Foto: "A young Reader" von Tanti Ruwani (Flickr), CC BY 2.0

Eine Islamisierung findet nicht statt

Ist es falsch, ein Buch zu loben, das einem Recht gibt? Michael Blume hat das Sachbuch des Jahres geschrieben, über den Islam in der Krise.

Ist es falsch, ein Buch zu loben, das einem Recht gibt? Ein Schritt zurück: Seit dem Herbst 2016 arbeite ich mit jungen Erwachsenen und Jugendlichen im Freiwilligen Jahr auch zum Thema „Der Islam in Deutschland“. Dazu ist es gekommen, weil ich mit Teamer_innen und Teilnehmer_innen in den Pausen und teilweise während der Einheiten immer wieder auf den Islam zu sprechen kam. Normalerweise vertrete ich dort das Thema „Tod und Sterben“ bzw. „Mit Kindern über Tod und Sterben sprechen“.

Wenns triftig wird im Leben, stellen sich auch für die zum großen Teil konfessionsfreien jungen Menschen, mit denen ich es in den Seminaren zu tun habe, die letzten Fragen: Was hat das alles für einen Sinn? An was glaube ich? Was prägt mein Leben? Ich bin auf den Seminaren nicht als Vertreter einer Kirche, nicht als Theologe, doch schon als Christ, ohne dass wir dort gemeinsam Religionsunterricht veranstalten.

Umso erstaunlicher für mich: An ganz alltäglichen Fragen wie Sterbe- und Trauerriten wird auch die Frage nach dem Islam gestellt. Vielleicht, weil die „eigenen“, d.h. einmal christlichen Traditionen hier in Sachsen-Anhalt aus Gründen verschütt gegangen sind. Und weil es an konkretem Religionswissen hapert, das vornehmlich im Ethik-Unterricht erworben wurde.

Den Islam in Deutschland kennenlernen

Jedenfalls reise ich jetzt in der zweiten Saison durch die Seminare mit dem Thema „Der Islam in Deutschland“. Ich bin kein Islam- oder Religionswissenschaftler, kein Moslem, meine Kontakte zu muslimischen Mitbürgern begrenzen sich auf bisher drei Moscheebesuche und ein paar lose Freund- und Bekanntschaften. Wie sollte es auch anders sein: Ich bin in Dresden aufgewachsen, habe in Halle gelebt und wohne jetzt in Lutherstadt Eisleben. Das sind – pardon! – alles keine Mekkas für Muslime.

Im Studium habe ich mich nicht mit dem Islam befasst, doch ich habe über ihn gelesen, viel gelesen. Nicht nur Nachrichten, auch Sach- und Fachliteratur. Bis hin zu Küngs Klopper „Der Islam“, teilweise zumindest. Mein fehlendes natürliches Expertentum als Referent habe ich versucht durch intensive Recherche auszugleichen.

Bei der Lektüre so mancher religionssoziologischen Erhebung musste mich dann sehr verwundern: Denn sie gaben genau das wider, was ich aus politisch-kosmopolitischer Haltung bereits für wahr hielt. Und genau so ging es mir auch bei der Lektüre des Buches „Islam in der Krise“ von Michael Blume.

Wer gilt als Muslim_in?

Nur 20 % der Muslime in Deutschland organisieren sich in Moscheegemeinden. Für Leute wie mich, die sich z.B. mit Mitgliedschaft und Partizipation in den Kirchen auseinandersetzen, wird es da schon spannend: Was ist denn mit den 80 anderen Prozent? Was macht die eigentlich zu Muslimen?

Michael Blumes Antwort weicht von derjenigen der Islam-Studien z.B. im Auftrag der Islam-Konferenz ab. Dort gelten als Muslime einfach mal diejenigen, die aus muslimischen Familien stammen und/oder aus mehrheitlich muslimischen Ländern kommen. Blume legt hier Widerspruch ein: Nicht nur nehmen sich viele Migrant_innen und Flüchtlinge ganz und gar nicht als Muslime wahr, diese „Säkularisierung“ nimmt unter den jungen Menschen mit Migrationshintergrund aus mehrheitlich muslimischen Ländern sogar noch zu. Blume nennt das „den stillen Rückzug“.

Es ist Wissenschaftler_innen, Politiker_innen und Journalist_innen, die trotzdem von bis zu 5 Millionen Muslim_innen in Deutschland sprechen und schreiben, als ob es sich dabei um einen monolithischen Block handelte, trotzdem nicht unbedingt ein Vorwurf zu machen. Ich merke es beim Schreiben – vielleicht merkt man es auch beim Lesen? -, genau zu bleiben, d.h. Herkunft und Religionszugehörigkeit zu unterscheiden, das ist schwer, macht Mühe. Hinzu kommt die unsägliche deutsche Tradition, Volks- und Religionszugehörigkeit irgendwie seinsmächtig zusammen zu schreiben. Die Islamisierung des Abendlandes ist nichts anderes als ein Wiedergänger der „Verjudung“.

Nicht nur nach der Lektüre der Islamstudien, oder besser noch nach Lektüre des Buches von Michael Blume, müssten wir also dringend dazu übergehen, auch „Islamisierung“ in Anführungszeichen zu schreiben. „Eine Islamisierung findet nicht statt“. Dieser Satz wird in einschlägigen Kreisen immer dann bemüht, wenn wieder eine Supermarktkette die Kreuze auf griechischen Kirchenkuppeln vergessen hat, italienisches Gebäck nicht mehr Schweinsohren heißen darf – was ohnehin nie der Fall war -, ein Berliner Spielplatz mit einer Moscheenachbildung aufwartet. Also immer dann, wenn Pegidisten und Vaterlandsverteidiger sich im sicheren Gefühl der Wahrheit wähnen: Die Muslime kommen!

Die bittere Realität des Islam

Blume sagt: Nein, sie kommen nicht. Sie sind schon da, aber sie sind anders, als ihr denkt. In der Tat hat der Islam als Religion viele Probleme und ist überhaupt nicht aufstrebend, wie auch dieser Tage gerne für selbstverständlich gehalten wird. Religionssoziologisch verbindet den Islam viel mit seinem größeren monotheistischen Geschwister, dem Christentum. Vor allem die Probleme. Auch darüber kann mehr erfahren, wer Michael Blume in diesem Buch oder auf seinem Blog lauscht, auf dem er aus religionswissenschaftlicher Perspektive schreibt.

Die zwei größten Probleme des Islam identifiziert Blume im aus dem Jahre 1485 datierenden Verbot, in arabischen Lettern zu drucken, und in der verhängnisvollen Abhängigkeit vom Öl, in die sich die Regime der muslimischen Welt begeben haben. All das bliebe unverständlich, wenn nicht als jeweiliges Gegenüber das christliche Europa mit seiner durch den Buchdruck induzierten Blüte an Bildung und Wissenschaft und im Falle des Öls, der Westen als politisch-ökonomischer Einflußfaktor und militärischer „Bündnispartner“, mit bedacht würden.

Wir beziehen uns wechselseitig aufeinander, die muslimische Welt und das, was in unabsichtlich pejorativer Weise das christliche Abendland geschimpft wird. Und wir werden es nur miteinander schaffen, in Frieden zu leben. Der Schlüssel dazu liegt im tieferen Verständnis darüber, wer wir – Muslime, Christen, Migranten und Bio-Deutsche – eigentlich sind.

Eine Islamisierung findet nicht statt

Blume gelingt es in unaufgeregter Weise, die Probleme und Chancen des Islam mit sich selbst und seinen Nachbarn zu erläutern. Ein Sachbuch sollte vom Fachbuch nicht ein Mangel an Wissenschaftlichkeit unterscheiden, und so tut es gut, dass Blume sich wirklich auskennt und an den richtigen Stellen Belege aus der Forschung zur Sprache bringt. Es ist aber ein gelungenes Sachbuch, gerade weil man nicht studiert haben muss, um zu verstehen. Also, ja: Man darf, sollte sogar, ein Buch loben, das einem Recht gibt. Es hat mich schlauer gemacht. Ich wünsche das vor allem jenen, die Blumes Haltung widersprechen.

Denn schlussendlich ist die Frage nach dem Islam in Deutschland eine Haltungsfrage: Hält man sich – ähnlich wie radikalisierte Muslime – an Verschwörungsmythen oder will man der Sache wirklich auf den Grund gehen, zum Preise dessen, eigene Überzeugungen in Frage zu stellen? Eine Islamisierung findet nicht statt. Wer sie trotzdem behauptet, dem sollte man dieses Buch um die Ohren  … schenken.

(Dem Autor wurde vom Verlag ein kostenloses Rezensionsexemplar zu Verfügung gestellt.)


Islam in der Krise
Eine Weltreligion zwischen Radikalisierung und stillem Rückzug
Michael Blume
Patmos
192 Seiten
19,00 €