven Austausch, an qualitativ hochwertige Kommunikation ist nicht mehr zu denken.

Bei den meisten Follower:innen von Kirchen und Kirchenmedien wird es sich inzwischen um stillgelegte und verwaiste Accounts handeln. Die Reichweite für Medien, die nicht für einen Premium-Zugang und Werbung bezahlen, wurde massiv abgedreht. Sie erreichen nur noch Bruchteile ihrer eigenen Follower:innenschaft. Gerade jene Institutionen und Medien, die Twitter bisher als reine Abladehalden genutzt haben, erzielen mit ihren Beiträgen keine oder nur noch sehr kleine Resonanz. Demgegenüber steht, dass Kirchen, kirchliche Werke und Medien sich durch einen weiteren Verbleib auf X jedenfalls nicht kritisch von X und Elon Musk distanzieren. Rechtfertigt der Nutzen, den christliche Institutionen und Medien auf der Plattform noch erzielen, das Gemeinmachen mit Elon Musk? Ist nicht die Zeit für einen X-odus gekommen?


Der Abschied vom digitalen Wohnzimmer Twitter/X fällt schwer. Lohnt sich der Umzug in ein anderes digitales Zuhause wirklich? Und wäre nicht eigentlich eine zünftige Abrissparty angesagt? Eine persönliche Trauerrede von Eule-Redakteur Philipp Greifenstein: „Cheers and farewell, Twitter!“


So gelingt der Start auf Mastodon

Der (Neu-)Start auf Mastodon ist erstaunlich einfach: Am besten lässt man das Technik- und Instanzen-Gebrabbel einfach links liegen und meldet sich bei mastodon.social mit einem Nutzer:innen-Namen der Wahl an. (Oder bei einer der Kirchen-Instanzen (s.o.).) Für die mobile Nutzung stehen eine Reihe von Apps zur Verfügung, für den Anfang reicht Tusky (Android-Geräte) oder Ivory (Apple-Geräte) zu.

Nachdem man das eigene Profil ein wenig flott gemacht hat, bietet sich ein „Rundgang“ an: Starte mit dem Account eines Mediums oder einer Nutzer:in, die Du bereits kennst (z.B. mit der Eule oder mit Eule-Redakteur Philipp Greifenstein, oben in diesem Artikel sind weitere Accounts verlinkt). Folge einfach einer Reihe der Accounts, die diesem Account folgen oder denen der Account folgt. Der Journalist Sebastian Pertsch hat eine Liste von „aktiven, offiziellen und verifizierten“ Medien-Accounts angelegt. Keine falsche Zurückhaltung! Weil die meisten Mastodon-Nutzer:innen eher selten tröten, ist man gut beraten, wenn man 200+ Accounts folgt. Und dann kann es losgehen: Schreibe los, schreibe andere Nutzer:innen an, stell Dich vor und lass von Dir hören!


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