Eine Elite der Erben?

Funktionieren gesellschaftliche Eliten wie „quasi-religiöse Zirkel“? Ist die Kirche eigentlich nur eine Erbengemeinschaft, die sich über geheime Codes verständigt? Ein Gedankenanstoß von Hannelore Bublitz.

Wenn ein Klappentext behauptet, dass „gesellschaftliche Eliten funktionieren wie quasi-religiöse Zirkel“, horcht der Theologe auf. Es könnte sein, dass man im Buch etwas darüber erfährt, ob und inwiefern Kirche und ihre unterschiedlichen Sozialformen Elite-Merkmale aufweisen. Schließlich hat man über die Milieuverengung der Kirche bereits einiges gelernt.

Hannelore Bublitz zitiert und referiert in „Die verborgenen Codes der Erben“ über weite Strecken vor allem Pierre Bourdieu. Soziologiediskurse reichert sie mit kurzen Erzählsequenzen und Beispielen filmischer Erzählungen an. Es geht um leistungslose Einkommen, um hohe Erträge, die weder durch Arbeit noch Investition noch durch Risiko, sondern durch Erbschaft erworben werden:

„Die Erben sind diejenigen, die von einer mehr oder weniger großen Affinität zwischen Anforderungen des Bildungssystems und den kulturellen Gewohnheiten der Privilegierten, also ihrer Herkunftsklasse profitieren.“ (S. 10)

„Bildungsmortalität“ ist dann die Folge für diejenigen, die dem Bildungssystem nicht gewachsen sind. Wer dennoch den sozialen Aufstieg schafft, wird die soziale Ähnlichkeit versuchen aufzuholen. Neben ökonomischem Kapital geht es vor allem um soziales und kulturelles sowie dessen Umwandlung in symbolisches Kapital, also um das, was gesellschaftlich zählt, was Gewicht und Prestige verleiht. Die soziale Magie besteht auch aus psychischem Kapital, dem unbewussten Wissen in Haltung und Habitus. Dieses Körperwissen zeigt sich in der Art zu gehen, den Kopf zu halten, die Stimme zu erheben, in Gestik und Mimik. Daneben geht es um den richtigen Stallgeruch, die richtige soziale Herkunft, es geht nicht um Qualifikation oder Leistung, nicht um den Erwerb eines Könnens.

Wer Privilegien besitzt, hat damit auch schon den Sinn für Distinktion. Diese Trennungslinie setzt Sicherheit und Abstand, distanziertes und selbstsicheres Verhalten voraus. Es wird gelernt, den „feinen Unterschied“ zu spüren. Habitus und Haltung zur Welt werden so gezeigt, dass die nicht Zugehörigen eingeschüchtert und beschämt werden. Was Aufsteigern infolgedessen oft fehlt, ist das geforderte Auftreten.

Insofern ist „Bildungsbenachteiligung“ eher ein Hinweis auf kulturelle Defizite: Die verborgenen Codes der Kommunikation sind nicht bekannt und eingeübt, ebenso wenig wie der notwendige Kulturkonsum und der Umgang mit bestimmten, bedeutungsaufgeladenen Dingen. Kulturelles, soziales und psychisches Kapital erscheinen als natürliche „Ausstattung“ und sind damit die Legitimation von Privilegien(-übernahme). Klassengrenzen erscheinen als quasi magische, natürliche Grenzen.

Grenzziehungen, die nur Betroffenen auffallen, Foto: Mario Gogh (Unsplash)

Die Kirche als Erbengemeinschaft?

Hannelore Bublitz‘ These, gesellschaftliche Eliten funktionierten wie quasi-religiöse Zirkel, leuchtet nur ein, wenn (quasi-)religiöse Zirkel ihre Privilegien in ähnlicher Weise sichern und weitergeben würden. Das Merkmal der Ähnlichkeit in Habitus und Haltung beim Personal der Kirchen kann darauf ein Hinweis sein. Mehr aber auch nicht. Es ist vielmehr die soziale Fiktion einer „Gemeinde“ mit ihren entsprechenden Codes und einem bestimmten Habitus, die den „feinen Unterschied“ herstellen.

Wenn die Abkündigung am Sonntag heißt: „Die Gemeinde ist eingeladen zu…“, dann steckt darin eine Distinktion. Als Zugereister, zufälliger Gottesdienstbesucher oder „Suchender“ bin ich nicht gemeint. Eingespielte Abläufe wie Liturgien, Predigten, kirchliche Konzerte und andere Sozialformen sind von daher, ähnlich wie „Bildung“, eine sorgsam gehütete Methode zur Aufnahme in die Gemeinschaft der Auserwählten.

Bublitz‘ Buch ist auch für die Evangelische Kirche eine Warnung davor, eine Elite der Erben zu werden:

„Die Glaubensgemeinschaft, Glaubenssätze und Rituale sind es, die, neben dem Fetisch und dem Korpsgeist, den Erben beglaubigen, dass sie – als Nachfolger – an der richtigen Stelle sind und zu Recht Nachfolger sind. Es ist nicht das Können, die Kompetenz, das Wissen, sondern es ist die Teilhabe am Erbe eines osmotischen Wissen, das in Fleisch und Blut übergegangen ist, das Menschen nach oben bringt oder sie dort hält. Wesentlich ist die Anerkennung einer Gruppe, die so denkt wie sie.“ (S. 210)


Die verborgenen Codes der Erben
Über die soziale Magie und das Spiel der Eliten
Hannelore Bublitz
Bielefeld 2022
transcript
27 € (Print), 23,99 € (E-Book)