Fotos v.l.nr.: Soldatinnen der Bundeswehr (Flickr, public domain) und FSJler im Einsatz (Diakonie, Kathrin Harms)

Was steckt hinter dem Wehrdienst im „Heimatschutz“?

In der Bundeswehr kann man jetzt auch Wehrdienst ohne Auslandseinsatz leisten, als gut bezahlte:r Freiwillige:r im „Heimatschutz“. Aus den Kirchen wird das Pilotprojekt sowohl gelobt als auch scharf kritisiert.

Am vergangenen Dienstag traten die ersten 325 Rekrut:innen des „Freiwilligen Wehrdienstes Heimatschutz“ ihren Dienst bei der Bundeswehr an. Mit dem Pilotprojekt startet eines der Herzensanliegen der Bundesministerin der Verteidigung, Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), und ihres Staatssekretärs Peter Tauber (CDU), der sich bei der Pressevorstellung letzte Woche zugleich von seinem Amt verabschiedete.

Kramp-Karrenbauer trägt sich schon seit vielen Jahren mit der Idee eines verpflichtenden Einsatzes junger Menschen für das Gemeinwohl. Das Bundeswehr-Projekt steht daher unter dem paradigmatischen Titel „Dein Jahr für Deutschland“. Man wolle mit dem neuen Dienst auch das Wort „Heimatschutz“ positiv besetzen, dass in den vergangenen Jahren durch rechtsterroristische Vereinnahmung in schlechten Ruf geraten ist. Doch was steckt eigentlich hinter dem neuen Wehrdienst-Format?

Im neuen „Freiwilligen Wehrdienst Heimatschutz“ werden Menschen im Alter von 17 bis 65 Jahren für den Dienst in der Bundeswehr rekrutiert. Der Dienst teilt sich in drei Phasen. Nach einer dreimonatigen Grundausbildung schließen sich weitere vier Monate einer Spezialqualifikation im Heimatschutz an, im Laufe des sechsjährigen Verpflichtung als Reservist:in müssen weitere fünf Monate Dienstzeit absolviert werden. Der Sold entspricht in den ersten sieben Monaten denen der gewöhnlichen freiwillig Wehrdienstleistenden, danach dem von Reservedienstleistenden.

Die im Vergleich zu zivilgesellschaftlichen Freiwilligendiensten hohe Entlohnung kritisierte Gregor Podschun, Bundesvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ): „Ein Nettolohn von 1 400 €, kostenloser ÖPNV in Uniform und ein großer Werbeetat stehen ca. 400 € Taschengeld, langjährigen Bemühungen um einen kostenlosen ÖPNV und nicht förderfähigen Kosten für Bewerbungs- und Vermittlungsverfahren in den zivilgesellschaftlichen Freiwilligendiensten gegenüber.“

Im Freiwilligen Sozialen Jahr (FSJ), im FSJ Kultur und Freiwilligen Ökologischen Jahr (FÖJ) setzen sich junge Menschen bis 27 ein Jahr lang für lohnenswerte Anliegen im Sozialsystem, Kulturbereich, Gesundheitsweisen, im Friedensdienst oder Naturschutz ein. Hinzu kommen die Freiwilligen, die im Bundesfreiwilligendienst (BFD) zumeist im Gesundheitswesen und Wohlfahrtsverbänden eingesetzt sind. Im Jahr 2017 engagierten sich ca. 55 000 junge Menschen im Rahmen eines FSJs für die Gesellschaft, 12 000 davon mit Einsatzstellen im Ausland. Knapp 40 000 Menschen leisteten im Jahr 2020 Bundesfreiwilligendienst. Von Lohn („Taschengeld“) und Aufwandsentschädigungen können die Freiwilligen üblicherweise nicht leben, sondern müssen z.B. zuhause wohnen bleiben bzw. weitere Sozialleistungen in Anspruch nehmen.

„Gesellschaftliche Resilienz“ stärken?

Die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Freiwilligendienste fordert neben Podschun auch der Beauftragte für Friedens- und Versöhnungsarbeit der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens (EVLKS), Michael Zimmermann. Er kritisiert, dass das Bundesministerium der Verteidigung den Katastrophenschutz und die „gesellschaftliche Resilienz“ als Gründe für die neue Form des Wehrdienstes vorschiebt. „Für die Aufgaben beim Katastrophenschutz haben wir das Technische Hilfswerk. Warum wird nicht das gestärkt?“ Am Ende gehe es darum, welche Rolle eine Armee in der Gesellschaft spielen soll, erklärt Zimmermann: „Die Bundeswehr ist eine Armee, keine Katastrophenschutzeinheit.“

Der Evangelische Militärbischof, Bernhard Felmberg, hingegen begrüßt die Einführung des neuen Wehrdienst-Formats: „Die Erfahrungen der Pandemie zeigen: Unsere Gesellschaft muss resilienter werden. In nicht vorhersehbaren Situationen müssen wir schnell, aktiv und gut organisiert reagieren können. Das sind Stärken der Bundeswehr, das hat sich in den vergangenen Monaten gezeigt und dafür bin ich dankbar.“ Tatsächlich helfen an vielen Orten Angehörige der Bundeswehr bei der Bewältigung der Corona-Pandemie, z.B. bei Reihentestungen. In der Vergangenheit halfen Soldat:innen auch bei Katastrophenfällen wie Überflutungen und der Beseitigung von Sturmschäden. Der Einsatz der Bundeswehr im Inland ist streng reglementiert.

„Wenn Dienst für die Gesellschaft von jungen Menschen aus allen sozialen Gruppen geleistet werden soll, müssen wir alle, die in Vollzeit arbeiten, auch auskömmlich bezahlen“, erklärt Felmberg den hohen Sold der freiwillig Wehrdienstleistenden in der Bundeswehr. „Das ist für die Bundeswehr richtig und das wünsche ich auch den Freiwilligen in den anderen Diensten.“

Neuer Wehrdienst garantiert ohne Auslandseinsatz

Der neue Wehrdienst ist als Pilotprojekt für 1 000 Rekrut:innen angelegt. Die geringe Rekrut:innenzahl im Vergleich zu den anderen Freiwilligendiensten lässt die Vermutung zu, dass es sich bei dem neuen Wehrdienst vor allem um ein Marketing-Werkzeug oder ein Abschiedsgeschenk für den scheidenden Staatssekretär Peter Tauber handelt. Er freute sich bei der Vorstellung darüber, dass die Bundeswehr den neuen Dienst binnen eines Jahres auf die Beine gestellt hat, sie habe damit ihre „Agilität“ unter Beweis gestellt. Doch wem nützen die wenigen neuen soldatischen Katastrophenhelfer:innen?

Der EVLKS-Friedensbeauftragte Michael Zimmermann vermutet noch einen anderen Grund für die Einführung des neuen Wehrdienstes: „Ich sehe darin auch den Versuch, Jugendliche mit dem Versprechen, sie müssten nicht auf Auslandseinsätze, an die Bundeswehr zu binden.“ Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 können sich Menschen als Berufs- und Zeitsoldat:innen sowie als Freiwillig Wehrdienstleistende (FWDL) in der Bundeswehr verpflichten. Im gewöhnlichen Freiwilligen Wehrdienst verpflichtet man sich für eine Dienstzeit von mindestens sieben bis maximal 23 Monaten. Ab einer Verpflichtung von 12 Monaten müssen sich die Bewerber:innen mit einem möglichen Auslandseinsatz einverstanden erklären. Der neue „Freiwillige Wehrdienst Heimatschutz“ sieht keinen Auslandseinsatz vor.

Werbung und Rekrutierung unter Druck

Die Bundeswehr hat seit Jahren Schwierigkeiten, genügend Wehrdienstleistende zu rekrutieren, obwohl der Freiwillige Wehrdienst deutlich besser entlohnt wird als die zivilgesellschaftlichen Freiwilligendienste für junge Menschen. Von den 12 500 Planstellen blieb in den letzten Jahren regelmäßig ein gutes Viertel frei, im Februar 2021 dienten zum Beispiel nur 8 909 FWDL in den Streitkräften. Der Personalmangel der Bundeswehr setzt ich in den anderen Dienstformen fort, dagegen versucht die Bundeswehr mit großen Marketingkampagnen vorzugehen. Die Werbebemühungen der Bundeswehr erregten in den vergangenen Jahren mehrmals Aufmerksamkeit und gaben Anlass für Kritik aus der Zivilgesellschaft.

„Wenn ein Land sagt „Wir brauchen eine Armee“, muss es damit ehrlich umgehen“, meint Michael Zimmermann. „Die Werbung der Bundeswehr verschweigt die wesentliche Punkte, um die es bei der Bundeswehr eigentlich geht.“ Wenn wesentliche Teile des Soldatenberufs, wie der Dienst an der Waffe und Auslandseinsätze, bei der Rekrutierung zugunsten von blumigen Karriereversprechen in den Hintergrund träten, habe man es mit einer Irreführung von Bewerber:innen zu tun.

Zimmermann kritisiert auch, dass die Bundeswehr in den Schulen Präsenz zeigt. In Freistaat Sachsen sind für diesen Dienst sechs Jugendoffiziere abgeordnet. Zimmermann fordert vom Kultusministerium „die Finanzierung von sechs Friedensbildungsreferent:innen als Expert:innen für Zivile Konfliktbearbeitung in Schule und Fortbildung, um eine einseitige Information zu verhindern“. Die Rekrutierungsbemühungen der Bundeswehr in den Schulen weisen noch auf ein weiteres Problem der freiwilligen Wehrdienste hin:

Das Mindestalter für den neuen „Freiwilligen Wehrdienst Heimatschutz“ ist 17. Wie auch beim gewöhnlichen Freiwilligen Wehrdienst werden also auch Minderjährige rekrutiert. „Kriegswaffen gehören nicht in die Hände Minderjähriger“, meint der Evangelische Militärbischof, Bernhard Felmberg. Es gäbe jedoch „bei der Bundeswehr auch ganz andere Arten der Beschäftigung bis hin zur zivilen Berufsausbildung. Minderjährige, die als Soldatin oder Soldat an der Waffe ausgebildet werden,“ so Felmberg, „müssen die absolute Ausnahme bleiben.“

„Im letzten Jahr wurden über 1 000 Jugendliche unter 18 Jahren in die Bundeswehr aufgenommen“, erklärt demgegenüber der Friedensbeauftragte Zimmermann: „Es ist mir unverständlich, warum überhaupt Minderjährige eingezogen werden, und man wird genau beobachten müssen, welche Rolle hier der neue „Freiwilligendienst Heimatschutz“ spielen wird.“