Newsletter #LaTdH

Eng-geführt – Die #LaTdH vom 19. April

Die Kirchen feiern Gottesdienst in Corona-Zeiten. Außerdem: Nur wenige Flüchtlingskinder erreichen Deutschland, ein rassistischer Angriff auf einen Priester und (k)eine Osterpredigt.

Wir haben immer wieder in der Geschichte des Christentums Zeiten gehabt, in denen Menschen nicht die Möglichkeit hatten, an einer heiligen Messe teilzunehmen oder die Kommunion zu empfangen. Das hat es immer gegeben. Deshalb ist aber nicht der Glaube zusammengebrochen. Wir tun jetzt gerade so, als bräche alles zusammen. Das ist falsch, das ist eine Engführung.

Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer, Shootingstar des Katholizismus hierzulande, spricht sich im Interview mit Christiane Florin (@ChristianeFlori) im Deutschlandfunk mal so richtig aus. Das Gespräch wurde am vergangenen, dem Oster-Sonntag gesendet. Florin befragt den Bischof zum sexuellen Missbrauch, zum eigenen Glaubensleben und natürlich auch zum Glauben in Corona-Zeiten. Lesens- und hörenswert!

Debatte

Dem Kirchenlobbyismus sei Dank wird bei der aktuellen Runde von Erleichterungen der Corona-Einschränkungen auch an sie gedacht. Ab Anfang Mai wird es wieder physische Gottesdienste geben – wenngleich in anderer Form als vor Corona. Auch die harten Begrenzungen von Teilnehmer*innen bei Bestattungen und für die Seelsorge in Alten- und Pflegeheimen werden überarbeitet. Zum Glück.

Andere Kultureinrichtungen – so beschreibt es die FAZ – bleiben weiter dicht, trotzdem man auch dort eine „neue Normalität“ einüben könnte. Vielleicht sollten wir daher sinnvoller Weise von Präzisierungen der Corona-Maßnahmen sprechen. Was könnte diese Überlegungen leiten?

„Frauen und Kinder zuerst!“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht von einer „neuen“ Normalität mit dem Virus. Statt einen totalen Shutdown zu wagen, wofür es nach Wochen erheblicher Kontaktsperren und Einschränkungen vielleicht auch zu spät ist, scheint es den Regierungen nun darum zu gehen, die Risiken in der Krise zu moderieren. Entscheidend bleibt weiterhin, die (schnelle) Verbreitung des Virus zu verhindern, das heute keinen Deut weniger gefährlich ist als vor einem Monat. Es gibt noch keinen Impfstoff, keine Behandlung und keine wirksame Prophylaxe außer physical distancing, gerne unter Zuhilfenahme von Masken.

Wir bleiben also weiterhin auf die Geduld und Rücksicht aller Mitbürger*innen angewiesen. Im Vordergrund sollte der Schutz der Schwachen, der Kranken, Alten und Armen stehen – die gibt es auch hierzulande zuhauf. Der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident spricht gestützt auf Untersuchungen davon, dass 35 % der Bevölkerung seines Bundeslandes auf die ein oder andere Weise zur Risikogruppe für eine Corona-Erkrankung gehören.

Bevor wir alle das schöne Wetter, den erbaulichen Gottesdienst oder den erhebenden Theater- und Museumsbesuch genießen, sollte an diejenigen gedacht werden, die sich das ohnehin kaum leisten können. Alleinerziehende, wirtschaftlich schwache Familien, Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter und Alleinstehende/Singles treffen die ergriffenen Maßnahmen besonders hart.

Der Vergleich von Kirchen, Museen und Theatern mit privatwirtschaftlichen Läden fällt allzu häufig sehr flach aus. Ja, wenn man die Maßnahmen durch die „virologische“ Brille betrachtet, ergeben sie nicht immer Sinn. Im Theater und im Gottesdienst ließe sich leichter Abstand halten als im Friseursalon.

Aber Museen und Theater sind ohnehin von staatlichen Subventionen abhängig, mehr als vom Publikumsverkehr. Sie werden schlicht erhöht werden müssen, um den Ausfall von Eintrittsgeldern abzufedern. Leicht gesagt? Das sicherzustellen, sollten verantwortliche Bürger*innen, Theater-Liebhaber*innen und Bücherwürmer nicht allein den Branchenlobbyisten überlassen.

Und die Kirchen?

Der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, gibt in seinem Statement zu den kommenden Erleichterungen – hier stellvertretend für viele erwähnt –  dankbar zu Protokoll, dass dann „endlich“ wieder Gottesdienste stattfinden könnten. Nun denn:

Gerade vor drei Wochen war Kramer noch in der hauseigenen Online-Kirche zu Gast. Überall in Landeskirchen und Bistümern finden allenthalben Gottesdienste statt. Es gibt eine unüberschaubare Menge von Lese-, Telefon-, Videostream-, Rundfunk- und Fernsehgottesdiensten. Gottesdienst sind auch der Anruf bei Senior*innen, Ostersteine, das Care-Paket auf den Treppenstufen und die Challenge in der Konfi-WhatsApp-Gruppe. Zumindest nach jenem lutherischen Verständnis, das Kramer bei der Ablehnung von Haus-Abendmahlen vergangene Woche noch meinte stark machen zu müssen.

Tatsächlich haben nun ein paar Wochen lang keine physischen Gemeindegottesdienste stattgefunden. Finanziell ist das vor allem für die Organisationen problematisch, für die Kollekten während dieses Zeitraums vorgesehen waren. Da wird man doch zu solidarischen Lösungen kommen, oder? Ansonsten stehen – dank Kirchensteuer! – alle Kirchen noch und die hauptamtlichen Mitarbeiter*innen erhalten ihren Lohn. Paradiesische Zustände in deutschen Bistümern und Landeskirchen im Vergleich zur weltweiten Ökumene. Der „wehleidige Ton“, von dem Altbischof Huber dieser Tage sprach, er steht den Kirchen in Deutschland nicht gut an.

„Open Source“ statt „Gated Community“ – Norbert Bauer (Theosalon)

Von den Widersprüchlichkeiten der aktuellen Gottesdienst-Situation, die ja nur ein Ausschnitt des Lagebildes in der Kirche sind, berichtet Norbert Bauer im Theosalon. Er war zu Karfreitag unterwegs und in zwei Kirchen „zu Gast“.

Auf dem Rückweg kamen wir an einer anderen Kirche vorbei. Die Türen waren geöffnet. In der Mitte des Raums lag auf einem roten Tuch ein Kreuz, links und rechts Kerzen, davor ein Weihrauchfass. Einige Menschen saßen schweigend mit ausreichend Abstand in den Bänken. Andere gingen durch den Raum. Ein Mann stimmte ein Lied an. Der Kirchenraum als Open Source. Wir stellten uns in die Mitte des Raums und schauten auf das Kreuz. Länger als sonst. Langsam verbeugten uns und verließen den Raum, der zu der Stunde, an dem Jesus für alle starb, für jede und jeden geöffnet war.

Die Herrenboutique, der Klerus und die Demokratie – Christiane Florin (weiberaufstand.com)

Christiane Florin kontextualisiert die Gottesdienst-Debatte kirchenpolitisch und mit dem Fokus auf ihre röm.-kath. Kirche. Auch ihr Text ist voller Widersprüchlichkeiten – vor allem zwischen der Haltung, die Kirchenmänner sonst gegenüber der demokratischen Gesellschaft einnehmen und ihren aktuellen Forderungen. Man kann aus guten Gründen für die Ermöglichung von Gottesdienst-Veranstaltungen sein, die schlechten entkräftet Florin in diesem Artikel.

Angesichts von 2000 Jahren Kirchengeschichte sind die Corona-Wochen nicht einmal ein Wimpernschlag, aber in der Herrenbudike platzt der Priesterkragen schnell. […] Nun könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Herren durch diese Corona-Erfahrung Freiheitsrechte und Gewaltenteilung schätzen lernen. Womöglich lehrt Not Demokratie. Könnte es sein, dass einige sagen: Debatte, Abwägung und Selbstkorrektur wollen wir in unserer katholischen Herrenboutique auch?

Lasst die Kirchen zu! – Heiko Kuschel (evangelisch.de)

Pfarrer Heiko Kuschel (@citykirche_sw) empfiehlt auf seinem „stilvoll glauben“-Blog bei evangelisch.de den freiwilligen Verzicht auf Gottesdienste. Dass die Kirchen zum persönlichen Gebet geöffnet sind, findet er gut.

Aber – Gottesdienst mit zwei Meter Abstand, mit Mundschutz und ohne Gesang? Ohne herzliche Begrüßung und Verabschiedung? Das ist doch gar keine gottesdienstliche Gemeinschaft. Da kann ich wirklich herzlich gern darauf verzichten und mir die Online-Angebote unserer Gemeinde ansehen, mögen sie noch so verwackelt sein, doch sie sind Lebenszeichen dieser Gemeinde.

Ich halte diese Entscheidung für richtig! – Claudia Sperlich (Katholisch? Logisch!)

Claudia Sperlich (@ClaudiaSperlich) ist eine Katholikin, deren Einsatz für den Lebensschutz bei den Einschränkungen wegen des Corona-Virus‘ nicht Halt macht. Das unterscheidet sie dieser Tage von so manche*r konservativen Katholik*in. Sie findet die Einschitte in das Gottesdienstleben richtig und exponiert sich damit in einer hoch-polarisierten Szene, in der sowohl die Eucharistie (s.o. Bischof Wilmer) als auch das sture Festhalten am Glauben wider wissenschaftliche Erkenntnisse hoch im Kurs stehen.

Ich weiß, daß aufgrund dieser Aussage zahlreiche Glaubensgeschwister die Aufrichtigkeit meines Glaubens anzweifeln. Ich bitte die Glaubensgeschwister, auf die das zutrifft, mir (nur virtuell, wegen der Wahrung des Abstands) den Buckel herunterzurutschen. Das Gleiche bitte ich alle, die in den Beschränkungen einen generellen Angriff auf die Demokratie, die Freiheit, die Menschenwürde sehen.

Sehr gut finde ich, daß an Schutzmaßnahmen gearbeitet wird, um den Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen Besuch zu ermöglichen. Ich weiß, wie elend gerade alte und demente Menschen unter der Einsamkeit leiden, und ich hoffe, daß ausreichende Schutzausrüstung für Besucher bald gestellt wird.

nachgefasst

Nicht mehr als ein Symbol: Minderjährige Flüchtlinge reisen nach Deutschland – Florian Schmitz (Deutsche Welle)

Florian Schmitz (@SchmitzFlorian_) beschreibt für die Deutsche Welle die verzweifelte Lage in Griechenland und den dortigen europäischen Flüchtlingslagern. Im Land gibt es ein besonders strenges Corona-Regime und die Bevölkerung fürchtet die Wirtschaftskrise, die dem Virus unweigerlich folgen wird. Griechenland braucht die Solidarität des restlichen Europas, Deutschland vorweg.

Die ersten Kinder und Jugendlichen aus den Lagern sind gestern in Deutschland angekommen. Viel zu wenige und doch ein erstes Zeichen, dass es sehr wohl geht, wenn man will.

„Seit mehr als einem Jahr ist die Situation auf den Inseln, vor allem in Lesbos, Samos und Chios, unerträglich. In Samos ist die eigentliche Kapazität inzwischen um das Elffache überschritten.“ Gerade in Zeiten von Corona könne man eine solche Überbelegung nicht hinnehmen und dürfe Griechenland mit diesem Problem nicht alle lassen […].

Buntes

Only for Profi? – Inke Raabe (inkeraabe.de)

Den Schlussakkord der Diskussion um Gottesdienst-Streams hat Inke Raabe (@bible_machine) unter der Woche mit Kraft gesetzt: Auf ihrem Blog stellt sie dazu, in Anknüpfung an Hanna Jacobs Artikel in der Christ & Welt, die richtigen Fragen. Angesichts kommender physischer Gottesdienste ohne Gemeindegesang, dialogische Liturgie, Abendmahl und – let’s face it – eben doch nicht flächendeckend kreativen Lösungen stehen die Streamer*innen, die in den vergangenen Wochen Interaktivität gelernt haben, sogar als die eigentlich partizipativen Gottesdienst-Veranstalter*innen da. Zumindest weisen die Onliner*innen darauf hin, dass Partizipation mehr als gemeinsame räumliche Anwesenheit bedeutet.

Es ist ja richtig, dass nicht alles toll ist, was gestreamt wurde. Raabe spricht in ihrem Artikel auch den Aktionismus mancher Selbstdarsteller an. Stimmt auch. Aber die Frage der Streaming-Qualitäten ist nicht entscheidend für die Zukunft des Glaubens und der Kirche. Noch nie sei ihm seine Kirche so peinlich gewesen, schrieb Erik Flügge (@erik_fluegge) wie üblich pointiert und unterhaltsam ebenfalls in der Christ & Welt. Mir fallen da schon andere Dinge ein, die deutlich mehr Anlass für Scham bieten und die auch „in dieser Zeit“ nicht vergessen werden sollten.

Pell in purgatory – Jeremy Gans (Inside Story, englisch)

Eine lange Aufarbeitung der Prozesse gegen den Kurienkardinal Georg Pell, der in seiner Heimat Australien wegen Kindesmissbrauchs angeklagt war. Vor ein paar Tagen hat ihn das oberste Gericht nun freigesprochen. Was hat das alles zu bedeuten? Jeremy Gans schreibt in englischer Sprache bei Inside Story über „Pell im Fegefeuer“:

It may be that one of these two well-spoken men is genuinely deluded in his recollection of what happened all those years ago. If not, then one of them is a liar who put the other one through a living hell. If that’s the case, then both of them know which man that is. The rest of us can believe what we want, but we will never know, unless that man confesses. Most likely, both will carry this shared knowledge to their graves. And after that, if the beliefs they were raised with — and may, against all reason, still hold — prove to be truth, they will go their separate ways.

„Covid19 und die Macht der Verschwörungsmythen.“ Nachgefragt beim Religionswissenschaftler Michael Blume. – Tobias Faix (tobiasfaix.de)

Tobias Faix (@tobiasfaix) hat auf seinem Blog dem Antisemitismusbeauftragten der Baden-Württembergischen Landesregierung und Verschwörungs-Experten Michael Blume (wieder auf Twitter @BlumeEvolution) einige Fragen zum Verschwörungsglauben während der Corona-Krise gestellt. Blumes Antworten sind eine gute Handreichung für den Kontakt mit den grassierenden Mythen, die auch und gerade unter religiösen Menschen im Umlauf sind.

Der Glaube an einen guten, liebenden Gott ist eine Gnade, ein Geschenk. Das kann man annehmen, aber nicht erzwingen. Auf meinem Blog diskutiere ich teilweise seit Jahren mit extremen Verschwörungsgläubigen. Und muss mir dennoch klarmachen, dass ich sie auch als Wissenschaftler bestenfalls informieren, aber nicht retten kann. Dann bleibt mir noch, für sie zu hoffen – und zu beten.

Pfarrer aus Nigeria nach Anfeindungen vom Amt abgezogen (FAZ)

Ein Pfarrer im Bistum Speyer muss seine Dienststelle verlassen, weil er über Monate rassistischen Angriffen ausgesetzt war. Patrick Asomugha kommt aus Nigeria und leitete seit 2017 die Gemeinde Heiliger Franz von Assisi in der Pfalz. Haupt- und ehrenamtliche Kirchenmitarbeiter*innen sind immer wieder Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt (wir berichteten), besonders, wenn sie sich für Flüchtlinge oder gegen Rechtsextremismus engagieren.

Mit Asomugha trifft es nun einen Mann, der aufgrund seiner schwarzen Hautfarbe als eindeutig „anders“ und/oder „fremd“ markiert ist. Mitten in Deutschland und mitten in der Kirche.

„Wenn das in unserem kirchlichen Kontext geschieht, schämen wir uns zutiefst. Jede Form von psychischer und physischer Gewalt gegen Menschen verurteilen wir“, hieß es in einer am Freitag verbreiteten Mitteilung. In der Kirche und der Gesellschaft dürfe es keinen Platz für Rassismus geben. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz bestätigte dem Evangelischen Pressedienst, dass es auch in anderen deutschen Bistümern ähnliche Fälle von Rassismus gegen katholische Pfarrer anderer Herkunft und Hautfarbe gegeben habe.

Predigt

Der Tod hat nicht das letzte Wort? Das kann man so nicht sagen, finde ich. – Antje Schrupp (Gott & Co.)

Es kann sein, dass Antje Schrupp (@antjeschrupp) ihren Text nicht unter „Predigt“ verschlagwortet sehen will. Schließlich, sagt sie, kann sie nicht darüber predigen, dass der Tod nicht das letzte Wort habe. Da geht es ihr anders als vielen Prediger*innen, denen diese Floskel zu Ostern wieder über die Lippen gerutscht ist. Antje Schrupps Text steht dennoch hier, weil er die beste ehrliche Osterpredigt ist, die ich dieses Jahr gelesen habe.

Dass jemand sagt: Der Tod hat nicht das letzte Wort – das ist nichts, was man anderen predigen kann, finde ich. Das ist nur etwas, das man für sich selbst glauben kann oder nicht, und ob man es glaubt oder nicht, das erweist sich erst in dem Moment, wo man selbst stirbt, oder wo jemand sehr Nahestehendes stirbt. Mal sehen, ob man das dann noch glauben kann. Ich hoffe, das, aber ich weiß das nicht sicher genug, um es anderen aufzusagen. Genauso wenig, wie ich weiß, ob nach der Corona-Pandemie wirklich wieder alles (oder immerhin vieles) gut wird.

Ein guter Satz