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„Ein Islam in, aus und für Deutschland“?

Beim Treffen der deutschen Islam-Konferenz glänzt Heimatminister Seehofer mit geschichtlicher und religiöser Unkenntnis. Eine nationale Religion kann unmöglich das Ziel der Integration sein.

Mal ganz abgesehen von der Blutwurst, die nach der Meinung von Horst Seehofers Mitarbeitern beim kalten Buffet der Islam-Konferenz nicht fehlen durfte: Auch sonst fällt der Innen- und Heimatminister nicht gerade durch kulturelle oder religiöse Sensibilität auf.

Er fordert einen respektvollen Dialog zwischen Islam und Mehrheitsgesellschaft ein, als ob nicht gerade in diesem Jahr dieser Respekt auch aus seiner Partei, deren Vorsitzender er ja noch immer ist, unterlaufen wurde. Aber an derlei Frechheiten hat man sich schon so sehr gewöhnt, dass sie der Aufregung scheinbar gar nicht mehr lohnen.

Gefährlicher ist Seehofers Forderung nach einem Islam „in, aus und für Deutschland“. Ein deutscher Islam soll es bitte sein, forderten unter der Woche auch „sakuläre“ Muslime wie Cem Özdemir und liberale Stimmen wie Hamed Abdel-Samad, Seyran Ates und Ahmad Mansour. Selbst wenn man unterstellt, dass diese so kleine wie vielfältige Gruppe deutscher Muslime darunter das Gleiche verstünden: Was soll das eigentlich sein?

Ein Islam, der sich an das Grundgesetz hält, meint man. Eine Religion als freie Assoziation gläubiger Menschen kann das gar nicht leisten. Der Islam als relevante gesellschaftliche Größe setzt sich aus vielen unterschiedlichen religiösen und weniger religiösen Communities zusammen, die man nicht über einen Kamm scheren und für die weder ein einziges religiöses, noch weltanschauliches Bekenntnis Gültigkeit beanspruchen kann.

Muslimische Selbsterverständlichkeiten

Dass sich Muslime in Deutschland an geltende Gesetze zu halten haben, ist eine Selbstverständlichkeit in doppelter Hinsicht. Erstens, weil es der Realität entspricht. Die übergroße Mehrheit der Muslime in Deutschland (mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit) leben gut und gerne hier, halten sich an die geschriebenen und ungeschriebenen weltlichen Gesetze, während überhaupt nur noch eine Minderheit von ca. 20 % der Statistik-Muslime die religiösen Gebote ihrer Religion in ähnlicher Weise befolgt.

Zweitens, weil die permanente Unterstellung, der Islam passe nicht zum Grundgesetz, sich inzwischen zu einer sich selbst erfüllenden Prophetie ausgewachsen hat. Kein Dialogpartner fordert Sonderrechte für den Islam, sondern seine Gleichstellung. Dazu kann man sich gleichwohl unterschiedlich verhalten. Es muss natürlich nicht das Geschäft der nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft sein, das für die Muslime in Deutschland zu organisieren. Dafür sind die Muslime bitteschön selbst zuständig. Der Staat darf nur nicht diskriminieren.

Wenn liberale Muslime sich marginalisiert fühlen, dann vor allem deshalb, weil sie innerhalb der muslimischen Communities kaum eine Rolle spielen. Dass sie trotzdem zur Islam-Konferenz eingeladen werden, ist ein enormes Entgegenkommen, das ohne die Beteiligung des Innenministeriums und anderer, nicht-muslimischer Gruppen an dem einmaligen Konstrukt Islam-Konferenz nicht denkbar wäre.

Zusammenraufen müssen sich die Muslime auf lange Sicht schon selbst und ohne pädagogische Verrenkungen von Staat und Kirchen. Ein Einheitsislam kann und wird niemals das Ergebnis solcher Bemühungen sein. Jeder wird von seinem Anspruch der Allein- oder auch nur Bestvertretung zurücktreten müssen, wenn der Islam eine vernehmbare Stimme im Konzert der gesellschaftlichen Akteure dieses Landes bekommen soll.

Diese Einheit in Vielfalt herzustellen ist Aufgabe der muslimischen Verbände. Nicht-Muslime sollten als aufmerksame Beobachter allerdings erinnern, dass vergleichbare Prozesse im Christentum hierzulande jahrhundertelange, schmerzhafte Entwicklungen mit herben Rückschlägen waren. Der binnenchristliche Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten wurde sogar kriegerisch ausgefochten. Jeder hochnäsige Blick auf innermuslimische Unstimmigkeiten verbietet sich aus dieser Perspektive.

„Deutsche Patrioten sollt ihr sein!“

Auch Seehofers Forderung nach einem deutschen Islam erinnert an Projekte gleicher Prägung in der Vergangenheit. Der Katholik Seehofer dürfte eigentlich dank seiner humanistischen Bildung wissen, dass im ausgehenden 19. Jahrhundert deutsch-nationale Politiker von deutschen Katholiken den Abschied von Rom forderten.

Dabei mag die Eindämmung auswärtiger Einflüsse auf inländische politische Prozesse damals wie heute durchaus berechtigt sein. Wenn heute aus den Golfstaaten oder der Türkei wie damals aus Rom Kampagnen gefahren werden, die das friedliche Zusammenleben und geltendes Recht in Frage stellen, dann darf man aufmerksam werden.

Aber hinter dem Vorwurf des Ultramontanismus steckte damals noch mehr, nämlich die Vermutung, Katholiken könnten unmöglich gute deutsche Patrioten sein. Ultramontanismus ist ein Kampfbegriff der nationalen Rechten gewesen, der in einem Wort das erhebliche Minderwertigkeitsgefühl der jungen deutschen Nation und ihre erstaunliche Hybris bündelte. Heute hält sich nachhaltig die Vermutung, wer in einer DITIB-Moschee bete (oder gar – horribile dictu – während der Hymne vor einem Fußball-Länderspiel), sei ein schlechter Deutscher.

Der Staat des Grundgesetzes bedarf demgegenüber keiner nationalen Religion. Er wahrt die Freiheit aller religiösen Überzeugungen. Ganz unabhängig davon, wo und unter welchen Umständen sie entstanden sind oder gepflegt werden. Dazu zählt auch die Freiheit kein religiöses Bekenntnis anzunehmen. Deutschland ist ein Rechtsstaat, keine Glaubensgemeinschaft.

Was geschieht, wenn diese Grenze verwischt oder mutwillig überschritten wird, kann man ebenfalls im Geschichtsbuch dieses Landes nachschlagen: Die Deutschen Christen waren am Ende fürchterlich deutsch, aber ganz sicher keine Christen mehr. Ein Islam „in, aus und für Deutschland“ wird kein Blutwurst-Islam. Nicht weil sich muslimische Religiosität in den Speisegeboten erschöpft – fragen sie mal deutsche Muslime, wenn sie die an der Fleischtheke treffen! -, sondern weil das Eigentliche einer Offenbarungsreligion unmöglich auf das kleinkarierte Format eines Nationalstaates herabgeführt werden kann ohne Beide irreversibel zu beschädigen.

Dass man Gott im Zweifelsfall mehr zu gehorchen hat als staatlichen Autoritäten (Apostelgeschichte 5,29), ergibt sich aus dem Charakter einer Religion, die sich göttlichem Eingreifen verdankt. Ein deutscher Islam müsste also statt Mohammed Kant und Goethe heiligen. Oder doch Luther und Ernst Moritz Arndt? Die Widersinnigkeit dieser Forderung ist schlicht atemraubend.

Deutsche Religiosität

Einen Trost aber darf man Horst Seehofer zusprechen: Wenn es überhaupt so etwas wie eine zeitgemäße deutsche Religiosität gibt, dann die Relativierung der Verbindlichkeiten und Dogmen, die der Traditionenschatz gerade von Christentum und Islam mit sich führt. Wie die meisten Christen auch nur ein, zwei Mal im Jahr zu Ostern oder Weihnachten in den Gottesdienst stiefeln, finden muslimische Familien vor allem zu hohen Feiertagen oder im Ramadan zum Gebet zusammen.

Deutsche Katholiken gehen nicht mehr zur Beichte, deutsche Protestanten zünden Kerzen für Verstorbene an und lassen Engelchen über sich wachen und deutsche Muslime essen Jägerschnitzel. Deutsche Katholikinnen wollen Dienst am Altar schieben, deutsche Protestantinnen sprechen in der Gemeinde und deutsche Musliminnen tragen zu 70 % überhaupt kein Kopftuch. Der Sexualkunde- und koedukative Schwimmunterricht wird von deutlich mehr frommen christlichen als muslimischen Eltern verweigert.

Die Angst vor der Islamisierung ist nicht nur darum unbegründet, weil der demokratische Rechtsstaat durch die Muslime hierzulande nicht über sein Vermögen hinaus herausgefordert wird, sondern auch, weil deutsche Spritualität egal welchen religiösen Bekenntnisses sich heute ganz offensichtlich nicht mehr an Tradition oder Dogma orientiert. Wenn schon und überhaupt noch praktisch geglaubt wird, dann weil es für das eigene private Leben zweckmäßig erscheint. Weder Nation noch Religion dringen noch durch.

Diese Säkularisierung liest man bei bestem Willen als eine Geschichte der Befreiung des Individuums, die von der Religion selbst – in Wittenberg vor 501 Jahren – angestoßen wurde. Eine zugunsten der Individualität entkernte Religiosität aber wird anfällig für nationalistischen Missbrauch. Das ist es, was man in der Türkei unter Erdogan beobachten kann. Eine nationale Religion kann unmöglich Ziel der Integrationsbemühungen deutscher Muslime sein.